Staatstrojaner sollen Geheimdiensten oder Strafverfolgungsbehörden dazu dienen, Kommunikation und Daten von Smartphones zu überwachen. Die Software wird direkt in das jeweilige Gerät eingebracht und hebelt quasi von innen die Schutzmaßnahmen des Betroffenen aus. Verschlüsselte Nachrichten beispielsweise können so vor der Verschlüsselung mitgelesen werden. In Demokratien sind – zumindest meistens – hohe rechtliche Hürden vorgesehen, bevor ein solcher Trojaner eingesetzt werden darf.
Die Spionagesoftware „Pegasus“ der israelischen Firma NSO Group wird immer wieder mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht. Das Unternehmen gibt zwar an, die Software nur für Verbrechensbekämpfung an Regierungen zu verkaufen, wie sie letzten Endes eingesetzt wird, prüft die Firma selbst aber nicht. Von Spionage mit solcher Software betroffen sind häufig Journalist:innen und Aktivist:innen, die sich gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit in ihren Ländern einsetzen. Autoritäre Regime können sie mit Hilfe der Spionagesoftware über Ländergrenzen hinweg überwachen und unter Druck setzen. Access Now und weitere NGOs versuchen seit Jahren dagegen vorzugehen.
Eine Klage von Facebook gegen das Unternehmen NSO wird jetzt vor Gericht verhandelt. Nachdem mit der NSO-Software Pegasus 1.400 WhatsApp-Nutzer:innen ausspioniert wurden, klagte das Unternehmen im Jahr 2019. Die Klage wird mittlerweile von anderen großen Tech-Konzernen und der Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) mit Stellungnahmen unterstützt. EFF forderte das Gericht auf, der NSO keine Immunität zu gewähren.
Betroffene berichten
Menschenrechtler:innen, Journalist:innen und Aktivist:innen überall auf der Welt wurden Opfer des WhatsApp-Hacks. Die ersten bekannten Fälle in Europa betrafen Personen, die sich für die Unabhängigkeit Kataloniens einsetzen, unter anderem den Parlamentspräsidenten Roger Torrent. Außerhalb Europas kann diese heimliche Form der Überwachung überaus bedrohlich werden: Inhaftierungen, Folter oder gar Hinrichtungen können in diktatorischen Regimes die Folge sein.
Access Now hat fünf Betroffene interviewt und ihre Geschichten veröffentlicht. Wir haben sie übersetzt. Sie zeigen eindrücklich, was es bedeutet, mit einem Staatstrojaner überwacht zu werden:
- Bela Bhatia, Anwältin in Indien,
- Aboubakr Jamaï, Journalist aus Marokko,
- Placide Kayumba, Mitglied der ruandischen Opposition im Exil,
- Fouad Abdelmoumni, Aktivist in Marokko und
- Pastor Pierre Marie-Chanel Affognon, Gemeindeorganisator in Togo.
Bela Bhatia
Bela Bhatia ist eine indische Menschenrechtsanwältin, Aktivistin, unabhängige Forscherin und Autorin.
Mein Name ist Bela Bhatia. Ich lebe in Jagdalpur im Bezirk Bastar im indischen Bundesstaat Chhattisgarh. Ich arbeite hier als Menschenrechtsanwältin und -aktivistin, unabhängige Forscherin und Autorin. Bevor ich im Januar 2015 nach Bastar umzog, war ich Honorarprofessor am Tata Institute of Social Sciences in Mumbai. Meine Verbindung nach Bastar reicht bis ins Jahr 2006 zurück. Bastar ist seit 2005 Schauplatz eines „Krieges“ zwischen der indischen Regierung und der Kommunistischen Partei Indiens (Maoisten). Seitdem gab es eine Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen an den indigenen Adivasi, den Bewohnern der Dörfer des Kriegsgebiets. Ich gehörte zu den Mitgliedern der Zivilgesellschaft, die diese Exzesse dokumentierten, sich dazu äußerten und dagegen schrieben sowie die Opfer vor Gericht vertraten.
Ich glaube, dass ich ins Visier geriet, weil die Landes- und Bundesregierungen Indiens nicht wollen, dass Einzelpersonen die Straffreiheit der Polizei und der Paramilitärs bezeugen oder sich dagegen aussprechen, während sie ihre Pläne zur Niederschlagung der maoistischen Bewegung mit brutaler Gewalt und illegalen Mitteln ausführen. Neben den Problemen, die mit der maoistischen Bewegung zusammenhängen, gibt es noch andere Themen, die Regierungsführung und die demokratischen Rechte der Bürger betreffend, insbesondere die Rechte der Adivasi in diesem Gebiet – das unter den Anhang 5 („Fifth Schedule“) der indischen Verfassung fällt, wodurch ihnen besonderer Schutz gewährt werden sollte – werden mit Füßen getreten, zum Beispiel in der Förderung der Bergbauindustrie, die im Interesse privater Konzerne ohne ein ordentliches Verfahren stattfindet. Die Regierung ist bestrebt, selbst gewaltfreie Mobilisierungen zur Wahrung solcher demokratischen Rechte zu unterbinden.
Seit vielen Jahren werden unabhängige Beobachter:innen und Akteur:innen, ob Einheimische oder Besucher:innen, in diesem Gebiet kontinuierlich überwacht und schikaniert, darunter auch einheimische Jugendliche. Besonders gebildete Jugendliche wurden schikaniert und willkürlich verhaftet, auch Sozialarbeiter:innen, Journalist:innen, Anwälte und Akademiker:innen wurden bedroht, vertrieben oder unter falschen Anschuldigungen angeklagt.
Wie andere auch, war ich in den Jahren 2016 und 2017 solchen Überwachungen, Schikanen, Drohungen und Etikettierungen als „Naxaliten-Agent“ und „urbaner Naxalit“ sowie unterschiedlichen Angriffen durch die Polizei, paramilitärische und Bürgerwehr-Organisationen ausgesetzt. Es wurde zum Beispiel ein anonymes Flugblatt mit meinem Foto, das mich als „Naxaliten-Agent“ bezeichnete (eine implizite Aufforderung zur Gewalt), im März 2016 von Mitgliedern einer feindseligen Kundgebung, die von einer Bürgerwehr in dem Dorf, in dem ich wohnte, organisiert wurde, in der Gegend verteilt; mein Telefon wurde mir von einem maskierten Mann entrissen, als ich versuchte, über eine von Polizei und Bürgerwehr organisierte Kundgebung in Jagdalpur im September 2016 zu berichten; im Oktober 2016 wurde mein Bildnis zusammen mit dem anderer Aktivist:innen von der Polizei in mehreren Distrikthauptquartieren verbrannt; im Januar 2017 versuchten Schläger einer Bürgerwehr, mich in der Nacht zu bedrohen, und griffen am nächsten Morgen mein Haus an, eine gemietete Unterkunft in einem Dorf, mit der Absicht, mich zu vertreiben. Darüber hinaus war mir bewusst, dass mein Telefon höchstwahrscheinlich angezapft und meine Bewegungen oft verfolgt wurden.
Ich war daher nicht überrascht, als ich von John Scott-Railton, einem leitenden Forscher des Citizen Lab an der Universität von Toronto, erfuhr, dass mein Telefon mit einer Spionagesoftware namens Pegasus gehackt worden war, die von der israelischen Cyber-Warfare-Firma NSO Group exklusiv an Regierungen verkauft wurde. Ich sah das als eine Fortsetzung der alten Überwachung in ausgefeilterer Form.
Die Auswirkungen dieser Überwachungsmaßnahmen, die in der Pegasus-Operation gipfelten, sind, dass ich gezwungen bin, in einem Umfeld des Verdachts zu arbeiten und ein eingeschränktes Leben zu führen. Es ist umso schwieriger geworden, unter den Gemeindemitgliedern Vertrauen für jegliche gemeinsame Aktivität aufzubauen. Außerdem konnte ich nicht dort leben, wo ich gern gelebt hätte, in dem Dorf, in dem ich jetzt lebe, wurde ich 2017 angegriffen. Ich war auch nicht in der Lage, in anderen Funktionen zu arbeiten, in denen ich gern gearbeitet hätte; beispielsweise hätte ich gern mit der Universität hier zu tun gehabt, aber auch die Universitätsbeamten sind mir gegenüber misstrauisch geworden.
Die Tatsache, dass ich ins Visier internationaler Spionage geraten bin, hat all die früheren Gerüchte und ihre möglichen Folgen noch verstärkt. Die Pegasus-Operation hat die Überwachung auf eine neue Ebene gehoben und mich noch umstrittener und angreifbarer gemacht, als ich es ohnehin schon war. Ich muss auch mit der ständigen Befürchtung leben, aufgrund falscher Anschuldigungen verhaftet zu werden, wie es in letzter Zeit mehreren anderen Aktivist:innen in diesem Land passiert ist.
Aboubakr Jamaï
Aboubakr Jamaï arbeitete als marokkanischer Journalist und ist Gewinner des CPJ International Press Freedom Awards.
Über zehn Jahre war ich als Journalist in Marokko tätig. Ich habe zwei Wochenmagazine gegründet und geleitet. Unsere Arbeit wurde mit internationalen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem International Press Freedom Award des Committee to Protect Journalists. Nach mehreren Verboten und erfundenen Verleumdungsklagen, die zu hohen Geldstrafen führten, wurde ich 2007 aus dem Land vertrieben. Im Jahr 2010 gingen die Verlage nach einem staatlich gelenkten Anzeigenboykott in Konkurs. Nachdem ich Marokko verlassen hatte, begann ich eine neue Karriere als Berater und Lehrer.
In den letzten zwei Jahren gab es zwei Vorfälle, in denen vertrauliche Arbeit, die ich für meine Kund:innen geleistet habe, an Medien weitergegeben wurde, die dem marokkanischen Regime nahestehen. In den Artikeln über meine Arbeit wurden Inhalte verwendet, die von meinem Telefon gestohlen wurden, um berufliche Bekannte zu verleumden. Während ich in Marokko war, handelte ich immer in der Annahme, dass meine Telefone vom Staat abgehört wurden. Außerhalb Marokkos hoffte ich, arbeiten und meinen Lebensunterhalt verdienen zu können, ohne dass der marokkanische Staat mich ausspioniert und die Beziehung zu meinen Berufspartnern gefährdet. Dank der Recherchen von Citizen Lab erfuhr ich, dass mein Telefon mit der Spionagesoftware Pegasus infiziert war. Auch meine Kund:innen wussten davon und haben meine Dienste seitdem nicht mehr in Anspruch genommen.
Als Professor leite ich die Abteilung für internationale Beziehungen eines in Frankreich ansässigen Auslandsstudienprogramms. Die meisten unserer Studierenden sind US-amerikanische Staatsbürger:innen. Zu meinen Aufgaben gehört es, Reiseseminare nach Marokko zu organisieren und zu leiten. Seit den Spionage-Enthüllungen mache ich mir Sorgen, unsere Studierenden nach Marokko zu bringen.
Von einem autoritären Staat ausspioniert zu werden, verdirbt nicht nur berufliche Beziehungen, sondern reduziert auch den sozialen Kreis. Freund:innen und Verwandte werden allein durch die Tatsache gefährdet, dass sie frei mit einem telefonieren. In der Konsequenz neigen sie dazu, ihre Interaktionen mit einem zu reduzieren. Der größte Teil meiner Familie lebt in Marokko. Obwohl ich gelegentlich in mein Heimatland zurückkehre und meine Verwandten besuche, finden die meisten Interaktionen über das Telefon statt. Zu wissen, dass unsere Gespräche ausspioniert werden, ist für sie und mich emotional belastend.
Placide Kayumba
Placide Kayumba ist ruandischer Aktivist und Mitglied der Opposition im Exil.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich ins Visier geriet, weil ich die Regierung von Ruanda kritisiert habe. Diese Regierung ist eine Diktatur. Man weiß genau, wie die ruandische Regierung funktioniert. Als ich Student [in Belgien] war, haben wir eine gemeinnützige Organisation (Jambo- asbl) gegründet, die begann, eine andere Darstellung über Ruanda, die Regierung und das Regime zu veröffentlichen. Ich war der erste Vorsitzende der Organisation. Wir veröffentlichten eine Website mit Informationen, ich schrieb einige Artikel (Jambo News), organisierte einige Konferenzen und Demonstrationen, um das Bewusstsein in Ruanda und der Region der „Großen Seen“ allgemein zu erhöhen.
2015 oder 2016 wurde ich das Ziel von Regierungsvertreter:innen. Ich trat einer Oppositionspartei mit Victoire Ingabire bei. Im Jahr 2018 ging ich in den Vorstand der Partei [die Vereinigten Demokratischen Kräfte/ Forces Democratiques Unifiées – Inkingi, auch bekannt als FDU-Inkingi] und fuhr fort, das Bewusstsein zu schärfen und für den Wandel von einer Diktatur in eine Demokratie zu kämpfen.
In jenen Jahren wurden in Ruanda einige Menschen getötet, darunter auch Mitarbeiter:innen der Partei. Anselme Mutuyimana wurde im Norden Ruandas verhaftet; Menschen fanden seine Leiche. Der Vizepräsident der Partei, Boniface Twagirimana, ist im Oktober 2018 [aus seiner Gefängniszelle] verschwunden. Wir wissen immer noch nicht, wo er ist, aber gehen davon aus, dass er tot ist. Eugene Ndereyimana ist ein weiteres Mitglied der Partei, das verschwunden ist.
Ich habe [diese Vorfälle des Verschwindens] kritisiert und versuche Unterstützung von Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International und der UN-Menschenrechtsagentur zu bekommen. Wir brauchen Hilfe, um herauszufinden, was mit diesen Menschen passiert ist, eine unabhängige Untersuchung. Die Regierung untersucht das nicht.
Ich wurde als Staatsfeind betrachtet. Ich bin nicht überrascht, dass ich Ziel von Spionageprogrammen wurde, damit die Regierung sehen kann, mit wem ich in Ruanda Kontakt hatte. Vielleicht wurden die Leute, die getötet wurden, anvisiert, weil sie Mitglieder der Partei FDU waren. Ich habe mit ihnen einige Nachrichten ausgetauscht, nichts, was als kriminell angesehen werden könnte. Ich habe mit ihnen diskutiert, was sie tun können, um viele Menschen zu mobilisieren, um Demokratie, mehr Freiheit und Meinungsfreiheit zu erreichen.
Die Häuser der Menschen wurden zerstört, weil sie keine offiziellen Landtitel haben. Um das Land zu bekommen, [wurden die Menschen] auf die Straße geworfen, wurden obdachlos, [und erhielten] keine finanziellen Mittel von der Regierung. Ich habe mit Menschen in Ruanda zu diesem Thema gearbeitet. Ich wurde zur Zielscheibe, weil ich ein Menschenrechtsaktivist war, das gefiel ihnen nicht. Sie mögen keine Leute, die sie bekämpfen. Ich kämpfe nicht gegen sie, sondern versuche, mehr Freiheit von ihnen zu bekommen. Ich möchte, dass sie offener für andere Visionen sind, für andere politische Akteure.
Ich hatte in einem Artikel der Financial Times gesehen, dass Ruanda als Land erwähnt wurde, das die Spionagesoftware verwendet. Ich konnte mir denken, dass ich sicherlich betroffen war. Es gibt eine Historie an Angriffen auf soziale Netzwerke von offizieller Seite.
Die Bestätigung, dass ich betroffen war, kam von WhatsApp, als WhatsApp begann, mit Citizen Lab zusammenzuarbeiten. Das Citizen Lab kontaktierte mich mit einigen Fragen, um zu sehen, ob mein Telefon irgendwelche Anomalien aufwies. Sie erklärten, dass es einen Angriffsversuch auf mein Gerät gegeben hatte. Dann informierten sie mich, dass WhatsApp eine Nachricht senden würde, um alle angegriffenen Personen zu informieren. Ein paar Tage später erhielt ich eine Nachricht von WhatsApp. Ich weiß nicht, ob sie [die Regierung] etwas von meinem Telefon kopiert haben. Das ist die große Frage.
Es ist gefährlich, dass sie über die Familie Bescheid wissen, wo die Kinder zur Schule gehen. Wenn man Nachrichten austauscht, weiß man nicht, ob jemand anderes [Zugang zu] ihnen haben könnte, [jemand] der kriminelle Pläne gegen einen hat.
Die Überwachung hat viele Auswirkungen auf mich. Meine Freunde kontaktieren mich jetzt nicht mehr so leicht. Sie denken, dass mein Telefon überwacht wird. Mein soziales Leben wurde beeinträchtigt.
[Auswirkungen] Auf meine Sicherheit – ich kann mich nicht frei bewegen, wohin ich will, weil sie mich orten können. Das sind die Dinge, über die man nachdenkt, wenn einem so etwas passiert. Es gibt einige Orte, an die ich nicht einfach gehen kann. Hauptsächlich in Afrika, da sie in einigen Ländern Afrikas leicht Menschen töten können. Zu meiner eigenen Sicherheit kann ich nicht reisen, außer in einige Länder, in denen ich mich sicher fühle (in den USA und in Europa). Selbst von Belgien wissen wir, dass es dort einige Zellen gibt.
Finanziell – das ist schwer zu sagen. Ich muss die Art und Weise, wie ich kommuniziere, anpassen, wenn ich einige Leute kontaktiere. Ich muss sicher sein, dass es sicher ist. Ich muss Wege finden, um außerhalb der üblichen Kanäle zu kommunizieren. Das kann etwas Geld kosten. Ich muss mich bewegen, um Menschen von Angesicht zu Angesicht zu sehen, um sicher zu sein, dass ich nicht abgehört werde. Es ist eine andere Art zu leben.
Professionell – wenn jemand so viel bezahlen kann, um die eigene Kommunikation zu kontrollieren/überwachen, ist er bereit, viel mehr zu tun. Mit der Zeit könnten sie [die Regierung] einige Informationen in meine Geräte (meine beruflichen Geräte) einspeisen, dadurch könnten sie alles in meinem Telefon stehlen, sie könnten Nachrichten von sich in meinem Telefon hinterlassen. Das befürchte ich.
Bevor ich erfuhr, dass sie mein Telefon ins Visier nahmen, hatte ich keine Ahnung, dass das passieren könnte. Vor allem, wenn man WhatsApp benutzt, von dem alle sagen, dass es so sicher ist.
Irgendetwas in meinem Kopf hat sich verändert, an der Art und Weise, wie ich Technologie sehe. Ich vertraue ihr nicht mehr. Aus meiner Sicht kann alles ins Visier genommen werden, und sie können spionieren, wie sie wollen.
Für mich kann jede Anwendung eine gewisse Schwachstelle haben. Ich gehe davon aus, dass jeder Kommunikationskanal ausspioniert werden kann. Die einzige Möglichkeit, sicher zu sein [frei von Kommunikationsüberwachung], ist, jemanden persönlich zu treffen, ohne Telefone, an einem Ort, der nicht überwacht werden kann.
[Gerechtigkeit erreichen in] Ruanda – wenn ich nach Ruanda ginge, würden sie mich gern ins Gefängnis stecken oder mich töten. Denn sie töten Leute wie Anselme Mutuyimana, [der] in unserer Partei keinen Platz im Vorstand hatte [er war ein Assistent von Victoire Ingabire]. Ich war der dritte Vizepräsident [der FDU]. Wenn sie ihn so töten konnten, kann man sich vorstellen, was sie tun würden, wenn sie mich finden würden. In Ruanda gibt es keine Gerechtigkeit für irgendetwas. Selbst Menschen, die jetzt obdachlos sind, weil sie [die Regierung] beschlossen hat, ihre Häuser an reiche Freunde zu geben. Es gibt keine Gerechtigkeit in Ruanda. Es ist dort nicht sicher für mich.
[Gerechtigkeit erreichen in] Belgien – [Ich] könnte in Belgien vor Gericht gehen. Es ist vertrauenswürdiger. Aber für mich, ich bin sehr klein. Ich würde gegen eine riesige Organisation wie die NSO Group antreten, die viele Ressourcen hat. Es wäre für mich Zeitverschwendung und ein Geldverlust, in Belgien vor Gericht zu gehen. Für welches Ergebnis? Selbst wenn die NSO Group hier in Belgien verurteilt würde, wird das Ruanda nicht davon abhalten, einen anderen Weg zu finden, Menschen wie mich zu bedrohen oder zu töten. Das Ergebnis ist es für mich nicht wert.
Der wirkliche Weg, die Dinge für mich zu ändern, ist, die Regierung in Ruanda zu ändern. Solange die RPF Ressourcen aus vielen Ländern in der EU, den USA, Großbritannien oder dem Kongo hat, solange sie genug Ressourcen haben, um Menschen zu töten, wo immer sie wollen (Kenia, Südafrika, Australien), [werde ich nicht sicher sein]. Einen Fall für die Justiz hier in Belgien einzureichen, würde mich so viel kosten. Für sie sind es nur Details.
Vor einigen Jahren haben wir einen Fall vor dem Gericht in Arusha [dem Afrikanischen Gerichtshof für Menschenrechte und Rechte der Völker (AfCHPR)] eingereicht, [in dem] Ruanda im Fall von Victoire Ingabire verurteilt wurde [Ingabire Victoire Umuhoza gegen die Republik Ruanda, App. Nr. 003/2014]. Ihr Fall in Ruanda war nicht gerecht; sie wurde für nichts acht Jahre inhaftiert. Bis heute hat Ruanda nichts dagegen unternommen. Auch das Ergebnis der Justiz [ist] keine Lösung für uns. Die Lösung ist, Demokratie und Freiheit in Ruanda zu bekommen; das ist der einzige Weg, um das Töten und Plündern zu stoppen, die einzige Lösung.
Was ich von dem Fall in den USA erwarte – wenn es möglich ist, die NSO Group dazu zu bringen, für das zu zahlen, was diese Regierungen den Aktivist:innen angetan haben, würde das eine Botschaft an alle Unternehmen senden, die Diktaturen bei kriminellen Prozessen helfen. Ich hoffe, dass die USA bedenken, dass Firmen, die Menschen ausspionieren, keine Unterstützung haben sollten. Die US-Regierung ist einer der [größten] Beitragszahler [der Hilfe] für Ruanda.
Fouad Abdelmoumni
Fouad Abdelmoumni ist marokkanischer Menschenrechts- und Demokratieaktivist, er arbeitet mit Human Rights Watch und Transparency International für Marokko zusammen.
Ich fühle mich angegriffen, belästigt und schwer missbraucht. Ich bin Fouad Abdelmoumni, ein 62-jähriger marokkanischer Mann. Als ich gerade zwanzig Jahre alt war, wurde ich gefoltert, inhaftiert und mehrere Jahre lang zwangsverschleppt, ohne jegliche rechtliche Grundlage. Doch ich erlebe die gegenwärtige Verletzung meiner Privatsphäre, die Verbreitung von Informationen oder intimen sexuellen Videos, in denen ich mit einer anderen Person zu sehen bin, und die Schikanen und Drohungen gegen meine Angehörigen als viel gewaltvoller.
Ich bin ein Menschenrechts- und Demokratieaktivist (eine meiner Rollen ist die des Vorstandsberaters für Human Rights Watch – MENA) sowie Aktivist für Transparency International (eine Bewegung, die Korruption bekämpft, in der ich vor ein paar Jahren Vorsitzender des marokkanischen Zweigs war). Ich habe keine parteipolitische Zugehörigkeit, obwohl ich mich regelmäßig gegen Autoritarismus, Korruption und Raubbau in meinem Land und anderswo ausspreche.
Ich wurde vor ein paar Jahren zur Zielscheibe des repressiven Systems in Marokko, aber bis jetzt wurde ich immer nur auf heimtückische Weise angegriffen. Die regimetreue Presse, die sich auf die Verleumdung von Gegnern und kritischen Stimmen spezialisiert hat, nimmt mich regelmäßig ins Visier und spickt ihre Lügenfluten mit der ein oder anderen Tatsache aus der Realität, die nur von mächtigen Organisationen erlangt werden konnten, die Zugang zu meinen privaten Räumen, Dokumenten und meiner Kommunikation haben.
Im Oktober 2019 wurde ich vom Citizen Lab kontaktiert, das im Rahmen eines von WhatsApp in Auftrag gegebenen Projekts meine Telefonnummer unter denjenigen identifiziert hatte, die mit einer Spionagesoftware gehackt wurden, die es ermöglicht, auf alle Inhalte und Funktionen meiner Kommunikationsmittel zuzugreifen. In Anbetracht dessen postete ich die folgende Erklärung auf meiner Facebook-Seite: „Staaten, einschließlich des marokkanischen Staates, verhalten sich wie Mafias, aber das kann ihre Unterdrückung und Korruption nicht für immer schützen.“ Im folgenden Monat erhielt meine Schwester einen Anruf, angeblich von der Polizei, in dem ihr mitgeteilt wurde, dass ich inhaftiert worden sei, was völlig unwahr war. Zusammen mit sieben anderen Opfern der Bespitzelung reichte ich einen Untersuchungsantrag bei der Nationalen Kontrollkommission für den Schutz persönlicher Daten (CNDP) ein. Die CNDP unternahm nichts, mit dem Argument, dass sie für diese Art von Angelegenheiten nicht zuständig sei (laut ihrem Präsidenten, der zwar zustimmte, mich zu treffen, aber nie die versprochene schriftliche Antwort auf unsere Beschwerde gab).
Dann, im Januar 2020, veröffentlichte eine der Seiten, die innerhalb des Systems der politischen Unterdrückung schmutzige Arbeit verrichten, ein Video, das mich beleidigte und bedrohte sowie in meine Privatsphäre eindrang. Am 13. Februar 2020 wurden sechs mehrere Minuten lange Videos, die meine:n Partner:in und mich – oder Personen, die uns sehr ähnlich sehen – in expliziten sexuellen Situationen zeigen, an Dutzende von Personen geschickt. Parallel dazu war ich schweren Schikanen durch Dienststellen der Verwaltung ausgesetzt, darunter exorbitanten Steuerprüfungen und der Aufhebung von Entscheidungen über die Gewährung von Investitionszuschüssen im Wert von mehr als 30.000 US-Dollar. Dann, im Oktober 2020, beeinträchtigten weitere Angriffe in der Sensationspresse nicht nur mein Privatleben, sondern auch das anderer Personen, deren einziges Verbrechen darin bestand, mit mir befreundet zu sein. Sie gingen so weit, dass sie vertrauliche Informationen über den Familienstand eines 11-jährigen Kindes veröffentlichten und sogar seine Identität preisgaben.
Ich bin jemand, der sich weigert, im Verborgenen zu agieren, und ich bin bestrebt, niemals etwas im Vertrauen zu sagen, das ich nicht auch vor einem Publikum verteidigen würde. Aber das bedeutet sicherlich nicht, dass ich akzeptiere, dass sich andere in mein Privatleben einmischen oder meine Privatsphäre oder die der Menschen, mit denen ich mich umgebe, dem Voyeurismus ausgesetzt werden. Es sollte betont werden, dass ich in Marokko lebe, einem Land, in dem laut Gesetz Gefängnisstrafen für außerehelichen Sex verhängt werden können und in dem die Gesellschaft sehr intolerant gegenüber sexuellen Freiheiten ist, insbesondere gegenüber Frauen.
Die Details, die ich hier erzähle, haben nicht nur mit dem Hacken meines Telefons zu tun, obwohl das ein Schlüsselaspekt des Systems von Spionage und mafiöser Belästigung ist, dem ich und andere ausgesetzt sind. Ich habe immer das Risiko in Kauf genommen, dass Mikrofone und Kameras an Orten installiert werden, an denen ich denke, dass ich mich privat aufhalte. Aber bis vor einem Jahr habe ich noch geglaubt, dass das marokkanische Regime nicht so hinterlistig ist, dass es diese Aufnahmen nutzen würde, um seine Gegner zu erpressen und kritische Stimmen zu terrorisieren. Ich dachte auch nicht, dass es sich so direkt bloßstellen würde, weil ich wusste, dass niemand glauben wird, dass die Einmischungen, Aufnahmen, Verleumdungskampagnen und Schikanen verschiedenster Formen nicht ein bewusstes, gut orchestriertes und entschlossenes Vorgehen seitens sehr hoher Ebenen des marokkanischen Staates sind. Heute zeigen bestimmte Handlungen, wie schrecklich diese Verhaltensweisen sind und machen es möglich, die Täter öffentlich zu verurteilen. Ich hoffe, dass vertrauenswürdige Justizsysteme diese Aufgabe für meine Würde und die der anderen Menschen, die als Kollateralopfer angegriffen wurden, übernehmen, damit die Eliten in Marokko und auf der ganzen Welt nicht länger in Angst davor leben müssen, dass ihr Privat- und Sexualleben preisgegeben wird.
PS: 1984, gegen Ende meines zweiten Jahres des „Incommunicado“-Verschwindens, völlig isoliert von der Welt, tage- und monatelang in Handschellen, mit verbundenen Augen, empfing ein Unterausschuss des Senats der Vereinigten Staaten den Botschafter von Marokko in Vorbereitung des Besuchs von König Hassan II. in den USA. Amnesty hatte meinen Fall einigen der Senatoren vorgelegt, die fragten, was mit mir geschehen sei. Der Botschafter antwortete, dass alles nur erfunden sei, und lud jeden der Senatoren ein, ihn nach Marokko zu begleiten, er sagte, dass er sie zu meinem Haus mitnehmen würde, um gemeinsam Tee zu trinken. Hinterher informierte er sofort das marokkanische Außenministerium über den Wortwechsel, das die Angelegenheit an das Justizministerium weiterleitete. Der Generalstaatsanwalt des Königs setzte sich mit den Leitern der Polizei in Verbindung, die ihm mitteilten, dass sie sehr froh darüber seien, dass mein Fall endlich zurückgerufen wurde, da sie absolut nichts gegen mich in der Hand hätten und nur auf das grüne Licht des Palastes gewartet hätten, um mich freizulassen. Da mein Vater ein hoher Beamter im Justizministerium war, beeilten sich seine Kollegen, ihm die gute Nachricht zu überbringen. Ein paar Tage später kam die offizielle schriftliche Antwort der Polizei im Justizministerium an: „Wir haben seit Jahren keine Informationen über Herrn Fouad Abdelmoumni und wissen nicht, wo er ist…“
Pastor Pierre Marie-Chanel Anffognong
Pierre Marie-Chanel Affognon ist togolesischer katholischer Priester und Gründer einer Bewegung, die sich für konstitutionelle, institutionelle und wahlbezogene Reformen einsetzt.
[Ich habe herausgefunden, dass ich ins Visier geriet, weil] WhatsApp mich darauf aufmerksam machte; das Citizen Lab in Kanada hat mich nach der WhatsApp-Nachricht kontaktiert und es bestätigt, die genauen Fakten über mein Privatleben sowie über das [Leben] anderer Menschen wurden kurz erwähnt.
Es ist schwierig zu beschreiben [welche Auswirkungen das Targeting auf mich hatte] und schmerzhaft, es wiederholt zu erzählen. Auf jeden Fall ist es genauso, als würde man von jemandem in der Öffentlichkeit ausgezogen, nackt ausgezogen, und man ist machtlos einer unsichtbaren Hand und einer furchterregenden gesichtslosen Macht gegenüber. Es ist auch ein enormer Schock, wenn man bedenkt, welche öffentlichen Gelder für den Erwerb der israelischen Software ausgegeben werden, während in meinem Land, Togo, überall Not herrscht.
Es ist unmöglich, in Togo Gerechtigkeit zu bekommen. Togo hat ein Regime, das auf den ersten Blick demokratisch ist. Es ist keine Gerechtigkeit möglich in dieser Angelegenheit, weil die Richter Angst haben, zu sagen, was das Gesetz ist. Aber ich, ich verlasse mich auf Gott und auf die Organisationen, die die Menschenrechte in meinem Land und international verteidigen, um diesen schwerwiegenden Abweichungen, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zerstören, ein Ende zu setzen.
Weitere Spionagesoftware in Diktaturen gefunden
NSO ist längst nicht die einzige Firma, deren Spionagesoftware in Diktaturen gefunden wird und zur Inhaftierung von Journalist:innen führen kann. Auch Varianten der Überwachungssoftware FinSpy der deutschen Firma FinFisher GmbH wurden beispielsweise in Diktaturen wie Äthiopien oder Bahrain gefunden. Um die Software außerhalb von Europa zu verkaufen, hätte das Unternehmen eigentlich eine Einwilligung der Bundesregierung gebraucht, die gab es jedoch nicht. Derzeit laufen Ermittlungen gegen Geschäftsführer und Mitarbeiter von FinFisher wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz. Das Unternehmen bestreitet, eine Straftat begangen zu haben, sie hätten die Software nicht rechtswidrig verkauft. Der Firmensitz in München sowie eine Zweigstelle im Ausland wurden jedoch nach unserer Strafanzeige im letzten Herbst durchsucht. Ob es zu einer Anklage kommen wird, ist noch offen.
NSO wird hier beispielhaft erwähnt.
Kenne in meiner Umgebung ein paar die ähnlich kontaktiert wurden, weil sie in den NSA (BND) Selektoren auftauchten.
Die Reaktionen waren recht unterschiedlich, von stolz darauf wichtig genug zu sein, bis verunsichert.
Gründe wie sie darauf gelandet sind waren auch unterschiedlich. Von internationalen Kontakten bis zu wichtigem Knowhow
Viel Text mit sehr allgemeinen Inhalten. Unverständlich nur, wie naiv die so genannte Menschenrechtler:innen ihre Kommunikationsmittel benutzen.
Jedem – aber wirklich jedem – sollte klar sein, dass WhatsApp nun nicht gerade zu den sicheren Messengern gehört. Das ist aktuell mit der Pseudo-End-To-End-Verschlüsselung so und das war vor 10 Jahren auch schon so, als die Kommunikation überhaupt nicht verschlüsselt wurde. Der Datenabfluss steht sogar für jeden zugänglich in den AGB’s von WhatsApp, denen der Nutzer zustimmem muss, um die App nutzen zu dürfen.
Von daher tut es mir auch nicht Leid, was den Urhebern der Text widerfahren ist. Schlimmer noch: diese bringen mir ihrem Verhalten auch ihre Kommunikationspartner in mögliche Schwierigkeiten und belasten diese schwer. Ich vermisse in den Texten Worte der Reue und Mitgefühl gegenüber ihren WhatsApp-Kontakten.
Noch etwas anderes: Schaut euch die Sponsorenliste von Access Now an und denkt drüber nach!