NPP 237 zum Datenexperiment „Made to Measure“Ein Drehbuch aus Daten

Wie viel weiß Google über mich? Im Dokumentarprojekt „Made to Measure“ macht eine Künstler*innengruppe aus Berlin und Wien sehr erlebbar, was Konzerne aus unseren Datenspuren alles herauslesen können.

Wer bin ich und wer ist der Mensch, den Google sieht? Die Protagonistin im Angesicht ihrer Doppelgängerin. – Alle Rechte vorbehalten Konrad Waldmann


Fünf Jahre, festgehalten in einem Drehbuch aus Daten. Das ist der Ausgangspunkt für ein irrwitziges Experiment. „Du gibst uns deine Daten und wir sagen dir, wer du wirklich bist.“ Mit diesem Versprechen haben Hans Block, Cosima Terrasse und Moritz Riesewieck im Sommer 2020 auf Facebook nach Menschen gesucht, die ihnen ihre Daten überreichen würden. Daten, die in der EU nach geltender Rechtslage jede Person bei Unternehmen wie Facebook oder Google einfordern kann.

Mehr als Hundert Menschen sind ihrem Aufruf gefolgt und haben ihnen Datensätze geschickt. Darin: Suchanfragen aus den vergangenen Jahren, die tief blicken lassen, aber auch Metadaten: Von wo aus haben sie gesucht, um welche Uhrzeit, wie oft? Eine dieser Freiwilligen haben Block, Terrasse und Riesewieck ausgewählt – und zur Protagonistin ihres Versuchs gemacht. Würden Sie es schaffen, mit Hilfe der Datenmuster einen Doppelgänger zu bauen?

Das Ergebnis des Experimentes ist auf einer Webseite zu sehen und parallel als 45-minütiger Dokumentarfilm „Made to Measure“ in der ARD-Mediathek. Es ist ein Megaprojekt, anmaßend in seinem Anspruch, ein Leben bis ins Detail hinein rekonstruieren zu wollen. Wie ein Thriller wird man hineingezogen in das Leben der Protagonistin, die sich erst nach und nach aus dem Drehbuch der Daten abzeichnet, zunächst nur als Silhouette, dann immer deutlicher.

Wir haben in dieser Folge mit dem Trio über ihre Arbeitsweise zwischen investigativem Journalismus und Theater gesprochen, über ethische Grenzen und technische Herausforderungen bei der Aktion. Und über allem steht die Frage, wer hier überhaupt noch der Überblick wahren kann über all die Dinge, die wir den Konzernen inzwischen freiwillig und unfreiwillig preisgeben.


Hier ist die MP3 zum Download. Es gibt den Podcast wie immer auch im offenen ogg-Format.


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Quellen

Moderiert von Chris Köver und Serafin Dinges. Produziert von Serafin Dinges. Außerdem dabei: Övünç Güvenisik.


Gesamtes Transkript

Serafin: Hi Chris! Chris: Hi! Serafin: Du hast heute eine ganz bestimmte Frage mitgebracht. Worum geht’s? Chris: Hast du dir schon mal von einer Onlineplattform alle Daten geben lassen, die sie über dich gespeichert haben? Serafin: Ich hab das schon ein paar Mal gemacht. (…) Das Problem war bei mir immer, dass man dann etliche Daten hat. Bei Facebook dann noch Ordner mit Fotos und Excel-Listen mit Infos zu teilweise jedem Einzelnen Klick. Aber da kann man nicht so wirklich viel herauslesen. Hast du das schon mal gemacht? Chris: Genau – das ist immer kompliziert. Man hat dann zwar alles vor sich – wie gesetzlich verlangt – aber es ist gar nicht so leicht, zu erkennen, was da denn drin steht. Und wir schauen uns jetzt ein neues Projekt an, das versucht diese Daten besser greifbar zu machen. Serafin (Intro): Willkommen zum Podcast von netzpolitik.org. Heute: Welche Geschichte erzählen mehrere Jahre an Google-Suchen über eine Person? Chris hat mit den Macher:innen eines neuen Kunstprojekts gesprochen. Chris: Am Anfang war ein Versprechen: „Du gibst uns deine Daten und wir sagen dir, wer du wirklich bist.“ Ausschnitt MTM: “Wir haben ein Experiment gemacht. Ist es möglich allein anhand persönlicher Online-Daten, das Leben eines Menschen zu rekonstruieren.” Chris: In der EU kann jede Person per Gesetz alle Daten anfragen, die Unternehmen wie Facebook oder Google über einen gespeichert haben. Und mit diesen Daten haben drei Künstler:innen dieses Experiment gestartet. Die drei Künstler:innen, das sind Cosima Terrasse, Cosima: Ja, ich bin Cosima, Teil der Gruppe Laokoon. Ich bin eine französische Künstlerin. Hans Block Hans: Genau. Ich bin Hans Block. und Moritz Riesewieck Moritz: Ich bin Moritz Rieseweck Die drei kommen eigentlich vom Theater, aber beschäftigen sich in ihren Arbeiten schon lange damit, komplexe und intransparente digitale Prozesse greifbar zu machen. Moritz: Denn ganz oft werden genau die ja kaum sichtbar, weil sie sich im Verborgenen abspielen, weil die Implikationen nicht klar werden und weil die gesellschaftlichen und menschlichen Auswirkungen so nicht auf den ersten Blick klar werden. Chris: Gemeinsam sind sie die Gruppe Laokoon. Cosima: Laokoon Chris: Vor drei Jahren hatte die Gruppe mit ihrem Debutfilm „The Cleaners“ auf Filmfestivals einen großen Auftritt, darin ging es um Löscharbeiter*innen auf den Philippinen, die die Drecksarbeit für Facebook erledigten. Auch einen Grimmepreis gab es dafür. Ihr neues Projekt heißt “Made to Measure”. Hans: Also seit einigen Jahren beschäftigt uns eigentlich schon die Frage Wie kann man das Thema der der Daten oder des Datenschutzes so aufarbeiten, dass nicht ein Kommentar kommt von Menschen, die dann sagen Ja, was hab ich schon zu verbergen, wenn ich dort die Cookies einwillige oder bin vielleicht auf den Apps irgendwelche SDK mitlesen und Daten weiterleiten? Und seit einigen Jahren gibt es auch immer wieder Studien wie 2015 von der Cambridge University beispielsweise, wo dann, so Mythen geboren werden, die da heißen Auf der Grundlage deines Verhaltens online, z.B. deiner Facebook-Likes können wir Rückschlüsse auf deine Persönlichkeit ziehen, die vielleicht sogar viel mehr verraten über dich, als es engste Freunde, Familienmitglieder, Partnerinnen wissen könnten. Und wir wollten genau das eigentlich einmal austesten. Stimmt das eigentlich? Was? Was speichert eigentlich dort Google, Facebook, Instagram und Co. täglich über uns, wenn wir im Netz surfen? Und was sagt das über uns aus? Und genau das war der Startpunkt für diese Wette, für dieses Experiment zu sagen Gebt uns bitte eure persönlichen Online Daten und wir versuchen herauszufinden, wer ihr seid, ohne dass wir euch je gesehen haben. Serafin: Also ich gebe dir jetzt zum Beispiel alle meine Googledaten der letzten Jahre und du versuchst mir dann nur darüber zu sagen, zum Beispiel welche politische Gesinnung ich habe, sexuelle Orientierung, was für einen Ausschlag ich gerade meine entdeckt zu haben, wo und wann ich arbeite oder schlafe. Sowas? Chris: Genau. Das kennen wir ja eigentlich schon. Die eigenen Daten bei Facebook, Instagram oder Google abrufen, das haben schon viele andere getan. Journalist*innen zum Beispiel, die mit diesen Selbstversuchen zeigen wollten, wie viel diese Konzerne tatsächlich über uns wissen und sammeln. Diese Selbsterfahrungsartikel als Schocktherapie hat man eine Zeit lang zu Hauf gelesen nach dem Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung – dem Gesetz also, dass so ein Recht auf Auskunft in der EU überhaupt erst eingeführt hat. Die Gruppe Laokoon wollte aber weiter gehen. Cosima: Wir wollten es mit anderen Daten machen als unsere eigenen, die wir tatsächlich auch selber heruntergeladen haben und eingesehen haben, um uns daran zu gewöhnen und zu verstehen, was zu sehen ist, weil wir gemerkt haben, es geht eigentlich nicht darum zu finden, was man schon selber über sich weiß, sondern das zu finden, über das man eigentlich selber gar kein, dass man über sich selber nicht kennt. Also die Daten von Fremden, die kann man auf eine Art und Weise einlesen, die uns im Grunde ein Bild von jemand gibt, ein Bild, das dem anderen Menschen auch selber fremd ist. Und das fanden wir besonders interessant, dass uns diese Leute diese Daten geben. Wir waren uns gar nicht sicher, ob das funktionieren würde. Wir haben ein Aufruf gestartet und Werbung geschaltet und waren eigentlich sehr erstaunt, wie viele Leute über Hunderte und freiwillig ihre Daten gegeben haben, dass wir sie einsehen können. Clip der Aufrufe zu Datenspende auf madetomeasure.online ab 01.54 Chris: Mich interessiert nochmal dieser Aufruf. Ihr habt dann selbst Anzeigen geschaltet und hat einen Aufruf gepostet. Moritz: Ja, genau solche paradoxe Momente interessieren uns ja immer in unserer Arbeit. Also auch genau diese Orte zu nutzen, die wir ja zugleich auch in Frage stellen, kritisieren, beobachten. Und zu denen gehört natürlich Facebook, gehört Instagram. Also haben wir genau da diesen Aufruf gestartet und haben den auch tatsächlich angelehnt an ja, ähnliche Anzeigen, die dort so erscheinen von oftmals Datenkraken, die dann dort versuchen sich zu tarnen als einen Happy Peppi Daten Experiment oder irgendwelche Dinge, die dir sagen, wie deine Persönlichkeit aussieht oder so. Also haben auch die gleichen Slogans benutzt. Im Grunde so eine Art Mimikry gespielt dort und auch ganz gezielt Leute getargetet, die sich für solche Persönlichkeitstests usw. interessieren und haben im Grunde dann Menschen klargemacht: “Naja, das ist jetzt hier nicht der x-fachste Aufruf, irgendwem deine Daten zu geben, damit derjenige die für Marketing Zwecke ausnutzen kann, sondern wir wollen den Spieß umdrehen.” Und haben Leute darüber aufgeklärt, dass man ja seit einigen Jahren jetzt das Recht hat, in Europa seine persönlichen Daten von Unternehmen wie Google und Facebook abzufragen, was ja mit ein paar Mausklicks geht. Und die Menschen haben dann die Daten bekommen und uns auf datenschutzsichere Weise weitergeleitet. Und ich glaube, dieses Angebot oder diese Wette zu sagen, wir erschaffen für eine einen von euch einen Doppelgänger oder eine Doppelgängerin. Das war dann so der letzte Anstoß, den es oft braucht, um auch tatsächlich mal von so einem Recht wie dieser Datenabfrage Gebrauch zu machen. Serafin: Das mit der Doppelgängerin musst du jetzt nochmal genauer erklären. Wie funktioniert dieses Experiment genau? Chris: Also: Sie haben sich also die Daten von ganz vielen Personen geholt. Erst Facebook und Google – haben dann aber beschlossen, sich nur auf die Google-Suche zu beschränken. Weil Google ja auch nicht ganz ohne weiteres alle deine Daten von Facebook bekommt. Und so geht es dann also genau um das Bild eines Menschen, das Google auch von dir hat. Und nur aus diesen Suchanfragen – und das ist der Clou – wollten sie dann das Leben einer Person nachstellen. Sie versuchen also die Biographie eines Menschen aus all diesen Daten rauszulesen und dann wollen sie daraus eine überzeugende Doppelgängerin erstellen. Um sich einen Datensatz auszusuchen, haben sie erst mal die eingesendeten Daten anonymisieren lassen. Chris: Wie habt ihr denn daraus einen Datensatz ausgewählt? Also ich stehe. Ich stelle mir gerade vor, wie man dann davor sitzt, vor diesen, vor diesen riesigen Haufen Stapel von Optionen. Und habt ihr dann wie? Wie man Bewerbungen liest, euch tatsächlich dann diese Datensätze angeschaut und geguckt? Oder hattet ihr dann eine Shortlist von Leuten? Cosima: Das war tatsächlich sehr witzig und überraschend für uns, weil wir haben sofort Affinitäten gehabt für die Datensätze. Es gab Datensätze, die haben uns einfach reingezogen und wir waren neugierig. Die haben mit uns gesprochen und es waren welche dabei, wo wir dachten Oh, diese Person kennen wir, das könnte auch ich sein. Und die haben wir eigentlich sofort wieder auf die Seite gelegen, weil wir dachten, diese Muster, die würde ich auch hinterlassen, die interessieren uns nicht so sehr. Finden wir vielleicht einen Datensatz mit Muster, die wir nicht verstehen, die wir nicht auf Anhieb irgendwie deuten können? Und da gab es tatsächlich eine deutlich von fünf Datensätze, wo wir uns gedacht haben Welche von diesen fünf ist denn vielleicht der, wo wir am meisten Lust hätten, uns zu vertiefen, auch künstlerisch drüber nachzudenken? Und dann war eigentlich die letzte Entscheidung ziemlich pragmatisch. Der Datensatz Nummer 25 war der längste Datensatz, der tatsächlich über fünf Jahre ging und wo am meisten Daten vorhanden waren. Und für uns natürlich die spannende Herausforderung zu sagen, was da drinnen ist. Eigentlich Rauschen. Was ist Signal? Was können wir da drinnen lesen? Und deshalb haben wir diesen Datensatz ausgewählt. Chris: Was waren denn die Signale, die da mit euch gesprochen haben? Was? Was waren so Punkte, die euch reingezogen haben in diesen Datensatz? Cosima: Definitiv Disruption in diesem Datensatz. Also dieser Datensatz war gekennzeichnet davon, dass es Wandel gab, der Anfang 2015 war. In einem anderem Land. Da war eine andere Beschäftigung vorhanden. Die alltäglichen Routinen waren ganz andere im Vergleich zu 2020, wo auf einmal der Datensatz sich um ganz, ganz neue Themen gedreht hat. Und wir haben uns sofort gefragt Wie ist sie denn von 2015? Auf Twitter sind 20 zu diesem Punkt gekommen. Was ist denn dazwischen passiert? Chris: Die Regisseur*innen nehmen die Sache mit dem Drehbuch der Google-Daten ernst. Sie casten eine Schauspielerin, die junge Österreicherin Nathalie Köbli. Sie soll sich mit Hilfe der Daten so tief wie möglich in die unbekannte Protagonistin einfinden, versuchen ihr innerlich wie äußerlich denkbar nah zu kommen. Welche Frisur hat sie, wie groß und schwer ist sie? Moritz: Ja, wir stammen ja aus dem Theater. Also es liegt uns nicht fern, mit Schauspiel zu arbeiten. Aber in diesem Fall hat uns vor allem folgendes interessiert Man hat ja bei dem Datensatz eines Menschen immer Lücken, Daten, Lücken. Also sei es, dass ein Mensch eine Weile nicht eingeloggt war bei Google und deshalb Google das nicht mitschneiden konnte. Sei es, dass man vielleicht. Hat Lang gar nicht im Internet unterwegs war und deshalb keine Daten hinterlassen hat und solche Lücken werden ja dann von Unternehmen wie Google oder Facebook aufgefüllt durch Abgleich der Einzel Datensätze mit den so genannten digitalen Doppelgänger innen aus aller Welt, d. h. Menschen, die solche Ähnlichkeiten in ihren Daten aufweisen. Was so so Routinen und Muster angeht, dass man die Lücken der Einzelperson auffüllen kann mit dem Wissen um das Verhalten dieser Doppelgänger innen. Und genau dieses, diesen Big Data, diese Big Data hatten wir ja in dem Fall nicht. Das heißt, wir konnten ja nun nicht wie Google oder Facebook davon Gebrauch machen, auf all diese anderen Datensätze mit vergleichbaren Mustern zurückzugreifen und mussten uns deshalb anders aufs Aus helfen. Und da kam jetzt die Kulturtechnik des Schauspiels ins Spiel. Denn was die Schauspielerin gemacht hat, ist, dass sie zum Teil der Datenanalyse geworden ist. Das heißt überall da, wo Lücken in dem Datensatz geblieben sind, auch nach der Datenanalyse, nach der semantischen Analyse und was wir alles durchgeführt haben mit der Hilfe einer Datenanalystin, Letty aus Berlin. All diese Lücken konnten wir dann auffüllen mit Reenactment, also indem die Schauspielerinnen sich in die noch fragmentarischen Situationen auf einer Bühne begeben hat. Und da im Grunde erlebt hat, naja, okay, wenn es diesen Moment gibt und diesen Moment, dann fühlt es sich plausibel an, dass dazwischen, das passiert ist. Und so haben wir uns im Grunde ja dieses Potenzial erobert, das sonst nur Google und Facebook und andere Daten unternehmen haben, durch den Abgleich mit Big Data Chris: Hatte sie da freie Hand? Also habt ihr gesagt Schau, es gibt kein Drehbuch. Das ist der Datensatz. Und du hast jetzt die Interpretations Freiheit, dir zu überlegen, was passiert in diesen Lücken, über die wir keine Daten haben. Hans: Also die Vorbereitung lief im Grunde sehr penibel ab. Also wir hatten ja kein Drehbuch am Anfang, wie man es sonst hat. Wenn man jetzt einen Film dreht oder ein Theaterstück aufführt. Sondern wir hatten lediglich diesen Datensatz und wir mussten dann mithilfe von sowohl unserem eigenen Wissen, was wir uns angeeignet haben, als auch mit dem Wissen von Datenanalysen, Daten, Wissenschaftler:innen uns erschließen, was in diesen Daten eigentlich steht und wie man diese zu deuten hat. Und uns war wichtig, in erster Linie jetzt nicht einfach wild und persönlich zu interpretieren, sondern tatsächlich ziemlich genau diese Methoden durch zu durchzuziehen, die beispielsweise auch Google anwendet. Also sprich eine semantische Analyse mit dem ganzen Text vom Beispiel der Googlesuchen. Also wenn man jedes Wort einer bestimmten Kategorie zuordnet, einem bestimmten Interessengebiet, dann erscheint, wenn man einen Algorithmus über diesen Datensatz laufen lässt, eine ein ganz anderes Bild, als wenn man das vielleicht händisch durchblättert. Dann sieht man in bestimmten Zeiträumen in diesem Fall beispielsweise 2015 gab es eine ganz große Menge an Wörtern, die dem Interessengebiet, der Küche, der Patisserie, dem dem Arbeitsleben zugeordnet wurden. Und zu einem anderen Zeitpunkt waren es Begriffe, die dem der Kategorie Krankheit zugeordnet wurden. Dann wurde plötzlich sichtbar, dass mit diesem Moment der Krankheit auch ein anderes Interessengebiet auftauchte, nämlich der Spiritualität, also der Esoterik. Und man sieht dann plötzlich Verbindungen, Korrelationen, die man so mit dem mit dem menschlichen Auge gar nicht hätte sehen können. Das hat uns interessiert, vor allen Dingen diese Methodik durchzuführen, um zu einer Interpretation zu kommen und die kleinen Lücken, die dann noch vorhanden waren, die war so wie Moritz beschrieben hat, dann tatsächlich auf der Bühne, beim Spielen, beim Durchleben, beim die Daten in Fleisch und Blut übersetzen, auf die Bühne bringen wurden dann noch gelöst. Und da ging es auch wirklich einfach um den plausibelsten Weg, zwischen zwei Datenpunkte diese Lücke zu füllen. Chris: Um diese Lücken zwischen den Tausenden Datenpunkten zu füllen, geht die Gruppe sehr weit. Die Protagonistin arbeitet zu Beginn offenbar als Pâtissier in einem Londoner Sterne-Restaurant. Vor Sonnenaufgang googelt sie schon: „Rezept für Pistaziencreme“, „Anleitung Eis-Nocken abstechen“. Kulissen werden dann nachgebaut, Szenen in der Küche und in ihrer Wohnung nachgespielt. Und nachdem all das passiert ist, war es an der Zeit den nächsten Schritt zu gehen – und Kontakt aufzunehmen zu der Protagonistin. Das Trio schaltet eine Anzeige auf Facebook: Auszug Audio Anzeige: “Du bist so oder so? Erkennst du dich wieder? Dann melde dich bei uns.” Cosima: Also die Person Personen. Experiment Teilnehmerin wusste ja, dass sie uns ihre Daten gegeben hatte. Und wir hatten natürlich auch ihr Einverständnis eingeholt, diese Daten auf der Bühne zu leben zu bringen. Das heißt, in dem Moment, wo wir die Werbung geschaltet haben, wusste sie zwar nichts von der Einladung zu einer Begegnung zu kommen nach Wien und ihre Doppelgängerin kennenzulernen, aber sie wusste ja schon, dass sie Teilnehmender ist, bei dem Projekt mit der Werbung wollten wir eigentlich nochmal überprüfen, wie nahe sind wir gekommen? Können wir mal den ersten Test beantworten, nämlich die so Targets auf so einer präzisen Art und Weise, dass wir uns sicher sind, dass sie es kriegt und tatsächlich auch nicht nur sich, dass nur sie es kriegt. Wir wollten, dass der kleinste Nummer einen Menschen diese Werbung bekommen und dass sie da drunter ist und haben im Grunde geografische Lokalisierung plus Alter um plus ganz viele andere Charakteristiken im Grunde sichergestellt, dass sie die Werbung bekommt. Und das war sehr, sehr witzig, weil sie hat sich ganz lange nicht gemeldet und wir waren richtig besorgt und haben uns gedacht Das gibt’s doch nicht, wir können doch nicht so daneben gelegen sein. Sie muss das bekommen haben. Und dann hat sie sich endlich gemeldet und gemeint Ja, sie sieht die Werbung schon die ganze Zeit, hat aber nicht sofort verstanden, dass sie von uns ist. Dachte, das ist vielleicht ein alter Kollege, der alte Ideen von ihr geraubt hat in der Domäne der Patisserie. Und deswegen hat sie sich nicht gemeldet, weil sie es nicht deuten konnte, dass es von unserem Projekt stammte und war dann richtig erschrocken, als sie verstanden hat: Okay, das ist es, das jetzt bin ich dran. Jetzt komme ich zu dieser Begegnung nach Wien und muss meine Doppelgängerin kennenlernen. Hans: Also wir haben im Grunde Teile ihres Lebens, das wir ja schon verfilmt hatten, auf der Bühne zusammen geschnitten und bestimmte Merkmale oder bestimmte Begebenheiten aus ihrem Leben, wo wir lange drüber nachgedacht haben. Was ist jetzt eigentlich noch einzigartig? Viele Sachen, die man, die man vielleicht so erlebt, sind ja gar nicht so einzigartig. Das könnte auch mein Nachbar sein. Das könnte auch eine x beliebige andere Person sein und haben uns versucht, auf die Punkte zu spezialisieren in ihrem Leben, die vielleicht wirklich nur sie ihr passiert sind. Beispielsweise gab es eine sehr lustige Situation, die uns amüsiert hatte in dem Datensatz, wo wir merkten plötzlich nachts sucht sie in Google, dass ein Gekko in ihrem Zimmer ist und sie wusste nicht, was sie machen sollte und googelte lange. Können die beißen? Sind die giftig? Darf ich die anfassen? Und man merkte, dass ich so über eine Stunde lang im Grunde einen Kampf, ein Konflikt mit diesem Gekko abspielte und sie Angst hatte, irgendwie ihm nahezukommen. Und das haben wir auch verfilmt. Diese Szene, wie die so stattgefunden haben könnte und wie sie versuchte, irgendwie diesen Gekko aus ihrer Wohnung zu bekommen. Und diesen Teil haben wir beispielsweise in die Werbung gepackt, weil wir dachten Okay, das passiert vielleicht nicht viel oder darin könnte sie sich erkennen. Genauso wie sie sich auch darin erkennen könnte, dass sie eine Chef Patisserien ist, was ja auch nicht jeder. Es ist kein alltäglicher Beruf. Auch das haben wir genutzt in der Werbung, damit sie sich darin erkennt. “ Serafin: Also sie haben es geschafft nur durch die Daten, mit der Person Kontakt aufzunehmen? Ohne Namen, Telefonnummer oder sonst was. Sie haben jetzt also eine Doppelgängerin, die ganz viel über das Leben der Person weiß – und die Person selbst. Und dann? Chris: Dann Zeit für das große Finale dieses Experiments: das Gipfeltreffen. Die Begegnung von Original und Doppelgängerin, also der Person, die Google fünf Jahre lang vermessen hat, und dem, was Laokoon und die Schauspielerin Natalie Köbli daraus gemacht haben. Ein Moment extremer Anspannung. Moritz: Wir waren extrem nervös und haben uns natürlich große Gedanken gemacht, weil letztlich ja ein Niemand wahrscheinlich so ein Experiment bisher in der Weise durchgeführt hat und deshalb auch keine Erfahrungen da sind, was das mit einem Menschen macht, wenn man auf einmal mit mit 5 Jahren präziser Daten über das eigene Leben konfrontiert ist und das nicht nur in abstrakter Weise, sondern auf einmal damit konfrontiert ist, dass da ein anderer Mensch vor einem sitzt, der behauptet, in dem Fall sie sei dieser Mensch und wisse mehr über das Leben als man selbst. Das ist einfach eine, eine wahnsinnig irrwitzige Behauptung. Und was das auslöst bei einem Menschen. Das konnte natürlich keiner von uns gänzlich überblicken. Entsprechend aufgeregt waren wir, haben uns natürlich auch abgesichert, psychologische Betreuung organisiert für den Fall der Fälle. Und es war dann extrem emotional für uns alle zu beobachten, was dann passiert ist. Hans: Man muss sich einfach vorstellen, wir haben ein halbes Jahr lang ein Leben erforscht. Also durch die durch den Datensatz sein Leben erforscht und fühlten uns dieser Person selbst auch als Macherinnen total nah. Also es ist ja eine total seltsame Situation, plötzlich einem Menschen zu begegnen, von dem man sehr, sehr viel weiß, den man eigentlich sehr in sein Herz geschlossen hat über die letzten Monate, den man aber noch nie zuvor gesehen hat und wo man weiß, dass diese Person mich selber oder uns als Team gar nicht kennt. Und das war natürlich eine in so eine Situation haben wir noch nie erlebt in unserem Leben und deswegen war die auch so aufregend und so, so so unkalkulierbar. Und tatsächlich diese Minuten und Stunden, bevor diese Begegnung stattgefunden hat. Wir waren alle nervliche Wracks. Cosima/Terrasse: Ja, ich glaube, für Nathalie Köbli war das tatsächlich stressig, weil sie sich auch am meisten verantwortlich gefühlt hat, diese Geschichte gut rüberzubringen und im Grunde eine gute Wächterin zu sein für diese Erzählung und ihr gerecht zu werden und hat ja auch sehr das Bedürfnis, hat sie immer wieder betont, ihr auch mal Informationen über sich zu geben, dass diese Balance wieder hergestellt wird, diese Ungleichheiten im Informationsfluss. Chris: Und hat sie das dann auch getan? Cosima: Ja, sie hatten einen sehr langen Austausch am Ende der Begegnung und Glaube sind noch immer in Kontakt. Soweit ich weiß. Chris: Aber es war dann im Anschluss und währenddessen ist sie nicht aus der Rolle gefallen, sondern hat dann sind diese diese Performance aufrecht erhalten. Cosima: Man sieht ganz kurz bei der Website ein kurzer Moment am Ende der Begegnung, wo tatsächlich die Rolle bricht. Das ist ganz spontan passiert. Da hatten wir überhaupt keinen Einfluss darauf. Da haben es einfach beide entschieden. Das reicht jetzt und sind aus den Rollen gefallen. Ganz langsam. Und es war sehr, sehr interessant zu beobachten, weil sie hatten sich schon so sehr angeglichen aneinander, dass man dann auch für uns als Zuschauer nicht mehr klar war. Sind Sie sich jetzt so ähnlich oder haben Sie sich dran gewöhnt, so ähnlich zu sein und können das nicht ganz ablegen? Chris: Das Ganze klingt ein bisschen lustig – fast spannend. Wie ein Detektivspiel. Man versucht so viele persönliche Details über eine Person zu erraten. “Die Person geht regelmäßig Laufen.” Richtig! “Die Person fährt Auto.” Richtig! “Sie benutzt einen Staubwischer der Marke XY.” Richtig! Aber irgendwann kommt dann ein Bruch. Man merkt, was teilweise banale Suchen über einen Menschen aussagen. Aus ganz vielen harmlosen Suchen zu Nahrungsergänzungsmitteln ergibt sich nach und nach das Bild einer Essstörung. Die ersten Anzeichen einer Schwangerschaft. Es geht um Ängste, Krankheiten – so viele Dinge, die man nebensächlich und ohne groß nachzudenken mit Suchmaschinen teilt. Beim Schauen kommt man nicht umhin auch zu denken, dass hier wirklich tief in die Persönlichkeit einer Person eingegriffen wird. Google hat Daten dieser Art über Abermillionen von Menschen. Aber wenn nur einen einzelnen Datensatz über eine einzelne Person so vorgelegt bekommt, fühlt man sich beim Zuschauen so, als würde man zu tief in ihre Privatsphäre eindringen. Moritz: Ja, also das war uns auch von Anfang an wichtig, keinen Vertrag einzugehen in dem Sinne, dass die Teilnehmerinnen daraus davon nicht mehr zurücktreten kann. Das war für uns von Anfang an klar, dass es immer die Möglichkeit für sie geben muss zu sagen Stopp, bis hierhin und nicht weiter. Ich hab’s mir anders überlegt. Das ist mir doch zu heiß, oder? Ich möchte einfach nicht mehr mitmachen. Diese Möglichkeit hätte die ganze Zeit gegeben und gibt’s auch immer noch. Im Übrigen Das war uns wichtig, weil natürlich ist das eine Entscheidung, die man auch sehr schwer überblicken kann. Als Mensch. Also was heißt das auf einmal, sich so ein Ja eben im Netz auch zu exponieren? Also mit mit der Entscheidung, an unserem Experiment teilzunehmen, hat die Experiment Teilnehmerinnen natürlich auch gesagt. Ich nehme in Kauf, dass jetzt sehr viele Menschen da draußen wissen um diese Muster, die ich gezeigt habe in der Vergangenheit. Aber ein ganz wichtiger Punkt, den sie selbst auch in Interviews mit uns immer wieder betont hat, ist, dass sie sehr daran glaubt, dass es ein Recht auf Veränderungen gibt, also dass es ein Recht gibt zu sagen Ja, das war ich gestern, das bin ich heute aber nicht mehr. Ich habe mich verändert und dabei offen damit umzugehen, dass es diese Vergangenheit gibt, ist ja auch keine kriminelle Vergangenheit. Es ist ja eine Vergangenheit, wo man verletzlich war, wo man eine Schwäche gezeigt hat, wo man ein Muster gezeigt hat, über das man jetzt hinausgewachsen ist und damit auch offensiv umzugehen. Und letztlich muss man ja sagen, vielleicht ist das auch nur ein Anfang, der uns auch sagen könnte, okay. Wir alle haben ja diese Phasen im Leben, wo wir uns mal schwach fühlen, labil fühlen, wo wir mehr oder weniger verletzlich sind. Die einen Menschen ein bisschen mehr, die anderen weniger. Das heißt, wir alle sind ja davon betroffen, dass Unternehmen wie Google oder Facebook diese Momente erfassen können und dass sie sie weiterleiten können, diese Informationen an Werbetreibende, die uns genau in diesen Schwächemomenten targeten können. Also es gab vor wenigen Jahren den Fall, dass Facebook Schlagzeilen damit gemacht hat, dass sie experimentieren, damit an Werbetreibende die Information zu geben, wann Teenager sich wertlos oder orientierungslos fühlen. Wir wissen, dass Google mit diesen Kategorien arbeitet, wo sie Menschen mit Interesse an Depressionen oder Menschen mit Interesse an Suizid Werbetreibenden nennen, damit Werbetreibende diese Schwächen ausnutzen können. Das alles ist real. Das alles ist da. Und wir glauben, dass das auch ein Anlass war für unsere Teilnehmerinn zu sagen, das geht nicht. Ich will für diese Schwächen nicht ausgenutzt werden. Ich will an diesem Experiment teilnehmen, um quasi mich hier hinzustellen und zu sagen So, ja, ich hatte diese Schwächen. Aber es ist noch lange kein Grund für euch da draußen, diese Schwächen auszubeuten, sondern lasst uns mal lieber darüber ins Gespräch kommen, wer diese Schwächen noch hat, nämlich wahrscheinlich ganz viele von euch da draußen. Und ja, wie wir uns gemeinsam schützen können dagegen, dass diese Vulnerabilität ausgebeutet werden, Chris: Ihr habt für das Projekt auch mit vielen Expertinnen gesprochen, zum Beispiel auch Friederike Cantona, die dann genau diese diese Dinge auch erklärt. Denn das ist ja nochmal so ein Zusammenhang. Trotzdem habt ihr euch ja dann eben nicht dafür entschieden, eine ein Dokumentarfilm zu machen, wo ihr vor allem diese Fachleute zu Wort kommen lasst. sondern ihr seid ja diesen ganzen komplizierten, sehr aufwändigen Weg gegangen, um das auf so eine, ja fühlbare Ebene zu heben. Warum war ich das wichtig? Hans: Also es ist natürlich sogar auch ein Dokumentarfilm entstanden. Es ist ja in den crossmedial des Projektes zu dem Zeitpunkt. Die Website gelauncht wird am 29. August auch der Dokumentarfilm, der dann nochmal einen anderen Schwerpunkt setzt und sogar noch mehr Experten zu Wort kommen lässt oder Leuten aus der Branche, also ehemaligen Google Mitarbeitern, ehemaligen oder noch immer wirkenden Google Marketern. Das gibt es auch. Bei uns war das Experiment deswegen als Ausgangspunkt so wichtig, damit man eben den den Menschen ein Bewusstsein dafür gibt, was das eigentlich bedeutet täglich Spuren im Internet zu hinterlassen und dieses doch ziemlich abstrakte Thema der Daten, der Weitergabe von Daten einmal so erfahrbar werden zu lassen, dass man eben nicht mehr diesen Satz sagen kann. Mich betrifft es doch nicht, oder? Mir ist das egal. Sondern zu zeigen Nein, es betrifft uns eigentlich alle. Und da steckt eine ganz große gesellschaftliche Frage hinter. Wollen wir nicht eigentlich, oder wollen wir, sollen wir nicht die Autonomie wieder zu uns zurückholen, in der Beschreibung, wer wir sind. Denn diese fremd Beschreibungen, die wir täglich im Internet in vielleicht homöopathischen Dosen zugespielt bekommen, indem wir Inhalte vorgeschlagen bekommen, indem wir Produkte vorgeschlagen bekommen, die uns immer irgendwie suggestieren, wer wir sind, wer wir sein sollen. Die machen natürlich etwas mit uns. Die verändern auch unsere eigene Wahrnehmung in eigener Weise. Das war nämlich auch ein Punkt in diesem Experiment, der uns so total überrascht hat, den wir sehr wertvoll fanden, dass irgendwann unser Fremd Beschreibung der Experimentteilnehmerin, also wie wir sie gelesen haben, durch die Daten ihre eigenen Erinnerungen, ihre eigenen Erfahrungen überschrieben hat. Also sie konnte sich am Ende des Experiments gar nicht mehr selbst richtig erinnern. Hab ich das jetzt wirklich erlebt oder habt ihr mir das gesagt? War das wirklich die Wohnung, in der ich gewohnt habe? Oder ist das das Bild, was ihr mir gezeigt hat, was ich schon in meiner Erinnerung festgesetzt hat, von dem ich glaube, dass das wahr war? Und genau dieser Prozess, den erleben wir ja natürlich in in geringerer Form, aber tagtäglich, dass wir im Grunde Stück für Stück die Autonomie über unsere eigene Identität verlieren und mehr und mehr Bereiche unseres Lebens werden immer mehr algorithmisch durchsetzt. Immer mehr Beschreibungen werden auf uns einprasseln. In anderen Ländern entscheiden Daten darüber, ob ich eine Wohnung bekomme, ob ich einen Kredit bekomme, ob ich beim Job Gespräch erfolgreich war oder nicht. Und genau diese algorithmische Fremdbeschreibung, die wollten wir mit diesem Projekt einmal sinnlich erfahrbar werden lassen, sodass Menschen, die sich mit diesen Themen vielleicht noch gar nicht auseinandergesetzt haben, einen Eindruck bekommen, was das eigentlich heißt. Cosima/Terrasse: Und vielleicht noch zusätzlich dazu, was uns am meisten überrascht hat. Wir hatten das Gefühl, wir haben ein bisschen die Antwort gefunden auf die Frage “Warum glauben wir, dass wir nichts zu verstecken haben?” Und wir glauben, dass wir nichts zu verstecken haben, weil wir nicht merken, was wir alles preisgeben. Es geht nicht um die expliziten Daten. Es geht nicht darum, dass man gegoogelt hat. Wie viel kann ich denn abnehmen? Das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass wenn wir in den Google Daten geschaut haben und nicht nur von unserer Teilnehmerin, sondern auch alle anderen, die wir gesehen haben, konnten wir Sachen feststellen, wo wir uns ziemlich sicher sind, dass die Leute, die uns die Daten zur Verfügung gestellt haben, keine Ahnung hatten, dass das in den Daten zu sehen ist, weil sie überhaupt keine Ahnung hatten, dass sie überhaupt dieses Verhalten aufweisen. Chris: Du meinst Muster, die ihnen selber nicht bewusst waren, die sich aber aus den Daten herauslesen ließen. Cosima/Terrasse: Genau. Und natürlich macht uns das extrem vulnerable, weil wir können ja immer schon sagen Na gut, ich habe nichts zu verbergen, aber wir wissen halt nicht, dass wir dieses Muster hinter uns lassen. Das heißt, es macht uns natürlich noch mehr manipulierbar, weil wir gar kein Verständnis haben dafür, dass wir in dieser Sicht vulnerabel sind und manipulierbar sind. Moritz: Was auch tatsächlich eine Asymmetrie beschreibt. Also deshalb kann man eben auch nicht davon sprechen. Naja, die Leute haben ja eingewilligt, beide bei diesem berühmten Cookiebanner, dass diese Daten genutzt werden, weil sie ja gar nicht wissen können, welche Korrelationen mit ihren Daten erstellt werden können und welche Informationen dann letztlich aus den Rohdaten gezogen werden können. Denn das ist ja der springende Punkt. Es geht eben, wie Cosima gerade schon beschrieben hat, es geht nicht darum, dass da Rohdaten eins zu eins weiterverarbeitet werden im Sinne von, dass man weiß okay, da wurde jetzt ein Sucheintrag getätigt und das führt dann zu folgender Empfehlung, sondern die Empfehlung kommt zustande durch die Verknüpfung dieser Rohdaten mit anderen Daten, mit Metadaten, mit einem Haufen anderer Daten, die diese großen Datenkraken eben zusammenführen können und die erst dann zu den Erkenntnissen über die Persönlichkeit eines Menschen führen, die dann wertvoll werden. Und das sind Korrelationen, die im Verborgenen erstellt werden, die eben ohne Einsicht der Öffentlichkeit erstellt werden. Und genau diese Intransparenz erzeugt eben diese Asymmetrie und letztlich diese unfaire Situation. Dass ich als einzelner Nutzer, Nutzerin beurteilen muss, will ich jetzt diese Daten teilen oder nicht, ohne wissen zu können, was für Erkenntnisse letztlich daraus gezogen werden. Und das sorgt für eine Situation, wo eben nicht mehr der einzelne Mensch darüber entscheiden kann, ob er oder sie diese Daten wirklich teilen will oder nicht, sondern wo die Politik dafür sorgen muss, dass diese Balance, diese Asymmetrie der Machtverhältnisse beseitigt wird. Chris: An einer Stelle geht es, glaube ich, auch darum, dass dann das habt ihr ja auch im Film, im Projekt taucht das auf. Das ist ja auch keine Möglichkeit gibt, Widerspruch einzulegen. Also dass man, dass es eben keine Instanz gibt, zu der man hingehen kann, um zu sagen Sorry, das Bild, das ihr von mir habt, das stimmt so nicht mehr. Ich bin jetzt eine ganz andere. Und dieses Recht auf Veränderung, das sie eben auch angesprochen habe, dass das eigentlich zumindest auf dieser Ebene so nicht mehr gegeben ist. Cosima: Ja, und wir haben auch wirklich gemerkt, wie viel Macht wir hatten innerhalb dieses Experiments, weil wir haben im Grunde unsere Teilnehmerinnen gesagt, schau, du hast das und das dann 2019 gemacht. Und sie war ganz stark der Meinung, das war nicht in 2019, sondern in 2018. Und es ist ein bisschen anders passiert. Aber die Daten haben ganz, haben eine andere Sprache gesprochen. Und dann war die Frage für uns Was ist jetzt wichtiger, was wir glauben zu verstehen aus den Daten oder die vielleicht fehlerhafte, aber trotzdem viel wichtigere und richtigere Version der Fakten von der Experimentteilnehmerin. Weil das ist im Grunde etwas Menschliches, sich selber seine Geschichte zurechtzulegen, auf eine Art, die uns eine Persönlichkeit gibt und ein ein eine Sicht auf die Zukunft, die uns hilft und die uns hilft, uns zu entwickeln und weiter zu werden. Und die Daten halten einen zurück. Und wenn unsere Teilnehmerinnen sich entwickelt und eigentlich kein Interesse mehr hat an die Kultur, sondern ein viel breiteres Interesse an Wissen. Allgemein wird es aber trotzdem immer wieder von Algorithmen genudgt Sich weiterhin für die Kultur zu interessieren. Und wenn man aber diese Gewohnheit schon in sich hat und diese, dass es einen beruhigt und dass es ihnen gut tut, sich immer wieder für dieselben Sachen zu interessieren, was wir alle Menschen haben, ist es natürlich super schwierig, sich von diesen Mustern zu lösen, wenn man immer wieder in die andere Richtung genudgt wird. Hans: Und dann wird es natürlich besonders gefährlich, wenn ein Mensch, der beispielsweise eine Spielsucht entwickelt hat, wenn er immer wieder konfrontiert wird mit Spielen, bei denen man Geld einsetzt, dann ist es umso schwieriger für diese Person, aus diesem Muster herauszukommen. Und deswegen ist es eben besonders wichtig, diese Daten zu schützen, um eben Menschen, die gerade in einem schwachen Moment sind, die gerade eine Verhaltensstörung haben, davor zu schützen, dass sie nicht mehr aus ihrem Muster ausbrechen können, dass sie das das Recht auf Veränderung haben, ein neues, ein anderes Leben zu leben. Chris: Ihr sprecht ja eigentlich über die die übergeordnete politische Ebene, nämlich was? Was können wir? Oder was muss im Politik tun, damit das nicht in der Verantwortung von einzelnen Leuten bleibt, ihre Daten zu schützen, weil sie das womöglich gar nicht können oder gar nicht überblicken können, was sie da alles preisgeben? Trotzdem, und das finde ich auch wichtig trotzdem würde mich interessieren, wie sich eure Wahrnehmung im Laufe dieses Projektes nochmal verändert habt. Also wie, wie, was vorher bei euch? Habt ihr viel Googel Produkte z.B. benutzt und tut ihr das jetzt nicht mehr? Oder sagt ihr. Wir wussten vorher schon, was und was es da geht. Und das hat es eigentlich gar nicht so viel getan bei uns. Was ist da passiert bei euch? Hans: Naja, um eine Sache, die wir schmerzlich erfahren mussten, ist, dass es gar nicht so einfach ist, tatsächlich diesen Datenkraken zu entkommen. Denn selbst wenn ich sehr bewusst bin im Umgang im Online Netz, also beispielsweise keinen Google Account habe, keinen Facebook Account mehr auf mal kein Instagram-Account usw. Also diese großen Plattformen, wo wir ja wissen, dass die sehr viele persönliche Daten von uns abziehen, ist es. Trotzdem ist man trotzdem nicht gefeit davor, dass trotzdem diese Unternehmen von uns Daten sammeln. Denn allein wenn ich ein Handy habe, ein Smartphone mit verschiedenen Apps, ist die Wahrscheinlichkeit sehr, sehr hoch, dass in diesen Apps kleine Pixel, kleine kleine Produkte von Google implementiert sind, die trotzdem unser Verhalten analysieren und Informationen über diese Apps weiterleiten an Google. Das heißt auch Menschen, die nie mals Google benutzt haben, bei denen ist es relativ wahrscheinlich, dass Google auch von ihnen Informationen gesammelt hat. Das ist natürlich erstmal relativ frustrierend und ist nicht der größte Ansporn, mir einen besseren Umgang im Netz zu finden, um nicht vielleicht Google Chrome zu benutzen, um vielleicht ein Mailprogramm zu benutzen, was was sicherer ist, etwas, was Datenschutz tauglicher ist. Und deswegen ist natürlich die Erkenntnis umso wichtiger zu sagen Das ist etwas, was auf einer ganz anderen Ebene zusätzlich ganz dringend passieren muss. Die EU-Gesetze sind ja gar. So schlecht. Sie haben ja schon viele Regulierungen, die das eigentlich verbieten, aber die Umsetzung dieser Gesetze, die findet einfach nicht statt. Es gibt kaum ein Unternehmen, was seine Strafzahlungen zahlt, wenn sie erwischt werden, dabei Daten an Dritte weiterzugeben, die vielleicht das vielleicht nicht legal gewesen wären. Es gibt immer noch keinen, kein keine genügende Kontrolle darüber, dass auf ihm im Realtime Billing auf großen Daten Märkten Daten an Data Broker weiter gehandelt werden, wo man gar nicht weiß, was machen diese Data Broker eigentlich mit diesen Daten? Sind die an dieser Stelle geschützt? Da gibt es so viel zu tun auf einer politischen Ebene. Und das war uns auch wichtig, mit diesem Projekt auch sichtbar zu machen, dass das eben nicht nur vom Einzelnen oder der Einzelnen zu lösen ist. Und ja, genau deswegen haben wir das gemacht. Chris: Das Ergebnis dieses Experimentes ist als 45-minütiger Dokumentarfilm „Made to Measure“ in der ARD-Mediathek zu sehen. Und es ist ein beeindruckendes Zeugnis, selbst für Menschen wie mich, die sich vermeintlich lang und abgeklärt mit Themen wie Datenhandel, Profilerstellung und Microtargetting beschäftigt haben. Um die Geschichte aber nochmal tiefer zu erzählen, hat das Trio auch eine Webseite geschaffen, auf der die Geschichte nochmal anders erzählt wird. Dort kann man als Besucherin auch in der Datenpunkten suchen und bekommt nochmal ein anderes Gespür dafür, wie viel Google eigentlich wirklich erfährt über eine Person. Und am Ende – nach der großen Begegnung der Doppelgängerinnen – kommt dann noch ein ganz unvorgergesehener Twist in der Geschichte. Serafin: Das war der Podcast von netzpolitik.org. Recherche und Redaktion von Chris Köver. Schnitt und Produktion von mir, Serafin Dinges. Titelmusik von Trummerschlunk. Außerdem im Team: Övünc Güvenisik. netzpolitik.org ist komplett spendenfinanziert. Wenn ihr uns unterstützen wollt, findet ihr alle Infos auf unserer Website. Und wir freuen uns natürlich immer über Feedback. Per Mail oder als Bewertung auf den gängigen Podcastplattformen.

2 Ergänzungen

  1. Zitat von oben:
    „was muss im Politik tun, damit das nicht in der Verantwortung von einzelnen Leuten bleibt, ihre Daten zu schützen“

    Meiner bescheidenen Meinung nach müsste die Politik die Konzerne per Regulierung oder Gesetzgebung dazu zwingen, auch die aus den Rohdaten generierten und mit anderen Daten (wie Metadaten) angereicherten „Schattenprofile“ als „Datenbesitz des Endverbrauchers“ gemäß DSGVO zu sehen. Fordert man heute seine Daten bei Google oder Facebook an, erhält man zwar die Rohdaten, aber nicht die aggregierten Profile – so wie sie von Google oder Facebook tatsächlich zum Microtargeting eingesetzt werden. Würde der ein oder andere Politiker sich gewahr, dass bei seiner Frau oder Geliebten gerade von Google oder Facebook „Schwangerschaft“ aus dem Verhalten diagnostiziert wird, wäre sicher was ganz Anderes los im gesetzgeberischen „Neuland“. Zu diesem Zwingen gehört eben auch, die zahnlose irische Datenschutzbehörde durch eine Instanz mit Durchschlagskraft und notwendiger Personalbesetzung zu ersetzen und wenn wie im aktuellen Fall keine Durchsetzung erfolgt, die Datenschutzbehörde der EU rollierend (ähnlich Ratspräsidentschaften) alle paar Jahre oder sogar jedes Jahr das Land wechseln zu lassen. So könnten sich Konzerne wie Facebook und Google dann auch nicht mehr mit dem kleinstmöglichen Nenner im Rahmen des schlechtesten Gesetzes in der EU bewegen. Ein anderer Weg wäre, die Plattformen dazu zu zwingen, das aktuelle „Targeting Profil“ des Users offen zu legen. Auch hier würde sich Facebook sicher mit Händen und Füßen jahrelang mit Anwälten und Winkelzügen dagegen wehren, weil es sofort eine Massenkündigung von Usern gäbe, wenn ihnen klar wird, wie umfangreich und detailliert sie micro-targetiert oder sogar in neue Richtungen gedrängt werden. Facebook ist die einzige nicht-staatliche Plattform weltweit, die ein Schattenprofil und ein Gesichts-Hash (die Datenpunkte, die zur Gesichtserkennung nötig sind) seiner Endnutzer hat und diese Datenlage zudem verheimlicht und bei DSGVO-Anträgen diese Daten NICHT mitschickt an den anfordenden User.

    Zitat von oben:
    „Wir glauben, dass wir nichts zu verstecken haben, weil wir nicht merken, was wir alles preisgeben. […]wir wissen halt nicht, dass wir dieses Muster hinter uns lassen. Das heißt, es macht uns natürlich noch mehr manipulierbar, weil wir gar kein Verständnis haben dafür, dass wir in dieser Sicht vulnerabel sind und manipulierbar sind. “

    Habe schon mehrere Leute vom Paradigma „Ich kann eh nichts ändern.“ mit dem Film geheilt. Danke an das Projektteam und die Teilnehmer! Leute, die jahrelang zu bequem waren, fangen jetzt plötzlich an, duckduckgo statt Google als Suchmaschine, Signal statt Whatsapp als Messenger, Facebook nur noch am PC oder Laptop und Cookie-Blocker wie ublock Origin zu nutzen.

    Film:
    https://madetomeasure.online/de/

  2. Datenschutz ist eine lange Reise, bei der man aufpassen muss, nicht in Paranoia abzudriften Duckduckgo (oder Qwant, Startpage, Searx o.ä.) statt Google als Suchmaschine, Signal statt Whatsapp als Messenger, KEIN Facebook oder Instagram und Cookie-/Skript-Blocker wie uBlock Origin zu nutzen ist nur der Anfang. Ich selbst habe mich vor einigen Jahren auf diese Reise begeben, und meide inzwischen Google oder FB Produkte wie der Teufel das Weihwasser. Aber es ist nicht einfach, denn man entwickelt ein gewisses Misstrauen gegenüber Apps und sog. „smarten“ Produkten, und fragt sich ständig: „was macht die wohl mit meinen Daten“. Man muss aufpassen, dass dies nicht überhand nimmt und man sich dadurch in seinem digitalen Leben nicht allzu sehr einschränkt.
    Andererseits graut mir beispielsweise schon vor dem Tag an dem mein altes Auto oder mein alter Fernseher den Geist aufgeben und ich sie gegen neue „smarte“ Produkte tauschen muss, die dann bspw. Android (Google) Betriebssysteme und Apps haben und ich mich ständig fragen muss inwieweit diese mich ausspionieren…

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.