Drei Geflüchtete klagen derzeit mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) vor Verwaltungsgerichten dagegen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ihre Smartphones ausgelesen hat. Einer der Betroffenen wendet sich nun zusätzlich an den Bundesdatenschutzbeauftragen (BfDI) Ulrich Kelber und hat mit seinem Anwalt Matthias Lehnert Beschwerde eingereicht. Mohammad A. kam bereits 2015 aus Syrien nach Deutschland, damals durfte das BAMF noch keine Datenträger auswerten. Doch das Bundesamt überprüfte im Jahr 2019 seine Asylentscheidung und forderte ihn auf, sein Gerät herauszugeben.
An seiner Asylentscheidung änderte das nichts, doch er habe Angst gehabt. „Das war, als würde ich mein ganzes Leben über den Tisch reichen“, zitiert die GFF Mohammad in ihrer Pressemitteilung.
Seit 2017 gibt es eine gesetzliche Grundlage für das Auslesen und Auswerten von Datenträgern Geflüchteter, schon im Gesetzgebungsverfahren äußerten Anwält:innen, Menschenrechtsorganisationen und auch Kelbers Vorgängerin Andrea Voßhoff erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken.
Tiefer Eingriff, wenig Nutzen
Der Eingriff in die Privatsphäre der Geflüchteten ist tief, ihre Smartphones stellen für sie oft die einzige Verbindung zu Freund:innen und Familie in ihren Herkunftsländern dar. Sie sind gleichzeitig Übersetzungshilfe, Kommunikationsmittel und Aufbewahrungsort digitaler Erinnerungen. Der Eingriff erfolgt ohne konkreten Verdacht, dass sie etwa falsche Angaben gemacht haben könnten: Wenn sie bei ihrer Registrierung keinen anerkannten Pass vorlegen können, kommen sie für eine Auslesung ihres Geräts in Frage.
Die Daten auf dem Smartphone werden automatisch analysiert: Wie häufig telefonierte die Antragstellerin zu welchen Ländervorwahlen? Welche Geotags finden sich auf einem Gerät? Welches Facebook-Profil nutzt der Schutzsuchende? In welcher Sprache sind Textnachrichten verfasst? Es gibt zusätzliche Hürden, bis die Auswertung für das Asylverfahren verwendet werden darf, ein:e Volljurist:in aus dem BAMF muss die Freigabe genehmigen.
2.335 Datenträger hat das BAMF im ersten Halbjahr 2020 ausgelesen, 656 der Auswertungen landeten schließlich auf dem Tisch von Entscheider:innen. Wie auch in den Jahren zuvor waren die meisten davon nicht brauchbar: In 68 Prozent der Fälle habe es keine verwertbaren Ergebnisse gegeben. Bei 30 Prozent bestätigten die Hinweise aus der Datenträgeranalyse die Angaben der Schutzsuchenden, in zwei Prozent der Fälle habe die Identität widerlegt werden können. Das betraf in absoluten Zahlen neun Antragsteller:innen.
Datenschutzrecht gilt auch für Geflüchtete
„Das Datenschutzrecht gilt für alle Menschen, auch für Geflüchtete. Die Handydatenauswertungen sind damit schlicht nicht vereinbar“, so die Juristin Lea Beckmann, die die Verfahren koordiniert. Es liege nun am BfDI, die Praxis des BAMF zu überprüfen und „Rechtsbrüchen einen Riegel vorzuschieben“.
Der Weg über die Gerichte ist langwierig, am Ende könnte nur das Bundesverfassungsgericht die Rechtsgrundlage für die Maßnahmen kippen. Vom Gang zum BfDI erhofft sich Beckmann, dass sich auch kurzfristig etwas ändert. „Im Migrationsbereich gibt es nur wenige Datenschutzbeschwerden“, so die Juristin. „Wir hoffen nun, dass der Bundesdatenschutzbeauftragte die Beschwerde zum Anlass nimmt, auch über den konkreten Fall hinaus die Erhebung und Verarbeitung von Handydaten durch das BAMF zu prüfen“, sagt Beckmann gegenüber netzpolitik.org.
Der BfDI kann die Vorgänge prüfen und vom BAMF Informationen und Zugang verlangen. Stellt er einen Verstoß der deutschen Rechtsgrundlage für die Datenträgerauswertung gegen die EU-Datenschutzgrundverordnung fest, „kann er dem BAMF […] verbieten, auf dieser Grundlage weitere Datenträgerauswertungen durchzuführen“, heißt es in der Beschwerde.
Offenlegung: Die Autorin des Texts hat in Zusammenarbeit mit der GFF die Studie „Das Smartphone, bitte! Digitalisierung von Migrationskontrolle in Deutschland und Europa“ erstellt. Die Co-Autorin Lea Beckmann koordiniert die Klage- und Beschwerdeverfahren zur Handydatenauswertung des BAMF.
„Die Daten auf dem Smartphone werden automatisch analysiert: Wie häufig telefonierte die Antragstellerin zu welchen Ländervornamen?“
Ländervorwahlen, oder?
(Kommentar muss nicht veröffentlicht werden)
Ähm, ja m) Vielen Dank für den Hinweis, ist korrigiert!