Wer im Landkreis Gotha zukünftig per Mobiltelefon den Notruf 112 wählt, wird automatisch per Funkzellenabfrage geortet. Das melden verschiedene Medien unter Berufung auf einen Sprecher des Landkreises und einen Bericht des MDR Thüringen. Nach Abschluss eines zweimonatigen entsprechenden Pilotprojektes sei dieses als erfolgreich bewertet und in den „Regelbetrieb“ übernommen worden. Der Test in der Rettungsleitstelle habe gezeigt, „dass der Nutzen die Kosten überwiege“. Das System habe sich laut dem Bericht „in mindestens zwei Fällen als nützlich erwiesen“.
Die benötigte Technik soll demnach 6.000 Euro kosten. Der Bericht erklärt nicht, auf welcher Grundlage die Funkzellenabfrage arbeitet. GPS-Koordinaten würden jedoch aus rechtlichen Gründen nicht genutzt.
Erlaubt wäre beispielsweise die direkte Abfrage der Standortdaten in Echtzeit übder den Provider, wie es im 2008 erlassenen „Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen“ geregelt wurde. Möglich wäre aber auch der Versand einer „Stillen SMS“, die einen verdeckten Kommunikationsvorgang veranlaßt und damit den Provider zwingt, die Standortdaten zu protokollieren. Diese können dann abgefragt werden.
Das „Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen“ sollte die „Stillen SMS“ laut der Gesetzesbegründung eigentlich überflüssig machen. Allerdings sind die Standortdaten der heimlichen „Ortungsimpulse“ laut dem Juniorprofessor an der Freien Universität Tobias Singelnstein genauer als jene aus der Echtzeit-Ausleitung.
Laut dem MDR ist keine landesweite Einführung der automatischen Handy-Ortung geplant. Mehrere Landkreise haben aber Interesse bekundet, sieben Interessierte hätten sich das System bei der Rettungsleitstelle Gotha bereits angesehen.
Letzten Donnerstag Freitag hat der Thüringer Landtag das umstrittene neue Polizeiaufgabengesetz diskutiert und heute verabschiedet. Dort werden neue Befugnisse zur Gefahrenabwehr geregelt, also dem polizeilichen Eingriff bevor eine Straftat begangen wird. Diese quasi-geheimdienstliche „Vorfeldaufklärung“ ist unter BürgerrechtlerInnen höchst umstritten.
Das neue Polizeiaufgabengesetz definiert nun die Möglichkeiten zur Observation und zur Wohnraum- und Kommunikationsüberwachung – gemeint sind Vorratsdatenspeicherung, Staatstrojaner und das Abschalten von Kommunikationsnetzen.
Die Handy-Ortung bei Notrufen ist heute schon bereits fast überall in Deutschland möglich, wird aber normalerweise nur bei Bedarf vom Disponenten in der Rettungsleitstelle angefordert.
Gesetzliche Grundlage hierfür ist die Verordnung über Notrufverbindungen (NotrufV), speziell §4 Absatz 4 Ziffer 2.
Die Neuerung scheint hier nur zu sein, dass dieser Landkreis das nun für jeden Notruf durchführt. Mit Stiller SMS hat das nichts zu tun!
Die Stille SMS wird für den Abruf besagter Daten benötigt – Stille SMS ist genauer als das Live Ausleseverfahren
Nein.
In dem Moment, in dem eine Verbindung (Gespräch) aufgenommen wird, ist die jeweilige Basisstation in einigen Netzinstanzen bekannt, genauer wirds nicht.
Kein Problem, wenn man gleichzeitig auch die Ortsdaten der Gegenseite erhält …. Ist übrigens interessant, die Ortsdaten als Metadaten zu definieren. Ist ja keine Privatsphäre, wo man sich aufhält oder aufgehalten hat ;)
Seit Anfang 2013 werden alle Leitstellen gemäß der technischen Richtline Notruf per ISDN-Netz durch eine Erweiterung der Kommunikation im D-Kanal mit Ortungsinformationen versorgt. Bei Handys ist das üblicherweise die Koordinate der BTS (wie bei der Zellortung), bei Festnetzanschlüssen wird sogar der Wohnort samt Straße und Hausnummer übertragen. Das Verfahren gilt für alle Anrufe bei 112 und 110 (Polizei). Die Leitstellen müssen allesamt aufgerüstet werden, denn diese TR Notruf ist keine freiwillige Bestimmung.
Es handelt sich dabei technisch nicht um eine Handyortung, weil die Ortsinformation vom Mobilfunkbetreiber beim Anwählen der 112/110 einfach hinzugefügt werden, ohne dass es einer Ortung bedarf.
Den Abschnitt mit der Vorfeldaufklärung finde ich etwas mißverständlich. Gefahrenabwehr und Vorfelderklärung sind zwar miteinander verwandt, aber nicht immer das gleiche.
„Gefahrenabwehr“ ist ein sehr weiter Begriff (Bsp: Morscher Ast über einem Gehweg -> polizeiliche Anordnung, diesen zu entfernen) und findet tagtäglich statt (deshalb bspw. auch gleich in §1 Polizeigesetz BW geregelt).
„Vorfeldaufklärung“ ist meines Wissens nur ein Teil der Gefahrenabwehr, der aber dennoch kritisch zu sehen ist.
Wie schon oben angemerkt, der Netzbetreiber ist seit 2009 verpflichtet „Angaben zum Standort des Endgerätes, von dem die Notrufverbindung ausgeht“ bei Herstellung des Notrufes zu übermitteln, d.h. nicht erst wenn irgendjemand das anfordert. Das hätte man auch vor Erstellung des Artikels einfach herausfinden können.
http://www.buzer.de/s1.htm?a=4+notrufv Abs. 4 Nr. 2, bis 2012 Abs. 3 Nr. 2
Wie genau ist das denn jetzt im Mobil-Bereich? Wird da nur die Funkzelle erfasst oder wird da wirklich die Laufzeit zu verscheidenen Funkmasten gemessen und dann trianguliert? Bei letzeren ist in der Stadt doch auch nicht viel mehr als 25-50m Genauigkeit möglich oder?
So, der Nutzen überwiegt die Kosten, ja? Ist das alles was die sich bei einer neuen Technik fragen? Sitzt da vielleicht jemand dabei, der sich Gedanken macht, ob das rechtlich überhaupt in Ordnung ist bzw ob das öffentlich akzeptiert werden kann, was die da vorhaben?
Und wenn ich nicht geortet werden will, bleibt mir also nichts Anderes übrig, als im Ernstfall die Hilfeleistung zu unterlassen. Ist ja geil.
Klar sind das wichtige Fragen. In diesem Fall frage ich mich aber umgekehrt, wie es sonst gehen soll. Bei Röchelrufen ist die Möglichkeit einer Ortung nun mal unerlässlich, und das Einverständnis holen kann der Leitstellenmitarbeiter ja in so einem Fall auch nicht. Es muss also im Ermessen des Mitarbeiters liegen, ob er so eine Ortung macht oder nicht.
Dass eine Ortung aber per Default bei jedem Anruf gemacht wird, das halte ich allerdings auch für unnötig.
Also kurz zusammengefasst: Besser der andere stirbt, als dass man mich ortet? Du scheinst der typische Gaffer und wenn es darauf ankommt Weggucker zu sein. Wie menschenverachtend!
Vielleicht sei noch darauf verwiesen, dass schon viel länger die Rufnummer des Anrufers übertragen wird. Ob da nun noch der Standort dabei ist oder nicht, ist doch für den Anrufer völlig egal. Diese automatischen Standortdaten können die entscheidenden Sekunden sein. Bestandteil jedes ernsthaften Notruf ist eine mündliche Standortangabe, ich sehe also keinen Fall, wo die automatische Ortsermittlung keinen Sinn macht.
Das sehe ich auch so. Bei aller Angst vor Überwachung. An dieser Stelle ist dies Sinnvoll ! Wenn ich eine Notrufnummer Wähle geht es in den meisten fällen um… einen Notruf bei dem ich erwartet das mir geholfen wird. Vorsicht und diese Technik gegen Missbrauch schützen JA ! Hilfe so schnell wie möglich zur Verfügung stellen JA ! Das sollte kein Wiederspruch sein.
Nein, ich bin kein Gaffer, mein Kommentar war nur überspitzt formuliert. Natürlich würde ich im Notfall auch dann Hilfe rufen, wenn ich geortet werden würde.
Aber wo bleibt denn da meine freie Entscheidung, ob ich in irgendwelchen Datenbanken auftauchen will? Mein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung? Datensparsamkeit?
Wenn ein „Röchel-Anruf“ ankommt kann man die Ortung ja meinetwegen auf Knopfdruck einschalten, aber dann ist das immer noch ein Mensch, der das einschaltet und der sich im Zweifelsfall dafür verantworten muss. Wir reden hier davon, dass das automatisch passiert. Das find ich nicht in Ordnung.
Werte Foristen,
ich möchte gern ein wenig zur Aufklärung beitragen – nicht zuletzt, weil im Überschwang der Meldungen wesentliche Sachverhalte derart reduziert worden sind, dass sie z. T. falsch verstanden werden können.
Zunächst: Es gibt keine automatische Ortung aller eingehenden Handyanrufe, wie die Meldungen suggerieren. Wenn ein Anrufer seinen Standort nicht kennt oder sich nicht artikulieren bzw. verstanden werden kann, dann ist die Ortung der Funkzelle für die Disponenten die einzige Möglichkeit, den Standort des Hilfesuchenden zumindest einzugrenzen. Und das wird nur fallbezogen getan, keineswegs generell. Dafür sorgt allein der Umstand, dass die Anwendung zur Ortung der Funkzelle sowohl software- als auch hardwareseitig komplett getrennt ist von der normalen Arbeitsumgebung der Leitstelle. Es existiert ein separater Rechner ohne Anbindung zur Protokollsoftware.
Wie beschrieben werden keine konkreten GPS-Daten übermittelt und damit keine punktgenaue Ortung durchgeführt, sondern lediglich der Standort der Mobilfunkantenne und deren Abdeckungsgebiet übermittelt. Diese Daten müssen die Netzbetreiber zur Verfügung stellen.
Einer der Foristen hat zu Recht angemerkt, dass dies im städtischen Raum wenig zielführend ist – was natürlich stimmt. In der Fläche sieht das bereits anders aus. Unsere Region bspw. ist von weiten Waldflächen geprägt. Hilfesuchende dort – Handyempfang vorausgesetzt – zumindest grob lokalisieren zu können, ist ein unschätzbarer Vorteil. Vor drei Jahren bspw. hatte sich ein Wanderer Anfang Februar bei -15 Grad und nachts im Thüringer Wald verirrt. Empfang gab es, so dass er einen Notruf absetzen konnte. Leider konnte der Mann nur sehr vage angeben, wo er sich aufhielt – was einen Großeinsatz von Feuerwehren, Polizei, THW und Spürhunden zur Folge hatte. Die Geschichte ist glimpflich ausgegangen, Gott sei Dank. Allerdings hätte der Einsatz mit der neuen, jetzt zur Verfügung stehenden Technik wesentlich effizienter durchgeführt werden können, ganz einfach weil der Standort näherungsweise lokalisiert werden kann. Zweites Beispiel sind etwa fremdsprachige LKW-Fahrer, die auf der Autobahn ein Problem haben, aber nicht genau sagen können, zwischen welchen Anschlussstellen sie sich befinden. Auch in diesem Fall ist die Anwendung nützlich; beide beschriebenen Szenarieren sind beileibe keine Einzelfälle, sondern treten mehrmals im Jahr auf, teilweise auch monatlich auf.
Zur rechtlichen Einordnung, die „Krabbler“ angesprochen hat: Die Einführung des Systems ist nichts weiter als die Umsetzung geltender Anforderungen, die aus der EU-Universaldienstrichtlinie (2002) resultieren und inzwischen Eingang gefunden haben in das deutsche Telekommunikationsgesetz (§ 108, seit 2004, zuletzt geändert 2012) sowie die Notrufverordnung (zuletzt geändert 2012) und die Technische Richtlinie Notruf (2011). Hier wird also nicht nach Gutdünken verfahren, sondern schlicht nach den gesetzlichen Anforderungen.
Ich hoffe, meine Ausführungen konnten zumindest einige der offenen Fragen beantworten.
Viele Grüße
Adrian Weber, Sprecher des Landkreises Gotha
Da die von Ihnen erwähnten Gesetze und Verordnungen schon explizit die Formulierungen (Pflicht) enthalten die Geokoordinate im Fall eines Notruf zu übermitteln und das nur durch 8.1.3 („Technische Richtlinie für Notrufverbindungen“) eingeschränkt wird ist es imho nur eine Frage der Zeit bis man es dem Telefondiensteanbieter ermöglicht entgegen 8.1.3 Zugriff auf die vom Endgerät oder Endnutzer ermittelbaren Standortdaten zu ermöglichen. So wie man das kennt vermutlich indem man in einem anderen Gesetz oder Verordnung eine Formulierung schafft die genau das aushebelt. Z.B. das der Endnutzer nur die GPS Daten Rohdaten empfängt und überträgt, die Positionsermittlung aber erst beim Netzbetreiber erfolgt. Siehe „911 Notrufgesetze“ in USA wo unter anderem so problemlos die GPS bestimmte Position jedes smartphone users auch durch Ermittlungsbehörden und natürlich NSA ohne Kenntnis des Endnutzers ermittelt werden kann. Und da wir im wesentlichen die gleichen smartphonechips wie in den USA verwenden kann man sich ja vorstellen wie klein schon jetzt die technische Hürde in D sein muss…. Das Problem ist das hier eine Infrastruktur geschaffen wird die es ermöglicht jederzeit die Position metergenau ohne zutun des Endnutzers zu ermitteln. Wider eine dieser typischen Fremdbestimmungen. Sowas kann und darf man einfach nicht unterstützen. Das wird früher oder später dann entsprechende Begehrlichkeiten an anderen Stellen wecken und zu Nutzungen führen wie es mit allem anderen schon der Fall war.