„Der Spion der bloggte“: Französischer Geheimdienstagent stalkt AktivistInnen mit fingierten Blogs und Wikipedia-Einträgen

Ein Mitarbeiter des französischen Inlandsgeheimdienstes DCRI (Direction centrale du renseignement intérieur) wurde als heimlicher Administrator von Blogs enttarnt, die sich um ein populäres Ermittlungsverfahren drehen. Laut dem Nachrichtenportal Mediapart hat der Agent dort Informationen publiziert, die nur von den Betroffenen verstanden werden können. Philosophische Beiträge wurden mit intimen Kenntnissen aus Ermittlungsakten garniert, darunter Fotos, Details zu Aufenthaltsorten oder derzeitigen Aktivitäten. Zu den Umtrieben des Geheimdienstlers gehörten auch mehrere Mails, die unter falschen Namen an einen bekannten Journalisten sowie einen Professor versandt wurden. Der Autor benutzte das Pseudonym „Rosa Luxemburg“. EXIF-Daten einiger online gestellten Fotos sind mit „Christian Bichet“ getaggt, andere Bilder sind von dem Beamten offenbar unter Verletzung von Urheberrechten gepostet worden. Ein Abgleich der Metadaten der Mails mit Wikipedia ergab, dass der Verfasser unter gleicher IP-Adresse mehrere Einträge so manipulierte, dass dies ebenfalls nur Eingeweihten auffallen kann. Alle Blogs sowie Internetaktivitäten des Geheimen sind nun gesichert und unter dem Slogan „Game Over!“ auf http://raphaelilodet.netii.net abrufbar.

In den betreffenden Ermittlungen werden zehn AktivistInnen verdächtigt, vor fünf Jahren französische Hochgeschwindigkeitszüge mit sogenannten Hakenkrallen sabotiert zu haben. Diese geschweißten Vorrichtungen werden von Stromabnehmern der Loks mitgerissen und zerstören die Oberleitung. Die Insassen bleiben dabei unversehrt. Die Protestform war in Deutschland in den 90er Jahren mit mehr als 180 Einsätzen beliebt, um auf die Beteiligung der Deutschen Bahn an Atomtransporten aufmerksam zu machen. Auch in Frankreich wurden die Hakenkrallen kurz vor dem bevorstehenden Castor-Transport platziert.

Die Ermittlungen wurden in Zusammenarbeit mit dem deutschen BKA geführt und gipfelten in einer großangelegten Razzia im Dorf Tarnac, wo die damals Verdächtigten in gemeinschaftlichen Strukturen leben und politisch aktiv sind.
Als Indiz galt, dass zwei von ihnen in der Nacht der vier Anschläge in der Nähe einer Bahnstrecke mit dem Auto unterwegs gewesen sein sollen. Die Polizei hatte das Fahrzeug zunächst verfolgt und dann angeblich aus den Augen verloren. Allerdings war ein Peilsender im Einsatz, denn die beiden waren für ihre Abneigung gegen Mobiltelefone bekannt. Mittlerweile kam heraus, dass eine der Verfolgten im fraglichen Zeitraum an einer Bank in Paris Geld abgehoben hatte. Nun ist unklar, ob überhaupt der Prozess eröffnet wird.

Die jetzt berichteten Aktivitäten des Geheimdienstmitarbeiters dienten offenbar nicht dem Auslegen eines „Honeypots“, wie es aus sehr ähnlichen Ermittlungen des BKA bekannt ist. Stattdessen wollte der Beamte offenbar psychischen Druck ausüben. In seinen sechs Blogs deutet er Parallelen zu früheren, angedrohten Anschlägen an. Damals hatten Unbekannte unter dem Gruppennamen „AZF“ Bomben auf Schienen deponiert und Lösegeld gefordert. Tatsächlich hatte die Polizei zunächst in diese Richtung ermittelt, die Spur aber zugunsten eines vermuteten politischen Hintergrunds wieder aufgegeben.

Die Kommune im Dorf Tarnac ist vor allem durch radikalphilosophische Auseinandersetzungen bekannt. Einer der Festgenommen gehört zur philosophischen Strömung „Tiqqun“ und soll das Buch „Der kommende Aufstand“ verfasst haben. Dort wird unter anderem zur Sabotage aufgerufen – in Frankreich ein seit Jahrhunderten übliches und immer noch propagiertes Mittel. Nachdem das Buch von Glenn Beck in „Foxnews“ empfohlen wurde, war es bei Amazon USA schnell ausverkauft.

In „Der kommende Aufstand“ wird die These vertreten, dass Kontrolle und Überwachung zu den Erscheinungsformen des Kapitalismus gehören. Deshalb müssten Interventionen dessen Lebensadern treffen, wozu auch Verkehrsinfrastrukturen und das Internet gehören:

Jedes Netzwerk hat seine Schwachpunkte, Knoten, die aufgemacht werden können, um die Zirkulation zu stoppen, um das Netz implodieren zu lassen. Der letzte große europäische Stromausfall hat es gezeigt: Ein Zwischenfall auf einer Hochspannungsleitung reichte, um einen Großteil des Kontinents ins Dunkel zu stürzen.

„Der Spion der bloggte“ – Video auf Daily Motion zur Geheimdienstaffäre rund um das Tarnac-Verfahren (Teil 1)

„Der Spion der bloggte“ – Video auf Daily Motion zur Geheimdienstaffäre rund um das Tarnac-Verfahren (Teil 2):

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