Stimmen zum Deutschlandnetz

Die Deutsche Telekom präsentiert heute in Bonn im Rahmen eines Cyber Summits die Idee eines Deutschlandnetzes, wahlweise erweitert über ein Schengen-Netz, was auch wiederum bei konservativen Politikern die Augen leuchten lässt. Wir haben verschiedene Experten angefragt, was von der Idee eines nationalen Routings zu halten ist und ob damit auch die eigentlichen Ziele erreicht werden, nämlich dass unsere Kommunikation weniger überwacht wird. Was man auch immer bedenken sollte, wenn man jetzt ein Schengen-Netz fordert: Wir wissen immer noch nicht, ob und wo GCHQ und NSA auf dem Kontinent mitlauschen, wahlweise durch gehackte Provider, angezapfte Backbones oder durch profane Kooperationen mit den nationalen Geheimdiensten. Wenn dem so ist und die Wahrscheinlichkeit ist ziemlich hoch, dann ist wiederum viel obsolet, was jetzt angedacht wird. Aber hier sind die Stimmen der angefragten Experten:

Frank Rieger, Sprecher des Chaos Computer Club:

„Das Gerede vom ‚deutschen Internet‘ und den nötigen großen Anstrengungen dafür ist etwas scheinheilig. Die Telekom will, entgegen der überall sonst üblichen Gepflogenheiten, Geld dafür, daß sich andere Internetanbieter mit ihrem Backbone-Netz verbinden. Normalerweise schliessen sich diese an Knotenpunkten wie dem DE-CIX ohne gegenseitige Rechnungsstellung zusammen, das nennt man „peering“. Da nun niemand der Telekom Geld bezahlen will, routen die meisten Anbieter ihren Verkehr Richtung Telekom über andere, meist US-amerikanische und britische Carrier, mit denen sie kostenfrei peeren können. Sobald die Telekom aufhört das Peering durch Geldforderungen zu behindern bleibt der allergrößte Teil des ‚innerdeutschen‘ Internetverkehrs ohnehin in Deutschland und ist damit auch (zumindest in der juristischen Theorie) dem Zugriff des BND entzogen.“

Andreas Bogk, Hacker:

„Wäre der Telekom wirklich daran gelegen, Datentransfers zwischen Rechnern innerhalb Deutschlands abzuwickeln, hätte sie schon seit mehr als einem Jahrzehnt die Gelegenheit gehabt, mit anderen deutschen Providern Peering-Beziehungen aufzubauen. Ohne solche Peering-Vereinbarungen kann man den Vorstoß nur als substanzlose PR bezeichnen. Im übrigen ändert auch ein Deutschland-Netz nichts an der Überwachung, sei es heimlich durch ausländische Dienste, oder ganz offiziell durch deutsche Stellen.“

Dr. Rüdiger Weis, Professor für Informatik an der Beuth-Hochschule für Technik Berlin:

„Das Internet hat seine Innovationskraft gerade durch einen offenen Datenaustausch erlangt. Staatliche Eingriffe und „nationale Lösungen“ gefährden das technische und organisatorische Funktionieren des Netzes. Trotzdem sollte man Verständnis haben, wenn die deutsche Industrie sich durch das Ausmass der Industriespionage gefährdet sieht und jetzt über Notwehrmassnahmen nachdenkt. Fragen muss sich die IT Industrie allerdings, warum sie nicht schon lange strategische Verbindungen durch starke Kryptographie schützt. Kryptographie ist ja gerade die Wissenschaft des sicheren Datentransportes über unsichere Leitungen. Wichtiger als ein „nationale Routing“ ist sicherlich das Vermeiden von Hintertüren in US Produkten. Insbesondere die Zwangsaktivierung der Trusted Computing Architektur von Microsoft und Partnerfirmen bedarf einer gründlichen Neubewertung. Der Kontrollchip TPM soll in die gesamte IT Infrastruktur Anwendung finden. Hier droht ein tiefgreifender Kontrollverlust für Industrie und Anwender.“

John F. Nebel, Blogger bei metronaut.de:

„Das Gerede um die Einführung um ein Deutschlandnet – also der digitale Transport bestimmter Informationen nur über deutsche Server – ist für die Telekom ein Marketing-Gag und für die Bundesregierung eine willkommene Blendgranate. Für Grund- und Freiheitsrechte ist nichts gewonnen, wenn statt der NSA dann BND, BKA, Verfassungsschutz und deutsche Polizeien mit Vorratsdatenspeicherung und direkter Überwachung am Internetknoten ohne jeglichen Anfangsverdacht das Netz abschnorcheln. Wenn Politik und Wirtschaft wirklich etwas an der Privatsphäre der Bürger liegen würde, dann würden die Vorratsdatenspeicherung verhindert, Datenschutzbestimmungen verbessert, Geheimdienstbefugnisse beschnitten und Überwachung zurückgefahren. Gleichzeitig würde dann Ende-zu-Ende-Verschlüsselung finanziell gefördert werden, damit diese Technologie den Sprung in den Mainstream schafft. Doch daran hat die Bundesregierung kein Interesse. Das zeigen Projekte wie DE-Mail, die mit Pseudo-Verschlüsselung keinen Schutz vor der Überwachung des Staates bieten. Die Nationalisierung oder Europäisierung der NSA-Debatte lenkt nur ab vom Fakt, dass Deutschland und andere EU-Länder genauso abhören (wollen), wie es NSA und GHCQ schon heute tun.“

Alvar Freude:

„Dass die Provider in Deutschland mehr Peerings untereinander durchführen ist schon lange überfällig. Wenn das Vorhaben der Telekom also dazu führt, dass (innerdeutsche) Verbindungen über weniger Umwege wie zum Beispiel über (vermutlich) NSA-verseuchte Provider wie Level3 gehen, dann ist das ein richtiger Weg. Das darf aber natürlich nicht zur Abschottung und einem Deutschland-Net oder zur gesteigerten Überwachung durch andere Geheimdienste wie den BND oder den „Verfassungsschutz“ führen.“

Bereits Ende Oktober erklärte das deutsche Chapter der Internet Society: Balkanisierung des Internet kein geeignetes Konzept für mehr Datenschutz und Datensicherheit.

„In diesem Zusammenhang sieht ISOC.DE besonders solche Forderungen als kritisch an, die gesetzliche Regelungen erreichen wollen, die den freien und neutralen Fluss von Datenpaketen im Internet beispielsweise durch eine Pflicht zum „National Routing“ begrenzen sollen. Die Idee, dass sich IP-Pakete im Internet – egal ob sie E-Mails, Sprachnachrichten oder andere Inhalte transportieren – nicht mehr den schnellsten, technisch und ökonomisch besten Weg selbst suchen dürfen, sondern sich vielmehr an nationalen Grenzen zu orientieren hätten, steht im grundsätzlichen Widerspruch zu den fundamentalen Prinzipien des Internets, für deren Erhaltung und Fortentwicklung die Internet Society weltweit kämpft. Denn die Prinzipien der Offenheit, Transparenz und Neutralität sind es, wegen denen das Internet in seiner 45-jähriger Geschichte seine einzigartige gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung erlangen konnte. Vorschläge, die eine Re-Territorialisierung der Strukturen des Netzes und damit seine „Balkanisierung“ erzwingen wollen, würden dagegen das Ende eines freien Internets einleiten und so zugleich auch die gesellschaftliche Fortentwicklung einer offenen, freien und demokratischen Gesellschaft behindern.“

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16 Ergänzungen

  1. Wenn „peering“ als technische Lösung herhalten kann, ist das „peering“ eigentlich Teil der Netzneutralitätsdebatte?
    Bzw., könnte man den „peering“ Grundsatz, mittels Gesetz zur Netzneutralität, als Schutzmaßnahme gegen die NSA Ausspähung, nicht verpflichten?

    Sozusagen, Netzneutralität als Baustein und Garant informationstechnischer Souveränität im Einzugsgebiet.

  2. schlandnetz….grandios. noch ein paar grundgesetzänderungen von der grossen kollision und herrn innenfriedrich und dann kann abgezapft werden auf teufel komm raus. und man braucht nicht mal die insulaner und die übersee-schnüffler….schnell noch durchpauken bevor sich mörkel nach der EU verabschiedet.

  3. Das wird ja immer absurder:

    Die Telekom beabsichtigt sich das „Schlandnet“ nicht nur per Gesetz zum eigenem Vorteil unter den Nagel zu reißen, sondern es auch noch in Kooperation mit, ausgerechnet, einem US Unternehmen aufzubauen !!1!

    Erst ein Drosselnetz, jetzt ein Schlandnet mit exklusiver US Partizipation.
    Bei Telekom Hampelmann René Obermann piept es wohl nicht richtig.

    1. Die Partnerschaft ist unabhängig von der Schengen-Diskussion. Die Partnerschaft mit RSA ist nur für große Enterprise Kunden und deren Schutz. Betrifft dich also als Privatanwender nicht.

      Einfach mal differenzieren und nicht alles in einen Topf werfen.

      p.s. Als Netzpolitik würde ich auch zu 90% nur Experten Kommentare posten die der eigenen Wahrnehmung entsprechen! ;)

      1. Wer Kunde der große Enterprise Kunden ist, den betrifft es allemal.
        Dass die Partnerschaft unabhängig von der Schengen-Diskussion ist, macht es nicht besser. Es ist ausschlaggebend dass es sich bei RSA um ein US Unternehmen handelt.
        Darf man an Lavabit erinnern und dass die USA jedes US Unternehmen zur Herausgabe aller SSL-Schlüssel zwingen können.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.