Das Regime im RegalEinmal den Xi Jinping, bitte!

In drei deutschen Thalia-Buchläden gibt es eine China-Ecke, in der von einem regimetreuen chinesischen Verlag ausgesuchte Bücher verkauft werden. Das sorgt für irritierte Reaktionen.

In diesen Regalen findet sich allerlei Literatur über China. Unten links: Xi Jinpings „China regieren“ – Charlotte Pekel

Mehrere deutsche Filialen der Buchhandelskette Thalia bieten derzeit ein ungewöhnlich breites Sortiment an chinesischer Literatur an. Ungewöhnlich ist auch, dass es von einem regierungstreuen chinesischen Verlag zusammengestellt wurde. Unter anderen in der Filiale am Berliner Alexanderplatz stoßen Kund:innen im 3. Obergeschoss auf eine Ecke mit drei Regalen, die mit Chinesische Autoren, Thalia.de Tipp und China Shelf betitelt sind, wie eine Besichtigung von netzpolitik.org zeigte.

Eine Facebook-Nutzerin, die nach eigenen Angaben „Sinologin und Liebhaberin chinesischer Kultur und Literatur“ ist, entdeckte die Regale vergangene Woche. Seitdem kursierten ihr Facebook-Post und Fotos von den Regalen im Netz. Die Nutzerin schreibt, sie habe eine Thalia-Mitarbeiterin auf die Regale angesprochen. Diese habe ihr erklärt, dass der Inhalt nicht von Thalia gestaltet sei, die Regale von außen angemietet seien und „man auch nichts Chinakritisches“ darin auslegen dürfe.

Die Kundin berichtete, dass dort auch beide Bände des Buchs „China regieren“ von Chinas autokratischem Präsidenten Xi Jinpings verkauft werden.

https://twitter.com/Buchkolumne/status/1306280319302152193?s=20

Werbung für Chinas Wirtschaft und Kultur

Und tatsächlich, bei Thalia verkauft nun der chinesische Staat mit. Die Buchkette teste „vor allem als Service für die wachsende chinesische – bzw. China-interessierte – Community in Deutschland“ ein chinesisches Buchsortiment, antwortet Thalia auf unsere Anfrage.

Der Buchkonzern kooperiert dabei mit China Book Trading, der Auslandstochter eines regimetreuen Verlagshauses aus Peking. „Der Test findet ausschließlich in drei Buchhandlungen statt und ist zeitlich begrenzt“, schreibt die Pressestelle von Thalia. Es handle sich um ein „allgemeines Sortiment mit Kinderbüchern, Reiseliteratur, Lyrik und Belletristik sowie zwei Politiktiteln.“

Bei den „zwei Politiktiteln“ handelt es sich um Xi Jinpings Schriften, die in China als Pflichtlektüre für Funktionär:innen der kommunistischen Partei millionenfach verkauft werden.

Die Titel seien von China Book Trading vorgeschlagen und von Thalia „geprüft und freigegeben“ worden, sagt die Buchkette. Nach welchen Kriterien geprüft werde, möchte Thalia auf Nachfrage nicht verraten. Wir fragten zudem danach, warum extern angemietete Verkaufsflächen nicht deutlich gekennzeichnet werden, und wie lange die Testphase dauern wird. Thalia beantwortete unsere Fragen nicht.

Die Kommunistische Partei Chinas fährt seit Anfang der 2000er Jahre immer wieder teure Propaganda-Kampagnen. Unter anderem finanziert das chinesische Regime weltweit Nachrichtensender, Zeitungen und andere Medienangebote, um ein positives Bild Chinas im Ausland zu vermitteln.

Wissenschaftliche Literatur aus China
Chinesische Perspektive prominent platziert - Charlotte Pekel

Unter dem seit 2012 regierenden Präsidenten Xi verschärfte sich die Repression in China. Berichte über massive Menschenrechtsverletzungen gegen die uigurische Minderheit im Westen Chinas und das Vorgehen gegen die Demokratiebewegung in Hongkong stoßen auf Kritik des Westens. Für Besorgnis sorgt auch der Ausbau der digitalen Überwachung in China, inklusive dem geplanten Aufbau eines Social-Credit-Systems.

Auf die Meldung über die regimetreue Buchecke bei Thalia folgten prompt kritische Reaktionen. CDU-Altpolitiker Ruprecht Polenz twitterte: „Das darf nicht wahr sein.“ Er wäre nie auf die Idee gekommen, dass „eine autoritäre Regierung Regale bei Thalia bestückt“.

Verbindungen zur Kommunistischen Partei

Vermutlich ist die China-Ecke bei Thalia Teil einer Image-Kampagne des chinesischen Staates. Das Unternehmen China Book Trading, mit dem die Buchhandlung kooperiert, ist eine Tochtergesellschaft der China International Publishing Group. Die chinesische Verlagsgruppe wird überwacht und kontrolliert von der Kommunistischen Partei (KP). Auf ihrer Website macht sie unverhohlen ein Treffen des Unternehmens mit Parteifunktionären zum 99. Jubiläum der KP bekannt.

China Book Trading schreibt auf seiner Website: „Als Chinas größter Verlag in Europa bietet CBT, fußend auf der Muttergesellschaft CIPG, seinen europäischen Lesern verschiedene chinesische Bücher und Zeitschriften auf Chinesisch, Deutsch, Englisch und anderen Sprachen an.“ Der Firmensitz liegt in Rödermark nahe Frankfurt am Main.

Büchertisch mit China-kritischer Literatur
Kritischer Beistelltisch zum Propagandabüfett - Charlotte Pekel

In dem von China Book Trading zusammengestellten Regal finden sich neben Xi Jinpings Werken auch Bücher, die für Chinas Schnellzüge und die wachsende Technologie-Branche in dem Land werben. Unter dem Titel „Big Power’s Responsibility – China’s Perspective“ schreiben außerdem chinesische Wissenschaftler:innen, die als „Chinas Top-Gelehrte“ bezeichnet werden, über die internationale Verantwortung Chinas aus ihrer Perspektive.

Eine Verkäuferin der Berliner Filiale am Alexanderplatz sagte am Donnerstag zu netzpolitik.org, dass sich die Bücher kaum verkaufen. Vor den von China Book Trading angemieteten Regalen steht ein kleiner Aufsteller mit China-kritischen Sachbüchern. Von wem dieser gestaltet wurde und ob er schon seit dem Start der chinesischen Buchecke dort steht oder im Nachhinein aufgestellt wurde, dazu blieb Thalia auf Nachfrage eine Antwort schuldig.

5 Ergänzungen

  1. Finanzstark, nicht demokratische Organisationen kaufen sich irgendwo ein und verbreiten ihr Gedankengut? Das lebt der Westen doch vor, wenn mal wieder von Parteien, Thinktanks oder großen Zeitungen die Interessen der Wohlhabenden verbreitet werden.

    Zur Klarstellung: ich will das nicht relativieren oder herunterspielen, was die chinesische Regierung da tut. Es ist auch gut und legitim, dass darüber berichtet wird. Ich plädiere jedoch dafür, dies einzuordnen in ähnliche Vorhaben, die seit Jahrzehnten auch der Westen betreibt.

    1. Mit diesem Äpfel/Birnen-Vergleich relativierst du aber die Gefahr, die von der chinesischen Regierung ausgeht. Sie ist verantwortlich für den Bruch der chinesisch-britischen gemeinsame Erklärung zu Hongkong (Sino-British Joint Declaration) und der Zerschlagung der dortigen Demokratiebewegung mit Polizeigewalt. Sie ist verantwortlich für die Unterdrückung von ethnischen (Uiguren, Kasachen, Tibeter, Mongolen) und religiösen (Muslimen, Christen) Minderheiten im ganzen Land, ständige Kriegsdrohungen gegen Taiwan, Kidnapping und willkürliche Verhaftung von ausländischen und eigenen Staatsbürgern, etc. (siehe Gui Minhai).
      Gleichzeitig versucht die chinesische Regierung über ihnen unterstellte Organisationen den Rest der Welt zu beeinflussen und zu manipulieren, wie auch anhand des in diesem Artikel geschilderten Beispiels deutlich wird.

      Es gibt so viele andere passendere Stellen, wo man Missstände in westlichen Ländern kritisieren kann, als unter genau diesem Artikel.

  2. Muss mich über den Post von euch wundern. Ginge es danach, was müsste denn da alles aus dem Buchladen verschwinden und unter welchen Kriterien wird hier Berichterstattung durchgeführt?

    Aber das ist wohl eine persönliche Ansicht, die hier vertreten wird.

    Ginge es nach mir, würden dann alle Bücher in den Bereichen Finanzen, Kapitalismus, Neo-Liberalismus verschwinden. Bei mir würden dann wohl auch alle Bücher von Herren wie Sarrazin zum Opfer selektiver und individueller Zensur werden.
    Moment noch etwas vergessen. Deutsche Kolonialgeschichte oder Religionen…. und und und

    Woran wird hier gemessen? Am populär Medien-politischen Diskurs und das wohlgemerkt am westlichen?

  3. Nach diesem Artikel bei zdf.de hat Thalia zunächst den falschen Kooperationspartner genannt. Es ist demnach NICHT das Unternehmen aus Rödermark, sondern „CNPIEC – China National Publications Import & Export (Group) Corporation“ aus Peking.

  4. Zwar bezweifle ich sowohl, dass unser wachstumsfixierter Wertewesten – abseits von Sonntagsreden – überhaupt ernstlich einen Kulturkampf mit einem Regime, das über mehr als 1 Milliarde potentieller Konsumenten herrscht, auszutragen gedenkt, als auch, dass in den Jahren 2020 ff – somit in annis 0 ff der COVID-19 Zeitrechnung – ein solcher Kulturkampf, so er geführt würde, nicht um Google- und Amazon-Rankings und Tweets, sondern um Regalmeter in deutschen brick and mortar Buchläden toben würde, aber die ob jener Sortimentsplatzierung offenkundige allseitige Verwunderung bedarf mEn einer Erdung:

    1. BuchHANDLUNGEN sind qua definitionem genau das – HANDELSunternehmen. Nicht Institute für politische Schönheit, (zum Glück) nicht Wahrheitsministerien, sondern Handelsunternehmen. Die ihrerseits in einer komplexen Struktur von Vertriebs- und Beschaffungswegen, Beteiligungsverhältnissen, Verträgen mit Verlagen etc. operieren, und somit inmitten von Partikularinteressen jedweder Couleur.
    Zu glauben, dass die Barsortimente abseits jener KPCh-Fanmeilen bei Thalia jeweils nach fifty shades of political neutrality abgeschmeckt würden wäre nicht wenig weltfremd.

    2. Dass auch Bücher von Xi Jinping in deutschen Barsortimenten zu finden sind, ist für sich noch nicht aufregend.
    Ich kann mich an keinen Besuch in einer Buchhandlung erinnern, bei dem mich nicht irgendein Politiker- oder Prominentengesicht von irgendeinem selbst- oder fremdgeschriebenen Druckwerk oder betreffenden Werbeplakat anlächelte, und dies meist gleich nebst einem ordentlichen hohen Stapel des entsprechenden Kleinods.
    Ob es Thilo Sarrazins Erleuchtung war, ob es Ergüsse von Bilderbergern und Seeheimern waren, Elegien von oder zu Helmut Kohl, Ronald Reagan, Margret Thatcher, G.W. Bush, Barack (und Michelle) Obama oder auch nur eine mit persönlich-peinlichem Zuckerguss garnierte, vor neoliberal durchdrungener Kapitalismusgläubigkeit triefende Selbstfindungs- und Erfolgsstory irgendwelcher B-ProminentInnen – alles musste stapelweise rein ins Barsortiment.
    Aber – „Marx??? – Also… SOWAS müssten wir bestellen…“

    3. Seltsam mutet es hingegen in der Tat an, wenn rund um die gemieteten KPCh-Fanmeilen Wohlfühlzonen freigeräumt werden und Kritik an der KPCh und Xi ins barsortimentliche Anders- oder Nirgendwo verbannt wird.

    Nur – wieviele Bücher, die die Politik Xis und der aktuellen KPCh kritisch beleuchten, sind denn überhaupt in Deutschland verlegt worden?

    Stichprobe I:
    Im Fußnotenapparat von
    https://de.wikipedia.org/wiki/Xi_Jinping
    finde ich zwar viele Zeitungs- und Onlineartikel referenziert, aber nur ein deutschsprachiges Buch zum Thema, nämlich eine bei S. Fischer erschienene Übersetzung von Kerry Browns „The World According to Xi Jinping“.

    Wie kritisch und distanziert jenes Buch ist kann ich nicht beurteilen, mir fällt aber auf, dass es ein Buch ist, dessen deutschsprachige Herausgabe den – von deutschen Verlagen mEn sehr geschätzten – Vorteil hatte, dass man, eben weil es Übersetzung ist, den deutschen Titel schon mit einer Expertenmeinung – nämlich der eines BBC-Rezensenten – dekorieren konnte.

    Stichprobe II:
    Online bei thalia.de selbst find ich aktuell zu „Xi Jinping“ sonst schon in den „Besten Treffern“ Bücher, die bei BoD oder bei mir bis heute komplett unbekannten Verlagen erschienen sind, einzig einige Veröffentlichungen bei Piper würden vom Verlag her in das Spektrum meiner heimischen Buchsammlung fallen.

    Ob dieser Stichproben einmal ganz ketzerisch gefragt: Wieviele deutsche Sinologen und sonstige Chinakenner wollen sich wirklich praktisch selbst aus China aussperren, indem sie in potentiell steil gehenden Büchern Xi kritisieren?

    Und last not least – wieviele deutsche Verlage wollen es sich wirklich nachhaltig mit Xi verscherzen und ggf. Verleumdungs- und Beleidigungsklagen riskieren?

    Die jüngste Abschaffung des § 103 StGB alleine immunisiert nicht gegen Klagen auf sonstigen Anspruchsgrundlagen, insbesondere dann nicht, wenn der Kläger praktisch beliebig große Summen aufbieten könnte.

    Ferner muss ein deutscher Verlag – somit ein Verlag im China-affinen Exportweltmeisterland – nicht direkt von Buchabsatz in China abhängig sein, um in seinem wirtschaftlichen Handeln von chinesischem Einfluss betroffen zu werden.

    Sicherlich muten KPCh-Fanmeilen in Filialen einer großen deutschen Buchhandelskette monströs an, aber das ist mEn eher Symptom des Zustandes der Printbranche und marktkonformen Dichtens und Denkens anno 2020 denn der veritable, singuläre Skandal, als welcher die causa in Blog und Tweet dargestellt wurde.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.