Auf der Konferenz des Projekts datACT befassten sich NGOs und Datenschutz-AktivistInnen mit der Frage des Datenschutzes im Bereich der Bekämpfung und Prävention von Menschenhandel. Ein Gastbeitrag von Sonja Dolinsek und Silvia Oitner.
Seitdem im Jahr 2000 das Internationale Abkommen gegen Menschenhandel verabschiedet wurde, beschäftigen sich Politik, Medien und Zivilgesellschaft mit diesem Thema. Wissen und Daten über Menschenhandel bleiben jedoch weiterhin unzuverlässig, sodass immer wieder mehr Informationen, Daten und Statistiken gefordert werden. Doch die Forderung nach mehr Daten birgt auch Gefahren. Mit diesem bisher kaum diskutierten Thema befasste sich Ende September die Konferenz des datACT-Projektes „Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung für marginalisierte Gruppen: eine neue Herausforderung in der Politik zur Bekämpfung des Menschenhandels“ in Berlin, die vom KOK e.V. und La Strada International organisiert wurden.
Datenschutz und Menschenhandelsbekämpfung
Das Problem der Datensammlung und des Wissensaustauschs in der Bekämpfung und Prävention des Menschenhandels ist ein zweischneidiges Schwert. Gerade die Verarbeitung und Weitergabe von personenbezogenen Daten zwischen verschiedenen Behörden, insbesondere Strafverfolgungsbehörden und der Polizei, NGOs, usw., oft über nationale Grenzen hinweg, müssen die informationelle Selbstbestimmung und den Schutz persönlicher Daten berücksichtigen. Bisher gibt es in diesem Bereich jedoch keine verbindlichen internationalen Standards oder transparente und verbindliche Leitlinien über die Verwendung und Verarbeitung personenbezogener Daten.
Thilo Weichert, Datenschutzbeauftragter von Schleswig-Holstein, bestätigte, dass es “viele unbeantwortete Fragen” gibt und dass sowohl “empirisch als auch normativ” noch viel offen sei. Auch in der Praxis spiele der Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten kaum eine Rolle:
Die informationelle Selbstbestimmung für Betroffene von Menschenhandel und anderen marginalisierten Gruppen ist regelmäßig nicht existent. Daran ändert sich wenig, wenn sie aus den Fängen der Menschenhändler und Schleuserorganisationen entkommen. Sie unterliegen dann einer staatlichen oder halbstaatlichen Fürsorge und Aufsicht, die mit einer umfassenden informationellen Kontrolle einhergeht. Diese dient einerseits – fürsorgend – der Betreuung der Betroffenen. Sie dient zugleich aber auch deren Freiheitsbegrenzung
Auch Opfer von Menschenhandel haben ein Recht auf Selbstbestimmung
Auf der Konferenz schien es Einigkeit darüber zu geben, dass aktuell europaweit die informationelle Selbstbestimmung von Betroffenen von Menschenhandel eingeschränkt sei. Nur selten würden Betroffene über ihre Rechte bezüglich ihrer Daten informiert. Zu diesen Rechten gehören zum Beispiel die Akteneinsicht und die Möglichkeit, die Zustimmung über die gespeicherten personenbezogenen Daten entziehen zu können. Dass vor allem die Weitergabe personenbezogener Daten diverse Gefahren für die Betroffenen birgt, betonte wiederum die niederländische Menschenrechtsaktivistin Marjan Wijers:
The protection of victims‘ private life and identity is not only essential for their physical safety given the risk of retaliation from the side of their traffickers, but also in the view of the risk of stigmatization and their chances to rebuild their life.
Auch sei die Einwilligung zur Verarbeitung von personenbezogenen Daten immer noch Bedingung für die Anerkennung als Opfer von Menschenhandel sowie für die weitere Bearbeitung des Falles. Marjan Wijers wies darauf hin, dass in diesem Fall jedoch nicht mehr von einer „freien Einwilligung nach vorhergehender fundierter Information“ gesprochen werden kann. Wer seine Daten nicht preisgibt, wird nicht unterstützt und geschützt und der Verzicht auf das Recht auf Privatsphäre wird zur Bedingung für Strafverfolgung und Opferschutz.
Alexander Dix, Berliner Datenschutzbeauftragter, weist in diesem Zusammenhang eindringlich auf einen weiteren Punkt hin: Dass der Zugang zu Unterstützungs- und Schutzstrukturen nicht von der Einwilligung Betroffener zur Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten abhängig gemacht werden darf. Auch dies sei nicht in allen EU-Staaten gewährleistet.
„Angst statt Freiheit“ in der Prävention von Menschenhandel
Die Projektkoordinatorin von datACT Bärbel Uhl lenkte zudem den Blick auf Strategien und Ansätze zur Prävention von Menschenhandel. Die Logik von Maßnahmen zur Prävention von Menschenhandel, also allen Maßnahmen die dazu dienen sollen, Menschenhandel im Vorfeld zu verhindern, sei durch die Maxime “Angst statt Freiheit” geprägt. Am deutlichsten wird das in Kampagnen, die in den sogenannten “Ursprungsländern” sogenannte potentielle “Opfer von Menschenhandel” vor Menschenhandel schützen sollen.
Um Menschenhandel vorzubeugen, werden alle potentiellen Opfer zur Zielgruppe von Anti-Menschenhandelskampagnen. Sie werden von Menschenhandel betroffen gemacht und spüren die negativen Auswirkungen von Anti-Menschenhandelspolitiken, indem ihnen “Angst” gemacht wird, die ersehnte “Freiheit” in einem anderen Land sei gar keine. Oft werden sie an den Grenzen des eigenen Landes daran gehindert auszureisen, obwohl das Recht, das eigene Land zu verlassen, ein Menschenrecht ist. Spätestens nachdem sie als potentielle Opfer von Menschenhandel identifiziert wurden, sind sie mit ihren persönlichen Daten in einer Datenbank erfasst und als „Risikokategorie“ eingestuft. Sie haben jedoch keine Kontrolle oder gar Informationen über diesen Datensatz, der aber wesentlich und auf unbestimmte Zeit die Selbstbestimmung über ihr Leben einschränkt und über den sie im Zweifelsfall gar nicht informiert sind.
Rechte stärken – auch im Datenschutz
Im Rahmen der Konferenz wurden auch Forderungen und Ziele für eine zukünftige Festlegung von verbindlichen Standards im Bereich Datenschutz im Kontext der Bekämpfung von Menschenhandel formuliert. Dazu gehört zum Beispiel die Forderung nach der der Festlegung internationaler Standards, die Anonymisierung von Daten, die von Datensammlungsbehörden erhoben werden, ein Verbot der grenzüberschreitenden Übermittlung von personenbezogenen Daten von Opfern von Menschenhandel, ein Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiter_innen und Berater_innen, die im Bereich Menschenhandel tätig sind und zuletzt die Gewährleistung der Freiwilligkeit der Einwilligung Betroffener zur Erhebung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten. Auch mit Blick auf den geplanten Ausbau von Migrationsdatenbanken und -abwehrsystemen, wie Eurosur, Eurodac und Smart Borders ist es notwendig, die informationelle Selbstbestimmung und Menschenrechte von Migrantinnen und Migranten weiterhin zu beobachten.
Sonja Dolinsek ist Herausgeberin des Online-Magazins „menschenhandel heute“. Silvia Oitner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrbeauftragte an der Alice Salomon Hochschule Berlin.
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