Die Corona-Warn-App ist da und soll in den kommenden Monaten ihren Beitrag zur Eindämmung der Pandemie leisten. Doch Zivilgesellschaft, Forscher:innen, Linke und Grüne warnen vor Nebenwirkungen: Geschäftsleute und Arbeitgeber:innen könnten Menschen unter Druck setzen, die eigentlich freiwillige App zu installieren und Daten über ihren Risikostatus preiszugeben. Die Grüne Bundestagsfraktion hat nun einen Gesetzesvorschlag [PDF] beschlossen, der das verhindern soll.
Denn auch wenn die Nutzung der Corona-Warn-App freiwillig sein soll, könnte in bestimmten Situationen ein faktischer Zwang entstehen, sie zu nutzen oder anderen nachzuweisen, dass man der Anwendung zufolge keinen Kontakt mit Covid-19-Infizierten hatte. Konservative Politiker aus der zweiten Reihe hatten in den vergangenen Wochen immer wieder für Verunsicherung gesorgt, weil sie forderten, dass die App als eine Art Unbedenklichkeitsnachweis für den Zutritt zu Veranstaltungen, Geschäften, öffentlichen Einrichtungen oder für die Wiederaufnahme der Berufstätigkeit genutzt werden soll.
Konkret wollen die Grünen deshalb gesetzlich regeln, dass weder Arbeitnehmer:innen noch Kund:innen oder Versicherungsnehmer:innen benachteiligt werden dürfen, wenn sie die App nicht verwenden. Zu diesem Zweck schlägt die Partei einen neuen Artikel für das Bürgerliche Gesetzbuch vor.
Betroffene sollen demnach einen Anspruch auf Unterlassung und auf Schadensersatz bekommen, wenn sie in Zusammenhang mit der App diskriminiert wurden. Andere zur Nutzung der Corona-Warn-App zu drängen, soll zudem als Ordnungswidrigkeit eingestuft werden. Das könnte dann auch mit Bußgeldern sanktioniert werden.
Absage an Begehrlichkeiten von Sicherheitsbehörden
Zur Begründung heißt es in dem Beschluss der Fraktion:
Freiwilligkeit verlangt nicht nur Freiheit von staatlichem Zwang, sondern auch Freiheit von faktischem Zwang zur Nutzung und Offenbarung von Daten aus der App-Nutzung. Die Freiwilligkeit würde unterlaufen, wenn etwa sozialer oder wirtschaftlicher Druck, aber auch Arbeitgeber eine Nutzung erzwingen könnten. Deshalb sollte die Freiwilligkeit der Nutzung und Offenbarung von Daten aus der Nutzung der App bestmöglich abgesichert werden durch begleitende Regelungen zum Schutze für Verbraucherinnen und Verbraucher und Beschäftigte.
In einem Pressegespräch am Dienstag machten der stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Konstantin von Notz, und die rechtspolitische Sprecherin, Katja Keul, deutlich, dass sie die Initiative nicht als „Misstrauensvotum gegen die Corona-Warn-App“ verstanden wissen wollen. Vielmehr gehe es darum, Diskriminierung zu verhindern und dadurch die Akzeptanz der Anwendung zu erhöhen.
Der Gesetzentwurf sieht deshalb auch vor, dass Menschen, die via Warn-App von einer Infektion in ihrem Umfeld benachrichtigt werden, einen Anspruch auf Freistellung und Lohnfortzahlung vom Arbeitgeber erhalten. Bislang ist nicht klar geregelt, ob Menschen der Arbeit bezahlt fern bleiben dürfen, weil sie durch die App gewarnt wurden. In den FAQ der Bundesregierung zur App steht dazu: „Die alleinige Warnung durch die App ist hierfür nicht ausreichend, sondern dient als Hinweis, um Kontakt zum Gesundheitswesen aufzunehmen.“ Erst wenn jemand positiv auf das Virus getestet wurde oder das Gesundheitsamt eine Quarantäne anordne, zahle der Arbeitgeber weiter. Die Grünen wollen, dass die Lohnfortzahlung für den Zeitraum von der Benachrichtigung bis zum Erhalt eines Test-Ergebnisses gilt. Sollte dies länger als drei Tage dauern, würde der Staat einspringen. Auch Solo-Selbstbeständige sollen einen Verdienstausfall erhalten.
Um sicherzustellen, dass die Daten aus der App ausschließlich für den vorgesehenen Zweck verwendet werden, enthält der Gesetzvorschlag zudem ein Beschlagnahme- und Verwertungsgebot. Die Grünen wollen damit möglichen „Begehrlichkeiten“ auf Seiten der Sicherheitsbehörden eine Absage erteilen, hieß es in dem Pressegespräch. Bürger:innen müssten sich darauf verlassen können, dass die Daten nicht zu ihrem Nachteil eingesetzt werden.
Justizministerin sieht keine Gefahr für faktischen App-Zwang
Der Gesetzesvorschlag wurde von der Fraktion der Grünen am Dienstag beschlossen und soll in Kürze in den Bundestag eingebracht werden. Wie Keul erklärte, baut der Entwurf auf entsprechenden Vorarbeiten der Grünen Landesjustizminister:innen von Berlin, Hamburg, Sachsen und Thüringen auf. Auch die Linkspartei hatte sich im Bundestag für ein solches Gesetz ausgesprochen.
Vorangegangen war eine längere Debatte, bei der auch aus der Zivilgesellschaft heraus Gesetzesvorschläge formuliert wurden. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber erklärte in einem Brief an Gesundheitsminister Jens Spahn, dass ein Begleitgesetz aus datenschutzrechtlicher Perspektive nicht zwingend notwendig, aber wünschenswert wäre.
Derzeit sieht es jedoch nicht danach aus, als würde die Große Koalition den Vorschlag der Oppositionspartei aufgreifen. Erst am Dienstag hatte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht bei der Pressekonferenz zum Start der Corona-Warn-App betont, sie sehe keine Gefahr, dass Bürger:innen zur Nutzung der App gedrängt werden könnten. Die eingangs genannten Szenarien beschrieb sie als rein hypothetisch. Kritiker:innen sollten „die Lebenswirklichkeit beachten“, in der etwa Gastronom:innen gar keinen Grund und auch keine rechtliche Grundlage dafür hätten, einen Nachweis der App zu verlangen. Arbeitgeber:innen dürften Anwendungen höchstens auf Diensttelefonen von Mitarbeiter:innen installieren und auch hier sei Freiwilligkeit geboten.
Dem widersprach Katja Keul von den Grünen. Sie sehe nicht, wie die Bundesregierung die versprochene Freiwilligkeit in der Praxis durchsetzen wolle. Parteikollege Konstantin von Notz ergänzte, dass der Verzicht auf ein Begleitgesetz zu massiven Rechtsunsicherheiten führe. Im Übrigen sei es „allein aus demokratietheoretischer Sicht“ geboten, dass der Bundestag einbezogen wird, wenn die Regierung für 20 Millionen Euro im grundrechtssensiblen Gesundheitsbereich eine neue Infrastruktur in Form einer App schaffe.
Natürlich ist die Groko nicht an einem Begleitgesetz interessiert – der faktische Zwang zur App ist wohl eher gewünscht,um das eigene Versprechen der Freiwilligkeit zu wahren. So wird der Zwang halt durch die Hintertür eingeführt – die Ausübung des Hausrechtes hat die Regierung ja nicht zu verantworten.
„Konkret wollen die Grünen deshalb gesetzlich regeln, dass weder Arbeitnehmer:innen noch Kund:innen oder Versicherungsnehmer:innen benachteiligt werden dürfen, wenn sie die App nicht verwenden. Zu diesem Zweck schlägt die Partei einen neuen Artikel für das Bürgerliche Gesetzbuch vor.“
Warum werden hier 3(oder 6) Gruppen genannt und nicht einfach „alle“.
Oder sind Arbeitsloseselbstversorger ohne Versicherung nicht mitgemeint.
Nicht das ich nicht bemerken würde das „faktische“ jede/r Mensch gemeint sein soll dennoch wundere ich mich etwas über diese Formulierung.
PS: Selbst wenn die Installation der APP erzwungen werden sollte kann es immer noch sein das sie nicht funktioniert weil die entsprechenden APIs usw. nicht unterstützt werden.(z.B. bei Android <6.0, custom Roms oder gar ubuntu Touch Geräten usw.) Oder defektes oder "defektes" Bluetooth usw. usw. usw.
Ein Knackpunkt, der auf der Regierungs PK meiner unfachlichen Einschätzung nach offengelassen wurde ist, ob Arbeitgeber die App auf Diensthandies installieren und reglementieren dürfen.
Hier hieß es „Abwägung zwischen Infektionsschutzmaßnahmen seitens des Arbeitgebers und der Freiwilligkeit“. Hier war wohl nicht das Nebelversprechen seitens der Regierung gemeint, sondern die nicht vorhandene Freiwilligkeit im Falle verwalteter Dienstgeräte !?
Einen Campingplatz gibt es schon. Fliegt gerade durch die Presse.
Auch der Sachverständigenrat für externe Links berichtete: https://netzpolitik.org/2020/was-vom-tage-uebrig-blieb-corona-camping-corona-wissenschaft-und-corona-gaestelisten/
Anmerkung zum Gesetzentwurf: Das Recht auf Lohnfortzahlung ist wiederum ein Anreiz und Vorteil für die, die die App nutzen und könnte damit einen neuen faktischen Zwang zur Nutzung schaffen.
Handwerkliche Anmerkung zur Meldung: Zu den Vorschlägen der CDU-Politiker aus der zweiten Reihe fehlen Belege, also Links. Waren es überhaupt mehr als Axel Voss? Links fehlen auch zu den Forderungen der Forschung und der Zivilgesellschaft.
Ja, es waren mehrere Uniojspolitiker. Ich habe als Quelle mal einen Vorstoß des digitalpolitischen Sprechers der CSU-Bundestagsfraktion verlinkt.
Und liefe ein faktischer Zwang nicht auch darauf hinaus, faktisch zum Besitz und dem ständigen Tragen eines Handys gezwungen zu werden?
Wird aus dem Artikel etwa nicht deutlich, dass sich der faktische Zwang auf konkrete Situationen und Kontexte bezieht?
Schon allein die Tatsache, dass die App ausschließlich in den walled gardens von Google und Apple erhältlich ist, bedeutet, dass schon das Versprechen der Anonymität nicht eingehalten wird. Weiter gedachte wäre ein App-Zwang dann auch eine Subvention der beiden Datenhamster mit Bürgerdaten, denn man muss sich ja anmelden, um herunterladen zu können. Da wiegt das Versprechen der Freiwilligkeit um so schwerer. Wenn mein Arbeitgeber mir ein Diensthandy mit Account auf die Firmenadresse zukommen lässt – meiner wegen. Das ist dann auch nur zu Dienstzeiten angeschaltet. Alles weitere läuft sonst unter „Bereitschaftsdienst“ und sollte entsprechend vergütet werden.
„Gastronom:innen gar keinen Grund und auch keine rechtliche Grundlage dafür hätten, einen Nachweis der App zu verlangen. “
Das nicht, aber sie haben Hausrecht und können draußen halten, wen sie wollen.
“ Konservative Politiker…hatten…für Verunsicherung gesorgt, weil sie forderten, dass die App als eine Art Unbedenklichkeitsnachweis für den Zutritt zu Veranstaltungen, Geschäften, öffentlichen Einrichtungen oder für die Wiederaufnahme der Berufstätigkeit genutzt werden soll.“
Wär mal interessant zu wissen, ob diese Politiker Verbindungen haben, die rein zufällig in die Mobilfunk-Wirtschaft führen.
Der Nutzen der Corona-App bleibt durch die geringe Anzahl der Installationen gering, auch für die, die die App installiert haben. Solange eine ‚grüne‘ App nicht Voraussetzung für den Aufenthalt in Restaurants, Kinos, Theatern ist, werde ich diese meiden, wie viele andere auch. Alle Menschen, die in diesen Bereichen ihr Geld verdienen müssen, haben ein Interesse, dass diese Bereiche wieder stärker genutzt werden können.
Das Argument der Diskriminierung durch die App taugt nicht. In Gütersloh dient der Testausweis zur Ermöglichung des Urlaubs. Da diskriminiert also der Testausweis. Diskriminierung verbieten bedeutet, Gütersloher dürfen nicht in Urlaub fahren. Das aber diskriminiert die Gütersloher. Nur wenn keiner mehr in Urlaub fahren darf, wird nicht diskriminiert.
Wenn Personen kein Handy für die App haben, könnten die Gesundheitsämter die zur Verfügung stellen. Wenn die Tests 100 € bis 150 € kosten, wäre das zur Verfügung gestellte Handy ja wahrscheinlich billiger und wiederholtes Testen würde reduziert. Die Corona App bräuchte wahrscheinlich nicht einmal eine SIM-Karte. Die Daten könnten auch ohne SIM-Karte abgeholt werden und die Warnungen die Handys auch ohne SIM-Karte erreichen.
Welche Einschränkungen habe ich, wenn meine App mich fälschlicher Weise als Risiko einstuft? Ich darf nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, an dem ich auch jetzt nicht teilnehmen kann, weil es nicht stattfindet. Oder an dem ich nicht teilnehme, weil mir das Risiko zu groß ist. Andererseits führt die Einstufung des Kontaktes zu einer Risikoperson zur Testung, so dass ich nach 2-3 Tagen wieder Gewissheit habe.
Welche Gefährdung entsteht durch Personen, die Corona-infiziert sind und eine ‚grüne‘ App nutzen, um Zugang zu einer Veranstaltung zu erlangen? Sie infizieren unter Umstände viele Personen. Die würden sie allerdings auch ohne App infizieren, wenn die Veranstaltung stattfände. Sie würden mit App aber über die, die sie infiziert haben, schnell entdeckt und könnten behandelt werden. Die Infizierten würden ebenfalls schnell entdeckt und behandelt werden können.
Aus meiner Sicht gibt es nur zwei Wege: Mit App wieder zu einem halbwegs normalen Leben zurückkehren oder ohne App so wie die vergangenen Monate kontaktarm zu leben.
Das geht für mich wie in den letzten Monaten. Alle Bereiche, die mit vielen Personen in Räumen arbeiten, werden das kaum 12 weitere Monate durchhalten. Mit der Ablehnung der App als Zugangskontrolle für Veranstaltungen nehmen wir denen die Einkunftsquellen, die von den Veranstaltungen leben.