MeinungsfreiheitTwitter macht sich für Pseudonymität stark

Wenn es mal wieder knallt im Netz, ist schnell die Forderung nach einer Klarnamen- oder Identifizierungspflicht auf dem Tisch. Twitter hält das für falsch, weil sie vor allem vulnerable und marginalisierte Gruppen von der Plattform vertreibt und die Meinungsfreiheit beschränkt.

Kind mit Maske
Pseudonymität schützt die Meinungsfreiheit, sagt nicht nur Twitter. (Symbolbild) – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Xavi Cabrera

Twitter spricht sich in einem Beitrag auf dem Unternehmensblog explizit für anonyme und pseudonyme Accounts ohne Identitätsverifikation aus. Das sei wichtig für die Meinungsfreiheit, damit Menschen flexibel wählen könnten, wie sie sich auf dem Netzwerk präsentieren. Eine Identitätsüberprüfung würde unverhältnismäßig viele gefährdete Gruppen treffen, wie Frauen, Transgender-Personen oder Aktivist:innen.

Anhand des Beispiels einer Frau, die gerade promoviert hat und gleichzeitig in einem Callcenter arbeiten muss, zeichnet das Unternehmen nach, welche Gründe für Pseudonymität sprechen können. Der pseudonyme Account erlaube es Personen, nicht daran zu denken, was zukünftige Arbeitgeber über die Tweets denken und so wirklich zu sagen, was sie wollen.

Pseudonymität unverzichtbar für Meinungsfreiheit

In eine ähnliche Richtung argumentieren Digital-Rights-Aktivist:innen wie Jillian York seit Jahren. Immer wieder führen gesellschaftliche Ereignisse wie zuletzt die rassistische Hasswelle nach der EM-Niederlage Englands dazu, dass eine Klarnamenpflicht gefordert wird. Eine Petition für die Einführung einer Ausweispflicht bekam damals fast 700.000 Unterschriften. Bei der Forderung nach weniger Anonymität im Netz wird oftmals übersehen, dass Pseudonymität und Anonymität im Netz unverzichtbar sind, um Meinungsfreiheit für alle zu gewährleisten.

Twitter macht in dem Beitrag deutlich, dass eine Verifikation mittels Ausweis einerseits vulnerable Gruppen von der Plattform vertreiben und auf der anderen Seite alle Menschen ausschließen würde, die kein Ausweisdokument besitzen. Dies seien laut Zahlen der Weltbank etwa eine Milliarde Menschen weltweit und elf Prozent der US-Bevölkerung.

De-Facto-Ausweispflicht durch Telefonnummer

Twitter wendet sich im Beitrag auch gegen die verbreitete Annahme, dass Anonymität zu mehr Hassrede führe. Eigene Erkenntnisse, die Twitter allerdings nicht weiter erläutert, und zahlreiche Studien würden dies belegen. Den Nutzer:innen empfiehlt Twitter gegen toxische Accounts mit Blockierungen und Melden vorzugehen und sich so selbst eine sichere Umgebung zu schaffen.

Twitter spricht in seinem Beitrag immer wieder von Anonymität, überprüft Accounts aber zunehmend etwa durch die Verifikation mit einer funktionierenden Telefonnummer. Dem Anbieter selbst müssen die Nutzer:innen daher persönliche Daten anvertrauen – oder sich nach dezentralen Alternativen umsehen, die weniger Nutzungsdaten und Informationen anhäufen.

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Eine Ergänzung

  1. Wer wirklich wissen will, was die Meinung Einzelner ist, kann doch längst heute schon herausfinden, wer schreibt – große Organisationen, Staaten, Konzerne – können doch Einzelne längst wegen ihrer „Meinung“ verfolgen.

    Das Problem wie in diesem Artikel auf „Anonymitäts“-schutz zu reduzieren, verharmlost die Realität groß angelegter Hetz- und Manipulationsaktionen als private „Hass“-kommentare. Es unterschlägt einfach die Tatsache, dass Scheiße-Stürme auf einzelne Frauen vollkommen zerstörerisch sind (oder auf Männer, weil natürlich beide ihrerseits mit „Gesicht“ dastehen, oft ohne das selbst entschieden zu haben). Und das nicht nur individuell, sondern vor allem auch gesellschaftlich: Menschen mit etwas Grips im Kopf sind nicht mehr so blöd, irgendeine öffentliche Meinung zu äußern, oder gar eine Position einzunehmen, wo sie einer anoynmen Meute gegenüberstehen oder im Zweifel von Trollfabriken angegriffen werden, die sie nicht mal verklagen können. Was soll daran „aushaltbarer“ oder eher akzeptabel, als die Situation der ach so armen Doktorandin, die im Call-Center arbeitet, aber, oh Schreck, bei ihrem Provider (!) eine Adresse hinterlegen muss?

    Darf man daran erinnern, dass das Recht auf „Meinungsfreiheit“ die meiste Zeit seiner Exitsten für Menschen mit Gesicht galt? Darf man daran erinnern, dass das noch heute gilt, wenn man seine Meinung einem Menschen ins Gesicht sagt?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.