Wo das Internet noch alles lebt

CC-BY EFF

Vielleicht erinnert ihr euch noch an den #rp14-Vortrag „Wo das Internet lebt“ des Berliner Radiojournalisten Moritz Metz. Für das Deutschlandradio Kultur und ARTE Future, den BR und SWR hat er das Internet gesucht – und heute bei ARTE Future die letzte Such-Episode veröffentlicht; als HTML5-Audioslides, erstellt mit dem Mozilla Popcorn Maker.

Wir crossposten hier zusätzlich den Text zum Nachklicken. Eine umfangreiche Linksammlung von Internetkarten, Reportagen und Kunstaktionen zur physischen Seite des Internets. Fazit: das Internet sind nicht nur seine Kabel und Rechenzentren. Das Internet sind wir!

Wo das Internet noch alles lebt

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Über ein Jahr habe ich für ARTE Future und Breitband im Deutschlandradio Kultur das Internet gesucht – von Kalifornien bis Kronstorf, von Gibraltar bis Nairobi. Ich wollte wissen: Wie sieht das Netz physisch aus? Wie verändert das Netz Orte? Wie prägen Orte das Netz? Auch wenn ich so viel gereist bin: die meisten Geschichten übers Internet und dessen Infrastruktur habe ich im Internet gelesen. Geschichten, wie die aus Nettersheim in der Eifel, wo sich die Anwohner selber ihren DSL-Anschluss buddeln. Die Geschichte von einer abgelegene Hütte in Bjørndalen, Norwegen, die einen der weltweit schnellsten Internetanschlüsse hat – aber keine Wasserversorgung. Von der rumänischen Kleinstadt Râmnicu Vâlcea, die dank gutem Internetzugang eine der Cyberkriminalitäts-Hochburgen weltweit ist. Von einer georgischen Rentnerin, die versehentlich 90% des armenischen Internets lahmgelegt hat. Oder von einem kanarischen Tiefseekabel, in dem 50 Haifischzähne steckten.

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Solche Haifischbisse sind weniger eine Herausforderung für die Internet-Infrastruktur als deren riesiger Energieverbrauch. Wäre die Cloud ein Land, wäre sie das mit dem fünfthöchstem Stromverbrauch der Welt, errechnte eine Greenpeace-Studie. Und der größte Teil der Energie entfällt auf die Kühlung der Server. Deshalb nutzen manche die Abwärme, wie das Dresdner Startup Cloud&Heat, das Cloud-Server als Heizung in die Keller von Wohnhäusern verteilt, damit die als Datenheizungs-Nebeneffekt das Haus erwärmen. Genauso duschen die 500 Mitarbeiter der Hamburger Müllabfuhr mit der Abwärme des betriebseigenen Rechenzentrums – bestimmt spannend für eine Reportage.

Andere Journalisten haben das Netz auch gesucht. Andrew-Blum aus New York reiste im Buch „Tubes“ (dt: „Kabelsalat“) der anfassbaren Seite des Internets hinterher. Guido Berger war dabei, wie ein Internetkabel in Afrika angeschlossen wurde. Lance Walkeling ist die Seestellen des Transatlantikkabels AC-1 abgereist. Die Firma Buildvisible hat eine lange Scrollytelling-Geschichte zu Tiefseekabeln geschrieben. Und Richard Gutjahr hat versucht, sich ans riesige NSA-Rechenzentrum in Utah heranzupirschen. Die Electronic Frontier Foundation besuchte die NSA gar mit einem Luftschiff und stellte hochauflösende Fotos ins Netz. 

Digital Etherreal

Auck Künstler haben sich mit dem pyhsischen Netz beschäftigt. Das Projekt Digital Ethereal von Luis Hernan macht die Strahlung von Funknetzwerken sichtbar – inklusive Android-App für eigene Fotos. Aram Barthol stellt die Ortsmarkierungen von Google-Maps als meterhohe Installationen in den öffentlichen Raum. Die Video-Installation „Internet Machine“ von Timo Arnall zeigt Bilder von Rechenzentren auf sechs Bildschirmen. Matt Parker hat aus Rechenzentrums-Geräuschen Musik komponiert und bloggt über die Auswirkungen der Cloud auf den Menschen. John Kelsey malt die Landschaften um Rechenzentren. Bei der Installation „Mostly Cloudy“ von Max Wohlleber ziehen Rechnenzentren wolkengleich über Städte. Und das Wired Eye Projekt von Anuradha Reddy und Samantha Miller betrachtet Fotos von Rechenzentren durchs Kaleidoskop.

Gregs Cable Map

Neben künstlerischen Versuchen, die Internetinfrastruktur zu verstehen, gibt es: kartographische Ansätze. Karten wie Gregs Cable Map oder die von Telegeography zeichnen nur Seekabelverläufe. Dagegen zeigt die Kabel-Firma Level3 auch ihre unterirdischen Kabelwege. Und die Internetkarte vom Institut für Internet-Sicherheit abstrahiert die „wichtigsten Datenautobahnen Deutschlands“. Aber es gibt auch andere Kartierungsmöglichkeiten des Internets. Opte.org zeichnet seine Internetkarte anhand von Verzögerungszeiten, die Datenpakete zwischen Knotenpunkten benötigen. Internet-Map.net sortiert die wichtigsten Websites des Netz nach Traffic. Die Karte von Chris Harrison zeigt die Verbindung zwischen Städten.  „Andes“ von Nicolas Garcia Belmote lässt dort Berge wachsen, wo viel getwittert wird. Gregor Aisch von der NY Times hat für die „Digital Divide“-Weltkarte die Bevölkerungsdichte mit IP-Adressen korreliert. Mit dem „Carna Botnet“ hat ein anonymer Hacker aus Pings an 420 Millionen internetverbundene Geräten eine Weltkarte des Internets gezeichnet – so ähnlich wie die „Pingmap“ der Firma Shodan. Beide zeigen den afrikanischen Kontinent sehr dunkel – was Sascha Lobo in seinem Blog kritisiert. Große Teile des afrikanischen und aucbh asiatischen Internets basieren auf den IPv6-Standard und würden bloß deshalb nicht erfasst. Afrika ist gar nicht mehr offline – was nicht nur der Africa Hack Trip oder das Filmprojekt „Made in Africa“ beweisen.

Der iHub in Nairobi - Foto Moritz Metz

Den Aufstig des afrikanischen Internets lernte ich auch direkt kennen bei einem Besuch in Nairobi, Keniawo immer mehr Menschen das Netz benutzen und manche im iHub-Gründerzentrum neue Startups gründen – beispielsweise für die Staumelder-App Ma3route oder den extrastabilen BRCK-Router, der ganze Dörfer mit Internet versorgen soll. Die Internet-Revolution kommt hier dank mehrerer Tiefseekabel rund um Afrika, die Steve Song in einer frei lizenzierten Karte zusammengestellt hat – die kommerzielle Afrika Transmission Map kostet dagegen 260 bititsche Pfund. Zwar gibt es in Afrika noch relativ wenig terrestrische Glasfaserkabel, wie die der Firma Liquid aus Zimbabwe. Aber Deutschland und Frankreich gehören im Endkundenbereich auch nicht gerade zu den glasfaser-reichsten-Ländern der Welt, siehe auch den berüchtigten Breitband-Atlas.

Grafik NSA

Eigentlich überspringt das Netz ja Landesgrenzen, fast ist es wie ein dezentrales Land. Dennoch sind Staaten schwer am Internetland interessiert und wollen rein, wie im Oman, wo der GCHQ in einer kleinen Station die internationalen Glasfaserkabel anzapft. Mit dem RAMPART-A Programm geschieht so etwas fast weltweit, wie mein Kollege und temporärer Reisegefährte Henrik Moltke anhand der Snowden-Dokumente herausgefunden hat. Und das ist längst nicht alles. Groben Schätzungen zufolge laufen mindestens 16% des privaten Internetetverkehrs durch Filter der NSA.

carte-web-en-lg

Die Reporter ohne Grenzen kartographieren die Schwarzen Löcher des Internets – also Länder, die das Netz überwachen. Die Karten-Software „Backtrack“ von Studenten des Karlsruher Institut für Informatik und Technologie macht „Datenverfolger und Drittanbieter“ im Netz erkennbar und zeigt, in welche Länder unsere Daten fließen. Ebenso die interaktive Prism-Karte von OpenDataCity, die den Weg visualisiert, den unsere Daten zu gängigen US-Portalen nehmen – welche Geheimdienste können unterwegs alles mitschnüffeln?

SCREENSHOT WDIG-PROJEKT

Dieses Projekt war auch Vorbild für ein eigenen Versuch, herauszufinden, wo das Internet lebt: Ich habe eine Seite auf meinem Berliner Server programmiert, die Besuchern grob anzeigt, auf welchem Weg die Verbindung von ihnen nach Berlin hergestellt wurde. Über den Dienst Amazon Mechanical Turk habe ich Menschen weltweit dafür bezahlt, dass sie vorlesen, wie die Verbindungsdaten von ihrem Computer zu meinem Server verlaufen.

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Aber half das wirklich beim Finden des Internets? Ich glaube ja. Denn das Internet sind weniger seine Kabel, Server und Rechenzentren – das wichtigste am Internet: sind seine Nutzer. An allen Orten der Reise konnte ich sehen, mit welch wachsenden Hoffnungen aber auch Befürchtungen die Menschen das Netz erleben und beleben. Früher sind wir ins Internet „rein“ gegangen und wieder raus, so wie Boris Becker in einem Werbespot. Heute stecken wir immer „drin“ – und das Internet in uns. Über das Smartphone in der Hosentasche, über das smarte Zuhause, über Quantified-Self und Smart-Health kommt das Netz bis in unserem Körper an – und somit auch die Totalüberwachung der Geheimdienste.

Wenn unsere Leben und unsere Körper schon immer mehr mit dem Netz verschmelzen, dann sollten wir dafür kämpfen und spenden, dass es frei, gesund und unüberwacht ist. Denn das Internet: sind wir!

1 Ergänzungen

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.