Gerhart Baums Laudatio auf Laura Poitras: Gegen die „Datenausplünderung“

Wir ehren heute Laura Poitras, eine US-amerikanische Regisseurin und Produzentin von Dokumentarfilmen. Aber Laura Poitras ist mehr. Sie ist eine Kämpferin für Freiheit und Menschenwürde. Ihre Filme und ihre journalistischen Arbeiten thematisieren gesellschaftliche und politische Missstände, Gefährdungen für die Demokratie. Laura Poitras ist eine engagierte Kritikerin der verheerenden Auswirkungen des US-Krieges gegen den Terror, und das nicht erst seit ihrer Zusammenarbeit mit Edward Snowden.

Dies ist ein Gastbeitrag von Gerhart Baum, Bundesminister a. D., Rechtsanwalt und ein konsequenter Streiter für eine freiheitliche Gesellschaft. Seine Wut ist noch immer jung. Er hielt die Laudatio auf Laura Poitras, die am 29. November in Hamburg den Marion-Dönhoff-Preis für internationale Verständigung und Versöhnung erhielt. Er würdigt darin die Preisträgerin, geht aber auch auf die aktuelle politische Situation ein. Wir veröffentlichen die Laudatio mit seiner freundlichen Genehmigung.

Sicherheitsapparat, der nicht mehr Teil der demokratischen Kontrolle ist

Im Jahre 2006 hat Laura Poitras in einem Oscar-nominierten Dokumentarfilm die Situation im Irak kritisch beleuchtet, darunter die Zustände im Gefängnis Abu Ghraib, das durch Foltermethoden der US-Militärs eine traurige weltweite Bekanntheit erhalten hat. Sie führt bis heute einen Kampf gegen die massiven Freiheitseinschränkungen in den USA nach den Anschlägen des 11. September 2001, einen Kampf gegen die Abkehr vom Recht, gegen den Irrweg vom internationalen Recht hin zum Recht des Stärkeren. Sie sagt:

Guantánamo, Beobachtungslisten, Tötungslisten, präventive Kriege. Diese Politik untergräbt auf fundamentale Weise unsere Sicherheit. Heute haben wir eine Generation, die wir uns durch den Irak-Krieg und alles Folgende zu Gegnern gemacht haben. Die Welt ist nicht sicherer geworden. Das ganze Gegenteil ist der Fall.

Und das erleben wir zur Zeit auf ganz bedrohliche Weise.

Ja, es ist richtig: Oft ist es erst die übersteigerte Reaktion gegen Anschläge auf unsere Freiheit, die diese zusätzlich gefährdet. Innenpolitisch haben die USA durch den verhängnisvollen Patriot Act freiheitliche Grundwerte, die das Land seit der Verfassung von 1776 geprägt hatten, in Teilen suspendiert. Es ist gerade dieses Verfassungsverständnis, das gemeinsam mit der Menschenrechtserklärung der Französischen Revolution von 1789 unsere Demokratien geprägt hat – ein wertvolles Erbe der Aufklärung, das jetzt zur Disposition gestellt wird. Die Franzosen stehen dem mit der Verkündung eines dreimonatigen Ausnahmezustands nicht nach. Einen großen Teil dieser Maßnahmen würde unser Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig aufheben.

Laura Poitras sagte:

Die Vereinigten Staaten benutzen Angst, um einen Sicherheitsapparat zu rechtfertigen, der nicht mehr Teil eines demokratischen Prozesses oder einer demokratischen Kontrolle ist. Es ist eine Schande, dass die USA Entführungen und Folterprogramme ins Werk gesetzt haben. Es ist eine Schande, dass Guantánamo immer noch nicht geschlossen wurde, es ist eine Schande, dass die Menschen, die dort inhaftiert sind, seit dreizehn Jahren auf eine Anklage warten.

Soeben ist Obama erneut damit gescheitert, den Kongress zu einer Auflösung des Lagers zu bewegen.

Es war also keineswegs verwunderlich, dass sich Edward Snowden nach seiner Flucht an Laura Poitras gewandt hat, unter dem Decknamen „Citizenfour“. Er ist Citizenfour: Treffpunkt Hongkong, Erkennung durch einen Zauberwürfel, den er vor dem Hotel in der Hand hielt.

Laura Poitras sagt später:

Sehr früh sagte mir mein Bauchgefühl, dass er eine authentische Quelle war.

Und von da an waren sie und der Journalist Glenn Greenwald Teil des verschworenen Teams, das nicht nur die Welt der Geheimdienste herausfordern sollte. Sie war sich des Risikos bewusst, als Teil einer „Verschwörung“ von Geheimdiensten verfolgt, unzählige Male als potentielle Terroristin durchsucht, verhört und behindert zu werden. Meinungs- und Informationsfreiheit wurden mit Füßen getreten. Erst Deutschland wurde zum sicheren Ort für sie.

Die Enthüllungen weltweit publik machen

Laura Poitras gewann das Vertrauen von Snowden. Erst durch ihre und Glenn Greenwalds Hilfe gelang es, die Enthüllungen aufzuarbeiten und weltweit publik zu machen. Sie hat den Beginn dieses Prozesses in dem Dokumentarfilm „Citizenfour“ vom Juni 2013 an viele, viele Stunden in dem kleinen, engen Hotelzimmer in Hongkong sichtbar gemacht. Diese drei Personen haben gemeinsam nach intensiver Diskussion eine Strategie entwickelt, die dann zur Veröffentlichung der Fakten geführt hat. Laura Poitras hat das Gesicht von Snowden gefilmt, als er sich entschied, nicht anonym zu bleiben, schon um andere gegen Verdächtigungen zu schützen – das Gesicht, als ihm bewusst wurde, dass nun alle Brücken abgebrochen würden.

Schon wegen seiner filmischen Qualitäten hat der Film 2015 den Deutschen Filmpreis und den Oscar für den besten Dokumentarfilm erhalten. Der Film ist ein dokumentarisches Meisterwerk. Es geht um die Botschaft, aber es geht auch darum, auf welche Weise die Botschaft die Menschen erreicht. Es ist die Kraft der Bilder, die uns aus der Enge des Hotelzimmers erreichen. Laura Poitras vermittelt uns nicht nur mit den in Echtzeit aufgenommenen Bildern eine Botschaft. Sie selbst ist unverzichtbarer Teil der gesamten Aktion. Und diese wurde durch einen einzigen Menschen ausgelöst, von einem damals 29-jährigem Angehörigen eines US-Geheimdienstes. Es war der einzige aus diesem Riesenapparat. Er allein hatte den Mut, uns aus Gewissensnot zu offenbaren, wie eklatant unsere Werte verletzt werden. Edward Snowden hat unsere Werteordnung schützen wollen. Und was tun wir nun, um ihn zu schützen? Bei seinem Versuch, in die USA zurückzukehren, wurde ihm jetzt offiziell nur zugesichert, nicht gefoltert zu werden. Das war alles. Kein europäisches Land war bisher bereit, ihm Zuflucht zu gewähren – das tut nun seit zweieinhalb Jahren der „ausgewiesene Demokrat“ Putin.

laura poitras
Laura Poitras mit Glenn Greenwald (Mitte) bei der Oscar-Verleihung. CC BY-ND 2.0 via flickr/Disney | ABC Television Group

Die Enthüllungen haben eine Lawine von Reaktionen ausgelöst. Es gibt unter Sicherheitsgesichtspunkten auch heute nicht den geringsten Anlass, an den Reaktionen etwas zu ändern. Es gibt nicht den geringsten Anlass, einen Weltüberwachungsstaat aufzubauen, der alle Grenzen der Verhältnismäßigkeit sprengt und der flächendeckend und anlasslos Millionen von völlig unverdächtigen Menschen erfasst. Die Datenströme über eine Person werden zu Persönlichkeitsprofilen zusammengefügt, die tief in unsere Privatheit einschneiden. Das ist ein Angriff auf die in unserer Verfassung verbürgte Menschenwürde. Und schnell kann ein vernichtendes, stigmatisierendes, aber falsches Urteil entstehen. Und wozu die Datenaufrüstung nach dem Anschlag in New York? Wir wissen heute: Die USA hatten alle Daten, um Nine/Eleven verhindern zu können – nur sind diese nicht kundig ausgewertet und zusammengeführt worden. Zu diesem Ergebnis kommt ein offizieller Bericht an den US-Kongress.

Dieser NSA-Überwachungsapparat ist ein politisches Machtinstrument. Er dient keineswegs nur der Terrorbekämpfung, sondern ist ein Instrument der Wirtschafts- und Regierungsspionage und der politischen Manipulation. Alle Kommunikationsverbindungen – und in vielen Fällen auch die Inhalte der Kommunikation – überall, bis in den heimischen Computer hinein, sind betroffen. Die Barrieren, die wir hier mit Hilfe unseres Grundgesetzes und des Bundesverfassungsgerichts errichtet haben, werden unterspült. Diese Dienste verhalten sich, als handele es sich in Deutschland um einen rechtsfreien Raum. Und unsere Kritik an ihnen fällt lau aus, nachdem der NSA-Ausschuss des Bundestages immer mehr Einzelheiten von Grenzüberschreitungen unserer eigenen Dienste ans Licht bringt. Dennoch können wir von unserer Regierung erwarten, dass sie uns gegen die Datenausplünderung durch die USA, aber durch die Briten schützt.

Zu Big Brother, also der staatlichen Überwachung, kommt Big Data. Die Herausforderung liegt darin, sagt die US-Datenschutzaktivistin Shoshana Zuboff, …

… dass die technologische Revolution, wie wir dank Edward Snowden wissen, abermals den perfekten Traum usurpiert hat.

Zuboff meint das Joint Venture zwischen staatlichen und privaten Institutionen, die, wie sie sagt, …

… eine beispiellose Macht über die Informationen gewährleistet.

Sie verwendet den Begriff „Massenausforschungswaffen“. Die technologische Revolution, die mit so viel neuen Freiheits- und wirtschaftlichen Wachstumsprozessen verbunden ist, also mit berechtigten Hoffnungen, gerät, wie sie sagt, …

… zu einem faustischen Albtraum.

Es formieren sich Gegenkräfte

Die NSA verschafft sich über Server von Apple, Google und von anderen Unternehmen Zugang zu Abermillionen von Nutzerdaten. Wer bei Facebook beginnt, landet schnell bei den Algorithmen der NSA. Frank Schirrmacher hat schon vor Jahren gewarnt:

Die digitale Moderne ist im Begriff, eine Buchführung unseres ganzen Lebens zu organisieren.

Aber: Es formieren sich Gegenkräfte.

Zwei Beispiele aus jüngster Zeit: In der EU wird ein neues Datenschutzrecht für alle 28 Staaten seit Jahren diskutiert. Das Vorhaben drohte zu stocken. Erst die Enthüllungen von Snowden gaben ihm den entscheidenden Push, der Dokumentarfilm „Democracy“ schildert diesen Moment eindrucksvoll. Zum Jahresende wird das neue Gesetz beschlossen. Um Europas Datensouveränität zu retten gilt künftig das sogenannte Marktortprinzip. Wer hier am Markt tätig ist, muss sich an europäisches Recht halten, auch wenn ihn US-Recht zur Weitergabe an die NSA verpflichten sollte. Eine Weitergabe ist nur noch möglich, wenn sie im Einzelfall in Europa genehmigt wird. Bei Verstoß werden drastisch erhöhte Bußgelder fällig.

Das zweite Beispiel: Der Europäische Gerichtshof, der sich immer stärker an der Europäischen Grundrechtscharta orientiert, hat vor wenigen Wochen ein deutliches Signal für die Grundrechte gesetzt. Er hat die sogenannte Safe-Harbor-Entscheidung der Kommission für ungültig erklärt. Die USA sind eben kein „sicherer Hafen“ für unsere Daten. Wir, die Europäer, werden künftig entscheiden, unter welchen Bedingungen eine Übermittlung von Daten in die USA zulässig ist. Das sind unmittelbare Folgen der Enthüllungen.

Und noch etwas ist bemerkenswert. Die „Zeit“ hat einen Diskussionsprozess in die Wege geleitet, um eine „Charta der Grundrechte für die digitale Zeit“ entstehen zu lassen. Mit einem Auftaktartikel hat Martin Schulz in der Zeit vom 26. November seine Vorstellungen dazu entwickelt. Die Diskussion hat begonnen.

Meine Damen und Herren, dass hier vor allem von den USA die Rede ist, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir erheblichen Ausspähungen durch eine Reihe von anderen Staaten ausgesetzt sind. Dort gibt es keine Snowdens. Aber diese Staaten sind nicht unsere Verbündeten, und mit ihnen verbindet uns keine gemeinsame Werteordnung. Kritik an den USA: ja, doch Antiamerikanismus, wie er in unserem Lande manchmal schnell aufflammt, wäre die falsche Reaktion. Wir müssen die Probleme mit den USA gemeinsam lösen. Und noch etwas sollten wir Laura Poitras abnehmen: „War on terror“ – Krieg gegen Terror – ist der falsche Weg. Es gibt Fälle, in denen Krieg geführt werden muss, aber dann mit Zustimmung des UN-Sicherheitsrates. Terroristen sind Kriminelle, Schwerverbrecher, Mörder. Wir sollten ihnen nicht den Gefallen tun, dass wir verbrecherisches Tun als Kriegshandlung einordnen, womöglich unter dem Schutz der Genfer Konvention. Terror in unseren Städten lässt sich nicht mit Militär bekämpfen. Wir sollten auch viel intensiver überlegen, wie wir die politischen Ursachen von Terror angehen und die Verführbarkeit junger Männer. Das bedeutet Prävention. Wir müssen uns vorbeugend mehr um die hier lebenden gewaltbereiten, zumeist jungen Menschen kümmern. Gewalt beginnt in den Köpfen! Auch die Gewalt gegen Flüchtlingsunterkünfte.

Das alles ist zu erwähnen, wenn wir heute Laura Poitras ehren. Sie gibt uns mit ihrem Mut, ihrer Zivilcourage und mit der Bereitschaft, für ihre Überzeugungen ein hohes Risiko einzugehen, ein Beispiel. Ihr Einsatz für die Demokratie ist nicht folgenlos geblieben. Die Welt wurde aufmerksamer. Unsere Sicht auf die Gefahren der IT-Revolution und auf die Notwendigkeit, unter allen Umständen die Menschenwürde zu schützen, ist geschärft worden. Keine Kapitulation vor dem Sicherheitswahn! Diese Ehrung soll Sie, Frau Poitras, ermutigen, in diesem Kampf nicht nachzulassen. Und wir wünschen Ihnen, dass Ihnen weitere so eindringliche Filme gelingen.


Die Filmemacherin, Oscar- und Pulitzer-Preisträgerin Laura Poitras dokumentierte in „Citizenfour“ die Geschehnisse um die Geheimdienstskandale und porträtierte zugleich Edward Snowden und dessen kompromisslose Zivilcourage. Sie hat mit Hilfe des US-amerikanischen „Freedom of Information Act“ versucht, von der US-Administration Antworten darauf zu bekommen, warum sie immer wieder bei Dutzenden Grenzübertritten durchsucht und befragt wurde. Sie geht mittlerweile auch juristisch dagegen vor, von ihrer Regierung keinerlei Auskünfte dazu erhalten zu haben.

8 Ergänzungen

  1. Danke Herr Baum. Sie sind einer der wenigen Politiker, denen ich noch gerne Gehör schenke.
    Ein „Nachbar“ aus den Mittachtzigern.

  2. ja, Gerhart Baum gehört noch zu den integren, alten Politikern, der uns hoffentlich noch einige Jahre erhalten bleibt und sich vernehmbar äußert!

    Kritisieren muss ich allerdings auch bei ihm, dass er für die beiden größten Daten-Opfer, die sogar gefoltert wurden, Murat Kurnaz und Herr El Masri, keine große Unterstützungskampagne initiiert hat, als beide wieder in Deutschland waren. Niemand, der es gekonnt hätte, hat für diese beiden eine finanzielle und rufmäßige Unterstüztung organisiert, die ihnen substantiell geholfen hätte.
    Herr El Masri, Deutscher Saatsbürger, hat das Land inzwischen verlassen; Herr Kurnaz könnte diese Hilfe immer noch gut gebrauchen.

  3. Vielen Dank, Herr Baum!

    Wenn Sie von „Bei Verstoß werden drastisch erhöhte Bußgelder fällig.“ sprechen; für wie wirksam halten Sie soetwas?
    Sind Leute, die sich über solches Recht hinwegsetzen, geldlich bestrafbar und welches Vertrauen kann man in den „Vorbehalt“ setzen, wenns ja augenscheinlich doch Ausnahmen geben soll?

  4. Haha, leider OT, aber trotzdem lustig:

    1-Cent-Überweisungen: Aktivisten wollen AfD in die Pleite spenden

    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-linke-wollen-partei-mit-kleinstspenden-in-die-pleite-treiben-a-1067190.html

    tipp: mit dem cursor auf die 0,00EUR klicken bzw. markieren. dann kann man in das datenfeld eingeben. blöd gelöst. achja, falscher name wird akzeptiert, man muss denen ja nicht zwangsläufig die eigene adresse auf die nase binden.

    1. Spielen außer mir eigentlich noch andere Menschen online mit Tarotkarten? Für heute war die Tageskarte eine deutliche Warnung, und ich schon schwer am überlegen, was so verführerisch denn sein könnte:

      Seien Sie hellwach, Sie laufen sonst Gefahr, sich täuschen zu lassen oder sich selbst etwas vorzumachen. Lassen Sie sich heute von keinem noch so verlockenden Angebot verführen, es könnte sonst ein böses Erwachen geben. Zwischen den Wünschen und Träumen, die Sie heute haben, kann sich natürlich eine wertvolle Idee verstecken. Aber ob es sich lohnt, diese zu verwirklichen, sollten Sie lieber an einem anderen Tag entscheiden.

      1. @Irina
        Es stimmt: „Seien Sie hellwach“, aber denken Sie doch bitte mit dem eigenem Gehirn und überlassen Sie Ihr Leben nicht einem Zufallsgenerator, der die Tarotkarten auswählt.

        Ebenso könnten Sie auch ein beliebiges Telefonbuch aufschlagen, eine Nummer auswählen und dort anrufen. Wenn Sie nicht zu dümmlich Nachfragen, dann werden Sie auch erstaunlich zutreffende Lebensempfehlungen eines Ihnen völlig unbekannten Menschen erhalten, die scheinbar auf Sie ganz persönlich zugeschnitten sind.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.