Die Berliner Datenschutzbehörde prüft den Einsatz von Software zur Bewertung von Beschäftigten durch Zalando. Der Onlinehändler setzt das Personalsystem Zonar ein, mit dem Angestellte der Firma einander gegenseitig beurteilen müssen.
Das System soll die Produktivität am Arbeitsplatz steigern, erzeugt aus Sicht von Forschern aber Überwachung, Leistungsdruck und Stress. Eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, die diese Woche veröffentlicht wurde, hält den Einsatz von Zonar darum für rechtlich fragwürdig.
Die Berliner Datenschutzbehörde teilt offenbar die Bedenken. „Zalando hat uns vor zwei Tagen [am Tag des Bekanntwerdens der Studie, Anm.] über den Einsatz der Software informiert und wir haben daraufhin eine Prüfung eingeleitet“, schrieb Behördensprecherin Dalia Kues auf Anfrage von netzpolitik.org.
Zonar beeinflusst Gehalt und Aufstieg
Zalando setzt Zonar nach Angaben der Studie seit März 2017 bei Büroangestellten an seinem Berliner Sitz ein, an dem rund 2.000 Beschäftigte arbeiten. Die Software dient der Leistungskontrolle und soll sogenanntes 360-Grad-Feedback ermöglichen. Eine Methode, nach der sich Beschäftigte in regelmäßigen Abständen gegenseitig beurteilen.
Bei Zalando haben die durch Zonar verteilten Zensuren Einfluss auf Gehalt und Aufstieg im Unternehmen. Die Vorgaben zur gegenseitigen Bewertung führten zu sozialem Druck und Misstrauen unter den Beschäftigten, heißt es in der Studie der Böckler-Stiftung.
Politiker aus SPD, Grünen und Linken verurteilen das System Zalandos. „Derartige Methoden der Überwachung und gegenseitigen Kontrolle gehören verboten“, sagte etwa Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch der SZ. Auch von Gewerkschaftsseite setzt es Kritik an Zonar.
Das Unternehmen selbst betont, Zonar sei im Sinne der Angestellten. Statt wie früher allein Führungspersonen entscheiden zu lassen, fließe nun auch Feedback von Kolleg:innen bei Gehältern und Beförderungen ein. „Dieses System ist fairer als vorher“, sagte Personalchefin Astrid Arndt der Süddeutschen Zeitung, die zuerst über die Studie berichtete.
Mängel bei Mitbestimmung und Datenschutz
Die Studie der Böckler-Stiftung zählt mehrere rechtliche Kritikpunkte am Einsatz von Zonar auf. Etwa fehle es bei Zalando an betrieblichen Mitbestimmungsmöglichkeiten zur Kontrolle des Systems, schreiben die Studienautoren Philipp Staab und Sascha-Christopher Geschke von der Humboldt-Universität in Berlin.
Die Studie nennt mögliche Datenschutz-Mängel bei Zonar. Nach Angaben der Studienautoren unterließ es Zalando, seine Beschäftigten ab Wirkungszeit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) mit Mai 2018 über die Verarbeitung ihrer Daten durch die Software zu informieren.
Als mangelhaft bewertet die Studie auch die Transparenz bei der Datenverarbeitung: „Nach welcher Logik und mit welcher Gewichtung werden etwa die erhobenen Daten algorithmisch in Scoringwerte überführt?“, fragen die Autoren.
Nicht ausreichend geklärt sei außerdem, auf welcher rechtlichen Grundlage Zalando die Daten seiner Mitarbeiter verarbeite. Eine Erlaubnis könne „in Form der individuellen Zustimmung oder der kollektivrechtlichen Regelung erfolgen – beide Punkte treffen im Fall Zonar unserer Kenntnis nach nicht zu.“
Zalando widersprach auf Anfrage von netzpolitik.org dieser Darstellung. „Zonar entspricht den gesetzlichen Anforderungen gemäß der DSGVO. Unsere Mitarbeiter wurden und werden in Form von ausführlicher Dokumentation fortlaufend zu Zonar und seiner Funktionsweise informiert“, schrieb eine Zalando-Sprecherin auf unsere Anfrage. (Hier Zalandos Stellungnahme zur Studie.)
Zalando steht nach eigenen Angeben im engen Austausch mit der Berliner Datenschutzbehörde und auch mit jener in Thüringen, wo der Handelskonzern ein Logistikzentrum betreibt.
Empfindliche Strafen möglich
Die Berliner Datenschutzbehörde konnte zunächst nicht mehr zu dem Fall sagen. Klar dürfte allerdings sein, dass das Vorgehen der Behörden ein Signal für andere Firmen sein wird, die solche Systeme einsetzen wollen. Die Behörde kann bei Datenschutzverstößen hohe Geldbußen verteilen und Änderungen am System oder dessen Stop anordnen.
Ähnliche Software ist bisher vor allem in den USA im Einsatz. Amazon verwendet etwa das „Anytime Feedback Tool“, Google setzt auf „re:Work“.
Die Motivation für den Einsatz solcher Instrumente zur ständigen Bewertung sei klar, urteilen die Autoren der Böckler-Studie: Sie zielten auf umfassende Leistungskontrolle und das Drücken von Löhnen ab.
Einerseits verstehe ich Zalando. Die Leiter wollen, dass alle Arbeiter fleißig arbeiten aber ich möchte an Ihrer Stelle gar nicht hingeraten.. das ist eine reine Katastrophe ehrlich gesagt. Warum müsste ich bei solchem Unternehmen arbeiten, damit meine Rechte gebogen werden?!
Sie müssen schlicht am Ende der Nahrungskette stehen um ihre Rechte gewahrt zu wissen.
Siehe dazu Orwell’s „Televisor“ [1], den nur höhere Führungskräfte und Parteifunktionäre abschalten können.
[1]
Ein ubiquitäres audiovisuelles Überwachungsgerät im Roman 1984.
Heute würde man wohl Smartphone dazu sagen.
Opt-Out = Kündigung?
Oder wie entzieht man sich als MitarbeiterIn diesem Wahnsinn?
Das System kann gar nicht objektiv sein, denn die Motivation zur Beurteilung eines Kollegen ist höchst selten aus der Sache heraus motiviert, sondern kann durch persönliche Motive wie z. B. Neid, allgemeine Antipathie gegen jemand anderen o. ä. beeinflusst werden. Da wird dann schnell mal einer massiv abgewertet, weil er sogar besser ist als man selbst usw. Das trifft zwar z. Teil auc auf Chefs zu, aber da nur eine oder ganz wenige urteilen, sinkt die Wahrscheinlichkeit. Insofern ist das ein Rückschritt ohnegleichen, von den im Artikel angesprochenen Problemen ganz zu schweigen.
Wie objektiv ist die alleinige Beurteilung durch die Führungskraft?
ZONAR bricht mit der klassischen „top-down“ Beurteilung, in dem die Führungskraft einen viel weitreichenderen Eindruck der Arbeit eines Mitarbeiters bekommt & auch „bottom-up“ von Mitarbeitern in seiner Leistung beurteilt wird. Der tatsächliche Einfluss eines Mitarbeiters auf das Unternehmen wird dadurch erst wirklich sichtbar – & sorgt dafür, dass Leistung mehr wahrgenommen & honoriert wird.
Das System ist so stark, wie die Menschen, die es bedienen. Von anderen Kulturen kann sich Deutschland hier viel abschauen & lernen, empfänglicher für Feedback zu werden.
Die Bewertung der gesammelten Informationen und ihr Einsatz ist weiterhin top-down. Bei Zalando ist jetzt wohl nicht gerade die Basisdemokratie ausgebrochen.
Es existieren Kontrollmechanismen & unabhängige Gremien, die sich Performance-Entscheidungen anschauen. Die Führungskraft allein bestimmt nicht über die Karriere ihrer Mitarbeiter.
Zumal die Studie von über 5.000 Mitarbeitern, die ZONAR nutzen, ganze 10 befragt hat.
Und: Sie ist 2 Jahre alt – ZONAR ist in dieser Zeit mehrfach überarbeitet worden.
Nicht repräsentativ & veraltet.
„Nicht repräsentativ“ würde wohl für eine quantitative Studie stimmen, aber in dem Fall handelt es sich um eine qualitative Studie. Zu veraltet kann ich nur die Studienautoren selbst zitieren: „Unsere Befunde spiegeln somit nicht nur erste Erfahrungen mit der Software wider, sondern ermöglichen umfangreiche Rückschlüsse aus drei Jahren der Anwendung und drei Versionen.“
Das Unternehmen wollte im Übrigen keine Demo-Version oder Screenshots der Software mit uns teilen.
Die Versionen, auf die sich dort bezogen wird, sind mittlerweile komplett veraltet.
Auch das Auswahlverfahren der Befragten wird nicht allzu transparent dargestellt.
Die Studie ist insgesamt stark gefärbt & strebt keinesfalls eine ausgeglichene Darstellung an.