Was „Polizeiruf 110“ mit Netzpolitik zu tun hat

polizeiruf110

Sonntags Abends um 20:15 Uhr heißt für viele, sich mal mehr, mal weniger über Klischees des deutschen Polizeiermittlungsalltags zu amüsieren und nicht selten aufzuregen. Alle wissen, dass die Polizeiarbeit, die es im Tatort oder Polizeiruf 110 zu sehen gibt, mitnichten die Realität repräsentiert, doch die Prägung der öffentlichen Wahrnehmung durch die Urgesteine der deutschen Krimis ist nicht zu verleugnen. Schon einige Themen wurden durch die sonntagabendliche, nicht immer unfallfrei ablaufende Thematisierung in den öffentlichen Fokus gerückt.

Auch netzpolitisch warten Tatort und Polizeiruf immer wieder mit Diskussionsmaterial auf. Funkzellenabfragen, Quellen-TKÜ, IP-Adressen-Abfrage – Ermittlungsinstrumente auf die auch die Sonntagsermittler nicht verzichten wollen. Oftmals hört man es schimpfen auf die rechtlichen Auflagen und Einschränkungen, der gestrige Polizeiruf „Eine mörderische Idee“ bildete da keine Ausnahme. Ein lieber Leser hat sich die Mühe gemacht und bezeichnende Dialoge transkribiert (Danke!).

(21:05) Kriminaloberst: Ich versuch da gerade herauszufinden wer sich auf der Webseite von Max Hoelzl alles rumgetrieben hat. Aber ich weiß nicht wie ich das mit dem Datenschutzbiblablubb da machen …

Da wo früher in Schimanski-Manier die Notwendigkeit eines Durchsuchungsbeschlusses durch Charme oder alternativ Gewalt gegen Türen ignoriert wurde, wird heute schonmal am Richterbeschluss vorbei nach IP-Adressen gefragt:

35:30 HK Drexler: Sie haben was für mich?
Vorgesetzter: Hier, die IP Adressen von allen, die auf der Seite der Max Hoelzl Genossen waren.
Kollege Mautz sucht jetzt nach geeigneten Treffern im Raum Magdeburg.
HK Drexler: Konnten Sie den Ermittlungsrichter überzeugen?
Vorgesetzter: Nicht direkt. Ein alter Freund vom Verfassungsschutz hat uns die Daten besorgt.
HK Drexler (überrascht): Verfassungsschutz? Aber der Weg ist illegal.
Vorgesetzter: Der Gerichtsbeschluss ist bestellt, ich hab den beantragt und er kommt gleich.
HK Drexler: Wann?
Vorgesetzter (gereizt): Drexler, jetzt bitte! Er ist beantragt und ich warte drauf. Jede Minute wird er kommen. Stellen Sie sich mal nicht so an. ER KOMMT GLEICH!
(Hauptkommissar Drexler verlässt das Zimmer mit den Unterlagen)

47:50
Bibliothekar: Also ich weiß nicht, ob ich Ihnen diese Info jetzt so einfach geben kann.
HK Drexler: Ja, ich kann das sehr, sehr gut verstehen, das Sie da … natürlich Schwierigkeiten haben mit dem … (er lenkt ab und beginnt den Bibliothekar über sein Hemd auszufragen. Der Mitarbeiter wird weich.)
Bibliothekar: Am 23. Mai um 21:27 sagen Sie?
HK Drexler: Genau, Sie können das doch rausfinden oder?
Bibliothekar: Natürlich, jeder Student hat sein eigenes Login, aber … (stockt) … brauchen Sie denn nicht einen …
HK Drexler: Genau, sehr klug beobachtet! Brauch ich, hab ich aber nicht. Ich würde Sie nicht drum bitten, wenn es nicht wirklich wichtig wär.
Bibliotheksmitarbeiter: Ich schau was ich machen kann.

Vielleicht sollte man sich öfters bewusst machen, dass die öffentliche Wahrnehmung nicht nur von Forderungen Zierckes nach Vorratsdatenspeicherung und den Äußerungen anderer Behörden- und Regierungsvertreter geprägt wird. Die sonntägliche Massenunterhaltung trägt auch ihren Teil dazu bei, wie die Haltung gegenüber polizeilichen Überwachungsinstrumenten in der Bevölkerung gesehen wird. Und es wäre schön, wenn das bisweilen in der Fiktion amüsante Grundrechte-Rowdytum der Ermittler nicht unkritisch vorbei- und in die Realnormalität einzieht.

18 Ergänzungen

  1. Das ist ein Thema über das ich mich immer sehr aufrege, propagierter Rechtsbruch durch die Tatortkommisare. Komischerweise dachte ich immer ich wäre die einzige der das so geht. In meinem gesamten (kritischen) Umfeld wird der ständige Rechtsbruch als nicht so schlimm weil fiktiv abgetan.
    Schön das ich nicht alleine bin!

  2. Für mich war es phänomenal, wie der „asiatische“ Polizeikollege allein durch physischen Zugang zum Serverraum auch gleichzeitig Zugang auf die Systeme hatte. Nicht selten wird suggeriert, dass Menschen mit asiatischen Background auch allesamt Edelhacker sind. Auch sollte man nicht annehmen, dass ein Rechenzentrum einer Uni (fiktiv Magdeburg) keine Passwortabfragen für die Server haben sollte, egal ob man direkt an der Konsole davor sitzt oder eben remote darauf zugreift. Es ist auch keineswegs realistisch, dass ein IT- Admin (in diesem Fall jener arrogante Prof.) allein Zugang besitzt und seine IT- Arbeit in diesem klimatisierten Raum erledigt. Der Autor des Krimis hat offensichtlich nur rudimentäre Kenntnisse von den Tätigkeiten der IT- Admins. Softwareentwickler sind eher seltene Gäste in Rechenzentren, wobei die Tätigkeit des Professors und seiner Studentengruppe eher in diesen Bereich zu verorten wäre. Auch sind die Systeme der Polizei offensichtlich (zumindest im Polizeiruf 110) noch so konfiguriert, dass der „Autostart“ beim Einstecken eines USB- Sticks aktiviert ist und ein Trojaner über den Arbeitsplatzrechner eines Beamten sofort Zugriff auf alle Systeme erhält und offensichtlich auch betriebssystemübergreifend programmiert wurde. Ich bin beeindruckt…

    1. … und ergänzend möchte ich noch anfügen, das der Brandschutz im RZ regelmässig nicht wie gezeigt durch „vakuumisieren“ der Server nebst Bedienpersonal realisiert wird.

      Üblicherweise wird der Sauerstoffgehalt der Luft im RZ durch einleiten von Stickstoff <17% gehalten. Für Menschen ohne gesundheitliche Probleme ist das ungefährlich – für den Ausbruch eines Brandes reicht der vorhandene Sauerstoff aber nicht aus (Information BGI/GUV-I 5162 "Arbeiten in sauerstoffreduzierter Atmosphäre" der DGUV Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung) /klugscheissmode off

      Aber Annas Punkt war ja die /Prägung/ der öffentlichen Meinung durch vermeindlich hinnehmbaren Rechtsbruch der schauspielenden Exekutive.
      Rechtsbruch bleibt Rechtsbruch – ob durch einen Studenten, die BuReg oder durch einen Polizisten begangen, spielt nicht wirklich eine Rolle.

    2. In der Computerforensik darf man sich natürlich nicht auf einem System einloggen, das System läuft dann ja und verändert sich. Vielmehr spiegelt man die Festplatten um einen eingefrorenen Zustand des Systems zu haben. Außerdem ist es so schwieriger möglich „Beweise“ zu platzieren. Festplatten kann man verschlüsseln, aber davon war im Film nicht die Rede- somit dürfte es dem Forensiker auch gelingen, das System als Beweis zu sichern.
      Befremdlich aus IT- Sicht fand ich nur, dass um ein Video in sehr mäßiger Qualität auszutauschen, ein „Hochleistungsrechner“ gebraucht würde.
      Übrigens fiel mir auf, dass endlich mal jemand (Kommissar Drexler?) sich darüber aufregte, dass illegal ermittelt wurde.

  3. Nicht „Hoelzl“! Der Held meiner Jugend heißt „Max Hoelz“.

    Leider gehören Kentnisse in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung heute nicht mehr zum Allgemeinwissen.

  4. Aber es beschränkt sich nicht auf den Tatort.
    Wenn ich mal früher zuhause bin bekomme ich ab und zu mit, was meine Lebensgefährtin so ansieht, „Sturm der Liebe“ u.ä.
    Da rollt es mir als Quasi-Laie die Fußnägel hoch, wie ständig das Recht, die StPO, Datenschutz, Computertechnik, allgemeine physikalisch Gesetze usw. durch Drehbuchautoren ausgehebelt werden.
    Meine Stieftochter meinte auch vor Jahren daß sie mit 16 ausziehen kann,“weil das ja bei GZSZ alle tun“… 8-)
    Aber was will man tun?
    JDB

  5. Im Tatort und beim Polizeiruf 110 sind die Täter und die ermittelden Beamten bereits seit Jahren nur durch die Schwere der begangenen Straftaten zu unterscheiden. Grundrechte gelten den Autoren generell als zu bereitigendes Hindernis für die Ermittler. Und so handeln die TV-Ermittler dann auch.
    Man versucht offensichtlich eine neue Realität zu schaffen, in der Datenschutz, die Unverletzlichkeit der Wohnung u.ä. keinen Platz mehr haben.

    Das das funktioniert merkt man, wenn man mal in die Fänge einer Rasterfahndung (freiwillige Abgabe einer Speichelprobe für tausende Anwohner) gerät. Das Auftreten der Beamten in so einem Fall scheint von der Tatort/Polizeiruf-Realität bestimmt zu sein. Ich wünsche dieses Erlebnis niemandem.

  6. Gibt es eigentlich im deutschen TV wenigstens irgendwelche Beispiele, wo sowas mal ansatzweise realistisch oder gesetzeskonform dargestellt wird?

    Ich erinnere mich da an „The Wire“. Die Cops arbeiten da nicht alle sauber, werden aber immerhin auch nicht als die strahlenden Helden dargestellt. Die Serie hat gerade das Thema der Telefonüberwachung („Wiretap“ => „The Wire“) super dargestellt.

    Wir haben doch in Deutschland seit langen Jahren intensive Diskussionen über das Thema. Warum ist das hier im TV kein Thema? Oder schaue ich nur nicht die richtigen Serien?

  7. Ich war zwischendurch nicht wirklich aufmerksam, aber ist den Ermittlern dieses Detail nicht zwischendurch mal um die Ohren geflogen, weil eben ein Großteil der Maßnahmen nicht richterlich abgesegnet war?

    Und hat sich nicht zumindest Drexler die ganze Zeit darüber aufgeregt, dass sie da illegal agieren?

    Abgesehen davon war natürlich nen Haufen Bullshit dabei.

    1. Drexler hat zwar die Unrechtmäßigkeit des Vorgehens kritisiert aber die Daten trotzdem mitgenommen. Später hat er den Bibliothekar bequatscht Daten rauszurücken (siehe Transkript oben). Die Daten wurden zwar später im Fall zum Problem, aber das Handeln der Kommissare bleibt inkonsequent und rechtlich fragwürdig.

  8. Ich möchte genau wie Pizuz und Trittbretttreter bezweifeln, dass diese datenschutz- bzw. rechtlichen Aspekte realistisch dargestellt sind. Aus zahlreichen persönlichen Erfahrungen heraus kann ich mit 99%iger Sicherheit sagen, dass beispielsweise Bibliothekare schon allein durch ihr alltägliches Arbeitsumfeld für den Datenschutz sensibilisiert sind und dagegen nicht verstoßen. Selbst eher ungefährliche Daten wie z.B. wer gerade ein bestimmtes, nachgefragtes Buch ausgeliehen hat, wird aus Datenschutzgründen nicht weitergegeben.

    1. Wenn dem so ist – super. Toll wäre, wenn Bibliotheken (sind die in einem Verein organisiert?) der ARD diese Sache um die Ohren hauen und das entsprechend publik machen.

  9. Die unrechtmäßigen Tätigkeiten der Polizei in „Tartort“ lassen sich auch dafür nutzen, auf den Grundrechtsbruch in der BRD hinzuweisen. ;) Die Figur des Drexler hat zumindest in der einen Szene bestätigt, dass die Beschaffung von IP-Adressen am Richter vorbei illegal ist. Oder war – wie ist das denn jetzt mit der Bestandsdatenabfrage?

  10. ich frage mich ja schon seit Jahren, was sich Drehbuchautoren so denken und wo/wie sie ansonsten leben.
    Werden die so lobbymäßig von den einschlägigen Behörden/Institutionen umgarnt? Lassen die ihrer Phantasie freien Lauf ohne jegliches gesellschaftskritisches Bewußtsein? Betreiben die überhaupt keine Recherche, wenn sie Fiktion schreiben? Werden die so schlecht bezahlt, dass sie schlichtweg keine Zeit für mehr Qualität/Realismus haben?
    Und denkt der 110-Autor jetzt vielleicht, er habe ein systemkritisches Buch abgeliefert, weil ein Beamter sich wg. mangelndem Datenschutz echauffiert?

  11. Ach, Polizeiruf 110……….da guck ich nur die Wierdeholungen der pre 90er Folgen. Die waren noch realistisch :o)

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