Für den 23.02.2013 ist ein „internationaler Aktionstag für Deine Privatsphäre“ geplant. Wir bekommen gerade regelmäßig Anfragen, ob wir das unterstützen wollen. Allerdings sind wir etwas irritiert, wie INDECT als Verschwörungs-Mem dabei in den Vordergrund gerückt wird. Über das von der EU geförderte Überwachungsforschungsprojekt haben wir regelmäßig berichtet und glauben, es daher einigermaßen einschätzen und bewerten zu können. Keine Frage, solche Forschung sollte nicht von der EU finanziert werden. Diese Projekte müssen genau beobachtet werden und die Beteiligten ans Licht der Öffentlichkeit gebracht und dafür verantwortlich gemacht werden, wenn sie den Abbau von Grundrechten durch ihre Forschung unterstützen.
Aber INDECT ist für uns auch nicht das Monster, als das es gerade von einigen inszeniert wird. Trauriger Höhepunkt ist ein gut gemachtes Video, das wir in einer längeren Fassung schon einmal verbloggt hatten, das aber jetzt in einer kürzeren Version von Bruno Kramm, dem Spitzenkandidaten der bayrischen Piratenpartei für die Bundestagswahl, eingesprochen und veröffentlicht wurde. Dort heißt es u.a.:
Die Message ist: Wenn INDECT von der EU beschlossen wird, dann leben wir im Überwachungsstaat. Das Problem ist nur: Das ist auf so vielen Ebenen auf so engem Raum falsch. INDECT ist kein Gesetzesvorhaben zur Einführung des Überwachungsstaates, das es zu verhindern gilt. Weiter heißt es im Begleittext im Blog von Bruno Kramm:
„Die lückenlose Überwachung der Bürger wird durch INDECT umfassend möglich und stellt die größte Bedrohung seit ACTA für den Schutz der Privatsphäre, die informationelle Selbstbestimmung und elementare Bürgerrechte dar.“
Es ist eigentlich traurig. Das Video ist gut gemacht und es haben sich sicher einige Beteiligte eine Menge Mühe gemacht. Ich halte es aber für falsch, mit solchen übertriebenen und inhaltlich falschen Verschwörungstheorien Menschen mobilisieren zu wollen. Denn es besteht die Gefahr, dass, wenn zukünftig wirklich etwas Gefährliches auf uns zurollt, viele nicht mehr bereit sind zuzuhören und sich zu engagieren – weil die Superlativen schon früher unnötig ausgepackt worden sind. Vor allem: Es könnten Menschen glauben, was in dem gut gemachten Video erzählt wird. Und da ist einiges falsch.
Das soll Euch nicht abhalten, gegen Überwachung auf die Straße zu gehen. Aber lasst bitte diese Verschwörungstheorien, es gibt ausreichend Themen, wo man ohne diese demonstrieren und Menschen überzeugen kann.
Zur Einordnung von INDECT eignen sich diese Artikel:
Was kommt nach INDECT? Ein Plädoyer für eine fundiertere Überwachungskritik.
INDECT ist nur ein Symptom – EU-Forschung braucht effektive Kontrolle!
Clean IT: Der geheime Plan der EU, der keiner war.
Bevor das jetzt wieder als Piratenbashing aufgefasst wird: Überlegt mal vor dem Kommentieren, wie alle reagieren würden, wenn Partei XY oder Spitzenkandidat YZ sich zum Thema Netzpolitik so geäußert hätte. Danke.
Eigentlich ist es traurig, dass gerade die Piratenpartei offensichtlich etwas uninformiert in ihren Kernthemen (Privatsphäre, Überwachung, Internet) ist.
Indect ist doch nur ein Testlauf, wenn die Technologie dann erprobt ist wird sie wohl sehr bald auch massiven Einsatz in der Realität finden.
D.h sind die Argumente von Anonymous und Piraten schon richtig so. Warum immer so politisch korrekt bleiben, INDECT wird von der EU nicht aus Spass finanziert sondern weil man sich erhofft das das danach dann auch flächendeckend eingesetzt werden kann.
Ja, man kann ja drüber reden, aber man muss auch mal auf dem Teppich bleiben.
Ich betrachte diesen Artikel keineswegs als Piratenbashing. Im Gegenteil, er sensibilisiert die Leser für das Thema an sich. Zu wenig Menschen wissen überhaupt, was INDECT bedeutet, insbeodere für ihre individuelle Entfaltung. Die letzte INDECT- Demo, an welcher ich teilnahm und auch als Redner fungierte, bewies nachhaltig, dass die Menschen noch gar nicht für das Thema INDECT bereit sind, geschweige denn, die Gefahr, die sich dahinter verbirgt, erkennen können. Dass nun der Parteikollege Bruno Kramm, für Piraten ungewöhnich, ziemlich populistisch auf das Thema aufmerksam macht, hat nun wenigstens den Erfolg gebracht, dass auch Netzpolitik.org darauf reagiert. Und doch, auch wenn Bruno Kramm INDECT heftiger verurteilt als es womöglich sein würde, ist das die Methode, die heutzutage in unserer übersättigten Medienlandschaft überhaupt noch Beachtung findet. Womöglich müsste man das „Monster“ INDECT noch mehr aufblasen, dass auch die Offline- Medien oder die TV- Nachrichten endlich davon berichten würden. Leider versäumt es Markus Beckedahl bei seiner Kritik, selbst mit Fakten den Gegenbeweis anzutreten, dass Bruno Kramm hier Verschwörungstheorien verbreiten wollte:
Da sollte dann schon näher darauf eingegangen werden, denn der geneigte Leser wird sichtlich irritiert, was er denn nun überhaupt noch glauben soll. Was also ist inhaltlich falsch?
Auch hierbei bleibt Markus Beckedahl ungewohnt unkonkret. Es wird gar nicht von Bruno Kramm erwähnt, dass ein Gesetz verabschiedet wird. Weshalb aber wird es nun so ausgelegt? Und auch die Umschreibung mit „engem Raum“ ist ziemlich vage. Ich denke, Markus Beckedahl sollte seinen Artikel nochmals überarbeiten.
@Johannes Döh: Vielen Dank für die Möglichkeit, dass wir endlich auch mal über INDECT berichten konnten. Und sag mal: Klickst Du eigentlich auch auf Links? Und wann findet jetzt die Abstimmung über INDECT statt, die den Überwachungsstaat bringt?
@Markus Beckedahl Was ist ein Link? Wo muss ich da klicken? Im Ernst, deine Links sind sehr informativ. Dass noch weitere, womöglich gefährlichere Projekte als INDECT existieren, ändert aber doch nichts an der Gefahr, die von INDECT an sich ausgeht. Dieser Artikel impliziert (so beschreiben es Sachunkundige, die ihn lasen), dass INDECT gar nicht so schlimm sei und man sich doch bitte wichtigeren Dingen widmen solle. Das mag sogar stimmen, aber Bruno Kramm hat nun mal INDECT thematisiert.
INDECT ist eines von einer Reihe von Forschungsprojekten, wobei dieses sogar noch *vergleichsweise* harmlos zu anderen FP7-Security-Projekten der EU daher kommt (von Horizon 2020-Projekten reden wir noch nicht einmal). Es geht hier nicht um eine „Entscheidung zu INDECT“ – einem Projekt, dass in diesem Jahr ausläuft, denn das ist sachlich vollkommen falsch wie Markus richtig darstellt. Die Leute, die die Gelder für Forschung einwerben und die Innen- und Sicherheitspolitiker lachen sich tot, dass da auf etwas eingehauen wird, das gar nicht das ist, zu dem es gemacht wird (es gibt dazu keine schlicht keine anstehende Entscheidung in der EU oder im Bund).
Und nochmal: Niemand hat was dagegen, gegen diese Art von Forschungsprojekten auf die Strasse zu gehen – ganz im Gegenteil. Aber sachlich falsche Kritik an einem einzigen Projekt sorgt nur dafür, dass die anderen Projekte und das politische Backing gar nicht thematisiert wird und die Sicherheitsfanatiker damit leichtes Spiel haben.
Lieber Markus,
nehme die Kritik gerne an und hab auf meinem Blog Deine Artikel zum Thema verlinkt
Liebe Grüße
Bruno
Zustimmung. Die andauernde Übertreibungen zum INDECT-Projekt als Monster nerven. Deutschland macht aus guten Gründen bei INDECT offiziell nicht mit, aber es gibt dennoch Institute, die Gelder abgreifen (wollen). Ich fand ja die Haltung des BKA ganz aufschlussreich, das das INDECT für verfassungswidrig hält. Wenn das selbst die Leute von der Staatstrojaner-Truppe so empfinden… –Detlef
INDECT wird dazu führen, dass Menschen ihr Leben verlieren und Familienväter oder Mütter in irgendwelchen Gefängnissen halb zu Tode geprügelt werden, weil sie sich zu irgendeinem Zeitpunkt abnormal verhalten haben. Nicht unbedingt in der EU, aber eine solche Software läßt sich einfach blendend verkaufen. Jeder Wissenschaftler der an einen solchem Projekt arbeitet und sich einredet er oder sie ist für die Folgen nicht verantwortlich, belügt sich selbst.
Moin.
Es ist völlig richtig die Perspektive nicht verlieren zu wollen. INDECT ist ein Forschungsprojekt, welches Grundlagen für Überwachungsmaßnahmen schafft, die später sehr viel einfacher und schneller realisiert werden könnten.
Mit diesem Hintergrund ist die Warnung vor INDECT etc. eher als Warnung vor zukünftigen Entwicklungen zu betrachten, welcher durch die INDECT Forschung die Richtung gewiesen und der Weg bereitet werden kann.
Mit Verschwörungstheorien hat das – hoffentlich – nichts zu tun.
Wir planen in Kiel einen Trauermarsch zur „Beerdigung der Unschuldsvermutung“. Auch das hat nichts mit einem aktuellen Gesetz zu tun, sondern mit der Tatsache, dass im Gesamtbild der gegenwärtigen Entwicklung kontinuierlich und nachhaltig Bürgerrechte beschnitten werden.
Die lückenlose Überwachung wird auch nach Abschluss der INDECT Forschung nicht gegeben sein. Aber wir sollten uns davon lösen, die Dinge einzeln zu betrachten. Das eigentliche Ziel vieler dieser Projekte liegt in der Zusammenführung ALLER gewonnenen Erkenntnisse.
Lückenlos wird die Überwachung auch nicht, wenn nach INDECT dann entsprechende Gesetze verabschiedet werden. Ich möchte nicht ausschließen, dass in beteiligten Kreisen sogar die Hoffnung besteht, mithilfe der, aus dem US-amerikanischen Rechtssystem entliehenen, „Selbstverpflichtung“ an neuen Gesetzen vorbei zukommen.
Doch darum geht es gar nicht.
Es geht um die Frage, wie lange wir zuschauen und ab wann wir anfangen die Menschen um uns herum zu sensibilisieren. Das allerdings sollte ehrlich passieren. Denn die „Aufklärung“ der Befürworter tut genau das, was wir auch tun: Die Gegenargumente ignorieren oder zu bagatellisieren.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass der Begriff „Internationaler Aktionstag für Deine Privatssphäre“ nicht explizit mit INDECT verbunden ist. Diesen Zusammenhang hier herzustellen, halte ich für unangemessen.
Eine Verbindung mit Horizon2020 oder anderen Themen ist in Bezug auf #idp13 ebenfalls möglich. Aber je abstrakter ein Thema für jemanden wird, der nicht in IT-Sicherheitsfragen zu Hause ist, desto schwieriger wird dessen Vermittelbarkeit.
Warum also nicht gegen INDECT auf die Straße gehen? Dass es noch mehr gibt ist uns klar. Aber wenn wir es mit Begriffen wie Acta / INDECT /CleanIT schaffen, Menschen für das Thema zu sensibilisieren, finde ich das einfach gut.
Die Nahtstelle der Security ist der Mensch.
Man sollte vielleicht darauf hinweisen, dass die automatische Erkennung von Verhalten abseits normierter Muster in San Franciscos U-Bahn bspw. bereits im Einsatz ist: Mass Transit Cameras Spot Bad Guys, No Human Judgment Required. Was die EU hier macht ist deshalb zuerst einmal als Innovationsförderung zu sehen, um mit anderen Produzenten von Überwachungstechnologie mithalten zu können. Das macht die Sache allerdings nicht weniger verwerflich, hilft aber, sie ein wenig nüchterner zu betrachten.
BTW: Hier ein Zitat aus dem aktuellen Bericht des Bayrischen Datenschutzbeauftragten:
Meint ihr nicht, dass das Niveau von Debatten hier etwas höher liegen könnte?
Jetzt werden von den „ehrwürdigen“ Netzaktivisten die „bösen“ Verschwörungsaktivisten stigmatisiert: die, die das Schmeißen der Atombombe auf Japan prognostizierten, waren ja auch „nur“ dumme Verschwörungstheoretiker?
Was technisch machbar ist, findet auch meist Abnehmer der neuen Technologien. Wenn ein Pirat sich um weitere Informationsverbreitung zu INDECT bemüht, ist das keine Verbreitung von Verschwörungsideen,. Verschwörungstheorien braucht man in den Medien, um Informationen zuverharmlosen oder zu diskreditieren, nicht um zu informieren.
Nicht allein Indect ist oder sollte der Begriff sein es geht einher mit weiteren 188 Projekten die den Bürger einschränken, überwachen, kriminalisieren und deren Unschuldsvermutung aushebeln.
Von daher ist der Beitrag von Bruno Kramm jetzt auch nicht wirklich so verkehrt aber gut ist das darüber geredet wird.
Seit einigen Monaten schon versucht Anonymous hier speziell in DE in Sachen #IDP13 aufzuklären und so langsam kommen endlich auch die Piraten in die Puschen und machen sich stark in Ihren Kernkompetenzen. Weiter so
Man baut keinen Überwachungsstaat um ihn dann nicht zu benutzen
Eine Frage hätte ich da.
Woher stammen diese Zitate???
“Sobald INDECT unterzeichnet ist, müssen wir alle damit rechnen, auf allen Ebenen überwacht zu werden, sowohl im öffentlichen Raum als auch im Internet. Die Folgen wären verheerend, die Verlust der Freiheit des Einzelnen und uneingeschränkter Einblick in die Privatsphäre.”
“Die lückenlose Überwachung der Bürger wird durch INDECT umfassend möglich und stellt die größte Bedrohung seit ACTA für den Schutz der Privatsphäre, die informationelle Selbstbestimmung und elementare Bürgerrechte dar.”
Mir als Anon sind keine Zitate bekannt in dieser Form da wir mit Fakten arbeiten und diese Zitate ziemlicher schwachsinn sind.
Das hab ich aus dem Video zititert.
Das hab ich aus dem Blog von Bruno Kramm zitiert. Das hat er aber mittlerweile gelöscht.
Wenn nicht zur Überwachung und Kontrolle, wofür brauchen wir dann solch eine Einrichtung ? Es gibt keinen vernünftigen Grund dafür. Wir leben jetzt schon in einem Staat, der nichts mehr mit „Rechtstaatlichkeit“ zu tun hat. Die Einzige Freiheit die wir noch geniessen können, ist die Konsumfreiheit.