Die nächste Stufe zur Entwicklung eines neuartigen europäischen Luftkampfsystems wird sich abermals verzögern. Der Grund sind Kompetenzstreitigkeiten der beteiligten Rüstungskonzerne, die deshalb eine Frist zur Angebotsabgabe am 5. Februar verstreichen ließen. Das antwortete das Bundesministerium der Verteidigung auf Nachfrage des Bundestagsabgeordneten Tobias Pflüger. Demnach liegen noch nicht in allen Technologiebereichen „konsentierte Einzelangebote“ vor.
Zusammen mit Frankreich will Deutschland in den nächsten 20 Jahren ein atomwaffenfähiges „Future Combat Air System“ (FCAS) entwickeln, das im Kern aus einem neuartigen Kampfflugzeug besteht. Es soll zur sogenannten „sechsten Generation“ gehören und trägt deshalb die Bezeichnung „Next Generation Fighter“ (NGF). Inzwischen ist auch Spanien dem Vorhaben beigetreten.
Kampfflugzeug der „übernächsten Generation“
Genau genommen handelt es sich bei dem NGF sogar um eine „übernächste Generation“, denn die in Europa geflogenen Kampfflugzeuge, darunter auch der „Eurofighter“, verfügen nicht über Charakteristika der „fünften Generation“. Hierzu gehören Stealth-Fähigkeiten oder Computersysteme, die für ein verbessertes Situationsbewusstsein mit anderen Einheiten in der Luft und am Boden vernetzt sind. Alle Komponenten bilden auf diese Weise ein gemeinsames „Luftverteidigungsnetzwerk“.
Als Kampfflugzeug der „sechsten Generation“ soll der neue Kampfjet mithilfe Künstlicher Intelligenz auch mit anderen Angriffswaffen vernetzt werden. Hierzu wird das bemannte „Führungsflugzeug“ von Drohnenschwärmen („Remote Carrier“) begleitet. In dieser Funktion werden die unbemannten Luftfahrzeuge auch als „Loyal Wingman“ bezeichnet.
Das Drohnenfliegen im Schwarm firmiert als „Manned-Unmanned Teaming“ (MUT), der deutsche Ableger des europäischen Rüstungskonzerns Airbus hat dies bereits über der Ostsee erprobt. Dabei kann es sich um die bewaffnete „Eurodrohne“ handeln, über deren Entwicklung der Bundestag am 24. März entscheiden soll. Möglich ist auch der Abwurf von Schwärmen kleinerer Drohnen aus hochfliegenden Transportflugzeugen, wie es Airbus mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt simuliert hat.
Als drittes Element des FCAS fungiert schließlich eine „Air Combat Cloud“ (ACC), die für den Datenaustausch der vernetzten Systeme zuständig ist. Alle beteiligten Plattformen sollen auf diese Weise zu einem „System of Systems“ verschmelzen. Die deutsche Luftwaffe hat das Vorhaben auf einer Tagung des Bundesverbandes der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie deshalb als „das größte europäische Rüstungsprojekt überhaupt“ bezeichnet.
Wer erhält ein Testflugzeug?
Nachdem der deutsch-französische Rat der Verteidigungsministerien beider Länder 2017 grünes Licht für die Entwicklung eines FCAS gab, beschlossen die Verteidigungsministerinnen Ursula von der Leyen und Florence Parly 2019 eine erste „Demonstratorphase 1A“, die schließlich vor einem Jahr begann. Dabei sollten die Rüstungskonzerne der beteiligten Länder ein Konzept und Design für das Kampfflugzeug entwerfen und festlegen, welchen Antrieb und welche Technik an Bord ist. Zu diesem Zeitpunkt hatten Deutschland und Frankreich rund 65 Millionen Euro für eine Konzeptstudie ausgegeben, die „Phase 1A“ kostete weitere 155 Millionen.
Bis 2028 sollte anschließend in einer „Demonstratorphase 1B“ ein erstes flugfähiges Modell entstehen, das dann für Tests genutzt werden kann. Genau hierüber gibt es seit längerem Streit. So soll das spätere Flugzeug von der französischen Firma Dassault gebaut werden, die deutsche Sparte von Airbus wäre Hauptunterauftragnehmer. Dassault würde demnach auch den Demonstrator erhalten und für die weitere Entwicklung des Systems erproben dürfen. Airbus fordert hingegen, ebenfalls über ein Testflugzeug zu verfügen, der Demonstrator müsste also in zweifacher Ausführung gebaut werden. Bis 2030 soll dann ein erster Prototyp hergestellt werden.
Insgesamt gibt es zum FCAS sieben Technologiebereiche, für die jeweils ein Industriekonsortium zuständig ist. In der ersten Phase sind von diesen Bereichen fünf aktiviert, hierzu gehören das Kampfflugzeug sowie dessen Antrieb. Die Triebwerke sollen von dem aus Frankreich stammenden Safran-Konzern und der deutschen Firma MTU Aero Engines gebaut werden, nun wird auch der spanische Hersteller ITP ins Boot geholt.
Für den Bereich „Unbemannte Komponenten“ zur Begleitung des Kampfflugzeugs mit Drohnen ist ebenfalls Airbus zuständig, als Hauptunterauftragnehmer fungiert die französische Sparte des europäischen Raketenherstellers MBDA. Zur weiteren Entwicklung des FCAS-Gesamtsystems kooperieren Airbus, MTU und MBDA im Bereich „Programmkonsistenz“.
Mit dem Beitritt Spaniens übernahm der spanische Rüstungskonzern Indra ebenfalls eine führende Rolle im FCAS-Projekt. Im Herbst haben die drei beteiligten Regierungen Indra mit der Leitung des Technologiebereichs zur Entwicklung einer „innovativen Sensorsuite“ betraut. Weitere Auftragnehmer sind der französische Thales-Konzern sowie ein Verbund der vier deutschen Unternehmen Hensoldt, Diehl Defence, ESG und Rohde & Schwarz, die sich unter dem Kürzel FCMS („Future Combat Mission Systems“) zusammengeschlossen haben. Alle Firmen sind traditionelle Partner der Bundeswehr. An der Airbus-Ausgründung Hensoldt hatte sich die Bundesregierung – vermutlich angesichts der Beteiligung am FCAS – erst kürzlich eine Sperrminorität gesichert.
Mögliche Gesamtkosten von 500 Milliarden Euro
Im Sommer soll die „Demonstratorphase 1A“ enden. Welche Kosten für die nächste Phase „1B“ anfallen, kann die Bundesregierung wegen des noch ausstehenden Angebots nicht angeben. In einem Dokument der französischen Nationalversammlung heißt es, dass allein der Demonstrator rund 12 Milliarden Euro kosten könnte. Die Entwicklung des gesamten FCAS wird auf über 100 Milliarden Euro geschätzt.
Die späteren Gesamtkosten für den Kauf der Systeme könnten sich auf 500 Milliarden belaufen. Hinzu kommen Forschungen für nationale Beiträge zu dem System, wie sie das deutsche Verteidigungsministerium etwa im Projekt „Innovations for FCAS“ finanziert. Ähnliche, lange Zeit geheime Forschungen betreibt Airbus seit vielen Jahren unter der Bezeichnung „Low-Observable UAV Testbed“.
Über die Freigabe der „Demonstratorphase 1B“ muss das Parlament entscheiden. Laut dem Verteidigungsministerium ist es weiterhin das Ziel, dem Bundestag „noch im ersten Halbjahr 2021“ eine Vorlage vorzulegen. Ob dieser Zeitplan eingehalten werden kann, ist aber fraglich. Denn wenn das verspätete Angebot der vielen beteiligten Firmen endlich vorliegt, muss es zunächst vom Verteidigungsministerium geprüft werden.
Beim Deutsch-Französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrat am 5. Februar haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ihre Verteidigungsministerinnen deshalb beauftragt, „in den nächsten Wochen sehr schnell die Voraussetzungen dafür zu schaffen“. Dann könnte die Vernetzung und Automatisierung bemannter und unbemannter Waffensysteme in einem militärischen Hochtechnologieprojekt wie geplant noch vor der Bundestagswahl auf die Schiene gesetzt werden.
Gibt es fuer das ganze Projekt eigentlich ein anzuwehrendes Bedrohungsszenario oder angestrebtes Einsatzszenario als Begruendung?
Eine Verteidigungsarmee hat da ganz andere Anforderungen als eine Einsatz/Angriffarmee, und es waere die grundlegende Diskussion, was Deutschland und Europa denn haben wollen.
Ok, die Politiker der Union und SPD wollen natuerlich eine Einsatzarmee, die Transatlantiker der Gruenen ebenso, aber da waeren ja noch die Buerger, die das ganze bezahlen sollen. Eigentlich.
Atomwaffenfähig mit Cloudanbindung und künstlicher Intelligenz? Man möchte meinen die Bundeswehr hat mit komplexen Systemen und deren Fehleranfälligkeit schon genug Erfahrungen gesammelt.
Natuerlich sind militaerische Infrastrukturen moeglichst dezentral, redundant und elastisch, und natuerlich wird man eine derartige IT-Infrastruktur heutzutage „Cloud“ nennen.
KI ist idR Mustererkennung und ML, und natuerlich passt das zur Kampfaufgabe eines Drohnenschwarmes, nicht umsonst gewinnt sowas mittlerweile entsprechende Spiele oder wertet Datenmaterial aus der Aufklaerung aus.
Vermutlich wird das ganze erfolgreich von den Politikern, Lobbyisten und Industrie erfolgreich in die Erfolglosigkeit korrumpiert. Und natuerlich spielt man auch deswegen buzzword bingo.
Aber prinzipiell ist das kein Hirngespinst.
Ah, where’s the kill switch! WHERE’S the kldlla;dnv998a….
PS. game engine physics != physics
IIRC hat die Navy vor ein paar Jahren mal Piloten im Simulator im dogfight gegen offline SW antreten lassen. Sie hatten gegen die Rechenkapazitaet eines heutigen smartphones kaum ein Chance. Der Luftraum ist ziemlich leer, die Physik ziemlich straight forward, Sensorik weitgehend entwickelt und Waffensysteme relativ autonom. Maschinen haben dort umfassendere und schnellere situation awareness und ziehen unbeeintraechtigt maximale Beschleunigungen. Und Drohnen sind gegenueber bemannten Fightern und ihren Piloten ausreichend kostenguenstig und produzierbar, um idR in der Ueberzahl zu sein.
Das groesste Problem ist zuverlaessige Freund/Feindkennung.
Ergaenzend: zumindest das US-Luftkampfparadigma war schon so weit. Bis zum Vietnamkrig waren Jagdflugzeuge primaer schnelle Raketentraeger und Sensorplattformen, die eigentliche Bekaempfung sollte auf Abstand ueber Lenkraketen (= Drohnen) erfolgen. Hat eben wegen der Freund/Feindkennung (rules of engagment erforderten visuelle Identifikation, und dann war man nah dran) so nicht stattgefunden, was zu einigen Verlusten und entsprechenden Aenderungen in der Pilotenausbildung gefuehrt hat.
Antischiffsraketen koennen zT bereits in Gruppen agieren und Ziele neu erfassen und zuweisen, die Abwehr ist ohnehin teil- bis vollautomatisiert im Nahbereich. Freund/Feindkennung ist da einfacher bis trivial („alles in der Richtung in Reichweite“).