Geschichten aus der Bewertungshölle

Wenn es hier um „Abmahnwahn“ geht, ist meistens die Abmahnung von Urheberrechtsverletzungen gemeint. Es gibt aber noch eine zweite Abmahnfront rund um schlechte Online-Bewertungen. Hier kämpfen Bewerter und Bewertete mit bisweilen harten Bandagen.

Die Hölle, das sind die anderen. Gerade auch bei Online-Bewertungen im Netz. – Public Domain unbekannt

Die Bedeutung von Bewertungen auf Internetplattformen kann kaum überschätzt werden. Bei Facebook-Seiten oder Google Maps sind Userbewertungen prominent platziert und haben Einfluss auf den ersten (Online-)Eindruck. Noch wichtiger sind Bewertungen für Peer-to-Peer-Plattformen. Wer auf ebay, AirBnB oder Couchsurfing keine oder nur schlechte Bewertungen hat, hat Schwierigkeiten die Plattform überhaupt zu benutzen. Ben Thompson spricht in diesem Zusammenhang von der „Kommodifizierung von Vertrauen“, was Online-Plattformen durch wechselseitige Bewertungen gleichermaßen bewirken und für ihr reibungsloseres Funktionieren benötigen.

Angesichts dieser Relevanz von Bewertungen ist es kaum verwunderlich, dass vor allem schlechte Bewertungen den Betroffenen Kopfschmerzen bereiten können – und zwar sowohl den Bewerteten als auch den Bewertenden. Zwei Geschichten aus der Bewertungshölle provinzieller Sportartikelhändler zeigen dies auf.

Abmahnung wegen Bewertung mit nur einem Stern?

In Österreich gibt es zwar das Instrument der kostenpflichtigen Abmahnung nicht in derselben Form wie in Deutschland, aber auch dort verschicken Anwälte bisweilen Schreiben mit Geldforderungen für unliebsame Online-Praktiken. So berichtete kürzlich das Verbraucherschutzmagazin des österrreichischen Rundfunks Help vom Fall eines enttäuschten Kunden, der nach einem für ihn unbefriedigenden Besuch eines Sportgeschäfts in Oberösterreich diesen auf Google kommentarlos mit nur einem Stern bewertet hatte. Prompt wurde er vom Händler kontaktiert und um eine Erklärung für die Bewertung gebeten.

Der enttäuschte Kunde ignorierte die Nachricht, doch nach dem Zuckerbrot kam die Peitsche – in Form einer erneuten Verständigung, diesmal per Post. Das Sportgeschäft hatte einen Anwalt eingeschaltet, der 1.200 Euro wegen der schlechten Bewertung forderte. Ein Schock für den jungen Welser. Eine Mitarbeiterin des Anwaltes hatte sich offenbar auf Facebook mit ihm befreundet, um auf diese Weise an seine Adresse zu gelangen, wie er später bemerkte.

Interessant an dem Fall ist, dass die Bewertung kommentarlos erfolgt war. Es gab also keine falsche Tatsachenbehauptung, gegen die sich das Schreiben richten konnte. Solche sind nämlich auch in Deutschland regelmäßig Gegenstand von AbmahnungenHelp-Jurist Sebastian Schumacher zum konkreten Fall:

Jeder darf online seine Meinung abgeben, egal ob mit Begründung oder ohne, solange er nichts Falsches behauptet und den Unternehmer darin nicht wüst beschimpft. So sieht es das Recht auf freie Meinungsäußerung vor, das in der Verfassung festgeschrieben ist.

Etwas, das so nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland gelten dürfte. Bislang gibt es in dem Fall offenbar noch keine Einigung, der Händler hält ebenso an seiner Klagedrohung fest, wie der Kunde an seiner Bewertung.

Bewertung als Druckmittel für Rückerstattungen?

Die zweite Geschichte spielt ebenfalls in Österreichs Sportartikelbranche, allerdings in einem anderen Bundesland, nämlich Tirol. Auch dort erhielt ein Sportartikelgeschäft negative Bewertungen auf seiner gerade erst gestarteten Facebookseite. Eine Bewertung kritisierte die Qualität des Skidepots, eine andere beklagte sich über eine verweigerte Rückerstattung.

Hintergrund für die schlechten Bewertungen war, dass eine Gruppe von mehreren Kunden zwei Tage vorzeitig abgereist und ihnen die Erstattung der bezahlten Gebühr für das gebuchte Depot für Schuhe und Skier unter Verweis auf die Geschäftsbedingungen verweigert worden war. Im Unterschied zum Skiverleih, wo eine Refundierung üblich sei, mache das System eine Erstattung bei Skidepots schwierig, da „das Depot als ‚Ware‘ geführt wird und nicht als ‚Verleih'“. Eine teilweise Erstattung der Gebühr in Höhe von 4 Euro pro Tag sei den Mitarbeitern deshalb nicht ohne weiteres möglich gewesen.

Auch in diesem Fall wandte sich der Händler via Facebook an die enttäuschten Kunden. Diese zeigten sich aber durchaus gesprächsbereit und stellten die umgehende Löschung oder Änderung der Bewertungen in Aussicht, sollte eine Refundierung doch noch möglich sein. Ein „Deal“, auf den der Händler einging und der letztlich zur Entfernung der Bewertungen führte.

Gelindere Mittel als der Rechtsweg?

Vor allem kleinere Anbieter, die nur wenige Bewertungen erhalten, sind von schlechten Bewertungen als Druckmittel für „Kulanzlösungen“ betroffen. Gleichzeitig bieten Anwälte an, rechtlich gegen „negative Bewertungen im Internet“ vorzugehen (z.B. hier). Negative Bewertungen sind damit immer mit einem gewissen Risiko verbunden, einen Rechtsstreit auszulösen. Bleibt die Frage, ob es angesichts der Bedeutung von Bewertungen nicht auch eine Aufgabe der Plattformen ist, gelindere Streitschlichtungsmittel anzubieten als den Rechtsweg. Solche gelinderen Mittel könnte z.B. die Möglichkeit sein, auf schlechte Bewertungen an selber Stelle öffentlich zu Antworten. Oder auch Features wie die „Verjährung“ von (guten wie schlechten) Bewertungen nach Zeitablauf.

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1 Ergänzungen

  1. Wenige Bewertungen haben generell auch ein anderes Verfälschungspotential: Manche Kunden haben überzogene Vorstellungen von Kundenservice (bspw. Umtausch offenkundig ausführlich genutzter Ware) – oder man ist sich auf persönlicher Ebene feindlich gesonnen („fehlende Sympathie“).

    Was wir persönlich schon erlebt haben: Schlechte Bewertungen aufgrund von Intrigen, ausgelöst durch Konkurrenten/Neider. Glücklicherweise konnten wir genug unserer zufriedenen Kunden aktivieren, um ihre Bewertungen „dagegen“ zu stellen. Ein Zeitaufwand, den wir uns gerne gespart hätten.

    Ich persönlich finde, dass Bewertungen immer ein zweischneidiges Schwert sind. Bei Amazon bspw. sollte man auch nicht jede Bewertung wörtlich nehmen – da regelt es sich auch über die Masse.

    „Schwarmintelligenz“ oder ähnliches (-> was gerne in diesem Zusammenhang gebracht wird) halte ich aber darüber hinaus für ziemlichen Unsinn. Ich habe noch nie erlebt, dass viele Meinungen/Menschen zusammen eine bessere Entscheidung getroffen haben als informierte, einzelne Menschen oder Kleinstgruppen. Aber hei – das darf man heute ja nicht mehr denken, da es heute ja cool ist, alles möglichst langatmig und ausführlich tot zu quatschen und zu entscheiden :)

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