Der Anti-Terrorismus-Koordinator der Europäischen Union schlägt 22 Maßnahmen für den Umgang mit afghanischen Geflüchteten vor. Der von der britischen Organisation Statewatch veröffentlichte Aktionsplan behandelt die vier Bereiche Sicherheitskontrollen, Strategische Aufklärung, Bekämpfung von Propaganda sowie Terrorismusfinanzierung.
Die Handlungsempfehlungen des Belgiers Gilles de Kerchove gehen auf eine Erklärung der EU-Innenminister:innen vom 31. August zurück. Diese betrachtet die Flucht und Migration aus Afghanistan vor allem als Sicherheitsproblem.
Abgleich biometrischer Daten
Gemäß dem nun vorliegenden Aktionsplan sollen die Agenturen Europol und Frontex sowie das Asylunterstützungsbüro EASO deshalb logistische Vorbereitungen treffen. Dies beinhaltet insbesondere die Registrierung und Überprüfung von möglicherweise an den EU-Außengrenzen ankommenden Geflüchteten.
Der Aktionsplan bezeichnet auch Maßnahmen für die bereits evakuierten Personen. Sie werden mithilfe einschlägiger Datenbanken sicherheitsüberprüft. Hierzu gehören neben Datensammlungen von Europol und Interpol alle vier vorhandenen EU-Informationssysteme mit biometrischen Daten.
Weitere Abfragen empfiehlt de Kerchove bei den einzelnen NATO-Mitgliedern über deren BICES-System. Dort speichern die NATO-Mitgliedstaaten sogenannte „Gefechtsfeldinformationen“. Dabei handelt es sich beispielsweise um Fingerabdrücke und DNA-Daten inhaftierter oder getöteter Kämpfer:innen sowie Spuren von Tatorten in Ländern wie Afghanistan.
Suche nach „rechts- und linksextremistischen Diskursen“
Die EU soll sich außerdem bei der NATO und den G7-Staaten „politisch engagieren“ und Informationen darüber einholen, welche Waffen und Ausrüstungen in Afghanistan zurückgelassen wurden. Damit will de Kerchove verhindern, dass diese von terroristischen Gruppen für Anschläge in der EU verwendet werden. Die Agenturen Europol und Frontex sollen deshalb mit internationalen Paketdiensten kooperieren. Zur Verhinderung von Terrorismusfinanzierung soll Europol auch den „Rauschgifthandel“ in Afghanistan verstärkt überwachen.
Die Polizeiagentur wird außerdem aufgefordert, das Internet zu extremistischen oder terroristischen Aktivitäten sowie Reisebewegungen von und nach Afghanistan zu beobachten. Hierzu fehlt der „Meldestelle für Internetinhalte“ bei Europol in Den Haag allerdings Personal, das die Sprachen Paschtu, Dari, Urdu oder Farsi beherrscht. Dessen Rekrutierung könnte laut dem Aktionsplan unter den Angehörigen und lokalen Mitarbeiter:innen der aus Kabul evakuierten EU-Delegation erfolgen.
Nötig sei auch, das Internet nach „rechts- und linksextremistischen Diskursen“ abzusuchen. Eine Begründung für den Vorschlag liefert de Kerchove nicht. Dass linke Gruppen auf die Machtübernahme der Taliban mit strafwürdigen Aktionen reagieren, ist eher unwahrscheinlich. Naheliegender ist, dass rechtsextreme Zusammenschlüsse die Flucht vieler Menschen aus Afghanistan für ihre menschenfeindliche Propaganda oder auch Anschläge instrumentalisieren.
Mehr Austausch mit Geheimdiensten
Auch die Kooperation mit Geheimdiensten soll ausgebaut werden. Wie in EU-Papieren üblich, werden diese an keiner Stelle des Aktionsplans explizit erwähnt, sondern als „zuständige Behörden der Mitgliedstaaten“ umschrieben. Hintergrund ist, dass die EU kein Mandat für die geheimdienstliche Koordination innehat. Die EU-Verträge erlauben jedoch den Betrieb des Lagenzentrums INTCEN in Brüssel, das Analysen der In- und Auslandsgeheimdienste aus den Mitgliedstaaten erhält. Die Einrichtung soll nun „für eine verstärkte Berichterstattung“ zu Afghanistan sorgen.
Die EU-Regierungen werden aufgefordert, Mittel bereitzustellen, um „mögliche Dschihadisten“ aufzuspüren, zu überwachen und bei der Einreise abzufangen. Der Appell richtet sich vermutlich an die „Counter Terrorism Group“ (CTG), in der sich alle Inlandsgeheimdienste der EU-Mitgliedstaaten informell zusammengeschlossen haben. Für den schnellen Austausch betreibt die Gruppe ein gemeinsames Informationssystem und eine Datenbank beim niederländischen Geheimdienst in Den Haag. Auch Europol ist in diese streng geheime Zusammenarbeit eingebunden.
Schließlich rät der Kerchove zu einer „Intensivierung des Dialogs“ und des „strategischen Informationsaustauschs“ mit Nachbarländern Afghanistans sowie Ländern in der Region und weltweit, die „Zugang zu Informationen“ über das Land haben. Laut dem Frontex Direktor hat seine Grenzagentur bereits „Gespräche“ über eine Zusammenarbeit mit der pakistanischen Regierung begonnen.
Mehr „Gefechtsfeldinformationen“
In einer Woche kommen hochrangige Beamt:innen der EU und der USA zu ihrem regelmäßigen Treffen in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana zusammen. Die US-Regierung soll dort erklären, nach welchem Verfahren die von ihren Truppen in die westlichen Balkanstaaten evakuierten Personen sicherheitsüberprüft wurden. Von EU-Interesse sind vor allem jene afghanischen Staatsangehörigen, die in US-Stützpunkten Asyl in einem EU-Mitgliedstaat beantragt haben. Um die Eintausend Menschen wurden von den USA nach Kosovo ausgeflogen, mehrere Hundert nach Albanien sowie über Einhundert nach Nordmazedonien.
Der Aktionsplan wird diese Woche in den zuständigen Ratsarbeitsgruppen „Terrorismus“ und „Terrorismus (Internationale Aspekte)“ behandelt. Im Fokus steht dort der weitere Austausch von „Gefechtsfeldinformationen“, die in Afghanistan eingesammelt wurden. Inzwischen können die Geheimdienste aus den USA, aus Nordafrika oder dem Westbalkan das eigentlich nur für europäische Behörden zugängliche Schengener Informationssystem für diese Zwecke nutzen. Diese fragwürdige Praxis wird nun intensiviert.
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