Desinformation auf YouTubeFaktencheck-Organisationen schlagen Alarm

Über 80 Organisationen auf der ganzen Welt haben einen offenen Brief an YouTube-Chefin Susan Wojcicki geschrieben: Die Videoplattform soll endlich entschlossener gegen Desinformationskampagnen vorgehen. Auch hoffen sie auf mehr Zusammenarbeit.

Ein Foto eines Handy auf dem der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro in einem YouTube Video zu sehen ist.
Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro verbreitete immer wieder Falschinformationen. Trotzdem darf er weiterhin auf Youtube veröffentlichen. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Cris Faga

Diese Woche haben über 80 Faktencheck-Organisation aus der ganzen Welt YouTube-Chefin Susan Wojcicki einen offenen Brief geschickt, um gegen die angeblich mangelhaften Maßnahmen der Videoplattform gegen Desinformation zu protestieren. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie habe YouTube nicht genug gegen die gezielte Verbreitung von Falschinformationen getan. In Konsequenz von YouTubes fehlendem Handeln seien Menschen gestorben und Existenzen ruiniert worden.

Neben den aktuell weitverbreiteten „Spaziergängen“ der Coronaleugner wird dieses Bild auch durch ein Blick auf die deutsche Impfstatistik bestätigt – rund 25 Prozent der Deutschen sind ungeimpft, darunter viele radikalisierte Impfgegner. Daher fordern die Faktenprüfer die Videoplattform auf, ihre Anstrengungen gegen Desinformation endlich zu erhöhen.

YouTube ist eine enorm erfolgreiche, stetig wachsende Videoplattform des Internetriesen Google. Schon 2017 wurden dort eine Milliarde Stunden Videos geschaut – pro Tag. Dank der Plattform ist es potenziell jedem möglich, innerhalb kürzester Zeit Millionen an Menschen zu erreichen. Allerdings wird diese Reichweite immer wieder zweckentfremdet: So werden dort Falschinformationen und Verschwörungstheorien öffentlichkeitswirksam verbreitet. Die Autoren des Briefes erklären, dass die Plattform auf diese Weise maßgeblich zur Entstehung der Querdenker-Gruppierung in Deutschland beigetragen hat. Heute ist die Bewegung international verbreitet.

Außerdem führen die Autoren mehrere destruktive Entwicklungen der vergangenen Jahre an, die aus ihrer Sicht maßgeblich durch die Videoplattform befeuert wurden. Häufig ging es dabei um die Untergrabung demokratischer Strukturen: So verbreiteten sich in den USA Narrative eines vermeintlichen Wahlbetruges. In den Monaten zum 6. Januar 2021 wurden Videos über die angeblich manipulierte US-Präsidentenwahl über 33 Millionen Mal angesehen. Anschließend folgte der Sturm auf das Kapitol – eine Krise, die bis heute Nachwirkungen hat.

Eine Person auf einer Demo mit einem Schild: "Media is the Virus"
Coronaleugner auf einer Demonstration am 18.12.2021 in Stuttgart - Alle Rechte vorbehalten IMAGO

Bisher hat YouTube Inhalte immer dann gelöscht, wenn sie gegen die eigenen Community-Richtlinien verstießen. Laut diesen dürfen auf der Plattform keine Falschinformationen hochgeladen werden. Des Weiteren sind keine irreführenden, sensiblen, gewaltverherrlichenden oder illegale Inhalte erlaubt. Um die aufzuspüren, verwendet YouTube einen Algorithmus, der fragwürdige Inhalte automatisch meldet. Anschließend werden die Videos von Menschen geprüft und bei Bedarf von der Plattform entfernt. Nur 0,4 Prozent aller erfolgreichen Meldungen kommen von echten Nutzern.

Dieses System ist aus Sicht von Expert:innen nicht gründlich genug. Wie Paweł Terpiłowski Chefredakteur der polnischen Faktencheck-Organisation Demagog Association gegenüber netzpolitik.org erklärt, übersieht Youtube immer wieder weitverbreitete Falschbehauptungen. Insbesondere polenspezifische Narrative würden seltener entfernt als solche, die auch im Ausland bekannt seien. Außerdem erfolgten Sperrungen von Kanälen sehr inkonsequent. In Deutschland hat YouTube beispielsweise den Kanal von Russia Today (RT) gesperrt – die amerikanische Version des russischen Propagandasenders ist allerdings weiterhin online. Die Videos des Kanals wurden bis heute circa 3,5 Milliarden Mal angesehen.

In einem Statement gegenüber netzpolitik.org entgegnet YouTube auf die Vorwürfe aus dem Brief, dass die Plattform viel zur Bekämpfung von Desinformation investiert habe. Der Konsum von „grenzwertiger Fehlinformation“, die auf Empfehlungsalgorithmen Youtubes zurückzuführen sei, liege bei deutlich weniger als einem Prozent aller Views auf der Plattform. Nur etwa 0,21 Prozent aller Klicks entfielen auf Inhalte, die später wegen Verletzung der Community-Regeln entfernt würden.

Um diese Angaben Youtubes in Perspektive zu setzen – ausgehend von etwa fünf Milliarden täglichen Klicks im Jahr 2022 wären das pro Tag rund 10,5 Millionen Aufrufe von Videos, die später wegen Verletzung der Richtlinien gelöscht werden.

Wieso Löschen nicht der einzige Weg sein darf

Aber für das einfache Entfernen der Inhalte sprechen sich die Faktenprüfer gar nicht aus. Vielmehr stützen sie sich auf neue Forschungsergebnisse: So erläutern sie, dass das Verknüpfen von Desinformation und faktengeprüften Inhalten effektiver sei als das reine Löschen der Inhalte. Bei konsequenter Sperrung der Videos könnten die Nutzer einfach auf andere, ihnen wohlgesonnene Plattformen ausweichen – auf diesen gäbe es dann oft keine Faktenchecks. Infolgedessen würden einige Betroffene noch weiter in die Welt der Verschwörungsmythen abdriften.

Daher empfehlen die Organisationen die Einblendung geprüfter Informationen bei Videos mit falschen Behauptungen. So könnten irreführende Inhalte in den richtigen Kontext gerückt und falsche Darstellungen korrigiert werden. Bei Wiederholungstätern solle Youtube außerdem deren Reichweite beschränken. Der Algorithmus solle ihre Inhalte nicht mehr automatisch anderen Nutzern weiterempfehlen.

Zudem fordern die Faktenprüfer mehr Transparenz: Über Desinformationskampagnen auf YouTube sollten öffentlich aufgeklärt werden. Auch dies stimmt mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zur ethischen Vertretbarkeit von Anti-Desinformationsmaßnahmen überein. Diesen zufolge könnte die Aufklärung über Desinformationskampagnen betroffenen Akteuren helfen, sich gegen die einhergehenden Vorwürfe zu wehren.

Hinsichtlich der Vorschläge hoffen die Organisationen auf eine einheitliche Umsetzung der Maßnahmen für alle Regionen und Sprachen. Bisher ist dies kaum der Fall: Wie Eugene Kiely von FactCheck.org gegenüber netzpolitik.org erklärt, gibt es eine Initiative auf der Plattform Google News, um Faktenchecks mehr Reichweite zu verschaffen – diese existiert allerdings nur für wenige Sprachen. Sowohl im Falle des spanischen Pendants Google Noticias als auch im Falle der deutschen und vielen anderen Google-News Versionen würden keine Faktenchecks angezeigt.

Die Autoren des offenen Briefs hoffen, dass Youtube reagiert und die von ihnen geforderten Maßnahmen umsetzt. Bisher hat Susan Wojcicki nicht persönlich auf den Brief reagiert. Engere Zusammenarbeit mit Faktencheck-Organisationen sei YouTube zufolge allerdings geplant.

In einer vorherigen Version des Textes war angegeben, dass die Aussagen der Demagog Association von Marcel Kiełtyka getätigt wurden. Tatsächlich stammen sie von Paweł Terpiłowski.

22 Ergänzungen

  1. Ok, bekommen wir dann bald ein „Ministerium für Wahrheit“ das dann darüber entscheidet was Fake News ist und was nicht ? Orwell hat genau das in seinem Buch 1984 ja thematisiert !

    Die ganzen Querdenker und Verschwörungstheorie Lügen möchte ich keinesfalls gut heißen, genauso wenig die Propaganda von rechten Trumpisten und AfD. Dennoch muss daran erinnert werden das die NSA Überwachung auch als Fake News abgetan wurde und Wikileaks das Verbreiten von Verschwörungstheorien vorgeworfen wurde bis es eben dann nicht mehr zu leugnen war.

    Jetzt Konzerne dazu zu verpflichten Inhalte die zwar komplett falsch aber nach geltender Rechtssprechung Legal sind zu löschen ist also Zensur durch die Hintertüre. Das kann mächtig nach hinten los gehen, heute mag es vielleicht hauptsächlich die Rechten treffen. Morgen trifft es dann aber sicherlich Linke Gruppen wenn z.B. Kapitalismuskritik dann auch offiziell als Fake News eingestuft wird und so weiter….

    Ich denke das ist ein wirklich sehr gefährliches Spiel das hier einige Spielen. Wer mit dem Feuer Spielt verbrennt am Ende eben nicht nur die Bösen sondern vielleicht auch sich selbst…..

    1. Achtung persönliche Meinung: Leider haben wir die Problematik, dass sich in den sozialen Medien Tatsachen extrem leicht verdrehen lassen. Schnell kann ein Ereignis komplett umgedeutet werden, ohne dass dafür jegliche Belege vorhanden sein müssen. Die Faktenprüfer unterscheiden sich in der Hinsicht drastisch von dieser modernen Demagogie: Sie belegen jegliche Checks mit umfangreichen Quellenangaben. Nichtsdestotrotz, sollten sich Teile der Belege im Anschluss als falsch erweisen, ist ihre Kritik auf jeden Fall angebracht. Das darf nicht passieren. Den Faktencheckern allerdings im Voraus zu unterstellen, dass sie die Sachen einseitig verzerren würden, ist gefährlich. Ansonsten können wir auch gleich unser gesamtes Wissenschaftskonzept in die Tonne hauen – und da bezweifle ich, ob das so sinnvoll wäre.

      1. Das mit dem Faktenverdrehen gilt genauso für die etablierten Medien und lässt sich von SZ, welt, Bild, FAZ bis zum OeR jeden Tag beobachten. Teilweise vorsätzlich, teilweise mangels Recherche, teilweise für die clicks.

        Das ist schlicht kein Argument mehr.

        Es geht nur um die Macht der Beeinflussung und das Geschäft. Und bei beiden haben die etablierten in den sozialen Medien schlechte Karten.

        Der sinnvolle Weg wäre der mündige Bürger. Aber der wäre halt unbequem und kann daher nicht das Ziel von Politik sein. Als Konsument schon gar nicht.

        1. Exakt. Demokratie setzt einen muendigen Buerger ja vorraus, der in der Lage ist sich kritisch mit Medien auseinanderzusetzten und aus dem Querschnitt dieser seine eigene Meinungen und Werte zu generieren. Wenn man impliziert, dass das nicht möglich ist, gibt man indirekt zu, dass die demokratie ohne das herstellen von Zustimmung, wie Chomsky sagt, nicht möglich ist.
          Was gerade passiert sieht den mündigen Buerger als Gefahr für den Status Quo (Sprichwort „Nudging“).
          Diese Zensur durch die Hintertür sollte besonders bei unabhängigeren Medienlandschaften wie Netzpolitik doch eigentlich auf Empörung und nicht noch Zuspruch stoßen!

          1. Ich stimme Ihnen zu. Demokratie setzt mündige Bürger voraus, die in der Lage sein müssen, sich ihre eigene wohlüberlegte Meinung zu bilden. Wie durch das Böckenförde-Diktum beschrieben, basiert das demokratische System damit auf einem Fundament, welche es selbst nicht garantieren kann. Die Bürger:innen benötigen für ihre Meinungsbildung realitätsbasierende, gesicherte Informationen – Ansonsten wird das System ad absurdum geführt.

            Diese Achillesferse der Demokratie ist mit dem gezielten Streuen von Lügen – Desinformationskampagnen – gefunden. Verbreiten Akteure solche Unwahrheiten, auf welchen die Menschen dann Ihre Meinung fußen, wäre das System indirekt durch eben diese in jede beliebige Richtung signifikant beeinflussbar (Allerdings muss ich hier angeben, dass die tatsächliche Wirkung von Desinformation wissenschaftlich nicht geklärt ist.). Sehr ähnlich wie in Staaten mit einem staatlich gesteuerten Medien und Propagandasystem – und dies ist meines Erachtens in keiner Weise als demokratisch zu bezeichnen.

            Eine einfache Lösung für das Problem gibt es keineswegs. Faktenprüfer könnten nichtsdestotrotz, sollten sie gewissenhaft nach wissenschaftlichen Prinzipien arbeiten (!), ergänzend dazu beitragen, der Bevölkerung ein möglichst umfassendes Abbild der Realität zu bieten und könnten damit diesen Entwicklungen etwas Einhalt gewähren.

            Und zu guter Letzt: Ich habe mich in meinem Artikel in keiner Weise für Zensur ausgesprochen. Unsere Meinungsfreiheit ist und bleibt einer unseren höchsten demokratischen Errungenschaften.

          2. Intransparenz, Beliebigkeit der Kommunikation und (Teils) Handlungen, Korruption, Desinformation. Das ist Alltag.

            Das Hauptproblem an dieser Rechnung stellen Politik und Wirtschaft dar.

            Ähnliche Konstruktionsprobleme, wie bei der EU.

  2. Ich finde diesen Artikel ein wenig zu unreflektiert und eindimensional, wenn ich mir das sonst hohe Niveau der Artikel auf netzpolitik.org ansehe. Ist es nicht gerade das Ziel von netzpolitik.org für die Meinungs- und Informationsfreiheit im Netz einzutreten?

    Die Begriffe Faktencheck, Verschwörungstheorie und Desinformation führen allerdings aus meiner Sicht bereits zu einer Verengung des Diskursraums, da Sie eine Einordnung in richtig und falsch implizieren und somit in direktem Gegensatz zur Meinungs- und Informationsfreiheit stehen.

    Fred merkt das richtigerweise kurz ähnlich an. Eine besondere Dynamik entwickelt sich auch, wenn man den Blick in Bezug auf „Verschwörungstheorien“ und „Desinformationen“ nicht in die Zukunft, sondern die jüngste Vergangenheit richtet. Einige haben sich dann wohl doch bei genauerem Hinsehen als wahr erwiesen.

    Es gibt im deutschen Recht klare Regeln für strafbare Inhalte. Wenn diese konsequent durchgesetzt werden, muss alles andere gesagt und gepostet werden dürfen. Das ist Meinungsfreiheit, das ist wofür wir alle das Internet lieben, dass sich auf so erfreuliche Weise vom Netz für militärische Zwecke in einen liberalen Raum entwickelt hat. Leider wird dies über Jahre schon immer weniger, nicht zuletzt durch die Marktmacht von großen Privatkonzernen, die wir alle befeuert haben, die wir aber auch (noch) in die andere Richtung beeinflussen können. Zuletzt sind leider auch nicht nur den üblichen Diktaturen Möglichkeiten der Informationsbeschaffung und Meinungsäußerung ein Dorn im Auge, wie wir täglich auf netzpolitik.org nachlesen oder im Netz selbst erleben können. Hoffen wir, dass die Internetcommunity, wie bisher, den Zensoren weiterhin einen Schritt voraus ist.

    Freiheitsliebenden Menschen sollte der uneingeschränkte Zugang zu Informationen und die entsprechend darauf basierende Möglichkeit der freien Meinungsäußerung eine Herzensangelegenheit sein. Der Wunsch nach der Löschung nicht strafbarer Inhalte konterkariert dies offensichtlich.

    Ich bitte gern um Stellungnahme als Ergänzung oder per Mail an mich.

    Viele Grüße

    1. Ein, aus meiner Sicht, Fehler, der häufig Argumentationsgrundlage gegen „Zensur“ ist, ist das Argument, Meinungsfreiheit wäre ein Freifahrtschein alles zu sagen, was einem in den Kopf kommt.
      Ich selbst verabscheue jede Form von Zensur und bin auch kein Freund der „Cancel Culture“, aber es muss eindeutig unterschieden werden zwischen „ich habe eine Meinung von etwas“ und „ich lüge vorsätzlich für meinen eigenen Vorteil“.
      Wenn ich zum Beispiel sagen würde, dass ich Corona gegeben der Fakten nicht schlimm finde und die Maßnahmen übertrieben sind, ist das mein gutes Recht und niemand sollte mir dieses Recht nehmen dürfen. Wenn ich sagen würde, Biontech ist ein von den Juden kontrollierter Konzern der zusammen mit Bill Gates uns Mikrochips implantieren möchte, ist das keine Meinung, sondern üble Nachrede, in dem Fall gepaart mit Antisemitismus.

      Und dabei hat der Autor mit keiner Silbe verlangt, Inhalte zu löschen, ganz im Gegenteil. Es wird eindeutig davon gesprochen, Hassrede & Desinformationen mit Fakten zu kontern, ohne das ursprüngliche Medium zu entfernen. Und mehr Diskurs, bzw. mehr Informationen aus denen man sich eine Meinung bilden kann, sollten doch nicht schaden :)

      Bezüglich der Verschwörungstheorien, die sich als wahr herausgestellt haben, stimme ich Ihnen soweit zu, dass nicht jede „Verschwörungstheorie“ quatsch ist. Es ist aber ein Unterschied, ob ich diese Verschwörung mittels investigativer, wissenschaftlicher Methoden entlarve oder ob ich einfach nur in einem Facebook Post meine Wut über Immigranten, den Kapitalismus, oder wen oder was auch immer auslasse.

      Als klassischer Liberaler befürworte ich jede Art konstruktiven Diskurses, und ich bin gegen jedes Ausschließen von Meinungen zu Themen aller Art, seien sie noch so wild. Aber die Gefahr für unsere Demokratie durch gezielte Desinformationskampagnen ist einfach zu groß.
      Schauen wir nur einfach mal in Richtung USA, wo sich, getrieben durch „Fake News“ und unseriöse Nachrichtensender wie CNN und Fox News, Demokraten und Republikaner sich immer weiter von einander entfremden und sich nur noch gegenseitig Steine in den Weg legen, anstatt Politik für das Volk zu machen. Da bin ich sehr froh, dass wir in Deutschland noch eine seriöse Nachrichtenkultur haben, und das soll bitte auch so bleiben :)

      Viele Grüße!

      1. „Ein, aus meiner Sicht, Fehler, der häufig Argumentationsgrundlage gegen „Zensur“ ist, ist das Argument, Meinungsfreiheit wäre ein Freifahrtschein alles zu sagen, was einem in den Kopf kommt.“

        Tritt ans Schienbein: Aus meiner Sicht ein häufiger Fehler beim Bewerten vermeintlich harmloser Vorhaben von Politik- und Musikindustrie, stellt die Fokussierung auf „das Böse“ dar, unter Auslassung der Konsequenzen der in Frage stehenden Maßnahmen, die noch nicht mal immer klar kommuniziert werden, bzw. nicht einmal existieren müssen („Magie“).

        Die Meinungsfreiheit wird eben doch flöten gehen, wenn du alles überwachst, schon alleine dadurch. Dann Oberblocking. Irgendwann der Griff nach den Möglichkeiten der Infrastruktur usw.

        In „der Diskussion“ erleben wir doch schon ein wildes Überspringen der Regelungswut vieler Williger in Diskussionsforen, z.B. beim Thema „Impfen von Kindern“ in Podcasts bekannter Philosophieabsolventen. (Wann wessen Kinder, warum, Begründung, Gegenargumente, welches Alter, was war der Wissensstand zur Zeit der Erstellung eines Statements, dürfen Menschen dem Nachrichtenstand hinterher sein, ist der Nachrichtenstand überhaupt wissenschaftlich fundiert, usw. usf.)

        An Erfüllungsgehilfen scheint es jedenfalls nicht zu mangeln, denn so vieler bedarf es ja gar nicht. Wer weiß, im Netz ist vielleicht ein Großteil von ALLEM was passiert (halb-) automatisch fabriziert – wäre witzig dann die Gesetze danach zu gestalten, z.B. weil man sehr sehr dumm ist.

        1. Aber davon redet doch keiner :)

          Ich bin auch nicht dafür, schärfere Gesetzte für Hassrede, etc. zu erlassen, abhängig davon wie unser moralischer Kompass gerade ausgerichtet ist, auf keinen Fall, die Gefahr für Missbrauch ist viel zu groß.
          Aber was ist denn so schlimm daran, wenn man Google z.B. dazu nötigt, bei emotional aufgeladenen politischen Themen, wie etwa Corona, den Klimawandel, etc., Abänderungen im Algorithmus vorzunehmen, dass einem Videos mit vielen verschiedenen Standpunkten angezeigt werden (sofern das machbar ist, bin kein Software Engineer ^^).

          Und bezüglich Overblocking, wie gesagt weder der Autor noch ich haben davon gesprochen, Inhalte zu blockieren. Es geht einzig darum, in Meinungsblasen hineinzustechen, sodass man andere Standpunkte mitbekommt und sich nicht so leicht abkapselt.

          Sollten diese „Faktenchecks“ und entsprechende Gesetze dafür missbraucht werden in dem Maß wie du es beschreibst, bin ich voll bei dir, ich will auch niemanden haben der vorschreibt, was ich zu denken habe. Wenn du der Meinung bist dass das durch die von mir beschriebene Maßnahme unausweichlich ist wäre es cool, wenn du das noch etwas weiter ausführen könntest, weil so konnte ich dir noch nicht folgen.

          Viele Grüße!

  3. Vermutlich dasselbe wie dieses Jahr: Bewußt irreführende und sachlich falsche Informationen zu verbreiten, evt. noch ergänzt um die explizite Intention der Beeinflußung des öffentlichen Diskurses.

  4. Das Ziel der „Informationsfreiheit im Netz“ sollte aber nicht so verstanden werden, dass es darum geht, das Internet vollkommen frei von faktischen Informationen zu machen… Auch sehe ich keinen Widerspruch in „der Einordnung in richtig und falsch“ einerseits und der Forderung nach Meinungsfreiheit andererseits. Beispiel:
    Meiner Meinung nach ist 3+2 = 3,141772342.
    Das ist aber faktisch falsch.
    Und wer mich jetzt darauf hinweisen will, dass auch die mathematische Beweisführung, die korrekter weise 2+3 zu 5 summiert, auf axiomatischen, also postulierten Grundlagen basieren, ja, der möge mir bitte ein erkenntnistheoretisches Modell mit absoluten objektiven Grundwahrheiten zeigen.
    Oder anders gesagt: Ja, jeder Mensch hat das Recht, beliebigen Blödsinn im Internet zu verbreiten – muss sich aber halt nötigenfalls selber den benötigten Webspace mieten.

  5. Liebes Netzpolitik Team,

    anstatt „Faktenchecker“ als moralisch neutrale Editors vonfaktischer Wahrheit zu sehen, faende ich es ja schon ein angebracht im Hinblick meiner, sowie Spenden anderer Privatpersonen die an unabhaengien Journalismus glauben, auch mal ein kritisches Wort ueber diese Instanzen zu verlieren.
    Ist euch eigentlich bewusst, dass die meisten größeren Presse- Instanzen auch „Spenden“ durch moralisch dubiose Spieler erhalten (Pharma,Facebook etc.) und das offensichtlich zu einer abhaengigen Berichterstattung fuehrt?

    Dieser offensichtlichen Conflict of Interests kommt hier leider viel zu kurz- schade! Es ist auch nicht das erste Mal dass ich sowas unglaublich naives bei euch lese. Leider kommt aber diese Berichterstattung ueber die scheinbare „schreckliche Bedrohung“ von „Querdenkern“ ja nicht zu kurz.

    Ich frage jetzt mal laut in die Runde: ist die viel groessere Gefahr unserer „Demokratie“ nicht eher, dass diese undemokratischen und ungewaehlten Instanzen die von globalen Tech-Milliardaeren betrieben werden, die oeffentliche Meinung „nudged“? Sogar die Financial Times ist euch da vorraus. Sind es also eine Gruppe einzelner verwirrten Individuen die weder finanziellen noch die politischen Mittel besitzen und größtenteils bei Mutti im Keller wohnen wirklich so eine große Bedrohung fuer uns oder ist es nur noch eine weitere Ausrede anonyme Kommunikation Stueck fuer Stueck zu kriminalisieren?
    Wo bleibt die Rechenschaft ueber die dutzenden Fake „fact check“ die sich nach einem halben Jahr als wahr herausgestellt haben? Kein Wort von euch.

    Bin sehr enttäuscht wie unkritisch ihr über Machtstrukturen berichtet und werde in 2022 lieber an Substack Journalisten spenden, die wenigsten den Geldfluss von solchen undemokratischen Institutionen nachverfolgen- sehr schade!

  6. Warum setzen sich Politiker eigentlich so stark dafür ein, mit Hilfe von „Faktenschecks“ Nachrichten zu löschen ?
    Sind sie nicht auch nur Meinungsverbreiter statt Faktenverbreiter ?
    Wer beantwortet denn schon Fragen mit Ja oder Nein ?

    Ich bin mir eigentlich sicher, dass die Mehrheit der Deutschen in der Lage sind, sogenannte „Fakes“ erkennen zu können.

    Es sollte auch klar sein, dass viel mit der eigenen politischen Einstellung zusammenhängt, für wen Aussagen ein Fake ist.
    Selbst ein kleiner Umfragetest über die Parteiprogramme brachte sehr erstaunliches hervor.

    Ich glaube nicht, dass das Löschen von Nachrichten wirklich einer Demokratie weiterhilft.
    Es würgt notwendige Diskussionen ab und zementiert „herrschende“ Meinungen.

    1. Nein, können die Mehrheit der Bürger nicht. Die haben weder die (letztlich wissenschaftliche) Ausbildung zur Informationsbeschaffung und -bewertung noch die Zeit dafür.

      Mal abgesehen davon, dass sie das in unserer Demokratiesimulation auch nicht sollen, denn man will sie ja manipulieren: ohne vertrauenswürdige Medien und Personen geht es nicht.

      Weswegen zB der OeR derzeit mit seiner false balance und oft fehlenden Einordnung durch Vertrauenszerstörung bei grosser Reichweite in der Gesellschaft wesentlich toxischer ist als Facebook.

      1. „Nein, [kann] die Mehrheit der Bürger nicht.“ Tja, wenn das wirklich so sein sollte, dann ist unsere Gesellschaft dem Untergang geweiht. Ich bin jedenfalls nicht bereit, die Abschaffung der Demokratie hinzunehmen, weil die Bevölkerungsmehrheit vorgeblich nicht das nötige Erleuchtungsniveau erreicht.

  7. Super, weiter so! YT auf dem Weg der Selbstzersetzung. Dieses einst innovative Portal ist durch völliges Missmanagement und grenzenlose Inkompetenz auf dem besten Weg, furios zu scheitern! Was glauben „sie“ denn wer sie sind, durch ständige Zensur, nur noch unterbrochen von an Penetrantz nicht mehr zu übertreffenden Werbeblöcken, für Menschen, die kein betreutes Denken nötig haben, noch irgendwie relevant zu sein? So ein dekadenter Haufen da im Silicon Valley… pfui

    1. Das mit den Werbeblöcken liegt u.a. an der Pauschalabgabe auf Geräte und Speichermedien für legale Privatkopien nach § 54 Abs. 1 Urheberrechtsgesetz (UrhG). Aus den unten aufgelisteten Gebühren pro Gerät/Speichermedium kann sich jeder selber ausrechnen, wieviel Bücher er/sie/es ungeniert auf den Kopierer legen kann, bis er/sie/es die als Vorkasse eingezogenen Abgaben wieder ausgeglichen hat. Youtube holt sich die Kosten über vermehrte Werbung wieder rein. Und der nicht undumme Youtube-Nutzer gleicht das mit Hilfe von youtube-dl wieder aus. Ist ja schließlich bezahlt und sogar bundesverfassungsgerichtlich abgesegnet. Ein Teufelskreis der Methode hat.

      https://de.wikipedia.org/wiki/Pauschalabgabe
      https://www.urheberrecht.de/urheberrechtsabgabe/
      https://www.bitkom.org/Themen/Urheberrechtliche-Abgaben-auf-Geraete-und-Speichermedien

  8. Dabei sind es ja vermutlich mindestens 98,4723435143% der YouTube-Inhalte, die gelöscht werden müssten, um wieder in die reale Blase zurückzukehren. Nach meiner Denke sind ganz allgemein nicht nur rund 25%* der Konsumenten unwiederbringlich auf dem Holzweg. Auch das frühere offiziell als richtig geltend verbreitete Wissen wurde regelmäßig mit neuen Erkenntnissen ergänzt und widerlegt und diese dann wieder. Anders herum gedacht, 75% _glauben_ sie wären nicht falsch informiert, wenn alle falschen nicht gewollten Inhalte gelöscht sind. harharhar ;)
    Beim Löschen öffentlich zugänglicher Inhalte muss man wirklich abwägen, ob es nicht in vielen Fällen besser wäre nicht zu löschen, um späteren Geschichtsforschern ein möglichst echtes Abbild unserer Zeit zur Verfügung zu stellen. :)
    LG
    *angenommen es gäbe diese 25% Impverweigererist:innen

    1. Diese Argumentation hat ihren Reiz, stellt sie doch das aktuelle Problem deutlich dar. Jeder ist im Glauben des Besitzes der Wahrheit. Das war auch schon immer so. Was heute verloren geht ist der offene und zugewandte Austausch zwischen den „Wahrheitsbesitzern“, denn die Wahrheit liegt ja bekanntlich in der Mitte.

      Ein entscheidenes Merkmal von Demokratie ist auch der Minderheitenschutz. Das tun wir in Deutschland vorbildlich mit allen denkbaren und erst noch zu erfindenden Minderheiten, die große Minderheit der wird jedoch diffamiert, ausgegrenzt, gegängelt und stigmatisiert.

      Ich erinnere mich aus dem Geschichtsunterricht an min. zwei Punkte allein in der deutschen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts, wo ein solches Verhalten der Mehrheit zu schrecklichen Ereignisse und Regimen geführt hat. Weltweit und über die ganze Menschheitsgeschichte und die Gegenwart geblickt, kann ich die vielen Beispiele von arroganten Mehrheiten mit katastrophalen lebensverändernden oder -beendenden Maßnahmen und Konsequenzen für die Minderheit hier aufgrund der Fülle nicht aufzählen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.