Plattformkapitalismus: Selbst die Financial Times ruft schon nach der Hand des Staates

Canary Wharf in London ist das Nervenzentrum des britischen Finanzsektors. Selbst dort hört man schon kritische Stimmen über die Marktmacht der Internetkonzerne.

Bereits seit einiger Zeit wird auch in wirtschaftsliberalen Kreisen Sorge über den Daten- und Plattformkapitalismus à la Google und Facebook geäußert. Die großen Vier (Google, Amazon, Facebook und Apple) können aufgrund ihrer Marktmacht zunehmend außerhalb der Regeln des Wettbewerbs spielen. Sogar in der Financial Times, dem Hausblatt der Londoner Bankerszene, wird nun schon laut über Alternativen zum kaum regulierten Oligopol der großen Plattformen nachgedacht. Kolumnist Tim Harford sprach sich zuletzt etwa aus, den eCommerce-Riesen Amazon in mehrere Teile aufzubrechen.

Sein Kollege Martin Sandbu bringt in seinem (leider hinter der Paywall versteckten) Text eine andere Möglichkeit ins Spiel:

Es gibt eine Alternative [zur Zerschlagung der Konzerne]: Ein Angebot direkt aus der Hand des Staates. Viele Online-Dienste, am offensichtlichsten Vermittlungsplattformen wie Uber, aber auch universelle soziale Netzwerke (im Gegensatz zu solchen für spezielle Gruppen), haben klar den Charakter einer grundlegenden öffentlichen Dienstleistung. Warum soll es dafür kein öffentliches Angebot geben? In anderen Worten, wo Regierungen erkennen, dass ein privater Anbieter das Bedürfnis nach einem digitalen Marktplatz identifiziert (oder geschaffen) hat, sollten sie darüber nachdenken, selbst die Verantwortung für diesen Marktplatz zu übernehmen. […] Wenn Konsumenten sich auf eine App verlassen, um Fahrten zu buchen, aber private Anbieter der App zu große Marktmacht besitzen, dann könnten die zuständigen Regierungsbehörden ihre eigene App anbieten [… oder …] eine Regierung kann ihre Regulierungsinstrumente nutzen, um die Schnittstelle der dominanten privaten App zu öffnen, damit zum Beispiel alle lizensierten Taxifahrer einer Stadt Zugang zu der App haben, nicht nur die einer privaten Firma. [eigene Übersetzung]

Die Kolumnisten der Financial Times schlagen sich damit auf die Seite von linken britischen Politikern wie dem Ex-Labour-Chef Ed Miliband, der sich zuletzt in einem Interview für die Zähmung der „Monopolmacht“ der Internetkonzerne aussprach. Auch das andere Leitmedium des britischen Wirtschaftsliberalismus, der Economist, rief im Vorjahr in einem Leitartikel zu mehr wettbewerbsrechtlichen Maßnahmen gegen große IT-Unternehmen auf. Ein Wermutstropfen für die neue Regulierungslust des britischen Establishment ist aber, dass Großbritannien gerade dabei ist, aus der Europäischen Union auszutreten, deren Wettbewerbshüter wohl am besten in der Lage sind, auf machtvolle Weise auch gegen große Internetkonzerne vorzugehen.

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