Am 22. Juli 2016 erschoss David S. neun Menschen in einem Münchner Einkaufszentrum. Einen Monat später nahmen Polizisten den Mann fest, von dem der rechtsradikale Attentäter seine Tatwaffe gekauft hatte. Der Kauf lief über ein Forum im sogenannten „Darknet“ ab. Auf die Schliche kamen die Ermittler dem Waffenhändler durch weitere Kunden, gegen die anderweitig ermittelt wurde. Einer von ihnen stellte den Behörden seinen Account im Darknet-Forum zur Verfügung, wie die Berliner Zeitung schreibt. Mithilfe des getarnten Accounts fädelten die Ermittler ein Scheingeschäft mit dem Waffenhändler ein und verhafteten ihn schließlich bei der Übergabe.
Die Festnahme des Waffenhändlers Philipp K. ist einer der wenigen bekannten Fälle, in denen Behörden die Internet-Accounts eines Dritten übernahmen und fortführten. Häufiger kommt es vor, dass Ermittler eigene Accounts unter falschem Namen betreiben, sogenannte legendierte Accounts. Wie häufig nutzen Polizei und Geheimdienste diese Fake-Accounts? Das ist nur in Ansätzen bekannt. Für gewöhnlich halten sich die Behörden sehr bedeckt mit Informationen über die Ermittlungsmethode – selbst gegenüber Abgeordneten des Bundestages.
Linke: „Kommunikation kann manipuliert werden“
„So verhindern sie letztlich, dass diese Maßnahmen und ihre Arbeit überprüft werden“, kritisiert Martina Renner, Abgeordnete der Partei Die Linke im Bundestag. Die Innenpolitikerin sieht verschiedene Gefahren. „Einerseits umgehen die Behörden die Selbstbelastungsfreiheit und schädigen zugleich das Vertrauen der Nutzer:innen in die Privatsphäre ihrer Kommunikation“, kritisiert Renner gegenüber netzpolitik.org. Sie befürchtet, dass etwa verdeckt twitternde Polizist:innen im schlimmsten Fall noch weitere Nutzer zu Straftaten anstiften könnten. „Daten oder Kommunikationsverläufe können auch manipuliert oder fehlinterpretiert werden“, warnt Renner.
Daher hat die Abgeordnete bei der Bundesregierung nach Zahlen zur heimlichen Nutzung von Accounts in sozialen Netzwerken, Internetforen oder Messengern durch Polizei und Geheimdienste gefragt. Die Antworten (PDF) fallen dürftig aus.
Gegenüber der Öffentlichkeit möchte die Bundesregierung keine Angaben machen, wie häufig Polizeibehörden legendierte oder übernommene Accounts nutzen. Diese Informationen seien „aus Gründen des Staatswohls geheimhaltungsbedürftig“, begründet die Bundesregierung ihre Entscheidung. Gleiches Spiel bei den Geheimdiensten: Die Bundesregierung verweigert es, Zahlen über die Account-Nutzung zu nennen – in diesem Fall sogar gegenüber den Abgeordneten. Dadurch könnten „weitgehende Rückschlüsse auf die technischen und quantitativen Fähigkeiten“ der Geheimdienste gezogen werden, argumentiert die Bundesregierung.
Linken-Politikerin Renner fordert, dass dem Parlament auch zu den Geheimdiensten Informationen zur Kontrolle vorgelegt werden „Es gibt kein Recht, nicht kontrolliert zu werden“, betont sie. Ansonsten dränge sich der Eindruck auf, dass die Geheimdienste letztlich hinter dem vermeintlichen Staatswohl ihren Unwillen gegenüber rechtsstaatlicher Kontrolle und Gewaltenteilung verstecken.
Zunahme an verdeckter Account-Nutzung
Vor zwei Jahren gab die Bundesregierung immerhin noch öffentlich Auskunft über die Nutzung von getarnten Accounts bei den Polizeibehörden. Demnach führte lediglich die Bundespolizei eine Statistik über legendierte Accounts und nutzte von Januar bis November 2017 284 Accounts. Das Bundeskriminalamt (BKA) und der Zoll erhoben keine Zahlen. Accounts von Dritten übernahm die Bundespolizei 2017 in 21 Fällen, das BKA gar nicht und der Zoll führte auch darüber nicht Buch. „Es ist nicht akzeptabel, wenn die Behörden über den Einsatz und die Nutzung legendierter oder übernommener Accounts nicht einmal Buch führen“, kritisiert Renner.
Nach Informationen von netzpolitik.org nutzte die Bundespolizei im letzten Jahr mehr legendierte Accounts als noch 2017. Die Zahl der Accountübernahmen von Dritten sank hingegen deutlich. Wie schon im Jahr zuvor führten das BKA und der Zoll auch 2018 keine Statistik über die Ermittlungsmethode.
Extreme Fälle wie der des Waffenhändlers Philipp K. können solche Ermittlungsmethoden rechtfertigen. Trotzdem braucht es eine parlamentarische Kontrolle dessen, wann die Behörden welche Accounts weiterführen.
Ich dachte honey pots sind in Deutschland verboten? Bei Account-Übernahmeerklärung klar aber eigene Accounts erstellen und dann ggf. Fake Kauf wäre doch ein honey Pot?
Ein klassischer Honey Pot wäre doch eher das Verkaufen. Sich als potentieller Käufer unerlaubter Produkte ausgeben scheint mir jetzt sowohl in der realen Welt als auch online eine recht normale Ermittlungsstrategie.
„Fehlinformationen, Sexfallen, gezielte Rufschädigung: Die Methoden, mit denen der britische Geheimdienst die Kommunikation im Internet manipulieren will, sind nicht zimperlich.“
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/britischer-geheimdienst-gchq-plant-rufmord-im-netz-12819527.html