KunstprojektKai Diekmann, RWE und ein fiktives Bundesamt

Ein erfundenes „Bundesamt für Krisenschutz und Wirtschaftshilfe“ fädelt unter einem Vorwand Gespräche mit Vorständen großer Unternehmen ein, darunter der Energiekonzern RWE. Das Wirtschaftsministerium wittert erst Betrug, aber rudert dann zurück. Recherchen von netzpolitik.org deuten auf einen anderen Hintergrund hin.

Kai Diekmann
Kai Diekmann CC-BY 2.0 re:publica

Einem fiktiven „Bundesamt für Krisenschutz und Wirtschaftshilfe“ ist es gelungen, große deutsche Unternehmen hereinzulegen und unter einem Vorwand Gespräche mit Vorständen zu ergattern. Zu den Betroffenen gehört auch der Energiekonzern RWE. Das Bundeswirtschaftsministerium warnte in diesem Zusammenhang zunächst vor einem Betrug mit Corona-Soforthilfen und hat nach eigenen Angaben Strafanzeige gestellt.

Allerdings zeichnet sich nun ein ganz anderer Hintergrund ab. Dieser konkrete Betrugsverdacht ist wohl auf ein Missverständnis im Wirtschaftsministerium zurückzuführen. Nach Recherchen von netzpolitik.org handelt es sich bei dem fiktiven Bundesamt um eine Art Kunstprojekt.

Laut seiner Selbstbeschreibung will das fiktive Bundesamt die „deutsche Wirtschaft sicher durch die Krise“ bringen. So stand es zumindest auf einer im Juni registrierten Website. Zu sehen war dort auch ein ausgedachtes Zitat von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, in dem dieser die angebliche Behörde als „wichtigen Pfeiler in der Stabilisierung der deutschen Wirtschaft“ bezeichnete.

Das „Bundesamt für Krisenschutz und Wirtschaftshilfe“ steht im Zusammenhang mit einer zweiten Website, die einem fiktiven „Bundesministerium zur Abwehr von Kriminalität im Cyberspace“ gehören soll und bereits im Januar angemeldet wurde. Sowohl die Architektur der Seiten als auch einige Inhalte sind identisch. Darauf abgebildete Fotos scheinen mindestens teilweise computergeneriert zu sein.

Auf den Webseiten, bei Domain-Registrierungen sowie in E-Mails nutzten die Betreiber:innen eine Vielzahl von Namen. Unter anderem traten sie als „Heiner Stahl“ und „Herr Peters“ auf. Hinterlegte Anschriften führen zu echten Bundesministerien oder einem Geschäftshaus in Berlin-Mitte.

Peter Altmaier
Das fiktive Bundesamt warb auch mit einem fiktiven Zitat von Wirtschaftsminister Peter Altmaier. (Symbolbild) - CC-BY-SA 2.0 Heinrich-Böll-Stiftung

Kontakt mit 30 Unternehmen

Bekannt wurde der Fall am Samstagmorgen durch einen Tweet von Kai Diekmann, Gründer der PR-Agentur Storymachine. Offenbar als Erster verbreitete er öffentlich einen Link zu der Website. Diekmann mutmaßte, es könnte sich dabei um eine Fälschung handeln, und bat um mehr Informationen. Schon rund eine Dreiviertelstunde später präsentierte er erstaunliche Erkenntnisse: „Angebliche Mitarbeiter des angeblichen Bundesamtes haben bereits eine Reihe von DAX-Vorständen kontaktiert.“

Wir haben dem fiktiven Bundesamt und dem fiktiven Bundesministerium zur Abwehr von Kriminalität im Cyberspace einige Fragen geschickt und Antworten erhalten. Rund 30 Unternehmen hat das „Bundesamt für Krisenschutz und Wirtschaftshilfe“ nach eigenen Angaben Anfang Juli per E-Mail kontaktiert und um einen Gesprächstermin gebeten. In der vergangenen Woche seien dann tatsächlich Telefonate zu Stande gekommen.

Es ist nicht bekannt, wie ausgerechnet Kai Diekmann von dem fiktiven Bundesamt erfahren hat. Aber offenbar war er es, der am Samstag die Berichterstattung darüber ins Rollen brachte. Um die Mittagszeit griff die Deutsche Presse-Agentur (dpa) das Thema auf.

Diekmann rief selbst zu Recherchen auf und schrieb: „Kriegen wir hier auf Twitter heraus, wer und was hinter dieser Fälschung steckt?“ Im selben Tweet markierte er den Chefredakteur der Wochenzeitung WELT AM SONNTAG. Diese hatte sechs Stunden später RWE-Chef Rolf Martin Schmitz interviewt.

Zufallsfund oder Krisen-PR von Storymachine?

Diekmanns PR-Agentur Storymachine hat sich unter anderem auf Krisenkommunikation spezialisiert. Einem Bericht der FAZ zufolge beschäftigt das Unternehmen unter anderem Mitarbeiter:innen, die frühzeitig erkennen sollen, wenn Kund:innen ein sogenannter Shitstorm droht.

Wir haben Diekmann und Storymachine deshalb eine Reihe von Fragen geschickt. Unter anderem wollten wir wissen, ob die PR-Agentur auch im Zusammenhang mit dem Fall des fiktiven Bundesamtes für RWE tätig geworden ist. Wir haben keine Antwort erhalten. Auch RWE selbst wollte auf Anfrage nicht sagen, ob Storymachine für den Konzern arbeitet.

Hätte eines der betroffenen Unternehmen Diekmann mit der Krisenkommunikation um das fiktive Bundesamt beauftragt, wäre wohl kaum ein besserer Verlauf denkbar gewesen. Die Reaktionen auf seinen Tweet erfolgten schnell und waren deutlich. Das zeigt schon die Meldung der dpa vom Samstagmittag. Im Hinblick auf die angebliche Behörde heißt es darin, die Bundesregierung warne vor Betrügern.

In diesem Zusammenhang verweist eine Pressesprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums gegenüber der Nachrichtenagentur auch auf eine Meldung, die das Ministerium am 8. Juli veröffentlicht haben soll. Darin steht, es seien „betrügerische E-Mails über Corona-Soforthilfen im Umlauf“. Betroffene würden aufgefordert, Dokumente an gefälschte E-Mail-Adressen zu schicken.

Dabei handelt es sich um schwere Vorwürfe. Andere Medien, die sich auf die dpa-Meldung beriefen, witterten nun unter anderem eine „Abzocke“ mit dem fiktiven Bundesamt.

Missverständnis im Wirtschaftsministerium

Nur: Die Warnung vor den betrügerischen E-Mails über Corona-Soforthilfen hat nach Recherchen von netzpolitik.org nichts mit dem fiktiven Bundesamt zu tun. Der Zeitstempel auf der Website des Wirtschaftsministeriums ist falsch, tatsächlich stand die Warnung dort bereits Ende Juni – also schon zu einem Zeitpunkt, als man im Ministerium noch gar nichts von der angeblichen Behörde wusste.

Als wir die Pressesprecherin am Montag nach den Ungereimtheiten im zeitlichen Ablauf fragen, kündigt sie Nachforschungen an. Das Wirtschaftsministerium überarbeitet in der Folge die Warnung. In der aktuellen Textfassung vom Dienstag ist zwar immer noch die Rede von gefälschten E-Mails im Zusammenhang mit Corona-Hilfsmaßnahmen – aber nicht mehr von Betrug.

Verschwunden sind auch der Bezug zu den Corona-Sofortmaßnahmen sowie der Hinweis, Unternehmen seien zur Übermittlung von Unterlagen aufgefordert worden. Denn dies sei nach Kenntnis des Ministeriums im Zusammenhang mit dem fiktiven Bundesamt nicht geschehen, so die Pressesprecherin. Sie gibt an, die Vorwürfe seien nur durch ein internes Missverständnis mit diesem Fall in Verbindung gebracht worden.

Kein Schaden für RWE

Der Energiekonzern RWE teilt uns auf Anfrage mit, ihm sei durch das fiktive Bundesamt kein Schaden entstanden. Ein Sprecher bestätigt, dass Vertreter:innen der angeblichen Behörde Anfang Juli an den Vorstandsvorsitzenden Rolf Martin Schmitz herangetreten seien – unter dem Vorwand, im Rahmen einer Umfrage über die Folgen des Corona-Virus und Impulse für Unternehmen sprechen zu wollen.

Diese Darstellung deckt sich mit einem Text, den das fiktive Bundesamt netzpolitik.org vorgelegt hat, und den es an Unternehmen geschickt haben will. Darin schreibt eine Person, die sich Uli Hahn nennt: „Wir würden gerne mit Ihnen ein kurzes Vorgespräch führen, damit Ihre Einschätzung zur Zukunft der Energiebranche und die mögliche Notwendigkeit der Umstrukturierungsmaßnahmen schon im Vorfeld einfließen“ können. Eine passende Legende hatte das fiktive Bundesamt auch auf seiner Website platziert, wo es Befragungen durch angebliche Mitarbeiter:innen ankündigte.

„Hinter der professionell aufgezogenen Aktion schien ein gewisses Maß an krimineller Energie zu stecken“, teilt der RWE-Sprecher uns mit. Der Energiekonzern habe sich deshalb beim Wirtschaftsministerium erkundigt und schließlich die anderen DAX30-Unternehmen gewarnt. Schmitz selbst sei während des Telefonats mit einer Vertreterin des fiktiven Bundesamts misstrauisch geworden. Den Ausschlag dafür hätten die Fragen gegeben, die sie gestellt habe.

Eine staatliche Beteiligung an RWE?

Laut einem Bericht der WELT AM SONNTAG erkundigte sich die Gesprächspartnerin bei Schmitz unter anderem, ob es nicht sinnvoll sei, auf eine schrumpfende Wirtschaft zu setzen. Gefragt haben soll sie auch: Müsste es nicht mehr staatliche Steuerung oder eine staatliche Beteiligung an RWE geben? Die Zeitung schreibt, die Fragen hätten geklungen wie Suggestionen einer Umweltaktivistin. Wie der RWE-Chef darauf antwortete, ist unbekannt.

Nachdem Schmitz herausgefunden hatte, dass kein „Bundesamt für Krisenschutz und Wirtschaftshilfe“ existiert, habe er die Frau damit konfrontiert. Dem Artikel zufolge sagte sie darauf: „Wissen Sie, wir müssen in neun Jahren aus der Kohle raus sein, und dafür sind solche Methoden für uns notwendig.“

Gegenüber netzpolitik.org bestreitet das fiktive Bundesamt, dass die Betreiber:innen der Website Aktivist:innen seien. In offensichtlich albern formulierten Antworten auf unsere Anfrage hält es an der Darstellung fest, man sei wirklich das „Bundesamt für Krisenschutz und Wirtschaftshilfe“.

Ethisch-moralische Verantwortung von Unternehmen

Zugleich schreiben die Betreiber:innen aber: Bei der angeblichen Behörde handele es sich um ein Projekt, bei dem es darum gehe, „strukturelle Umbauten der Unternehmen und ethisch-moralische Verantwortung der Unternehmen auch in der Öffentlichkeit zu vertiefen“.

Das fiktive Bundesamt beteuert gegenüber netzpolitik.org, es habe den Betroffenen am Sonntag eigentlich eine aufklärende E-Mail schicken wollen. In einem angeblichen Textentwurf lädt es die Unternehmen zu einer Podiumsdiskussion ein. Die Verfasser:innen schreiben: „In diesen Zeiten, in denen jedwede Normalität in Frage gestellt wird, ist es wichtig, die neue Normalität gemeinsam zu gestalten.“

Selbst wenn diese Form der Auflösung wirklich geplant war: Abgeschickt hat das „Bundesamt für Krisenschutz und Wirtschaftshilfe“ sie nicht. Denn schon am Samstag wurden seine Website und damit wohl auch der E-Mail-Server abgestellt, kurze Zeit nach Diekmanns Tweet.


Update: Die dpa hat ihre Meldung am 17. Juli korrigiert, nachdem das Wirtschaftsministerium klargestellt habe, dass beim „BAWKH“ anders als zunächst angegeben kein Zusammenhang mit den betrügerischen E-Mails über Corona-Soforthilfe bestehe.

6 Ergänzungen

  1. Wenn das ein Kunst- oder Aktivistenprojekt war, dann leider ein nicht sehr gelungenes.
    Projekte dieser Art können ihren Platz haben, müssen aber auch als Kunst- oder Aktivistenprojekt erkennbar sein bzw. sich nach Auffliegen bekennen. Andernfalls liegt es näher, dass jemand strategisches Wissen sammeln wollte, um z.B. an der Börse zu spekulieren.

    1. Kunstprojekte ab jetzt „registrierungspflichtig“.
      Nicht dein ernst, oder bist du von der CDU?!

    2. Ich tippe eher darauf, dass die Kunstaktion und ihre erzielten Resultate zu einem späteren Zeitpunkt noch ausreichend Öffentlichkeit bekommen werden ;-)

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