Netzneutralität als zentrale Frage der Medienordnung

Dr. Hans Hege Bild: Medienkompetenz stärkt Brandenburg

Dieser Beitrag „Strukturelle Vorgaben: Netzneutralität als zentrale Frage der Medienordnung“ von Hans Hege, Direktor der Landesmedienanstalt Berlin-Brandenburg, ist zuerst beim Evangelischen Pressedienst erschienen.

Die Telekommunikationsunternehmen möchten zur Finanzierung des Netzausbaus neue Geschäftsmodelle einführen, mit speziellen Diensten, für die eine besondere Qualität garantiert wird und für die besonders bezahlt werden muss. In der Politik finden sie dabei eine weitreichende Unterstützung, bei der Bundesregierung ebenso wie bei Kommission und Rat der Europäischen Union. Beliebte Argumente sind selbstfahrende Autos und die Telemedizin, die auf besondere Qualität angewiesen seien.

Zukunft der Medienregulierung

Die Frage der Netzneutralität ist auch für Medienunternehmen von zentraler Bedeutung. Der Direktor der Medienanstalt Berlin-Brandenburg, Hans Hege, weist in diesem Artikel aus der epd medien Nr. 12 darauf hin, dass Rabatte oder günstigere Bedingungen für Großkunden automatisch zur Benachteiligung kleiner Unternehmen führen. Die Netzneutralität gehört daher seiner Ansicht nach auch auf die Agenda der Bund-Länder-Kommission, die über die Zukunft der Medienregulierung diskutieren wird.

Das lenkt viele von der Bedeutung für die audiovisuellen Medien ab. Sie wären die Hauptbetroffenen von einem Zwei-Klassen-Internet. Sie sind für einen Großteil der Datennutzung im Internet verantwortlich. Ein erstes praktisches Beispiel für die Bevorzugung bestimmter Medieninhalte hat die Deutsche Telekom damit geliefert, dass Spotify von sonst geltenden Volumengrenzen ausgenommen wird. Netflix könnte der nächste Fall sein.

Medienvielfalt

Wenn Bund und Länder in der dafür eingesetzten Kommission über Schnittstellen zwischen Telekommunikations- und Medienordnung beraten, sollte das Thema der Netzneutralität ganz oben auf der Agenda stehen, mit dem Ziel, auch in der europäischen Diskussion das Interesse der Medienvielfalt zu vertreten. Viele Themen der analogen Vergangenheit haben sich erledigt, dafür wird die Netzneutralität zur wichtigsten Herausforderung für die digitale Medienordnung.

Medien brauchen Zugang zu ihren Nutzern, nur dann können sie ihre Funktion erfüllen. Daher ist die Verbreitung seit jeher eine Schlüsselfrage der Medienentwicklung. Digitale Breitbandnetze können mit zwei anderen Schlüsselressourcen direkt oder über Unternehmenskooperationen nach dem Vorbild Spotify verbunden sein: der Aggregation von Medieninhalten und der für die Auffindbarkeit wesentlichen Nutzeroberfläche und Software.

Die Regelung der Verbreitung ist ein klassisches Feld der analogen Medienordnung. Dabei gibt es übergreifende Ziele für alle Medien, auch wenn diese bisher auf verschiedenen Wegen verfolgt werden: Vielfalt zu fördern, der Konzentration von Meinungsmacht entgegenzuwirken, neuen und Minderheitsmeinungen Zugang zu ermöglichen und Innovationen zu unterstützen. Alle Ansätze beruhen darauf, dass der Transport von Medien eines besonderen Schutzes bedarf und nicht der Distribution anderer Güter vergleichbar ist.

Durch die Digitalisierung stehen alle diese Schutzansätze auf dem Prüfstand, auch dort, wo es den analogen Vertrieb noch gibt. Für den Pressevertrieb gibt es in Deutschland das Pressegrosso mit regionalen Monopolen, die dafür die Verpflichtung haben, nicht nur die auflagenstarken Printmedien zu vertreiben.

Für Bücher gibt es noch die Buchpreisbindung, ebenfalls gerechtfertigt mit ihrer Schutzfunktion für auflagenschwächere, aber kulturell wichtige Bücher, und zum Schutz des Buchhandels.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat noch eigene Sendernetze und einen bevorzugten Zugang zum Frequenzspektrum. Letzteren genießt auch der private Rundfunk, auch wenn die Bedeutung der terrestrischen Verbreitung abgenommen hat. Für näher definierte Rundfunkinhalte gibt es Verbreitungsverpflichtungen („must carry“).

Für letzte Restbestände analoger Übertragung, insbesondere das UKW-Radio gibt es noch den klassischen Regulierungsansatz, knappe und wirtschaftlich wertvolle Kapazitäten gegen Programmverpflichtungen zu vergeben. Also das Gegenmodell zur Versteigerung, bei der derjenige eine Frequenz bekommt, der am meisten bezahlt bzw. bezahlen kann.

Die Knappheit wird durch die Digitalisierung überwunden. Damit gewinnt aber eine andere Frage an Bedeutung: zu welchen Konditionen werden Programme über digitale Rundfunknetze verbreitet? Die Gleichbehandlung des Transportmodells, in dem Veranstalter zu vergleichbaren Konditionen verbreitet werden, was dem Prinzip der Netzneutralität im Internet entspricht, wird in der digitalen Rundfunkwelt zunehmend durch ein Vermarktungsmodell abgelöst, bei dem marktstarke Veranstalter nichts mehr bezahlen, sogar noch Rückflüsse bekommen, während kleinere nach wie vor bezahlen müssen. Bis heute gibt es weder eine hinreichende Transparenz noch eine wirkungsvolle Kontrolle.

Fehlentwicklungen vorbeugen

Beim Internet geht es jetzt um die Frage, ob vergleichbaren Fehlentwicklungen rechtzeitig vorgebeugt wird. Dabei geht es um viel mehr als lineare Rundfunkprogramme. Breitbandige Netze schaffen die Voraussetzungen dafür, dass audiovisuelle Inhalte zu jeder Zeit an jedem Ort genutzt werden können. Der große Bildschirm wird nicht nur über Rundfunknetze versorgt, er ermöglicht auch den Zugang zum Internet. Tablets und Smartphones erlauben die Nutzung aller Medien, auch ihre Verbindung mit sozialen Netzwerken.

Ich möchte fünf grundlegende Veränderungen durch die Verbreitung im Internet herausstellen:

1. Der offene Zugang: ein Inhalteanbieter muss nicht mit dem Betreiber eines Netzes verhandeln, um zu dessen Kunden zu kommen, anders als bei den Rundfunknetzen. Zusammen mit der Fortentwicklung der digitalen Produktionsmöglichkeiten fallen bisherige Einschränkungen der Medienverbreitung weg, die Grenze zwischen professionellen Medien und user generated content wird fließend.

2. Aus Sicht des Nutzers: Nicht der Netzbetreiber oder Provider entscheidet, welche Inhalte in welcher Qualität zum Nutzer kommen, sondern der Nutzer selbst, der sich dabei allerdings der Hilfe von Such- und Empfehlungssystemen bedient.

3. Im Internet sind Medieninhalte nicht mehr unter sich, in ihrer eigenen und geschlossenen Welt, sondern Teil eines umfassenden Angebotes. Audiovisuelle Medieninhalte sind nicht wegen ihres Inhalts etwas Besonderes, sondern wegen ihres hohen Bedarfs an Bandbreite.

4. Auch auf den Geräten verlieren klassische Medieninhalte ihre Alleinstellung. Mancher Radiomacher träumt noch davon, auch in der digitalen Welt von DAB bewahren zu können, was bei UKW noch so ist: ein eigener Weg für das Radio und eigene Geräte. Digitale Wege und digitale Geräte sind für alle Inhalte und Dienste da.

5. Die Auffindbarkeit wird zu einer Schlüsselfrage. In der knappen analogen Welt einer begrenzten Zahl von Kanälen war das einzelne Programm leicht zu finden, in der digitalen Rundfunkwelt gibt es die Programmlisten, die sich an der bisherigen Nutzung orientieren und persönliche Favoriten ermöglichen. In der Welt der Apps stehen Videoinhalte neben vielfältigen anderen Nutzungsformen, der Einfluss des Nutzers wird größer, aber auch die Möglichkeiten seiner Manipulation.

Innovationen und Vielfalt

Zusammenfassend möchte ich zwei gegenläufige Tendenzen der Verbreitung von Medien im Internet herausstellen: Medien verlieren ihre Privilegien und den besonderen Schutz, den sie auf ihren eigenen Netzen genießen Auf der anderen Seite wird der Zugang offener, als er auf Rundfunknetzen je war. Das führt zu Innovationen und Vielfalt. In den klassischen Rundfunkwelten stellen wir eine hohe Konzentration auf wenige Anbieter fest, das Bild im Internet ist bunter. Das sind die positiven Auswirkungen der Netzneutralität im offenen Internet, die auch den Medien zugutekommen. Im Netz entwickeln sich aber auch neue Machtpositionen, wie die von Google und Facebook, Apple und Amazon.

Da die Verbreitung über das Internet immer wichtiger wird, sollten wir uns schon jetzt mit einem Zukunftsmodell befassen, in dem Medien nur noch über das Internet verbreitet werden. Reicht die Neutralität aus, um die Funktion der Medien auch in dieser Welt zu gewährleisten, oder brauchen wir einen besonderen Schutz wie auf den klassischen Wegen?

Die Debatte ist auch deshalb notwendig, weil die Offenheit des Internets keine Selbstverständlichkeit ist, wie die konkreten Ansätze zur Einschränkung der Netzneutralität durch spezielle Dienste zeigen. Die Entwicklung ist treffend als „cableization of the internet“ beschrieben worden.

Medien sind von der andauernden Konzentration im Bereich der Netze besonders betroffen. Der größte Teil des audiovisuellen Medienkonsums findet zu Hause statt. Dort gibt es für viele Haushalte nur eine begrenzte Auswahl und meistens keine Gelegenheit zum schnellen Wechsel. Vor allem aber: Die Netzbetreiber verfolgen gleichgerichtete Interessen mit dem aus ihrer Sicht verständlichen Ziel, den Zugang zu ihren Kunden zu kontrollieren und zu monetarisieren, wie das im Breitbandkabel geschieht.

Verhandlungsmacht der Großen

Durch die speziellen Dienste im Bereich der audiovisuellen Medien ergeben sich für mich zwei Problemkreise:

Erstens: Anders als heute muss über den Zugang zu den Internetnutzern eines Netzbetreibers verhandelt werden wie über den Zugang zu digitalen Kabelnetzen. Die praktische Entwicklung im Kabel zeigt, welche Gefährdungen dabei entstehen: Verhandlungsmacht haben die Großen, auf beiden Seiten. Einspeiseentgelte haben in Deutschland die großen Kabelgesellschaften durchgesetzt, die Kleinen bekommen nichts, was den Wettbewerb im Bereich der Netze beeinträchtigt. Auf der anderen Seite brauchen die Netzbetreiber die dominierenden Inhalteanbieter, und machen ihnen gegenüber mehr Konzessionen als gegenüber den Kleinen.

Warum sollte es im Internet anders sein? Google und Netflix werden mit der Telekom und Vodafone verhandeln, aber nicht mit kleinen unabhängigen Providern. Das schwächt die Wettbewerbschancen und damit die Auswahl des Verbrauchers.

Die Sondersituation des Kabels mit einem begrenzten, regulierten Angebot lässt sich nicht auf das Internet insgesamt übertragen, sieht man vom Sonderfall des IPTV ab.

Die Dynamik des Internets und sein Vielfaltsbeitrag beruhen darauf, dass es eine unmittelbare Verbindung zwischen einem Medien- bzw. Diensteanbieter und dem Nutzer gibt. Der Nutzer entscheidet, was er bekommt, nicht der Provider, der seinen Zugang kontrolliert. Der Medienkonsum muss frei bleiben von einer Kontrolle durch die Betreiber der dafür notwendigen Infrastrukturen.

Einschränkung der Wahlrechte

Ob ein Nutzer sich für Netflix entscheidet oder für ein anderes Videoportal, ist allein seine Sache. Es ist kein legitimes Interesse des Netzbetreibers, diese Entscheidung dadurch zu beeinflussen, dass er Sonderbedingungen für einzelne Anbieter aushandelt. In der analogen Welt wäre es ein vergleichbares Beispiel, wenn die Wohnungsgesellschaften Sonderkonditionen für einzelne Zeitungen aushandeln könnten, zu denen sie den Mietern angeboten werden.

Wenn Infrastrukturbetreiber mehr Freiheit für neue Geschäftsmodelle fordern, bedeutet das immer auch eine Einschränkung der Wahlrechte dessen, der auf diese Infrastrukturen angewiesen ist. Warum dann nicht auch den Energieversorgern erlauben, mit den Herstellern bestimmter Geräte Sonderkonditionen für die Haushaltstarife zu vereinbaren (Smart Metering würde es möglich machen). Oder Vergünstigung bei der Straßenmaut für bestimme Automarken? „Zero Rating“ als Modell für alle Infrastrukturen – Sponsoring von Strom oder Maut wie bei den Daten?

Natürlich müssen neue Infrastrukturen finanziert werden, aber das geht auch bei den Breitbandnetzen ohne neue Gatekeeper im Internet. Wer schnelleres Internet haben will, zahlt auch heute schon mehr. Flatrates sind kein Naturgesetz, und niemand hindert die Netzbetreiber, differenzierte Vermarktungsmodelle orientiert am genutzten Datenvolumen zu entwickeln, wie dies im mobilen Bereich schon geschieht. Die rote Linie wird aber überschritten, wenn wie im Fall Spotify ein Netzbetreiber nach Verhandlungen mit Inhalteanbietern darüber befindet, welche Inhalte in besonderer Qualität oder ohne Anrechnung auf ein Datenvolumen zu den Nutzern kommen. Nachdem die Knappheit überwunden ist, ist die Auswahl der Medien ausschließlich Sache des Nutzers. Er hat darüber zu befinden, welches Datenvolumen er nutzen will und wofür er es einsetzt.
Vergleichbare Bedingungen

Der zweite Problemkreis betrifft die Konditionen für die Verbreitung spezieller Dienste und die Möglichkeiten ihrer Regulierung. Kann trotz der dominierenden Marktstellungen ein Medienzugang offen gehalten werden, auch wenn verhandelt werden muss? Reicht ein diskriminierungsfreier Zugang? Was bedeutet das in der Praxis?

In den westlichen Ländern besteht nicht die reale Gefahr, dass Inhalte wegen der damit verbreiteten Meinungen benachteiligt werden.

Netzbetreiber kündigen an, spezielle Dienste jedem zu vergleichbaren Bedingungen anbieten zu wollen. Anders als bei den Rundfunkplattformen soll es keine Beschränkungen mit der Notwendigkeit von Auswahlentscheidungen geben.

Das Telekommunikationsrecht hat Maßstäbe entwickelt, wie beim Transport eine vergleichbare Behandlung erreicht werden kann. Für eine vergleichbare Datenmenge muss vergleichbar gezahlt werden. Ich sehe zwei Felder, bei denen eine Regulierung grundsätzlich möglich erscheint: Wenn ein Netzbetreiber Dienstleistungen anbietet, die eine Alternative zu den von den Inhalte- und Diensteanbietern beauftragten Content Delivery Networks sind, dann kann dies zu überprüfbaren Bedingungen in einer Weise geschehen, die kleinere Anbieter nicht benachteiligt.

Keine Überholspur

Eine weitere Variante ist die Beteiligung der Inhalte- und Diensteanbieter an den Kosten in Relation zu dem von ihnen verursachten Datenvolumen. Wenn es hier nicht Rabatte zugunsten der Großkunden gibt, könnte dies eine Benachteiligung durch die Konditionen vermeiden. Dabei müsste sichergestellt sein, dass transparent abgerechnet wird und dass auch kleinere Netzbetreiber davon profitieren.

Dies ist aber nicht, was mit den speziellen Diensten geplant ist: das Angebot einer Überholspur im Rahmen einer Kooperation zwischen Netzbetreibern und Anbietern von Medien oder Portalen, die keiner reinen Transportlogik folgt, sondern eine Beteiligung an der Wertschöpfung vorsieht. Wer solche Vereinbarungen abschließt, wird schneller oder in besserer Qualität transportiert, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Akzeptanz bei den Mediennutzern.

Das reduziert nicht nur die Anreize in den Netzausbau und ein leistungsfähiges Best Effort Internet, weil schließlich um so eher mit speziellen Diensten verdient werden kann, je größer ihr Mehrnutzen, je schlechter das offene Internet im Vergleich dazu ist. Wir sehen das doch auch beim digitalen Fernsehen: natürlich könnte die digitale Standardqualität mit verbesserten Datenraten ein besseres Bild liefern, aber warum sollte man das machen, wenn man mit HD-Angeboten mehr verdient? Das Angebot einer Überholspur bevorzugt die Medienanbieter, die zahlungskräftig sind, und benachteiligt diejenigen, auf die es für die Medienordnung besonders ankommt, die neuen, innovativen und kleinen.

Natürlich werden Netzbetreiber auch versucht sein, eigene Dienste oder solche, mit denen sie besonders eng kooperieren, besser zu behandeln als andere.

Kaum noch Wettbewerb

Einer wirksamen Regulierung zugunsten der Medienvielfalt steht entgegen, dass es eben nicht um Vereinbarungen über den Transport von Datenmengen geht, bei denen eine Vergleichbarkeit hergestellt werden könnte. Transparenz ist praktisch nicht zu realisieren, wenn dieses Modell auf eine Vielzahl von Internetdiensten angewandt wird. Eine weitere Variante, die in der Praxis kaum kontrollierbar ist, wenn man sie zulässt, ist die Beteiligung von Netzbetreibern an neuen Unternehmen gegen eine bevorzugte Behandlung bei ihrer Verbreitung und Vermarktung.

Im Kabel und auch beim Satelliten haben wir ein Referenzmodell, das zeigt, was passiert, wenn man es Verhandlungen überlässt, ob und wie zusätzlich bezahlt wird. Für die HD-Verbreitung privater Programme wird von den Haushalten zusätzlich bezahlt, davon gehen dann Rückflüsse an die Veranstalter, die im Grundsatz nach Marktanteilen verteilt werden. Im Ergebnis bedeutet das, dass große Veranstalter nicht nur nichts zahlen, sondern Geld zurückbekommen, die kleinen aber für eine vergleichbare Verbreitung bezahlen müssen.

In Deutschland werden die Wirkungen bisher dadurch abgeschwächt, dass das Bundeskartellamt die unverschlüsselte SD-Verbreitung für zehn Jahre zur Auflage gemacht hat. Praktische Folge ist dennoch, dass die großen Veranstalter immer mehr Sender gründen, und es kaum mehr Wettbewerb gibt, sieht man von den Töchtern amerikanischer Contentlieferanten ab.

Keine Vorzugsbehandlung zulassen

Zusammengefasst: Lässt man Überholspuren im Internet zu, wird dies dazu führen, dass die Großen sie zu günstigeren Konditionen bekommen als die Kleinen. Meine These ist, dass man mit Regulierung dem nicht wirksam begegnen kann, weil es um komplexe Vereinbarungen im Bereich der Vermarktung geht, die nicht so kontrolliert werden können, wie dies bei Transportleistungen im klassischen Bereich der Telekommunikations- und Medienregulierung möglich ist. Das bringt mich nach meinem gegenwärtigen Erkenntnisstand zu der Forderung, dass eine strukturelle Vorgabe notwendig ist, keine Bezahlung für Vorzugsbehandlung im Bereich der audiovisuellen Medienangebote zuzulassen. Also jedenfalls für den Medienbereich das, was auch Position der FCC ist: No pay for priority.

Daran schließt sich die Frage an: reicht es, eine solche strikte Netzneutralität zu garantieren, oder brauchen wir wie bei den klassischen Verbreitungsmodellen einen besonderen Schutz und eine Bevorzugung, die allerdings nicht wie im Geschäftsmodell der Provider nach der Zahlungsfähigkeit bestimmt wird, sondern nach dem Beitrag zur Vielfalt?

Die parallele Frage stellt sich bei der Auffindbarkeit: Soll es Vorkehrungen geben, dass erwünschte Inhalte besonders leicht gefunden werden können, wie dies bei der klassischen Medienregulierung verfolgt wird?

Womit lassen sich in der digitalen Welt auch in Zukunft Vorrechte begründen? Sicher nicht mehr mit einer technischen Definition des Rundfunkbegriffs. Wäre es gerechtfertigt, alle audiovisuellen Medien zu privilegieren? Wegen ihrer besonderen Wirkung? Ich habe da meine Zweifel, weil der Einfluss einzelner Video- und Audioinhalte auf Abruf doch etwas anderes ist als die Wirkung professionell zusammengestellter Programme. Mit der Anknüpfung an journalistische Leistungen? So dass zum Beispiel ein Radioprogramm oder ein Radioportal privilegiert wird, wenn es solche Inhalte enthält, nicht aber die reine Zusammenstellung von Musik? Aber wäre der Staat wirklich gut beraten, journalistische Leistungen zu bewerten?

Beim Pressevertrieb reicht die Neutralität, es gibt keine Vorrechte für journalistisch-publizistische Leistungen.

Rechtfertigen besondere Standards im Jugendschutz oder Barrierefreiheit eine Vorzugsbehandlung? Vorgeschlagen wird ein Opt-in-Modell, das Anbietern freistellt, ob sie Verpflichtungen eingehen wollen, daran aber positive Anreize knüpft. Dann müsste aber auch kontrolliert werden, ob die Verpflichtungen wirklich eingehalten werden.

Bei der Verbreitung wäre eine Besserstellung leichter zu realisieren als bei der Auffindbarkeit. So könnte es eine Privilegierung bisheriger Nutzer von Rundfunkfrequenzen gebe, zum Beispiel Ausnahmen von Volumengrenzen im mobilen Bereich, wenn das Internet trotz DAB zum Hauptübertragungsweg für Radioprogramme wird.

Priorisierung aus öffentlichen Interessen ist im Internet keine Frage, die sich nur für Medien stellt. Auch im Bereich der Gesundheit und der öffentlichen Sicherheit gibt es Interessen, die eine Priorisierung rechtfertigen können.

Ich habe hier keine abschließenden Antworten zu bieten. Vordringlich für mich ist das, was Regulierung besser kann als die Förderung erwünschter Inhalte, nämlich Benachteiligungen zu verhindern, und das heißt für mich erst einmal die Netzneutralität im Bereich der audiovisuellen Medien durch strukturelle Vorgaben zu sichern.

Aus epd medien Nr. 12 vom 20. März 2015

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