Lena Michelsen ist Referentin für globale Landwirtschaft und Welternährung beim INKOTA-netzwerk e. V.
Agrarkonzerne wie Bayer argumentieren, dass digitale Technik maßgeblich dazu beitragen könne die, Landwirtschaft nachhaltiger zu machen. Dank Drohnen und Sensoren würden im Ackerbau Pflanzenkrankheiten und Schädlinge frühzeitig erkannt und könnten mit geringeren Pestizidmengen als bisher bekämpft werden.
Farm-Managementsysteme sollen Verwaltungsabläufe für Landwirt*innen erleichtern, und die digital gestützte, präzisere Ausbringung von Dünger soll dazu beitragen, Nährstoffüberschüsse im Boden zu minimieren. Letztlich soll die wachsende Weltbevölkerung mit digitalen Lösungen besser ernährt werden können – dank steigender Erträge bei gleichzeitiger Schonung der Ressourcen.
Doch im Kern geht es um „Big Data“ – das massenhafte Sammeln und Auswerten von Daten: Hersteller von Saatgut, Pestiziden, Düngemitteln und Landmaschinen wie Bayer oder John Deere kreieren seit einigen Jahren neue Geschäftsmodelle und wollen Landwirt*innen auf Basis der gesammelten und ausgewerteten Agrar- und Wetterdaten speziell zugeschnittene Lösungen über digitale Plattformen anbieten. Dabei sammeln sie aber nicht nur Agrardaten, sondern auch Daten über Verbraucher*innen, Landwirt*innen und Arbeiter*innen.
Von Drohnen bis zu Genscheren: Wie sich die Hard- und Software in der Landwirtschaft ändert
Ein zentraler Bereich der Digitalisierung in der Landwirtschaft ist die „Hardware“: autonom fahrende Traktoren, Sensoren an Landmaschinen, die relevante Informationen über Pflanzengesundheit, Böden und Wasserqualität sammeln, Melkroboter und mithilfe künstlicher Intelligenz programmierte Drohnen.
Letztere können tief über Felder fliegen, dabei unerwünschte Wildpflanzen ausfindig machen und direkt besprühen, wodurch Treibstoff eingespart und die Menge ausgebrachter Agrargifte reduziert werden soll.
Doch laut der Innovationsinitiative Landwirtschaft 4.0 des Leibniz-Forschungsverbunds „Nachhaltige Lebensmittelproduktion & gesunde Ernährung“, die auch vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags zur Beurteilung der aktuellen Datenlage herangezogen wird, fehlen bisher grundlegende wissenschaftliche Erkenntnisse, die belegen, dass die Digitalisierung in der Landwirtschaft tatsächlich „zu einer Realisierung einer transparenten, nachhaltigen, umwelt-, tier- und verbrauchergerechten Produktion von Nahrungsmitteln und biobasierten Rohstoffen“ führen kann.
Neben der genannten „Hardware“ sind die Entschlüsselung, Rekonstruktion und Veränderung der DNA von Pflanzen und Nutztieren – die „Software“ – ein wichtiges Themenfeld bei der Digitalisierung in der Landwirtschaft. Durch die Digitalisierung etwa von Genomen, die in internationalen Saatgutbanken eingelagert sind, können heute genetische Informationen verfügbar gemacht werden, ohne dabei Saatgut physisch auszutauschen.
Diese Entwicklung ist die Grundlage für die Nutzung sogenannter DNA-Synthesizer: Die vergleichsweise kostengünstigen Geräte können digitalisierte Gensequenzen rekonstruieren, die aus einer Onlinedatenbank heruntergeladen wurden. Diese rekonstruierten Gensequenzen können anschließend in eine Pflanze oder ein Tier eingesetzt werden. Dabei können sich Biolog*innen beispielsweise neuer Gentechnikverfahren wie etwa der „Genschere“ CRISPR/Cas bedienen.
Auch wenn neue Gentechnikverfahren in der Europäischen Union laut dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Sommer 2018 ebenso wie die klassische Gentechnik reguliert werden müssen, bergen diese Entwicklungen weltweit enorme Risiken für die Umwelt und Landwirtschaft.
Die Digitalisierung verstärkt Marktmacht
Die Digitalisierung wird voraussichtlich eine nie dagewesene Integration und Kooperation entlang der gesamten Agrarlieferkette vorantreiben. Im digitalen Zeitalter haben jene Konzerne die größte Macht, die über die meisten Informationen verfügen. Je mehr Daten in die digitalen Farmmanagementsysteme eingespeist werden, desto treffsicherer werden die Algorithmen.
Um an möglichst viele Daten über den Anbau und äußere Faktoren wie das Wetter zu gelangen, sind die „klassischen“ Akteure im Agribusiness – das heißt Saatgut-, Pestizid-, Düngemittel- und Landmaschinenhersteller – gezwungen, miteinander sowie mit Softwarefirmen zu kooperieren oder andere Unternehmen zu übernehmen. Aktuell wird dieses Wettrennen von den Landmaschinenunternehmen angeführt.
So schlossen etwa John Deere und AGCO in den vergangenen Jahren Datenabkommen mit den wichtigsten Saatgut- und Pestizidunternehmen ab, investierten in Big-Data-Plattformen und gingen Partnerschaften mit diversen Drohnen- und Softwareunternehmen ein oder kauften diese teilweise auf.
Durch die neu gewonnene Expertise können die Landmaschinenhersteller nun mithilfe von Sensoren an den verkauften Traktoren jeden Quadratzentimeter des Ackers überwachen. Sie wissen genau, welches Saatgut, welche Düngemittel und welche Pestizide verwendet werden und wie die Ernte ausfällt. Sowohl durch dieses wertvolle Wissen als auch durch die zunehmende Konzentration von Marktmacht (der Marktanteil der vier größten Landmaschinenhersteller weltweit ist zwischen 1994 und 2014 von rund 28 Prozent auf fast 54 Prozent angestiegen) erlangen einzelne Agrarkonzerne immer mehr Macht und zunehmenden Einfluss auf die globale Landwirtschaft. Und derzeit ist kein Ende der Konzentrationsprozesse in Sicht.
Gravierende Folgen für Kleinbauern und -bäuerinnen und Landarbeiter*innen
Während der Fokus großer Agrarkonzerne bisher auf Großbetrieben mit Massenproduktion lag, können mit neuartiger Technik wie Drohnen und angepassten Algorithmen nun auch kleinteilige Parzellen bearbeitet werden. Die Zielgruppe der Kleinbauern und -bäuerinnen, die vor allem in Ländern des Globalen Südens nach wie vor den Großteil der Erzeuger*innen ausmachen, kann durch die Digitalisierung potenziell besser erreicht werden, um letztlich den Absatz der Agrarkonzerne weiter zu steigern.
Bayer hat schon heute kleinbäuerliche Erzeuger*innen im Fokus und will ihnen „maßgeschneiderte Lösungen“ – auch in Form digitaler Technologien – zur Maximierung der Ernteerträge anbieten. Werden bäuerliche Erzeuger*innen (gezwungenermaßen) Teil von den voraussichtlich nur wenigen digitalen Plattformen wie zum Beispiel „Climate FieldView“, dann bestimmen die Plattformbetreiber faktisch, was angebaut wird, welches Saatgut, welche Düngemittel und welche Pestizide verwendet werden und welche Maschinen zum Einsatz kommen.
Im Fall von „Climate FieldView“ hat Bayer deutlich gemacht, dass über die Plattform nur die eigenen Produkte – und nicht etwa die des Konkurrenten – angeboten werden. Außerdem kooperiert Climate Corporation als Plattformbetreiber neuerdings – zunächst nur in den USA – mit einer Ernteversicherungsfirma und versorgt diese mit aktuellen Daten.
Mit der Kontrolle der digitalen Plattformen durch wenige Großkonzerne sowie deren Bevorzugung von industriellem Saatgut verringern sich die Wahlmöglichkeiten für Bauern und Bäuerinnen, und sie werden stärker in die Abhängigkeit gedrängt. Auch für die Reparatur komplexer digital gesteuerter Landmaschinen werden Bauern und Bäuerinnen zunehmend von IT-Expert*innen abhängig sein.
Mit dem Einsatz neuer Technologien besteht außerdem die Gefahr, dass bäuerliches Wissen und bäuerliche Praxis entwertet werden und verloren gehen. Nicht nur die kleinbäuerlichen Betriebe, sondern auch Landarbeiter*innen werden immer stärker überwacht. So setzt Cargill etwa Drohnen zur Überwachung von Palmölplantagen in Malaysia ein. Cargill gibt vor, dies in erster Linie zu tun, um sicherzustellen, dass keine illegale Abholzung geschieht. Tatsächlich werden die Drohnen aber auch dazu genutzt, die Arbeitsleistung der Landarbeiter*innen zu überwachen.
Politik und Zivilgesellschaft müssen aktiv die Rahmenbedingungen gestalten
Digitale Technologien sollten so eingesetzt werden, dass sie Kleinerzeuger*innen, Arbeitenden in der Landwirtschaft und Verbraucher*innen zugutekommen. Dafür gibt es vielfältige Möglichkeiten: Kleinbauern und -bäuerinnen könnten sich den erleichterten Informationsaustausch zunutze machen und sich vermehrt untereinander – über Apps und soziale Medien – etwa zu ökologischen Anbaumethoden oder Vermarktungsmöglichkeiten beraten. An anderen Orten können lokale Gemeinschaften wie die indigene Guajajara-Community in Brasilien Drohnen nutzen, um Fälle von Landraub oder Abholzung zu dokumentieren und so ihr Territorium zu schützen.
Doch damit Kleinerzeuger*innen tatsächlich von neuen digitalen Technologien profitieren, müssen strikte Rahmenbedingungen geschaffen werden, die ihnen und ihren Organisationen den Zugang zu notwendigen Informationen und die Kontrolle über die Daten gewährleisten und gleichzeitig die Macht großer Agrar- und Big-Data-Konzerne einschränken. Ein erster geeigneter Versuch könnte der Vorschlag der Internationalen Agrarminister*innen-Konferenz vom Januar 2019 sein.
Ein von der Landwirtschafts- und Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) koordinierter Digitalrat soll die Regierungen und andere relevante Akteure beraten, den Austausch von Ideen und Erfahrungen vorantreiben und damit helfen, die Chancen der Digitalisierung für alle besser nutzbar zu machen.
Wenn die landwirtschaftlichen Daten nur über wenige Plattformen verwaltet werden, muss sichergestellt werden, dass die Daten sowie die Plattformen nicht von einer Handvoll Großkonzerne, sondern demokratisch kontrolliert werden. Bei dieser Frage sollten Landwirt*innen genauso wie Vertreter*innen aus der Zivilgesellschaft mitdiskutieren und entscheiden. Auch bei der Entwicklung von neuen Technologien sollten nicht nur die Interessen industrieller Betriebe, sondern besonders die Bedürfnisse kleinbäuerlicher Erzeuger*innen sowie deren finanzielle Möglichkeiten beachtet werden.
Hierbei ist es ebenso wichtig abzuschätzen, welche Effekte auf gesamte Gesellschaften zu erwarten sind. Im Sinne des Vorsorgeprinzips sollten neue Technologien erst dann großflächig angewandt werden, wenn negative Effekte für Menschen und Umwelt auf Basis unabhängiger wissenschaftlicher Studien ausgeschlossen werden können. Auch hier wird der Vorschlag der Agrarminister*innen-Konferenz begrüßt, unter dem Dach der FAO eine Technikfolgenabschätzung zu den Chancen und Risiken der Digitalisierung für die Landwirtschaft und ländliche Regionen zu erarbeiten.
Die Ursachen von Hunger und Armut sowie von ökologischen Krisen sind überaus komplex. Oft hängen sie mit der Diskriminierung von marginalisierten Bevölkerungsgruppen, der Kriminalisierung von Aktivist*innen oder dem ungerechten Zugang zu und der Kontrolle über (natürliche) Ressourcen – kurz: mit ungleichen Machtverhältnissen – zusammen.
Die Digitalisierung der Landwirtschaft soll nun eine technische Lösung für diese vielschichtigen Probleme bieten. Ähnlich wie das Hungerproblem keineswegs mit Gentechnik gelöst werden konnte und die Ertragssteigerungen enorme Umweltschäden verursacht haben, wird auch das neue Megaprojekt der Digitalisierung scheitern, wenn gegenwärtige Entwicklungen und strukturelle Rahmenbedingungen fortgeschrieben werden. Zeit für ein Umdenken.
Hinweis: Dieser Beitrag basiert auf der 2018 von Pat Mooney verfassten und vom INKOTA-netzwerk, der ETC Group, GLOCON und der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgegebenen Studie „Blocking the chain – Konzernmacht und Big-Data-Plattformen im globalen Ernährungssystem“ und gibt die zentralen Ergebnisse wieder. Die Studie kann bei INKOTA kostenlos (in der deutschen oder der englischen Fassung) bestellt werden und steht zum Download zur Verfügung.
Die Konferenz „Bits & Bäume“ brachte im Jahr 2018 erstmals im großen Stil Aktive aus der Zivilgesellschaft zusammen, um die Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit zu diskutieren. Jetzt ist das Konferenzbuch „Was Bits und Bäume verbindet“ erschienen. Als Medienpartner der Konferenz veröffentlichen wir an dieser Stelle jeden Montag einen Beitrag daraus. Das ganze Buch ist auch als Download verfügbar und steht unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 DE.
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