Dominik Piétron ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrbereich „Soziologie der Zukunft der Arbeit“ der Humboldt-Universität zu Berlin und ist aktiv im Netzwerk Plurale Ökonomik. Marita Wiggerthale arbeitet bei Oxfam Deutschland zu Marktkonzentration und Wettbewerbsrecht mit einem Schwerpunkt auf den Agrar- und Ernährungssektor. Die Autor:innen sind Teil der Initiative „Konzernmacht beschränken“, einem Zusammenschluss verschiedener Verbände und Nichtregierungsorganisationen wie Oxfam, Digitalcourage oder Chaos Computer Club.
Wie soll Politik auf die übermächtigen Digitalkonzerne Google, Amazon, Facebook, Apple, Microsoft (GAFAM) und Co. reagieren? Eines der schärferen Schwerter der deutschen Regulierungsbehörden ist das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), welches unsere marktwirtschaftliche Ordnung vor Monopolen und ökonomischer Machtkonzentration einzelner Unternehmen schützen soll. Bereits im Koalitionsvertrag hatte die Bundesregierung angekündigt, das Wettbewerbsrecht zu modernisieren. Nun liegt ein Referentenentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums für die 10. GWB-Novelle mit wichtigen Neuerungen vor, der sich aktuell in der Ressortabstimmung befindet. Aber stellen die vorgeschlagenen Maßnahmen einen ausreichenden Schutz gegen die Macht der Internetgiganten dar?
Auf den ersten Blick scheint das zentrale Problem digitaler Märkte verstanden worden zu sein: GAFAM und andere Online-Plattformen wie Flixbus, Lieferando oder Booking schalten sich als sogenannte Intermediäre zwischen Angebot und Nachfrage und bilden aufgrund von positiven Netzwerkeffekten eine überragende Marktmacht heraus. Dabei sind viele Plattformunternehmen Marktanbieter und Marktteilnehmer zugleich, das heißt sie steuern die grundlegenden Marktfunktionen wie Preisfindung, Matching und Marktzugangsregelung via Algorithmen und bieten gleichzeitig eigene Produkte und Dienstleistungen auf dem Marktplatz an.
Dadurch treten sie in direkter Konkurrenz zu Unternehmen, welche von der Plattform als Vertriebskanal abhängig sind. Dass in dieser Abhängigkeitsbeziehung zwischen Plattform und Drittanbieter:innen notwendigerweise Interessenskonflikte und strukturelle Missbrauchspotentiale entstehen, zeigt sich beispielsweise an Amazon, das die Eigenmarken Amazon Basics oder den Smart-Speaker Alexa bei den Sucheinträgen bevorzugt, oder an Google, das (bis auf Weiteres) rechtswidrig die eigenen Dienste auf seinem Smartphone-Betriebssystem Android vorinstallierte.
Gut gemeinte Reformvorschläge
Der neue GWB-Artikel §19a räumt dem Bundeskartellamt künftig das Recht ein, für digitale Plattformen mit „überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb“ eine Verfügung zu erlassen. In diesem Fall – und nur dann – könnte das Kartellamt eine Reihe neuer, zusätzlicher Missbrauchstatbestände ahnden: Sie kann den Firmen untersagen, eigene Dienste zu bevorzugen, andere Wettbewerber durch zu schnelle Marktexpansion zu behindern, Marktzutrittsschranken durch die Nutzung marktübergreifend gesammelter Daten zu errichten sowie die Interoperabilität und Portabilität von Daten zu erschweren. Das heißt im Umkehrschluss leider, dass diese wichtigen Missbrauchstatbestände nicht generell verboten sind. Wann die entsprechende Verfügung nach §19a erlassen werden muss, bleibt rechtlich unklar.
Eine zweite Änderung stellt das neu eingeführte Konzept der „Intermediationsmacht“ (§18 Abs. 3b) dar, das den Nachweis einer marktbeherrschenden Stellung von Plattformunternehmen vereinfachen soll. Bisher wurden die Ermittlungen des Kartellamts dadurch erschwert, dass die ökonomischen Verfahren zur Feststellung von Marktmacht – eine notwendige Voraussetzung für die Aufnahme eines Kartellverfahrens – bei zweiseitigen Online-Plattformmärkten meist nicht mehr griffen. Mit dem Intermediationsmacht-Konzept hat das Kartellamt nun eine breitere rechtliche Grundlage, um auch plattformspezifische Machtpositionen zu erfassen, die sich aus ihrer Vermittlungsleistung ergeben, das heißt aus der Regulierung des Zugangs zu Absatz- und Beschaffungsmärkten.
Drittens ist zu begrüßen, dass Kartellverfahren insgesamt beschleunigt werden sollen, um mit den kürzer werdenden Innovationszyklen der Digitalökonomie mitzuhalten. So kann das Kartellamt „einstweilige Maßnahmen“ (§32a Abs. 1) gegenüber Unternehmen anordnen, sobald ein Missbrauch von Marktmacht oder andere Zuwiderhandlungen „überwiegend wahrscheinlich“ erscheinen, beispielsweise wenn eine Plattform den Wechsel zu einer anderen Plattform erschwert. Dabei soll bereits die Gefährdung des Wettbewerbs durch Marktmachtmissbrauch auch ohne den Nachweis negativer Effekte ein schnelles Eingreifen begründen können (§20 Abs. 3a).
Das Ende des „freien“ Marktes
Trotz dieser vielversprechenden Reformen scheitert die GWB-Novelle am Versuch, die Wettbewerbsregeln fit fürs digitale Zeitalter zu machen. Denn der vermeintlich „freie“ Wettbewerb, den das GWB schützen soll, ist in weiten Teilen der Digitalökonomie gar nicht mehr vorhanden. Tatsächlich etabliert sich im digitalen Kapitalismus stattdessen eine komplexe Hierarchie privatisierter Marktstrukturen: Marktmächtige Digitalkonzerne, die über Online-Marktplätze, App-Stores oder Betriebssysteme verfügen, können externen Händler:innen, Web-Developern und Anbieter:innen von Komplementärdiensten ausbeuterische Bedingungen für den Marktzugang diktieren. Es liegt in ihrer Hand, den Zugang zu milliardenschweren Märkten zu gewähren oder zu verwehren, weil sie aufgrund ihrer Markt- beziehungsweise Intermediationsmacht eine „Torwächter“-Position innehaben.
Das Ergebnis dieser Konstellation ist eine enorme Wettbewerbsverzerrung zu Gunsten der großen Plattformkonzerne, die sich auf Grundlage der gesammelten Kundendaten die profitabelsten Produkte herauspicken, ihr eigenes Angebot auf diese Märkte ausdehnen und direkt über die eigenen Kanäle vermarkten können.
Wie können diese strukturellen Missbräuche durch Plattformen verhindert werden? Für benachteiligte Drittanbieter:innen auf der Plattform ist es praktisch kaum möglich, die unfairen Handelspraktiken aufzudecken und in einem Verfahren über mehrere Instanzen gegen Internetgiganten wie Amazon anzuklagen. Leider wurde auch das unter anderem von der Monopolkommission geforderte Antragsrecht von (Datenschutz-) und Verbraucherschutzorganisationen zur Aufnahme eines Kartellverfahrens bei offensichtlichen Rechtsverstößen nicht bei der neuen GWB-Novelle berücksichtigt. Bleibt also nur das Bundeskartellamt selbst, das auf Basis des neuen Artikels §19a zwar eigenständig in diesen Fällen aktiv werden könnte, jedoch mit 350 Mitarbeiter:innen bei Weitem nicht über eine ausreichende Personaldecke verfügt, um einen Marktplatz wie Amazon mit mehreren hundert Millionen Produkten permanent zu überwachen.
Die wirksamste Lösung wäre demnach eine strukturelle Auftrennung der Geschäftsbereiche in Plattformsparte und Eigenmarken, wie sie in den USA von Demokrat:innen wie Elizabeth Warren gefordert wird und in Indien seit Februar Gesetz ist. Der entsprechende Passus im indischen Ansatz (5.2.15.2.4. v)) bezieht sich in protektionistischer Manier zwar nur auf ausländische Unternehmen, ist jedoch inhaltlich schlicht und effektiv: „Ein Unternehmen, das eine Kapitalbeteiligung von E-Commerce-Marktplatzunternehmen oder seinen Konzerngesellschaften besitzt (…), darf sein Produkt nicht auf der Plattform verkaufen, die von diesem Marktplatzunternehmen betrieben wird“. Doch von wirksamen Ansätzen dieser Art fehlt im neuen Wettbewerbsrecht leider jede Spur.
Die Monopole bleiben unangetastet
Das Bundeswirtschaftsministerium verpasst in der 10. GWB-Novelle die Chance, eine rechtliche Grundlage für die Entflechtung beziehungsweise Aufspaltung von Großkonzernen wie Google, Amazon oder Facebook zu schaffen, von denen eine nachhaltige und substantielle Verzerrung des Wettbewerbs ausgeht. Dabei scheint die Zeit reif: Der Ruf nach einer härteren Gangart gegenüber Großkonzernen ertönt in den letzten Jahren immer lauter und quer durch das politische Spektrum.
Neben SPD, Linken und Grünen brachte zuletzt auch CSU-Politiker und ehemaliger EVP-Kommissionspräsidentschaftskandidat Manfred Weber eine Entflechtung der Internetgiganten ins Spiel; die FDP legte bereits 2010 einen entsprechenden Gesetzesentwurf vor. 2018 verabschiedete das EU-Parlament erneut einen Bericht, der die Aufspaltung von Google fordert. Und in den USA könnte sich „break up big tech“ zu einem der Hauptthemen im nahenden Präsidentschaftswahlkampf entwickeln. Auch die deutsche Monopolkommission und das Bundeskartellamt befürworten die Einführung eines missbrauchsunabhängigen Entflechtungsinstruments im Kartellrecht, um auf „dauerhaft vermachteten Märkten Wettbewerb in Gang zu setzen und aufrechtzuerhalten“. Und zu guter Letzt war es das Bundeswirtschaftsministerium selbst, das noch Mitte 2019 zusammen mit Frankreich und Polen die Einführung von Entflechtungsregeln auf europäischer Ebene gefordert hatte.
Warum also fehlt das Entflechtungsinstrument in der GWB-Novelle? Neben einer starken deutschen Industrielobby, die befürchtet, dass sie selbst ins Fadenkreuz einer effektiven Marktmachtbekämpfung geraten könnten, lässt sich die Zurückhaltung vor allem auf die akademische Orthodoxie innerhalb der Wirtschaftswissenschaften zurückführen. Das dort vorherrschende neoklassische Dogma, dass sich Märkte prinzipiell selbst regulieren und zum Gleichgewicht tendieren, erscheint angesichts der milliardenschweren Innovations- und Akquisebudgets der Tech-Konzerne geradezu aberwitzig. Dennoch hält sich die folgenreiche Doktrin vehement in den kleinen, ausgewählten Zirkeln deutscher Wettbewerbsökonom:innen und Kartellrechtler:innen. Einzelne Expertengruppen wie der Kronberger Kreis von der neoliberalen Stiftung Marktwirtschaft verfügen zudem über beste Kontakte ins Bundeswirtschaftsministerium – ihre Mitglieder haben das zentrale wissenschaftliche Gutachten für die 10. GWB-Novelle verfasst.
Zwei Strategien gegen die Zentralisierung von Daten und Kapital
Es bleibt also vorerst alles beim Alten. Das Kartellamt bekämpft nicht Monopole, sondern lediglich bestimmte Formen von Missbräuchen – auch wenn sich die infrastrukturelle Macht der großen Plattformkonzerne, den Markt zu ihren Gunsten zu gestalten, längst nicht mehr in einzelne Tatbestände und ökonomische Schadenstheorien pressen lässt. Die Internetgiganten bauen währenddessen täglich ihre Machtpositionen aus, spannen immer neue Kund:innen mit Lock-In-Strategien in ihren digitalen Ökosystemen fest und gehen weiter auf Einkaufstour. Sogenannte „Killer-Akquisitionen“ – Übernahmen von Start-Ups, die sich zu potentiellen Konkurrenten entwickeln könnten – werden nebenbei aus der Portokasse finanziert.
Gleichzeitig wächst aber auch eine weltweite Bewegung von Akteuren aus verschiedenen politischen Lagern, die der steigenden Konzentration von Kapital, Daten und Macht in der Hand weniger Großkonzerne ein Ende bereiten will. Sie sollte zwei Strategien gleichzeitig verfolgen:
Einerseits braucht es eine radikale Weiterentwicklung des Wettbewerbsrecht, eine personelle Aufstockung der Kartellbehörden für intensivere Marktbeobachtungen, eine Ausweitung der Ermittlungs- und Abstellbefugnisse des Kartellamts auf Daten-, Arbeits- und Verbraucherschutzrechte, neue Entflechtungsinstrumente, eine kluge Interoperabilitätsverpflichtung sowie schärfere, strukturelle Abhilfemaßnahmen bei Missbrauchsfällen und höhere Bußgelder zur glaubhaften Abschreckung.
Über das Wettbewerbsrecht hinausdenken
Andererseits könnte am Ende selbst die perfekte Wettbewerbskontrolle zu schwach sein, um die starken Zentralisierungstendenzen in der Datenökonomie auszugleichen – beispielsweise wenn zu den Netzwerk- und Skaleneffekten der Plattformenkonzerne noch die Feedback-Effekte von Machine-Learning-Algorithmen hinzukommen. Folglich braucht es dringend eine Debatte über die Frage, ob „natürliche Monopole“ überhaupt marktförmig organisiert werden sollten. Denn bei vielen Plattformen handelt es sich – ähnlich wie beim Energie- oder Wasseranschluss – um öffentliche Güter, die zur digitalen Grundversorgung im 21. Jahrhundert gehören. Gerade das essentielle Bedürfnis nach sozialen Kontakten, Marktzugangs- und Konsumoptionen lassen sich für breite Bevölkerungsschichten nur noch über bestimmte Online-Marktplätze, Suchmaschinen und soziale Medien verwirklichen.
Die Bundesregierung sollte dementsprechend einen uneingeschränkten Zugang zu den essentiellen Plattformmärkten sicherstellen, die Plattformmärkte regulieren und für den Aufbau einer gemeinnützigen, öffentlichen digitalen Infrastruktur sorgen. Zu den direkt umsetzbaren Handlungsmöglichkeiten der Politik zählen beispielsweise die Förderung eines europäischen Suchindex, mehr Unterstützung für Open-Source-Betriebssysteme und wirksame Datenportabilitäts- und Interoperabilitätsstandards sowie die Entwicklung von öffentlichen Plattformmärkten im Rahmen der zahlreichen Smart-City-Prozesse als Teil einer zukunftsorientierten, öffentlichen digitalen Daseinsversorge.
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