Wochenrückblick KW 47Hefte raus, Digitalklausur!

Die Bundesregierung kommt mit einer Mobilfunk- und einer Datenstrategie um die Ecke, Facebook würde manche Gesetzespläne offenbar gerne um die Ecke bringen und Amazon möchte mit Ring-Überwachungstechnik am liebsten Einblicke bis in die letzten Ecken. Die Themen der Woche im Überblick.

Langsam, schwerfällig und nicht on track: Gemeinsamkeiten zwischen diesem Bild und den Digitalisierungsplänen der Bundesregierung sind rein zufällig! – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Sarthak Navjivan

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Im September haben wir auf unserer „Das ist Netzpolitik!“-Konferenz unseren 15. Geburtstag gefeiert. Schon in der letzten Woche haben wir Bilder und Videos der Konferenz online gestellt, jetzt ist unsere Gala der digitalen Zivilgesellschaft dazugekommen. Viele Initiativen und Organisationen aus unserem Umfeld haben dabei ein wundervolles Programm auf der Bühne präsentiert. Mit dabei waren zum Beispiel Jugendhackt, Wikimedia Deutschland und die Band Systemabsturz.

Digitalklausur der Bundesregierung

Die Bundesregierung hat zuletzt ein paar digital-fokussierte Termine absolviert, so auch in dieser Woche. Unter anderem hat die Regierung ihre neue Mobilfunkstrategie vorgelegt. Darin bekräftigte sie ihr schon vor langer Zeit ausgegebenes Ziel flächendeckender Mobilfunkversorgung. Unter anderem soll die 4G-Abdeckung bis 2020 von knapp 80 Prozent aller Haushalte auf 99 Prozent steigen. Das kann aber länger dauern, weil dafür tausende neue Funkmasten benötigt werden.

Auch eine neue Strategie will die Bundesregierung veröffentlichen, dieses Mal geht es um die Ausrichtung in der Datenpolitik. Dazu hat sie Eckpunkte einer Datenstrategie veröffentlicht, die aber kaum Perspektiven bieten. Die Regierung will auf mehr Datenzugänge und -nutzungen hinwirken und Digitalkompetenzen in der Bevölkerung verbessern. Leider fehlt den Eckpunkten eine Analyse des aktuellen Zustands und klar benannte Handlungsfelder. Überblick und Weitsicht werden wohl keine Stärken der Strategie, die im Frühjahr 2020 erscheinen soll.

Die Bundesregierung macht aber nicht alles allein: Weil sie sich bei wichtigen Zukunftsfragen zu Daten und Algorithmen nicht einigen konnte, hatte sie im letzten Jahr 16 Sachverständige zur Datenethikkommission einberufen. Ende Oktober hat die Kommission ihr Abschlussgutachten vorgelegt. In unserem Podcast haben Chris Köver und Ingo Dachwitz mit den beiden Vorsitzenden der Expert:innengruppe gesprochen: Mit der Rechtswissenschaftlerin Christiane Wendehorst und Ethikprofessorin Christiane Woopen.

Gute Nachrichten: Die Bundesdatenschutzbehörde wächst. Seit 2014 hat die Behörde ihr Personal fast verdreifacht. Jetzt kommt nochmal mehr als ein Viertel dazu, die Behörde stockt um 67 Stellen auf. Der Datenschutzbeauftragte Ulrich Kelber sagt, die zusätzlichen Stellen würden zur Aufsicht über die Sicherheitsbehörden, zur Behandlung neuer Aufgaben im Gesundheitswesen und zur internationalen Zusammenarbeit beitragen. Nicht zuletzt durch die DSGVO haben die Datenschutzbehörden mehr Arbeit bekommen. Deshalb appelliert der Bundesbeauftragte auch für eine bessere Ausstattung der Landesdatenschutzbehörden.

Die Berliner Datenschutzbehörde nimmt sich den Online-Mode-Händler Zalando vor. Angestellte des Unternehmens müssen sich über eine App gegenseitig bewerten. Die Bewertungen haben dann Einfluss auf das Gehalt und die Aufstiegschancen. Die Datenschutzbehörde ist aktiv geworden, nachdem eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung den Einsatz der Software für rechtlich fragwürdig befunden hat. Jetzt könnten Zalando empfindliche Strafen drohen.

Ab heute trifft sich die CDU zum Parteitag. Auch netzpolitische Fragen stehen in Leipzig auf dem Programm, denn die Partei möchte sich mit einer Digitalcharta langfristig positionieren. Die dort unterbreiteten Vorschläge sind größtenteils nicht neu, sondern bekannte Argumente der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Unter anderem geht es um ein geändertes Netzwerkdurchsetzungsgesetz, weitere Überwachungsbefugnisse für Ermittlungsbehörden und Gesetzesänderungen zur Strafe Verleumdung von Politiker:innen.

Hey, wir sind eigentlich total cool und kooperativ, kein Grund, Gesetze zu erlassen! So äußert sich Facebook – sinngemäß! – gegenüber der Bundesregierung. Bei Ermittlungen wegen Volksverhetzung und der Verbreitung von Nazi-Propaganda werde man künftig binnen weniger Tage die Daten von mutmaßlichen Täter:innen herausgeben. Mit dem Entgegenkommen möchte der Konzern den Druck auf den Gesetzgeber verringern und gesetzliche Verschärfungen hinauszögern.

Warum sich Gesetze verzögern (sollten)

Nach fast drei Jahren Beratung steht die finale Verhandlungsphase bei der ePrivacy-Verordnung kurz bevor. Mit der Verordnung sollen Vertraulichkeit und der Schutz der Privatsphäre bei Kommunikation im Internet abgesichert werden. Die Verordnung hat allerdings viele Feinde: Internetkonzerne, Medienunternehmen und Telekommunikationsfirmen lobbyieren gegen das Gesetz. Ein Kompromissvorschlag dürfte frühere Entwürfe noch einmal deutlich abschwächen.

Die ePrivacy-Verordnung würde auch Google und Facebook betreffen. Vor denen hat Amnesty International in dieser Woche ausdrücklich gewarnt. Der Bericht „Surveillance Giants“ kommt zu dem Schluss, dass die Geschäftsmodelle der Firmen radikal geändert werden müssen. Die Konzerne hätten ein privates Überwachungsregime eingeführt, welches sich unabhängiger Kontrolle weitgehend entziehe, so Amnesty International. Die NGO ruft Staaten außerdem dazu auf, die Internetkonzerne deutlich besser zu regulieren und Menschenrechtsverstöße zu unterbinden.

Auch viele Staaten basteln an immer größerer Überwachung. Die meisten EU-Staaten speichern etwa die Daten von Flugpassagieren bei innereuropäischen Flügen. Eine Ausweitung dieser Überwachung auf Bahnen, Busse und Schiffe ist vorgesehen, jetzt ist das allerdings vorerst verschoben worden. Mit der Verschiebung reagiert der Rat der EU auf deutliche Kritik von Datenschützer:innen. Vorgesehen ist nun, zuerst eine Folgenabschätzung über die Notwendigkeit einer Ausweitung der Verkehrsmittel-Überwachung einzuholen.

Mit dem Privacy Shield wird der Datenschutz beim Austausch von Daten zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten geregelt. Die informellen Vereinbarungen sind wieder in die Diskussion gekommen, seit die USA angekündigt haben, Hintertüren in Ende-zu-Ende-Verschlüsselung einbauen zu wollen. Auch ohne diesen Schritt der USA könnte die EU schon im Dezember dazu gezwungen sein, das Privacy Shield aufzugeben. Eine erwartete Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs könnte den Datenaustausch zwischen EU und USA untersagen.

Unter dem Namen „Ring“ verkauft Amazon Technologien zur Überwachung des eigenen Zuhauses. Die Produkte stehen seit längerem in der Kritik. Ein Antwortschreiben des Konzerns an den US-Senator Ed Markey liefert weitere Details. So gibt Amazon Videos an die Polizei heraus, die bis zu 45 Tage alt und zwölf Stunden lang sind. Dazu ist kein Gerichtsbeschluss notwendig. Senator Markey hat eine ganze Liste von Mängeln bei den Sicherheitsvorkehrungen von Ring zusammengestellt.

Gemeinnützig, öffentlich-rechtlich und influenciert

netzpolitik.org ist Teil des neu gegründeten Forums Gemeinnütziger Journalismus. Dieses Bündnis fordert, dass Deutschland endlich gemeinwohl-orientierten Journalismus fördert. Bisher müssen solche Medienprojekte andere, thematisch passende Zwecke wie Verbraucherschutz oder Bildung angeben, um den Status der Gemeinnützigkeit zu erreichen. Gemeinnütziger Journalismus könne die Medienvielfalt stärken, so die Sprecherin des Forums Stephanie Reuter. Zu den Gründungsorganisationen des Bündnisses gehören neben uns unter anderem Correctiv, Finanztip und die Rudolf Augstein Stiftung.

Eine Kurzmeldung aus dem ZDF-Fernsehrat macht Hoffnung: ARD und ZDF haben es in dieser Woche geschafft, ihre Inhalte zumindest oberflächlich zu verknüpfen. Bei der Suche werden nun Hinweise angezeigt, wenn der Suchbegriff in der jeweiligen Schwester-Mediathek zu finden ist. Eine Suche nach „Tatort“ in der ZDF-Mediathek zeigt von nun an also zumindest einen Link zum Angebot der ARD. Insgesamt habe man dafür über 200 Formate und Suchbegriffe ausgetauscht, so die beiden Sender in einer gemeinsamen Erklärung.

Ein anderes Problem der öffentlich-rechtlichen Mediatheken bleibt aber bestehen: die Depublizierung. In einem offenen Brief haben die Bildungsgewerkschaft GEW, der Bibliotheksverband und Wikimedia das ZDF nun aufgerufen, zumindest digitale Bildungsinhalte nicht mehr nach fünf Jahren zu depublizieren. Das ist seit Mitte des Jahres möglich, doch das ZDF plant bisher keine neuen Regeln zur Depublizierung. Die Organisationen bedauern dies und begründen, wie wichtig langfristig verfügbare Inhalte für Lehrer:innen, Wissenschaftler:innen und Bibliotheken sind.

In dieser Woche haben die Medienanstalten zu einer Konferenz über und mit Influencer:innen eingeladen. In der Branche spielen die Themen Konzernmarketing und politische Werbung gerade eine wichtige Rolle. Beim Marketing ist die Rechtslage zur Kennzeichnung von Werbung bisher uneindeutig, was zu widersprüchlichen Gerichtsurteilen geführt hat. Außerdem sorgt die Verschränkung von Influencer:innen und Politik für neue ethische und rechtliche Fragen. Die Bundesregierung plant ein Influencer:innen-Gesetz, doch das lässt noch auf sich warten.

Konzernternet

Google hatte bisher ein recht klares Narrativ: Manuelle Eingriffe in den Algorithmus wolle man nicht. Außerdem sei es schwierig, etwas zu ändern. Nur bei klaren Gerichtsurteilen, wie im Falle Bettina Wulffs, griff der Konzern manuell ein. Umfangreiche Recherchen des Wall Street Journal belegen nun: die Selbstdarstellung war falsch. Google hat in den vergangenen Jahren immer wieder bewusst Suchergebnisse bearbeitet. Mal auf Druck von Regierungen, mal auf Initiative von Anzeigenkunden. Mehr als 10.000 Clickworker:innen arbeiten daran, die Suchergebnisse für Google zu evaluieren.

In Russland ist Anfang November ein neues Gesetz in Kraft getreten, dass es der Regierung im Extremfall ermöglicht, das Land vom Internet abzukapseln. Dazu verpflichtet die Regierung Internet-Provider zur Deep Package Inspection und plant, ein alternatives Domain Name System aufzubauen. Wir haben mit Andrei Soldatov gesprochen. Er ist investigativer Journalist und Geheimdienstexperte aus Russland und zweifelt an der offiziellen Darstellung der Regierung, dass die Pläne der Abwehr von Cyberattacken dienen. Es gehe eher um die Angst des Kremls vor einer inneren Krise, so der Journalist.

Wir wünschen Euch ein angenehmes Wochenende.

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1 Ergänzungen

  1. „Die Regierung will […] Digitalkompetenzen in der Bevölkerung verbessern.“
    Daran glaube ich noch weniger als an > 40 Petabit/s in D (40 Mio Haushalte in D x 1 Gigabit/(s x Haushalt)) oder ruckelfreies Streaming am BER .

    Oder mir fehlt nicht der Glaube, sondern die rechte Wortbedeutung.

    Was impliziert „Digitalkompetenz“ denn – erstmal informationswissenschaftlichem RTFM zufolge – so alles?

    Unter anderem eben Datensparsamkeit und Entkopplung von intransparent organisierten digitalen Trustees, somit also u.a. die Nutzung von

    – PGP und anderer, weitestgehend self-contained und dezentral organisierter, Krypto,
    – TOR et al.,
    – Adblockern,
    – OpenSource wie Linux statt proprietärer Backdoor- und Datenabflußaggregate von MS resp einigen Routerherstellern,

    also kurzum die Verwendung von alldem, was dem eifrigen BND/NSA/CIA/XXX – Schnüffelinski den Tag vermiesen kann.

    Ausgerechnet eine Regierung, die den für sie glücklichen Umstand, dass sich ein zentraler Internetknoten unter ihrer Fuchtel befindet, schamlos durch ihre Dienste ausnutzen läßt:

    https://netzpolitik.org/2018/bnd-vor-dem-bundesverwaltungsgericht-massenueberwachung-am-de-cix-rechtswidrig/

    will nun die „Digitalkompetenz“ in der Breite fördern – ja abba sischer, dat …

    „Digitalkompetenz“ ist hier also wohl eher im Doro-Bär’schen Sinne zu verstehen – also ganz viel twittern und followen und liken…
    Und für Politiker das Add-on: Öfters mal so laut „Gamen“, dass jene Circenses Wahlmichel auch ja nicht entgehen.

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