Auf tagesschau.de berichtete WDR-Journalist David Zajonz am Wochenende über das Thema Datenschutzabmahnungen. Im Zuge der allgemeinen Verunsicherung rund um das Wirksamwerden der Datenschutzgrundverordnung am 25. Mai 2018 spielte die Sorge vor horrenden Kostennoten durch geschäftstüchtige Anwälte und Wettbewerber eine besondere Rolle. Befeuert wurde diese Angst durch die außergewöhnliche Rechtslage in Deutschland und einen vielstimmigen Chor aus windigen Anwälten, die Beratungshonorare einstreichen wollten, Wirtschaftsverbänden, die ihre Mitgliedern nicht vernünftig auf die neuen Regeln vorbereitet hatten und politischen Grundsatzgegnern der DSGVO. Jetzt zeigt sich: Die große Abmahnwelle bleibt offenbar aus.
Zajonz hat unter anderem mit Wirtschaftsverbänden gesprochen und kommt zu dem Schluss, dass die überzeichneten Schreckszenarien nicht eingetreten sind. Trotz einiger überwiegend stümperhafter Betrugsversuche mit Abmahnungen wegen vermeintlich fehlerhafter Datenschutzerklärungen kann demnach von flächendeckenden Abmahnungen nicht die Rede sein. Der von der Großen Koalition versprochene gesetzliche Schutz vor überbordenden Abmahnungen soll dem Bericht zufolge trotzdem in Kürze kommen:
Auch diejenigen, die rund um den 25. Mai laut vor einer Abmahnwelle gewarnt hatten, geben sich inzwischen deutlich zurückhaltender. Noch Anfang Juni sprach der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) davon, dass die Gefahr einer Flut von missbräuchlichen Abmahnungen durch die DSGVO „weiterhin sehr hoch“ sei. Heute teilt der DIHK mit, dass man nicht von einer Abmahnwelle sprechen könne. Entwarnung will der Verband aber trotzdem nicht geben und fordert die Politik auf, dem „Abmahnwesen“ Grenzen zu setzen.
Genau das hat Bundesjustizministerin Katarina Barley vor. Das Ministerium der SPD-Politikerin will bis Anfang September einen Gesetzesvorschlag vorlegen. Kleine Unternehmen, Vereine und Selbstständige sollen nach den Plänen bei kleineren Verstößen gegen die DSGVO von kostenpflichtigen Abmahnungen ausgenommen werden.
Wie gut wird das Gesetz gegen Abmahnmissbrauch?
Dass das Abmahnungswesen in Deutschland ein grundsätzliches Problem ist, thematisieren wir auf netzpolitik.org seit langem. Zuletzt im Interview mit Ulf Buermeyer von der Gesellschaft für Freiheitrechte, der eine grundlegende Lösung des Problems empfahl:
Das eigentliche Problem besteht darin, dass es in Deutschland überhaupt die Möglichkeit gibt, vermeintliche Rechtsverletzungen abzumahnen und dafür die Anwaltskosten in Rechnung zu stellen. In praktisch allen anderen Rechtsordnungen würde in diesen Fällen entweder gar nichts passieren – oder es würde eine freundliche Mail geschickt, um den Fehler korrigieren zu lassen. Die Große Koalition sollte diesen deutschen Sonderweg beenden und gesetzlich klarstellen, dass der erste Hinweis auf einen vermeintlichen Rechtsverstoß stets kostenlos sein muss, und zwar nicht nur im Kontext der DSGVO, sondern generell.
Einen anderen Vorschlag hatte Ministerpräsident Markus Söder vor der Sommerpause in den Bundesrat eingebracht: Der bayerische Gesetzentwurf [PDF] sieht vor, Datenschutzverstöße überwiegend von Abmahnmöglichkeiten auszunehmen. Nur noch Verbände sollten demnach abmahnen dürfen.
Justizministerin Katarina Barley hat sich nun offenbar für eine noch kleinere Variante entschieden. Wenn das Gesetz wie von tagesschau.de berichtet tatsächlich nur kleine Unternehmen, Vereine und Selbstständige von kostenpflichtigen Abmahnungen ausnimmt und dies nur für den Datenschutzbereich gelten soll, bliebe das grundsätzliche Problem ungelöst.
Ist eine ausbleibende Abmahnwelle jetzt gut oder schlecht?
Wir könnten schreiben:
„Für die Menschen ist es erst einmal gut, dass sie nicht abgemahnt werden. Gut, weil Abmahnungen aus unserer Ansicht eine schlechte Entwicklung in den letzten Jahren vollzogen haben. Das Problem ist jedoch, dass wir nicht bestätigt wurden und der Lerneffekt für die anderen Menschen ausblieb.“
Ich bin der Überzeugung, diese Formulierung ungefähr die schlechteste und arroganteste ist, die ich wählen konnte ;)
Aber ich bin der Meinung, dass wir Recht haben bezüglich der Abmahnungen… Wie weit wollen wir gehen, um zu zeigen, dass wir recht haben? Ich gehe mal soweit zu sagen, dass es „schlecht für unsere Sache ist“, aber (mindestens kurzfristig) „gut für die Leute“, für die wir einstehen.
Ich verstehe leider nicht recht, was du sagen willst. Wer ist „wir“? Was ist „unsere Sache“?
Wir – Leute die z.B. das Urheberrecht in seiner jetzigen Form als unzureichend für das Internetzeitalter ansehen und dafür eintreten, dass z.B. Abmahnungen nicht als Geschäftsmodell gegen Privatpersonen dienen sollten. Das waren Themen, die mich vor 10(?) Jahren zu(r) Netztpolitik brachten.
Was ich in meinem Post in meiner sarkastischen Art sagen wollte:
Eine Abmahnwelle (schlechte Sache) hätte diese (unsere) Position gestärkt. Da diese ausblieb (Ausbleiben von schlechtem ist gut), stehen wir jetzt nicht besser da. Die Ironie an der Sache ist, dass das Eintreten des Schlechten gut für die eigene Position sein kann ;)
Und darauf aufbauend ist meine Überlegung, ob es jetzt gut oder schlecht im mittel- bis langfristigen Zusammenhang ist, dass eine Abmahnwelle ausblieb, da die zu Grunde liegenden (schlecht gemachten) Gesetze immernoch aktiv sind.
„Unsere Sache“ ist die Verallgemeinerung auf eine Situation, in der die eigene Meinung die richtige zu sein scheint – sonst wäre es nicht die eigene Meinung – nur dass das Gegenüber eben auch eine eigene Meinung hat, mit dem selben Gefühl, richtig zu liegen.
Und jetzt zusammen: Meine Überlegung des mittel-/langfristigen positiven Effekts, der durch eine kurzfristige negative Handlung ausgelöst wird, klingt oft ganz gut, wenn es der eigenen Meinung (Sache) dient.
TL;DR
Manch einer könnte sich eine Abmahnwelle gewünscht haben, um das umstrittene Gesetz loszuwerden. Und das Denken kommt immer wieder vor, bei verschiedenen Themen.
Wurde der Kommentar aus einer anderen Sprache automatisch übersetzt?
Kennt ihr denn irgendwen, der Datenschutzerklärungen systematisch durchsucht und bei Fehlern freundliche Hinweise verschickt?
Mir ist so ein Projekt jedenfalls noch nicht begegnet.
Letztendlich dienen Abmahnungen an sich auch der Rechtsdurchsetzung, wenn eine flächendeckende Kontrolle nicht möglich ist. Da muss man Anreize setzen. Finanzielle Anreize sind da am einfachsten. Wenn man die Möglichkeit abschafft, kontrolliert sich nicht einmal mehr die Konkurrenz gegenseitig. Ich weiß nicht, ob man hier so pauschal die Argumentation vom Urheberrecht übertragen sollte. Die Abmahnungen im Datenschutz funktionieren bei nicht-kommerziellen Seiten grundsätzlich völlig anders.
Was kommerziell ist und was nicht entscheidet manchmal erst der Richter. Zumindest ist es mir so in Erinnerung, dass es oft genug ausreicht, Werbung auf der Seite zu haben, damit die Website als kommerziell eingestuft wird. Aber ich muss gestehen, dass ich da nicht mehr up to date bin.
Worauf ich letztendlich hinaus will ist, dass man einfach eine „kommerzielle“ Abmahnung verschicken kann, wenn es mehr bringt für einen selbst. Finanzieller Anreiz.
Abmahnungen sollten dein Unternehmen schützen und nicht dein Unternehmen stützen.
Deshalb ja der Vorschlag das erste Schreiben kostenlos macht. So bleibt ein Anreiz, aber die Missbrauchsgefahr wäre verkleinert.
Das ist ein mMn. guter Vorschlag, den ich seit 10 Jahren höre, der aber ungehört bleibt. Dann macht jemand den Kompromissvorschlag „nur in Datenschutzsachen“, und zum Schluss einigt man sich dann auf noch weniger :)
Mal allgemein gefragt: Siehst du Abmahnungen eher als ein generelles oder ein verhältnismäßiges Problem?
– „generell“ meint: Abmahnungen sind falsch, hier herscht keine Gewaltenteilung und darüber hinaus noch Willkür – (z.B. durch ein Argument wie „Schuldspruch ist nicht Anwaltssache“)
– „verhältnismäßiges“ meint: Abmahnungen Kopieren und weitergeben von Musik wird lächerlicht hoch bestraft, was effizient ist, weil man die Leute leicht zu fassen bekommt die Wohnsitz/Internet/Arbeit (egistriert) haben – (vgl. Argumente wie „Strafmaßfestlegung ist nicht Anwaltssache“)
Hallo ihr,
danke für euren Artikel – wenn er auch schon eine Weile alt ist.
Aber interessant wäre eine Betrachung aus heutiger Sicht nochmal – ein Jahr danach?
Gibt es noch immer keine Probleme mit „windigen Abmahnungen“? Ich seh das anders.
Ich beispielsweise betreibe einen Blog, auf dem ich vor allem über mein Hobby berichte – LEGO und Eisenbahnen. Das mache ich seit März 2012 auf diesem Blog. Vor 2 Jahren vielleicht hab ich oben im Header einen Link zu meinem Bricklink-Shop eingefügt. Dort verkaufe ich einzelne LEGO-Steine.
Soweit, so gut.
Mitte Dezember 2018 sind dann die Abmahnanwälte zu Bricklink gekommen und haben zu Massenschließungen von – vor allem – kleineren Shops geführt – und zu sehr viel Unsicherheit. Sehr viele, die nur mal eben aus dem Kinderzimmer heraus ein paar Steine verkauft haben, hatte kein richtiges Impressum.
Ich selbst hatte 2018 ein halbes Jahr meinen Shop geschlossen, um mich neben einer Inventur auch dem DSGVO zu widmen. Ich hab ne Menge dazu gelesen, manches mit copy&paste eingefügt – aber natürlich keinen Anwalt gefragt. Dafür hab ich mit meinem kleinen Nebenbei-Shop keine Zeit und erst recht keine finanziellen Mittel. Schließlich hab ich noch einen normalen 40-Stunden- Hauptjob. Aber alles klang save, ich hatte alles von der DSGVO geforderte drin, bei manchem war ich mir unsicher, aber lieber eine Adresse irgendwo zu viel als zu wenig, dachte ich mir – fertig. Von dem, was ich da reingeschrieben und -kopiert habe, hab ich das wenigste verstanden.
Wozu brauche ich Widerrufsrecht, -formular UND den (anklickbaren) Link zur europäischen Streitschlichtungsstelle? Kann der Käufer mir nicht einfach eine Mail schreiben, dass er seinen Kram nicht mehr haben will oder das irgendwas falsch ist mit der Bestellung?
Wieso darf im Widerrufsformular keine Telefonnummer stehen? Ist „zuviel“ doch nicht harmloser als „zu wenig hinschreiben“?
Jedenfalls wurde sowas abgemahnt.
Und heute will ich zu einer Ausstellung Leute einladen, was auszustellen. Darf ich nun einfach eine Mailadresse angeben? Wo werden Daten gespeichert, wenn Leute diese Adresse nutzen? Woher erfahre ich sowas? Was muss für ein Disclaimer dann hingeschrieben werden? Ich selbst mach mir eine Excel-Tabelle, mit Infos, was die Leute mitbringen. Aber wo speichert das gmx? Wieso muss ich mich jetzt auch noch dafür interessieren?
Ich will einfach nur ne Ausstellung mit netten Leuten organisieren. Mehr nicht. Aber scheinbar brauche ich dafür schon einen Anwalt…
Solche Sachen sind mit DSGVO einfach schwierig geworden. Und wenn ich was falsch mache, dass krieg ich nicht etwa Ärger von den Leuten, die mich zwecks der Ausstellung angeschrieben haben (die Mailadresse genutzt haben), sondern ich krieg Post von irgendeinem Anwalt, der dann viel Geld von mir verlangt, nur weil ich einen Fehler gemacht habe.
Peter
Kannst du mal den konkreten Zusammenhang der – ohne Zweifel ärgerlichen – wettbewerbsrechtlichen Abmahnungen gegen Betreiber von Bricklink-Shops mit der DSGVO aufzeigen? Nach meiner Recherche sind die meisten der windigen Abmahnungen hier auf Fehler bei AGB-Regelungen gezielt (Bestell-Button nicht in deutscher Sprache, keine Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung etc)
Hallo ihr,
ich finde, DSGVO geht am eigentlichen Ziel vorbei und macht Veröffentlichungen oder gar Planungen im Internet schwierig. Unnötig schwierig.
Und Menschen, wie ich beispielsweise, die juristisch nicht gebildet sind, werden vor unlösbare Aufgaben gestellt, weil selbst das Internet keine zufriedenstellende oder verständliche Lösungen bietet:
Ein konkretes Beispiel:
Ich will gerade eine Ausstellung organisieren und suche auf diesem Weg noch einige Aussteller. (Keine Theorie, sondern das will ich gerade wirklich.)
Der Plan war, die Infos dazu auf meinen Blog zu stellen und eine Mailadresse anzugeben, wo sich interessierte Aussteller melden können. Ich mach mir dann eine Excel-Tabelle und schreib da rein, wer was mitbringt, wieviel Platz und ob er einen Stromanschluss braucht.
Ist das DSGVO-konform?
Brauch ich dazu eine Datenschutzerklärung?
Was schreibe ich rein bezüglich der Datenspeicherung?
Speichert mein Mailadressenanbieter auch Daten? Wie kriege ich das raus und wie formuliere ich das?
All das ist schwierig. Der gesunde Menschenverstand sagt eigentlich, dass, wenn ich eine Mail irgendwo hin schreibe, dass dann auch Daten fließen.
Das Problem, was ich sehe, geht allerdings nichtmal von denjenigen aus, die die Adresse nutzen. Ich selbst hab aber vor irgendwelchen unbeteiligten Anwälten Angst, die darin irgendeine Rechtsverletzung sehen und Abmahnung schreiben – die dann gleich wieder kosten.
Denn, Geld für einen Anwalt wollte ich wegen einer kleinen Präsentation unseres Hobbys nicht gleich in die Hand nehmen.