Gerade rechtzeitig vor dem diesjährigen Festival zu offenen Lehr- und Lernunterlagen (Open Educational Resources, OER) in Berlin erschien heute eine von Maximilian Heimstädt und mir verfasste Studie (PDF, PDF-Kurzfassung) zur Frage, wie sich Neutralität bei der öffentlichen Finanzierung von Lehr- und Lernmitteln im Schulbereich erreichen lässt? Konkret wurde diese Frage für das Forschungsinstitut für Gesellschaftliche Weiterentwicklung (FGW) mit besonderem Fokus auf das Land Nordrhein-Westfalen untersucht.
Ausgangspunkt für die Fragestellung waren die Ergebnisse einer Arbeitsgruppe aus Vertreterinnen und Vertretern der Länder und des Bundes zu Open Educational Ressources. In ihrem Bericht (KMK/BMBF 2015) forderten sie, dass die öffentliche Hand hinsichtlich OER „strikte Neutralität zu wahren“ habe (S. 7). Derzeit ist es aber so, dass in keinem deutschen Bundesland Neutralität herrscht. Die Vergabe öffentlicher Mittel im Bereich von Lernmittelfinanzierung und -freiheit ist nicht auf eine wie auch immer geartete (Vor-)Finanzierung von offen lizenzierten Materialien wie OER ausgerichtet und bevorzugt klar klassisch-proprietäre Formate.
Vorschläge für die Finanzierung offener Lernunterlagen
Wegen des Bildungsföderalismus in Deutschland braucht es jedoch bis zu einem gewissen Grad länderspezifische Untersuchungen, um öffentliche Lernmittelfinanzierung für OER zu öffnen. Auf Basis von Interviews mit relevanten Stakeholdergruppen und anschließend an frühere Untersuchungen, zum Beispiel zur Situation in Berlin, haben wir verschiedene Szenarien entwickelt, wie OER in NRW ermöglicht beziehungsweise gefördert werden können:
- Ausschreibung von Pilot-Schulbücher: In Norwegen werden seit 2006 circa 20 Prozent des Schulbuch-Budgets – das sind 8,2 Millionen Euro – in die Entwicklung von OER-Materialien investiert. Nach diesem Vorbild könnten sukzessive der OER-Bestand und entsprechende Kompetenzen bei Verlagen erhöht werden.
- Nutzungsbasierte Refinanzierung von OER-Schulbüchern: In diesem Szenario erfolgt die öffentliche Finanzierung von OER-Schulbüchern durch eine Vergütung von OER-Schulbüchern, die erfolgreich die Schulbuchzulassung durchlaufen haben und in der schulischen Praxis auch tatsächlich zum Einsatz kommen. Die Höhe der Vergütung wird dabei anhand von Umfragen und Stichprobenerhebungen ermittelt, wie sie bei pauschalen Vergütungen im Rahmen von Verwertungsgesellschaften üblich sind.
- Entwicklung von OER-Schulbuch-‚Rohlingen‘: Statt fertigen OER-Schulbüchern könnte auch die Erstellung von ‚Rohlingen‘ finanziert werden, deren Inhalte den Minimalanforderungen der Qualitätsprüfung durch das Schulministerium von NRW genügen müssen. Anbieter von Bildungsmedien könnten dann diese Rohlinge beispielsweise mit multimedialen Zusatzangeboten veredeln und müssten sich um die offene Lizenzierung der grundlegenden Inhalte nicht mehr kümmern. Außerdem können solche Rohlinge leicht auf die Erfordernisse in anderen Bundesländern angepasst werden.
- Einführung einer OER-Klausel in den Zulassungsprozess: Durch eine OER-Klausel im Rahmen der Schulbuchzulassung durch das Land NRW müssten sie sich Anbieter vertraglich verpflichten, die Schulbücher nach einer Phase des kommerziellen Vertriebs als OER zur Verfügung zu stellen. Die Phase könnte entweder zeitlich (zum Beispiel nach fünf Jahren) oder sachlich (zum Beispiel wenn beim Verkauf ein gewisser Schwellenwert an Exemplaren erreicht wurde) festgelegt werden.
Weitere Szenarien wie eine völlige Umstellung auf Ausschreibungen oder das Fehlen von Änderungen bei Finanzierungsregelungen werden in der Studie ebenfalls diskutiert, allerdings als nicht empfehlenswert verworfen.
OER in der Fläche?
Nach mittlerweile fünf Jahren intensiv geführten Diskussionen zu offenen Lehr- und Lernunterlagen gibt es zwar kaum noch Zweifel an der prinzipiellen Sinnhaftigkeit von OER, gleichzeitig laufen die etablierten Schulbuchverfahren davon völlig unbeeinflusst weiter wie in vordigitalen Zeiten. Die verschiedenen in der Studie skizzierten Vorschläge haben unterschiedliche Vor- und Nachteile, sie würden aber alle darauf hinauslaufen, dass mehr öffentlich finanzierte Lernunterlagen auch digital-offen zugänglich wären.
Offene Lehr- und Lernunterlagen werden nicht nur NICHT berücksichtigt,
vorhandene unabhängige Überprüfungen der Materialien laufen auch aus.
Siehe
https://www.vzbv.de/pressemitteilung/schulmaterial-aus-der-wirtschaft-unabhaengig-pruefen