120,5 Millionen Euro gab das Familienministerium im Jahr 2018 für die Förderung von 600 Projekten im Programm „Demokratie leben“ aus. Wichtiges Geld für die Demokratie-Infrastruktur – doch einige der Projekte hätten das Geld womöglich nicht angenommen, wenn sie gewusst hätten, unter welchen Voraussetzungen über die Förderungen entschieden wurde: Ohne sie darüber zu informieren, ließ das Familienministerium Demokratieprojekte vom sogenannten Bundesamt für Verfassungsschutz unter Leitung seines damaligen Chefs Hans-Georg Maaßen durchleuchten.
Die Daten von insgesamt 51 Projekten leitete das Familienministerium von 2015 bis 2018 an den Geheimdienst weiter, darunter 6 Projektträger aus dem Themenbereich „Antisemitismus“, 8 Projektträger aus dem Themenbereich „Rassismus“ und 6 Projektträger aus dem Themenbereich „Zusammenleben in der Einwanderungsgesellschaft“. Der Geheimdienst teilte dem Ministerium anschließend mit, ob die Projektträger förderungswürdig seien oder nicht. Welche Kriterien und Daten bei den Überprüfungen verwendet wurden, hält das Ministerium geheim.
Transparenz zerstört Vertrauen
Wie die Anwälte des Ministeriums in einer Antwort auf eine Klage von FragDenStaat mitteilen, die wir veröffentlichen, will das Ministerium auch die Namen der betroffenen Demokratieprojekte weiter geheimhalten. Sollten die Projektträger bekannt werden, sei die öffentliche Sicherheit gefährdet. Der Grund: Die Projektträger wüssten bisher nichts vom Vorgehen des Ministeriums. Würden die Namen offengelegt, „ist zu erwarten, dass die überprüften, aber auch die anderen geförderten Projektträger misstrauisch“ gegenüber dem Ministerium würden. Die Anwälte schreiben weiter: „Die Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit wäre damit gestört, wenn nicht sogar zerstört.“
Bianca Klose, Sprecherin des Bundesverbands Mobile Beratung, kritisiert das Verhalten des Familienministeriums gegenüber netzpolitik.org scharf: „Nicht die notwendige Information der betroffenen Projektträger, sondern die intransparente Kooperation mit dem Geheimdienst zerstört das Vertrauen in das Ministerium. Die geheimdienstlichen Zuverlässigkeitsüberprüfungen der Demokratieprojekte müssen beendet werden.“
In einem juristischen Gutachten ließ der Bundesverband gemeinsam mit einem breiten Bündnis zivilgesellschaftlicher Träger im vergangenen Sommer die Prüfpraxis des Ministeriums untersuchen. Das Ergebnis: Die Grundrechtseingriffe, die durch die Weiterleitung und die Speicherung von Daten beim Geheimdienst entstünden, seien verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen und sind nicht verhältnismäßig.
„Keine Veranlassung“ für Transparenz
Das Familienministerium allerdings will an der Kooperation mit dem Geheimdienst festhalten. Wie es in einer Antwort auf eine kleine Anfrage angab, sieht es noch nicht einmal einen Grund, die betroffenen Initiativen über die Weitergabe ihrer Daten zu informieren. „Verwaltungsverfahrensrechtlich“ gebe es dazu „keine Veranlassung“.
Durch die Klage von FragDenStaat auf Basis des Informationsfreiheitsgesetzes könnte das Familienministerium bald dazu gezwungen werden, die Namen der überprüften Projekte herauszugeben. Somit dürften die betroffenen Projektträger bald erfahren, ob ihnen das Familienministerium misstraut.
Dann könnten sie auch mit eigenen Klagen gegen die Überprüfungen vorgehen – und nach dem erfolgreichen Protest gegen die äußerst umstrittene „Extremismusklausel“ 2014 unter Kristina Schröder auch die Geheimdienstkooperation des Familienministeriums zu Fall bringen. Das gibt auch das Familienministerium zu. Laut seinen Anwälten sei die Regelung „nicht zuletzt aufgrund der vielfachen Proteste der Verbände und betroffenen Projektträger“ wieder abgeschafft worden.
Ich hatte keine Zeit, die Klageerwiderung ganz zu lesen, aber nur mal der letzte Satz: „Was für verfassungsfeindliche Parteien gilt, gilt ebenso für Organisationen, die extremistischen Orientierungen
und Handlungen Vorschub leisten.“
Derartig unterkomplexe Schlussfolgerungen würde man vielleicht im Kommentarbereich einer netzpolitischen Webseite erwarten (also von Typen wie mir), aber doch wohl nicht im anwaltlichen Schriftsatz eines MInisteriums. Abgesehen davon, dass es eine reine Behauptung ist und keinerlei Begründung dafür angegeben wird, springt doch jedem ins Auge, dass man nicht einfach „verfassungsfeindliche Parteien“ gleichsetzen kann mit „Organisationen, die extremistischen Orientierungen Vorschub leisten“. Dafür muss man nicht mal Jura studiert haben. Man kann nur hoffen, dass der Schriftsatz nicht zu teuer war.
Zu Eurem Artikel ist kritisch anzumerken, dass es sich nicht gehört, von einem „sogenannten“ Bundesamt für Verfassungsschutz zu sprechen. Das ist sein gesetzlicher Name. Diese Art der Schreibe gehört ebenfalls in Kommentarbereiche (wo das Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG gegen die GEZ ins Feld geführt wird), aber nicht in Artikel von Menschen, die journalistische Arbeit leisten (wollen).
Ansonsten ist das wieder mal eine interessante, sinnvollle und alles andere als aussichtslose Klage von Euch.
Der von Ihnen zitierte Satz ist zusammenfassender Teil der Begündung und nicht als Schlußfolgerung zu verstehen. Er ist lediglich eine ergänzende Analogie und dient dem Verständnisgewinn. Es wird also nichts gleichgesetzt, es werden lediglich zwei verschiedene Klassen, die aber eine für die Betrachtung relevante Schnittmenge verbindet, nebeneinander gestellt.
„Die Klage ist daher abzuweisen.“ ist die Schlußfolgerung. Schlußfolgerungen sind in der Justiz für gewöhnlich niedrigstkomplex. Und die Begründung der Klageabweisung, also der gesamte Text, den Sie laut ihrer Einlassung weitestgehend gar nicht gelesen haben, ist ausserordentlich komplex, was der Ausgangslage und Thematik auch gerecht wird.
Der Satz ist im gegebenen Kontext also zulässig. Die offizielle Ausrichtung ‚Schutz der Verfassung‘ ist für beide Fälle anwendbar.
Warum sollte es sich in einem kritischen Medienartikel „nicht gehören“ einen offiziellen Namen kritisch zu attribuieren? Auf welche Basis gründen Sie ihre Behauptung? Ich sehe keinen Versuch einer Ehrverletzung und im Pressekodex sehe ich auch nichts, das ihre Kritik stützen könnte.
Um auszudrücken, dass wer auch immer, etwas nicht korrekt durchführt, aber jeden sachlichen Einwand zurückweist, dem sollte man das auch deutlich formuliert vorlegen.
Das kann man machen, indem man sagt, dass das Umweltministerium z.B. keines ist, weil …
Dann ist es auch nur ein „sogenanntes“, wenn es z.B. Lobbyismus betreibt und den eigentlichen Aufgaben nicht gerecht wird.
Titel oder Benennungen kann man absprechen, weil eine Vergabe immer nur formal erfolgen kann.
Die gesellschaftlichen Gesetze oder Vereinbarungen sind vom Menschen gemacht.
Deshalb kann sich Ethik von einer Sekunde zur anderen ändern.
Mann kann ein Gesetz machen, dass, festlegt, was sich gehört oder was sich nicht gehört.
Aber auch dieses Gesetz wird Änderungen unterliegen.
Macht man das nun oder nicht, weil es das alte Gesetzt untersagt, aber das Neu fordern würde?
Wenn ich die Klage richtig verstanden habe, geht es nicht um die Durchführung von Überprüfungen per se, sondern um die die Art und Weise. Ich persönlich würde das auch gerne transparent hinbekommen wissen. Mir ist aber auch klar, dass diese Transparenz einer sachdienlichen Überprüfung u.U. auch entgegenwirken kann. Wäre ja nicht das erste mal, dass jemand Beweise der Vernichtung zuführt.
Daher Frage ich mich, welche Alternativen vorhanden sind. Weiss wer was?
Faszinierend, wie wohlfühl Diktatur mit Demokratie verwechselt wird. Kleine Ergänzung zum Thema Datenschutz:
Ich habe gerade ein aufsichtsbehördliches Verfahren hinter mir und wollte wissen, wieso ich ein unbegründets Hausverbot in einem gemeinnützigen Verein aus heiterem Himmel bekam. Ursächlich war 2016 die Meldung gravierender Arbeitsschutzdefizite („Pulverfass“). Das ULD in Schleswig-Holstein benötigte 9 Monate und 19 Tage, um festzustellen, dass mir kein Auskunftsrecht nach Artikel 15 EU-DSGVO zusteht.
Das ULD schrieb: “Unter Bezugnahme zu Ihren Ausführungen zur Unvollständigkeit der Auskunftserteilungen muss ich Ihnen mitteilen, dass nach der bisherigen Rechtsprechung dem Auskunftsanspruch bisher ein enger Anwendungsbereich zugemessen wurde (,,Basisinformationen“ – vgl. zuletzt AG Dortmund , Urt. v. 29.08.2017 – 425 C 3489/17 und AG München, Urt. v. 08.08.2017 – 172 C 1891 /17; OLG Köln, Beschl. v. 26.07.2018 – 9 W 15/18). Somit ist beispielsweise die von Ihnen gewünschte Information darüber, warum die Entscheidung zum Hausverbot getroffen wurde, nicht vom Auskunftsrecht nach Art. 15 DSGVO gedeckt .”
Einen bekannten Datenschutz-Anwalt den ich das zeigte, meinte nur, dass ein „Ausforschungsanspruch“ (Prozessrecht) nicht mit einem „Auskunftsanspruch“ i.S.d. der EU-DSGVO verwechselt werden darf. Offenkundig bedeutet Recht haben, wie hier, nicht Recht bekommen. Wieso sollte es auch bei den Informationsfreiheitsgesetzen anders sein? ;)