Internet der Dinge: Vernetzt und hängen gelassen

Verfluchte Technik, nie tut sie, was man will. Dieses Problem wird sich nur verschärfen, während ein Ding nach dem anderen mit dem Internet verbunden wird. In ihrer Kurzgeschichte zeichnet die Autorin und IT-Journalistin Barbara Wimmer nach, wie ein ganz normaler Scheißtag in nicht allzu weiter Entfernung aussehen könnte – wenn sich die Dinge in unserer Umgebung gegen uns verschwören.

Hochhäuser und grauer Himmel aus der Persoektive von unten
Zu Fuß in den 26. Stock? Kann passieren, wenn der Aufzug gerade ein Update herunter lädt. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Matthew Henry

Beim Internet der Dinge liegen Wirklichkeit und Utopie nah beieinander: Die ersten vernetzten Kühlschränke, die Spam-Mails verschickt haben, gab es im Jahr 2014. Vernetzte Autos, deren Bremsen am selben System hingen wie das Autoradio, wurden 2015 geknackt und aus der Ferne manipuliert. 2018 brauchte ein Krankenhaus-PC gerade dann ein Update, während ein Patient eine Narkose verabreicht bekam. Diese Geschichten hätten auch Science-Fiction-Autor*innen nicht besser hingekommen. Zwölf Autorinnen und Autoren haben es trotzdem gewagt und beschäftigen sich in „Smart Lies, alles smart?“ mit den kleineren und größeren Problemen, die Vernetzung so mit sich bringt. Dieser Geschichte aus dem Sammelband stammt von Barbara Wimmer, Herausgeberin des Bandes und IT-Journalistin. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Autorin und des Verlages.

Was für ein Scheiß-Tag. Es war schon schlimm genug, dass Marianne in der Früh keinen Kaffee gehabt hatte, bevor sie mit der Metro in die Arbeit gefahren war. Die Kaffeemaschine hatte ausgerechnet dann eine neue Firmware installieren müssen, als sie ihr schwarzes Gold per App runterlassen wollte. Händisch war die Maschine nicht mehr zu bedienen. 30 Minuten hatte sie gewartet, dann war sie aufgebrochen. Ohne ihr Lebenselixier, das täglich dafür sorgte, dass sie in die Gänge kam.

Jetzt stand sie im Fuße des Tour CB21 im Hochhausviertel La Défense in Paris. Der Wolkenkratzer hatte 44 Stockwerke und sie arbeitete in der 26. Etage. Von dort blickte sie in ihren Pausen oft genug verträumt aus den verglasten Fenstern auf Paris herab. Regelmäßig beobachtete sie einen älteren Herren, der mit seiner französische Bulldogge täglich zur Mittagszeit spazieren ging. Gerade als sie ihre Zutrittskarte aus ihrer Handtasche zog, sah sie plötzlich die Schnauze des Hundes vor sich. Er hechelte und war geschmückt mit langen, schleimigen Fäden, die ihm rechts und links vom Gesicht runterhingen. Der ältere Herr wischte sie ihm routinemäßig mit einem Taschentuch ab, als sie gemeinsam schweigend das Gebäude betraten.

„Virus-Update? Seit wann kann ein Lift krank werden?“

Vor dem Lift standen dutzende Menschen brav in einer Schlange aufgereiht herum. Sie schienen zu warten. Marianne blickte den Mann mit der Bulldogge fragend an, doch er zuckte nur mit seinen Schultern. Der Hund schnüffelte an ihren Schuhen. Als sie sich dem Aufzug näherten, hörten sie ein Gespräch von zwei Wartenden mit.

„Der Aufzug macht gerade ein Virus-Update? Seit wann kann denn ein Lift krank werden?“
Marianne musste unwillkürlich laut lachen, auch wenn sie den Scherz nicht wirklich komisch fand. Auch der ältere Herr neben ihr schmunzelte, die Bulldogge grunzte.
„Ich verstehe nicht, wieso man selbst einen Aufzug mit dem Internet verbinden muss. Was bringt das für einen Mehrwert?“
„Na das ist doch ganz logisch: So erkennt man einfacher, wenn etwas gewartet werden muss, ein Seil locker ist, oder eine Tür klemmt. Dann kann der Aufzug von alleine Alarm schlagen, und es kommt schneller wer vorbei, der ihn repariert.“
„Ja, aber, … wir warten jetzt schon 30 Minuten und es ist noch immer kein Mechaniker da.“
„Brauchen wir auch gerade keinen. Das Update läuft schließlich von alleine.“
„Und wann ist es endlich fertig? Das ist ja wohl ein schlechter Scherz. Was das jetzt die Unternehmen an Arbeitszeit kostet!“
„Das hätte man in der Tat einberechnen müssen… Ich bin mir sicher, dass das nicht entsprechend kalkuliert wurde.“
„Sag ich ja: Es ist völlig unnötig, einen Aufzug mit dem Internet zu verbinden.“
„Das müsste man berechnen…“

Marianne und die Bulldogge grunzten, der ältere Herr lächelte.
„Meine Kaffeemaschine hat heute Morgen auch 30 Minuten für das Update gebraucht“, sagte Marianne und brach damit das Schweigen.
„Das soll heutzutage vorkommen. Aber David und ich, wir sind jetzt ganz tapfer und gehen zu Fuß hinauf!“
„In welchem Stockwerk arbeiten Sie denn?“
„Im 5.“
„Ach, das geht. Ich muss leider warten. 26 Etagen schaffe ich nicht zu Fuß. Die Kondition habe ich nicht!“
„Dann drücke ich Ihnen die Daumen, dass die Störung bald behoben ist!“
Marianne sah dem Mann mit seiner Bulldogge noch eine Weile hinterher. Seinen schlurfenden Gang hatte sie bisher noch nie bemerkt. Wie sehr sehnte sie sich nach einem Kaffee!

15 Minuten später: Im Büro angekommen

Plötzlich machte es „Ping!“ und der Aufzug war fertig mit seinem Virus-Update. Die Tür ging auf und es drängten sich die ersten 20 Leute in die Kabine hinein. Marianne schaffte es erst bei der dritten Fahrt, einen Platz im Liftkorb zu ergattern, der an die Grenzen seiner Zulassung stieß, weil er so vollgestopft war. Marianne spürte den Aktenkoffer eines Geschäftsmannes an ihrem Hintern, vor ihrem Gesicht türmte sich ein unrasierter Kerl, der heute Morgen offenbar kein Deo verwendet hatte, auf. Sie wünschte, es wäre genug Platz, um sich wegzudrehen. 15 Minuten später, der Lift bleib in nahezu jedem Stockwerk stehen, war Marianne endlich im Büro angekommen. Viele waren noch nicht da, offenbar hatte der Aufzug nicht nur ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Nachdem Marianne ihren Rechner eingeschaltet hatte, ging sie in die Gemeinschaftsküche, um sich ein Soda-Wasser aus der Maschine zu sprudeln. Sie mochte kein stilles Wasser und nach der langen Warterei hatte sie Durst. Doch als sie auf den Knopf drückte, blinkte der Bildschirm auf und es stand drauf: „Bitte warten. Soda Machine aktualisiert.“ Das kann jetzt nicht wahr sein, dachte Marianne. War heute Tag der Updates, Tag der Aktualisierungen, der Tag, an dem sich alle vernetzten Dinge gegen sie verschworen hatten? Statt zu warten, bis die Maschine fertig war, gab sie sich mit einem Glas Leitungswasser zufrieden und ging zurück zu ihrem Arbeitsplatz.

Es war einer dieser Wintertage, an denen es von vornherein nicht so richtig hell wurde. Die Wolken verdeckten die Sonne, und es hingen graue Nebelschwaden über dem Viertel. Der Ausblick war an Tagen wie diesen eher mau, doch blickte Marianne dennoch aus dem Fenster. Trotz der Nebelfetzen erkannte sie den älteren Herren mit der Bulldogge, die bei einem Baum standen. Sie musste lächeln, als sie sich an ihr Gespräch von heute Morgen erinnerte. Sie war verblüfft gewesen, als sie zum ersten Mal seine tiefe, sympathische Stimme gehört hatte. Auch das Grunzen von David, wie er seinen Hund genannt hatte, war ihr im Ohr geblieben. Sie beobachtete die beiden eine Weile, bis sie in der grau-weißen Nebenhülle endgültig aus ihrem Blickfeld verschwunden waren. Marianne seufzte einmal tief, und wandte sich wieder ihrer Tabellen-Kalkulation zu.

„Gerne hätte sie das Licht aufgedreht“

Erst jetzt fiel ihr auf, dass es ziemlich finster im Raum war. Marianne gähnte. Ihr fehlte der Push ihres morgendlichen Kaffees. Früher wäre sie jetzt aufgestanden und hätte das Licht aufgedreht, doch im hochmodernen Tour CB21 hatte man selbst die Lichtanlage vernetzt. Jetzt konnte sie das Licht mit der „Büro-App“ aufdrehen, ohne dass sie ihren Schreibtischsessel verlassen musste. Doch als sie die App startete, kam zurück: „Update läuft.“ Marianne fluchte und schlug mit der Faust auf den Tisch.

Erst exakt eine halbe Stunde später ließ sich endlich das Licht einschalten, nachdem die App mit ihrer Aktualisierung fertig war. Als es endlich hell im Raum war, begannen ein paar ihrer Kollegen zu klatschen. „Bravo, ein Hoch auf die Technik! Endlich können wir das Licht einschalten!“ Die meisten nahmen den Vorfall mit Humor, einige wenige konnten ihn nur mit Ironie verarbeiten. Marianne trommelte ungeduldig mit ihren Fingern auf den Tisch. Vor ihr lag ein Patzen Arbeit und jede Irritation warf sie in ihrem Plansoll zurück.

„Machen das Hacker oder Ärzte?“

Plötzlich läutete Mariannes Handy. Ihre Oma war dran. Madame Brigitte, wie sie bei allen aus ihrer Familie hieß, rief sonst nie an. Marianne war beunruhigt. Sie rutschte nervös mit ihren Pobacken auf dem Stuhl hin und her und fragte mit aufgeregter, stark nach oben gehender Stimme: „Oma, was gibt’s?“
„Ach, mir ist langweilig und ich bin ein wenig nervös.“
„Wo bist du?“
„Ich sitze gerade im Wartezimmer im Spital. Mein Herzschrittmacher muss erneuert werden.“
„Dein Herzschrittmacher muss WAS?“
„Er braucht eine Aktualisierung, haben sie gesagt. Sonst können ihn Hacker angreifen und mich umbringen. Sie haben alle, die dieses Modell haben, heute ins Spital bestellt.“
„Ist das nicht gefährlich?“
„Weniger gefährlich, als wenn das Ding gehackt wird.“
„Machen das Ärzte oder Hacker?“
„Ärzte. Drei Minuten dauert es, dann kann ich wieder heim.“
„Ich drücke dir die Daumen, dass alles gut geht!“
„Danke, mein Liebes.“
Drei Minuten dauert ein Update bei einem Herzschrittmacher also, dachte Marianne, nachdem sie das Handy-Gespräch mit Madame Brigitte beendet hatte. Das war zehnmal kürzer als der Lift und die Lichtanlage im Büro.

Abends wollte Marianne diesen Tag nur noch zu den Akten legen. Ihre To-Do-Liste war nicht einmal ansatzweise abgearbeitet, ihr Chef hatte an ihr herumgenörgelt und ihre Kollegin ihr Outfit kritisiert. Nur die Begegnung mit dem älteren Herren und seiner Bulldogge waren ein Lichtblick gewesen. Jetzt wollte sich Marianne einfach nur noch entspannen. Sie zog Willy aus ihrer Schublade und schaltete ihn per App ein. Die sanften Vibrationen waren zum Start recht angenehm. Sie atmete tief durch, wurde ein wenig lockerer und stöhnte leise: „Ja, das tut gut.“ Doch es war nicht genug.

Mehr. Marianne brauchte mehr. „Schneller, mein Schatz, fester”, flüsterte sie. Sie suchte nach dem passenden Programm. Doch statt des Power-Modus bekam sie folgende Meldung: “Software-Update wird installiert. Bitte schalten Sie das Gerät während des Downloads nicht aus.” Frustriert warf sie Willy ins Eck, wo er weiter im selben, sanften Rhythmus vor sich hin vibrierte. Was für ein Scheiß-Tag.

Barbara Wimmer, Günther Friesinger (Hrsg.): Smart Lies, alles smart? edition mono/monochrom, Wien, 144 Seiten, ISBN: 978-3-902796-61-5, 15 Euro. Erscheinungstermin: 26. Oktober 2018. Auch als E-Book erhältlich.

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10 Ergänzungen

  1. mehr als Updatepausen fallen der Dame also nicht ein.
    Da hätte der Text auch auf ein Viertel eingedampft sein können.
    Schade um die Zeit aber danke für die Information.

    1. Wenn sich das Zeug wenigstens updaten würde! :)

      Momentan ist IoT doch eher eine statische Sicherheitslückensammlung, Shodan-Futter.

    2. Nichts gegen Kritik der Moderne, aber man könnte sie etwas interessanter machen. Zudem gerade ein Update kein guter Grund ist, kann man doch von schnellen Datenübertragungsraten ebenso ausgehen wie dass solche Geräte Peer to Peer vernetzt sind und sich gegenseitig updaten. Auch dass das Update erst startet, wenn man das Gerät benutzen will, statt zu bestimmten Zeiten der Inaktivität ist Unfug, und außerdem hat selbst das aufdringliche Windows die Möglichkeit, Updates zu verschieben bis ein günstiger Zeitpunkt gekommen ist.

      Da hätte man soviel mehr draus machen können. Durch die Tochter im Grundschulalter bestelltes Spielzeug oder dass der Kühlschrank automatisch Essen wegwirft, obwohl es noch genießbar ist, weil das Verfallsdatum abgelaufen ist. Vielleicht eine nervige Fitnessapp, die mit ständigen Hinweisen über zu hohen Kaffeekonsum und zu wenig Treppensteigen wütend macht, oder die verdächtig exakt auf einen zugeschnittene Spam-Mail, weil man beim Autofahren bei einem bestimmten Werbespot das Radio lauter gedreht hat. Und (wenn man sowas wirklich bringen will) versagt eben beim Vibrator die Kindersicherung, weil das zum Entschlüsseln notwendige Dongle verloren ging.

      Ich schätze mal wenn man pro Wort bezahlt wird, will man möglichst viele Worte schreiben, aber wenn man schon kein Sachwissen zeigen kann, muss man wenigstens neue spannende Ideen bringen. Da hätte ich jedenfalls deutlich bessere Arbeit liefern können.

      1. Na Nithavela, dann zeig doch mal Deine „deutlich bessere Arbeit“, die Du „jedenfalls“ liefern könntest. Link genügt oder aber in die Kommentare packen.

        Deine Schätzung, dass pro Wort bezahlt würde und daher möglichst viele Worte geschrieben worden wären, ist leider schon mal falsch. Oh, und dass „kein Sachwissen“ von der Autorin zu erwarten sei, hätte eine nur kurze Bedienung einer Suchmaschine widerlegen können.

        1. Danke liebe Constanze und lieber Herr oder Frau Nithavela!
          Das „lustige“ ist, dass die in der Short Story verarbeiteten Beispiele nicht einmal erfunden sind, sondern alle stattgefunden haben. Vom Vibrator, der gerade, als eine Dame ihn für einen Dreh benutzen wollte/musste, zuerst stundenlang vibriert hatte wegen eines Updates, angefangen, bis zur Soda Machine oder dem Aufzug mit dem Virus Update. Es ist kein einziges Beispiel erfunden. Fiktional ist lediglich der Plot (die Handlung) und ja, ich gebe Ihnen recht, ein bisschen spannender geht, also ja, da geht noch was!

          Ich nehme an, Sie kommen von einem Technik-Background und ich stimme Ihnen zu, dass man Update-Probleme wie diese natürlich in der Theorie einfach vermeiden könnte, in dem man sie eben so gestaltet wie von Ihnen vorgeschlagen. Das wird jedoch in der Praxis kaum gemacht und ein Vibrator ist nun mal kein Windows 10, das da vielleicht schlauer ist.

          Übrigens – es musste sogar schon mal eine Narkose im Krankenhaus abgebrochen werden, weil sich der Rechner, der diese überwachen sollte, gerade in dem Moment upgedatet hat! Ebenfalls nicht erfunden. Überlegen Sie bitte nochmal, ob Sie mich (die Autorin) wirklich als „hat keine Ahnung“ beschimpfen möchten.

  2. Göttlich – so ist das Leben neuerdings! ;-)

    Habe gerade mein Auto vom Reifendienst zurück mit den Winterreifen. Fahre auf die Autobahn: Alarm Reifendruck. Der Alarm blockiert das Navi-Display, das mir die nächste Tankstelle anzeigen könnte. Abfahrt, irre durch die Dörfer, finde Tankstelle, prüfe Reifendruck. Alles ok,Alarm war Nonsens. Bestätige Navi, fahre auf die Autobahn. Neuer Alarm Inspektion. Auto will in die Werkstatt und schaltet direkte Leitung zum WErkstattmeister. Der will mit mir Termin vereinbaren – ich muss gerade einem Auffahrunfall ausweichen und bin gestresst. Das Auto möchte sich mit mir unterhalten. Drücke ich weg. Mercedes ruft zurück. Jetzt will ich einparken, in eine viel zu enge Lücke für die Riesenschüssel.

    Ich träume von meinem NSU Prinz.

  3. @HerBert
    Hallo und einen guten Abend,
    ich finde ehrlich gesagt den Bericht von HerBert weitaus interessanter und besser, als die Leit(d)geschichte von Frau Wimmer.

  4. Ich kanns nicht mehr hören. Solche Dinge wie Sie hier gennant werden sind Formen von schlechter Software.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.