Aufatmen an Schweizer Universitäten: ETH Zürich darf weiterhin Dokumente digital verschicken

Zum wissenschaftlichen Alltag gehört es, sich mit relevanten wissenschaftlichen Aufsätzen zu versorgen. Sehr oft stößt man dabei aber in die Grenzen des digitalen Zugangs, der über die jeweilige Universitätsbibliothek erworben wurde. In so einem Fall ist die schnellste Möglichkeit, Kollegen an anderen Forschungseinrichtungen zu fragen, ob diese vielleicht Zugriff auf einen Artikel haben. (Ich bekomme jede Woche ca. 4-5 derartige Mails mit der Bitte um einen konkreten Artikel). Wenn auch dieser Umweg scheitert, ist die nächste Quelle häufig ein Dokumentenlieferdienst einer anderen Bibliothek, wo der Artikel entweder kopiert und per Post oder eingescannt und per E-Mail verschickt wird.

Einer der im deutschsprachigen Raum bekanntesten Dokumentenlieferdienste ist Subito e. V., ein Zusammenschluss verschiedener Lieferbibliotheken. Dessen Arbeit wurde durch die letzte größere Urheberrechtsnovelle in Deutschland Anfang 2008 massiv erschwert. Der damals neugefasste § 53a UrhG erlaubt einen digitalen Kopienversand nämlich nur noch dann ohne Zustimmung des Rechteinhabers, „wenn der Zugang zu den Beiträgen […] den Mitgliedern der Öffentlichkeit nicht offensichtlich von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl mittels einer vertraglichen Vereinbarung zu angemessenen Bedingungen ermöglicht wird.“ Subito verschickt deshalb nur noch Kopien solcher Aufsätze digital – Post und Fax bleibt weiterhin möglich – wo entweder kein Pay-per-View-Angebot des Verlages besteht oder ein eigener Lizenzvertrag mit dem Verlag abgeschlossen wurde; letzteres verteuert dann aber naturgemäß den Versand um individuell ausgehandelte Lizenzgebühren.

logo-schweizer-bghDie für die Schweiz zuständige Lieferbibliothek ist die ETH Zürich und diese hat nun bis zum Schweizer Höchstgericht durchgefochten, dass sie Dokumente auch bei Bestehen von Online-Angeboten der Verlage einscannen und verschicken darf. In der Pressemeldung zum Urteil 4A 295/2014 heißt es dazu:

Gemäss Urheberrecht ist es zulässig, dass berechtigte Personen zum Eigengebrauch einzelne Artikel aus den Zeitschriften einer Bibliothek auf deren Geräten kopieren, beziehungsweise scannen. Von Gesetzes wegen darf diese Vervielfältigung auch durch Dritte erfolgen, also durch die Bibliothek selber. Der anschliessende Versand durch die Bibliothek an den Besteller stellt keine Handlung dar, die urheberrechtlich von Bedeutung wäre und bedarf damit keiner Erlaubnis.

In den Vorinstanzen war die ETH Zürich noch den klagenden Verlagen Elsevier, Springer und Georg Thieme unterlegen.

Ganz allgemein sind die Regelungen zum Dokumentenversand von Bibliotheken ein Musterbeispiel dafür, wie lebensfremd das Urheberrecht gerade auch im Wissenschaftsbereich ist. Ein diesbezügliches „Schmankerl“ von der Seite des Dienstes Subito:

Sofern eine Lieferung per Email oder FTP erfolgt, darf weder die Datei noch der Link an Dritte weitergegeben werden. Die Kopie darf nur einmal ausgedruckt werden und die Datei muss anschließend dauerhaft gelöscht werden. Jegliche Speicherung ist untersagt.

Nur einmal Ausdrucken und danach dauerhaft löschen?  Auf diese Idee muss man erstmal kommen. Ich würde jedoch bezweifeln, dass diese Rechtsauskunft von Subito korrekt ist (mal ganz abgesehen davon, dass es ohnehin schwierig wäre, hier für Rechtsdurchsetzung zu sorgen). Denn schließlich wird in Deutschland ja sogar eine Speichermedienabgabe erhoben und Subito entrichtet für den Kopienversand auch Tantiemen an die VG Wort.

Bleibt nach dem Schweizer Urteil die Frage, wann sich auch Deutschland von derart restriktiven Bestimmungen im Wissenschaftsurheberrecht verabschiedet. Jedenfalls dürften Schweizer Forscher in Zukunft mit einer steigenden Zahl von Anfragen deutscher Kollegen zu kämpfen haben, die sie um Unterstützung bei der Literaturrecherche bitten.

 

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2 Ergänzungen

  1. Sehr gute Nachrichten, in Deutschland hatte das ja leider bereits das OLG München ausdrücklich untersagt.
    In der Tat ist dieser Komplex an Absurdität nicht mehr zu überbieten, ich hatte darüber seinerzeit meine Studienarbeit geschrieben. Ein Großteil der Absurditäten rührt daher nichtmal unmittelbar vom Gesetzgeber her, sondern beruht auf der Tatsache, dass es einen Rahmenvertrag zwischen Bibliotheken, Subito und den Verlagen gibt, der nochmals restriktiver und bescheuerter ist als § 53a UrhG. Bibliotheken könnten auch außerhalb von Subito wohl in rechtlich zulässiger Weise digitale Kopien verschicken – das war schließlich der Grund für § 53a Abs. 1 S. 3 UrhG. Sie trauen es sich jedoch alle nicht aufgrund der vagen Formulierungen und extremen Rechtsunsicherheit (zumindest war dies bis vor einigen Jahren so).

    1. Das mit den noch restriktiveren Bestimmungen des Vertrags zwischen Subito und Verlagen stimmt sicher, nur vermag so ein Vertrag ex lege bestehende Schranken wie eben die Privatkopieschranke nicht auszuhebeln. Deshalb würde ich die Rechtsmeinung vertreten, dass die Rechtsauskunft von Subito – Vertrag hin oder her – falsch ist.

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