Der folgende Gastbeitrag anlässlich des Entwurfs zur Evaluation der EU-Urheberrechtsrichtlinie (InfoSoc-Richtlinie) durch das EU-Parlament stammt von Rainer Kuhlen, Professor für Informationswissenschaft an der Universität Konstanz und Sprecher des Aktionsbündnisses „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“.
Überfällig, dass Bewegung in die Reform der InfoSoc-Richtlinie kommt, die seit 2001 auf fatale Weise die Entwicklung eines digitalen Umgebungen angemessenen Urheberrechts verhindert und gleichermaßen die Innovationskraft der Wirtschaft wie auch die Kreativität in Bildung und Wissenschaft behindert. Julia Reda, eine Piratin, hat dem Committee on Legal Affairs des Europäischen Parlaments eine Vorlage von knapp 12 Seiten gegeben, welche nicht nur durch Professionalität in der Textdarstellung, sondern auch durch umfassende Sachkenntnis und Mut überzeugt.
Die zentrale Botschaft ist, dass es an der Zeit ist, sich nicht nur um eine Harmonisierung der Rechte zu kümmern, sondern auch um eine Harmonisierung der Regelung der Nutzungsinteressen. Damit sind die Schrankenregelungen des Urheberrechts angesprochen, welche die an sich exklusiven Rechte der Urheber bzw. der Verwerter im öffentlichen Interesse einschränken. Reda hat da unverkennbar mehr im Sinne als bloße Schrankenregelungen („a Single European Copyright Title“). Sie fordert ein offenes Prinzip („open norm“), welches vergleichbar dem US-amerikanischen Fair use sozusagen als Leitprinzip für einen möglichst freizügigen Umgang mit allen Wissens-und Informationsprodukten dienen kann, ohne die Rechte der Urheber unverhältnismäßig auszuhebeln.
Und das ist auch gut so, denn eine Änderung der alten, das europäische Urheberrechtssystem bestimmenden Dogmatik, dass das Recht der Nutzung öffentlich gemachten Wissens nur eine Ausnahme sei und nicht ein Recht in sich selbst, muss dringend geändert werden.
Kopernikanische Wende?
Reda weiss aber natürlich, dass diese fast schon Kopernikanische Wende auf heftigsten Widerstand stoßen wird und schlägt im Detail daher in erster Linie das vor, was einigermaßen Aussicht auf Erfolg haben dürfte. Und auch das, würde nur ein Teil davon umgesetzt, würde die europäische Urheberrechtszene schon weitgehend verändern.
Vorsichtig greift Reda das auf, was schon seit einiger Zeit im politischen Raum herumgeistert, nämlich die Verlagerung der Urheberrechtskompetenz von der jeweiligen nationalen Gesetzgebung in die Zuständigkeit der europäischen Gremien, der Kommission und des Parlaments („to break down ´national silos´ in copyright legislation“). Wie das genau geschehen soll, weiss Reda auch nicht. Ob es klug ist, erst einmal zu fordern, dass alle Schrankenregelungen der InfoSoc-Richtlinie, die bislang nur ein (unverbindliches) Angebot an die Länder waren, nun verbindlich sein sollen, sei dahingestellt. Reda weiss doch sicher auch, dass es gerade die vielen vollkommen unsinnigen, vor allem unbrauchbaren Bestimmungen in den einzelnen Schrankenvorschlägen der Richtlinie von 2001 sind, die eine vernünftige Umsetzung in den nationalen Gesetzen verhindert haben? Das sollte jetzt nicht mehr bloß fortgeschrieben werden.
Gut ist, dass Reda durch die Einführung eines offenen Prinzips Schluss mit dem Anspruch der InfoSoc-Richtlinie machen will, dass die Liste der Schrankenregelungen abschließend sei. Dass das Recht fast zwangsläufig der technologischen Entwicklung (aber auch der moralischen Einschätzung bezüglich des Umgangs mit Wissen und Information) hinterherhinkt, ist offensichtlich. Reda gibt auch einige Beispiele für die Notwendigkeit, neueren Entwicklungen Rechnung zu tragen wie beim Text und Data Mining oder bezüglich der Erweiterung des Zitatrechts um Bild-/ Video- und Audio-Daten. Auch sonst werden durch Reda viele der aktuellen Forderungen an ein aktualisiertes Urheberrecht angesprochen: Netzneutralität, Rückführung der Schutzdauer auf die Standards der Berner Konvention (50 Jahre nach Tod des Autors), freizügigerer Umgang mit Material aus Politik und Verwaltung (public sector information), Verlinkungsfreiheit, kein Urheberrechtsschutz für die Abbildung von Gebäuden im öffentlichen Raum (Panoramafreiheit), Skepsis gegenüber Leistungsschutzrechten für spezielle Bereiche wie die Medien, keine Einschränkung der durch das Gesetz erlaubten Nutzungsformen durch technische Schutzmaßnahmen (DRM), …
Teufel steckt im Detail
Klar, der Teufel wird wie immer im Detail stecken – d.h. in diesem Fall, wie einige der Forderungen dann real umgesetzt werden sollen. Nehmen wir nur die beiden Vorschläge 19 und 20. In 19 wird eine umfassende Ausnahmeregelung für Forschung und Ausbildung (research and education purposes) gefordert und in 20 – um einiges konkreter – eine verbindliche Schrankenregelung, die es den Bibliotheken erlaubt, auch Bücher im digitalen Format auszuleihen und zwar unabhängig, von welchem Ort die Ausleihe bzw. dann die Nutzung erfolgt, also nicht beschränkt auf die Nutzung in der Räumen der Bibliotheken (wie es die InfoSoc-Richtlinie, aber auch § 52b des deutschen Urheberrechts fordern). Wie in Umsetzung von Forderung 19 die allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke (ABWS) aussehen soll, dazu gibt es keinerlei gleichermaßen konkrete Vorschläge.
Diese Lücke sollte die deutsche Politik nutzen. Hierzulande gibt es seit einiger Zeit eine intensive Diskussion um diese ABWS. Ihre Realisierung ist auch im Koalitionsvertrag der jetzigen Bundesregierung vorgesehen. Deutschland hat sozusagen einen gewissen Planungsvorsprung – nicht nur durch die vom BMBF initiierte, allerding im jetzigen rechtlichen Rahmen bleibende Studie von Katharina de la Durantaye (vgl. Besprechung bei netzpolitik.org), sondern auch durch die weitergehenden und den Bedürfnissen von Bildung und Wissenschaft besser entsprechenden Vorschläge des Aktionsbündnisses „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“.
Dass jetzt Bewegung in die europäische Urheberrechtsdebatte kommt, ist gut. Aber die Bundesregierung sollte das nicht zum Anlass nehmen, ihre eigenen Vorhaben jetzt erst einmal abwartend sozusagen auf Eis zu legen. Nein, jetzt besteht die Chance, durch eigene Vorschläge das europäische Urheberrecht entscheidend mitzugestalten. Deutschland war 2003 im Ersten Korb der Urheberrechtsreform das erste Land, das sich mit der Einführung von § 52a einem Wissenschaftsurheberrecht annäherte – allerdings, wie sich dann herausstellte, mit äußerst rigiden und daher unbrauchbaren Einschränkungen.
Es sollte jetzt eine breite Debatte um diese ABWS erfolgen. Das Ergebnis müsste dann rasch auf die europäische Ebene gebracht werden, um hie Einfluss ausüben zu können. Deutschland als das größte und wohl einflussreichste Land in der EU sollte seine Möglichkeiten nutzen und sich nicht, wie es in der Vergangenheit oft geschehen ist, hinter den EU Vorgaben verstecken. Solche Initiative ist natürlich nicht nur bei der ABWS gefordert, sondern bei allen anderen Themen auch. Das Terrain sollte nicht einer deutschen Piratin im Europäischen Parlament alleine überlassen bleiben. Der Dank für ihr vorwärtsdrängenden Handeln ist ihr aber sicher.
Die Panoramafreiheit betrifft übrigens nicht nur Gebäude, sondern in Deutschland und anderen Ländern auch Skulpturen, und man könnte und sollte sie m. E. auch auf nicht ganz so permanent angebrachtes wie Werbeposter etc. ausdehnen.