Wir erklären das Netz, nicht den Krieg

(Crossposting von digitalegesellschaft.de:)

Die überwältigenden Proteste gegen ACTA sind nur der Auftakt: die digitale Bürgergesellschaft kommt in Fahrt – und setzt die eigenen Prioritäten. Wir, die digitale Generation fordern unsere Rechte ein. Wer das ignoriert, wird künftig dafür die Quittung erhalten.

ACTA ist eine Abkürzung. Sie steht für „Anti-Piraterie-Handelsabkommen“. Anti-Piraterie, das klingt für viele positiv: Es geht ja nicht an, dass man Kreative bestiehlt, dass man Innovationen dadurch zerstört, dass man sie nicht vor unerlaubten Kopien schützen kann.

Doch wenn Menschen, die viel mit dem Internet zu tun haben etwas mit „Anti-Piraterie“ hören, dann verstehen sie darunter etwas vollkommen anderes: Wer Pirateriebekämpfung sagt, meint im Regelfall etwas ganz anderes: dass sogenanntes „Geistiges Eigentum“ Vorfahrt vor allen Grundrechten haben soll, vor Datenschutz, Informationsfreiheit und Meinungsfreiheit. ACTA ist genau in diesem Sinne geschrieben.



Die ACTA-Proteste sind eine Netz- und keine Kriegserklärung. ACTA ist für diese Generation ein Synonym für die Netzpolitik der Nichtversteher. ACTA hat viele Namen: IPRED, UrhG, Hackerparagraf, Bundestrojaner, SOPA, PIPA, Zensursula, Censilia, 2-Strikes, 3-Strikes, Abmahnungen, Vorratsdatenspeicherung – ACTA steht für all die Fälle, in denen Politik für diese Generation vollkommen versagt und nur zu oft einseitige Interessen bedient hat.

Aber die Proteste fordern auch von uns etwas ein: wir müssen genauer werden. Wir müssen klar vermitteln, dass wir mehr wollen als nur „kein ACTA“. Wir müssen sagen, was wir wollen. Für den Verein Digitale Gesellschaft ist klar: Wir brauchen nicht nur einen Stopp des ACTA-Vorhabens. Wir brauchen eine komplette Grundrevision des Urheberrechts. Das jetzige Urheberrecht nützt den Kreativen nicht – es ist zum Verwerterrecht verkommen. Es ist ein Recht aus einer vergangenen Zeit, in der es nur wenige Kreative und einige Musiklabels, Hollywoodstudios und Verlage gab. Wir brauchen eine Überarbeitung, die Bürger und ihre Rechte und mit diesen als Nutzern auch die Kreativen in den Mittelpunkt stellt. Auch jeder Künstler ist Bürger und Nutzer anderer Werke. Wenn Politiker glauben, dass sie vorgeblich den Kreativen dieser Welt etwas Gutes tun, in dem sie Grund- und Freiheitsrechte zur Urheberrechtsdurchsetzung zur Disposition stellen, dann sollten sich die Künstler fragen: Stimmt das? Warum befürworten ausgewiesene Innenpolitiker wie Wolfgang Bosbach ACTA? Künstler haben viele Jahrhunderte in dem Ruf gestanden, besonders demokratiefreundlich zu sein. Sie sollten sich fragen, ob sie sich mit der digitalen Grundrechtebewegung solidarisieren – oder lieber mit CDU, CSU und den Plattenfirmen, Verlagen und Filmstudios, die ihnen mit Knebelverträgen die Luft zum Atmen nehmen.

Die Proteste gegen ACTA sind ein guter Startpunkt. ACTA stoppen ist der erste Stein in der Mauer, um vom überkommenen Urheberrecht zum Kreativnutzerrecht zu kommen. Die digitale Gesellschaft ist am Wochenende einen guten Schritt vorangekommen. Der Anti-ACTA-Tag war ein Festtag der digitalen Demokratie. Wer diese Bewegung ignoriert, wird bei kommenden Wahlen wegdemografiert.

Jetzt gegen ACTA aktiv werden: Unsere Stopp ACTA-Kampagne!

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21 Ergänzungen

  1. ich kann nur immer wieder sagen, ich hoffe dass das aussetzten der ratifizierung deutschlands nich die proteste hier schmälern lassen. es is noch ne durchgestanden :)

  2. Ein überaus gelungener und kluger Kommentar, der den richtigen Ton trifft. Ich hadere ja bisweilen mit deinen Texten, Markus, weil sie sich des öfteren eher nach einem Blogpost denn nach einem, sagen wir: Kommentar in einer klugen Zeitung anhören. Hier aber hast du den Nagel auf den Kopf getroffen. Weiter so! :-)

  3. Und ich dachte immer, dass „Counterfeiting“ für „Warenfälschungen“ steht und nicht für Piraterie….

    1. Es ist halt nicht immer das drin was draufsteht. Abgesehen davon ist „Piraterie“ ja irgendwie der neue Kampfbegriff gegen alles, da passt das schon.

      1. Und das ist genau die Kritik – dass „Fälschung“ drauf steht, aber „Piraterie“ (als Kampfbegriff für „alles“ was mit Immaterialgüterrechten zu tun hat) gemeint ist. Man kann sich schon nicht darüber beschweren, dass nicht drauf steht, was drin ist, und dann den englischen Titel so falsch übersetzen, dass drin ist, was die Übersetzung besagt.

    2. genau so ist es, counterfeiting sollte in einem text, der differenzierung in einem wirtschaftlich-kulturellen wandlungsprozess fordert, genauer übersetzt werden.

      die falsche etikettierung ist ein teil des problems: die frage der neuen wirtschaftsprozesse mit kultureller leistung löst sich nicht durch kampfrhetorik, die sich nur um die erfindung neuer wertschöpfungsmodelle drücken will.

      .~.

  4. PS: Warum verschwinden hier eigentlich andauernd Kommentare? Ich bin mir ziemlich sicher, dass es hier schon zwei oder drei Kommentare gab, bevor ich meinen hinzugefügt habe. Ich glaube nicht, dass sie gelöscht worden sind, da war nichts anstößiges dabei. Liegt das an mir?

  5. “ ACTA stoppen ist der erste Stein in der Mauer, um vom überkommenen Urheberrecht zum Kreativnutzerrecht zu kommen“: Ich halte es für ungeschickt, ausgerechnet dafür das Bild einer Mauer zu verwenden. Treffender wäre vielleicht eine Brücke.

    1. Oder wenn man beim Bild der Mauer bleiben möchte: „der erste Stein aus der Mauer …“
      Damit würde also ein Loch in die Mauer geschlagen, aus dem ein Tor werden kann, welches die Mauer irgendwann hoffentlich obsolet werden lässt.

  6. Oha, eine Aufforderung an die Netzgemeinde, einen eigenen Standpunkt konkrete Forderungen zu formulieren.

    Ich bin ja mal gespannt was da kommt. Hier ist es ja Konsens, die Rechte und Lizenzmodelle anderer zu ignorieren, wenn diese einem nicht in den Kram passen. Wie soll nach diesem Grundprinzip ein neues Urheberrecht geschaffen werden, das auch die Kreativen oder andere Betroffene akzeptieren wollen?

  7. „Wer Pirateriebekämpfung sagt, meint im Regelfall etwas ganz anderes: dass sogenanntes „Geistiges Eigentum“ Vorfahrt vor allen Grundrechten haben soll, vor Datenschutz, Informationsfreiheit und Meinungsfreiheit. ACTA ist genau in diesem Sinne geschrieben.“

    super satz! genau um das geht es!!
    aber der ganzer text ist super geschrieben!
    bin echt froh, dass es leute wie dich gibt…

  8. Danke, dass du mit dieser Leidenschaft für das Thema brennst.

    „wegdemografiert“ ist mein persönliches Highlight, triffts genau (hoffentlich bald!)

    1. Das Problem mit der Demografie ist, dass sie eher gegen die Jugend und für die „alten“ Menschen spricht.

      Der typische CDU/CSU-Wähler ist weit über 40. Den interessiert ACTA nicht die Bohne.

  9. Wiedermal ein gelungener Kommentar hier. Ich finde es auch toll, dass über die Netzpolitik Aufklärung zu acta betrieben wird. Aber acta betrifft ja den gesamten Handel. Man liest so gut wie nichts zu Medikamenten oder Saatgut. Zu Medikamenten finden sich sogar einige, die Mahnen- heute z.B. gefunden http://www.blogspan.net/presse/acta-bedroht-zugang-zu-medikamenten/mitteilung/267580/
    Monsanto und co versuchen seit Jahren Gesetze auch in Ihrem Sinne zu manipulieren- ich befürchte, dass auch dazu „Harmonisierungen“ in ACTA festgeschrieben werden. Was steht in acta zu diesen Bereichen?

  10. Ich habe da mal eine vielleicht etwas andere Frage:
    Ihr habt hoffentlich eine Einverständniserklärung von allen Personen, die auf dem oben gezeigten Demo-Foto drauf sind, oder?
    Viele hier sind bestimmt der Meinung, dass es doof ist, Partybilder öffentlich auf Gesichtsbuch oder sonstwo zu zu posten, weil einem das mal auf die Füsse fallen kann. Das gleiche kann einem aber auch mal mit solchen Bilder von Demos passieren, vielleicht will ja mal Jemand bei einer Verwertungsgesellschaft oder einem Label arbeiten und darf nicht, weil er mal gegen deren Einstellung demonstriert hat? In Zeiten der Gesichtserkennung sicher keine undenkbare Situation.

    Zurück zum Bild: Da ich selbst weiß, dass es nahezu ein Ding der Unmöglichkeit ist, von Jedem auf solchen Bildern ein entsprechendes OK zu bekommen, verpixelt doch in Zukunft bitte einfach die Gesichter auf solchen Bildern, die Aussagekraft dieser leidet darunter ja nicht, solange keine prominente Person darauf ist.

    Ihr wollt, dass eure Privatsphäre im Internet respektiert wird? Dann respektiert bitte auch die Privatsphäre von anderen Personen in der Öffentlichkeit und auf Demos.

  11. Künstler haben viele Jahrhunderte in dem Ruf gestanden, besonders demokratiefreundlich zu sein. Sie sollten sich fragen, ob sie sich mit der digitalen Grundrechtebewegung solidarisieren – oder lieber mit CDU, CSU und den Plattenfirmen, Verlagen und Filmstudios, die ihnen mit Knebelverträgen die Luft zum Atmen nehmen.

    Dieser Angriff auf „die Künstler“ ist polemisch und ziemlich überflüssig. Viele „Künstler“, die ich kenne, haben ein Problem mit ACTA. Ich selbst bin Schriftsteller und habe ein Problem mit ACTA. Aber es stimmt zum Beispiel schon mal nicht, dass Verlage uns „mit Knebelverträgen die Luft zum Atmen nehmen“. Ein bisschen komplizierter, als ihr es darstellt, ist die Wirklichkeit schon. Ihr müsstet schon den kompletten Markt, den kompletten Vertriebsweg für Bücher ändern, von den Verlagen über die Vertreter und die Buchhandlungen bis zu den Kaufgewohnheiten der Kunden, um Schriftstellern eine Alternative zum status quo (der so schlecht für uns nicht ist) zu bieten.

    Aber die Proteste fordern auch von uns etwas ein: wir müssen genauer werden. Wir müssen klar vermitteln, dass wir mehr wollen als nur „kein ACTA“. Wir müssen sagen, was wir wollen.

    Richtig, und die bisherigen Vorschläge waren unzureichend. Flattr-Systeme für die Honorierung würden für die meisten Autoren eine Verschlechterung ihrer Situation bedeuten, und Vorstöße wie die vom CCC vorgeschlagene langfristige Überführung von Texten in eine wie auch immer geartete Allmende werden von den meisten Autoren als Beleidigung aufgefasst (und beide Seiten können jetzt laut schreien, „ihr habt halt auch keine Ahnung von dem, was wir tun!“). Ich persönlich fände eine Art Kulturflatrate immer noch am Sinnvollsten (und dem gemeinen „Endnutzer“ von „Kunst“ auch am leichtesten kommunizierbar), aber das müsste man halt mal genauer ausarbeiten.

    Ich weiß auch keinen Königsweg: Als „Bürger“, wir ihr schreibt, würde ich gerne was ändern, aber als „Kreativer“ habe ich leider noch keine Idee gehabt, die sich wirklich wie eine Verbesserung anfühlt.

    tl;dr: Künstlern die Pistole auf die Brust zu setzen, indem man sie vor die Wahl „CDU & Verlage — oder wir“ stellt, ist kontraproduktiv, faktisch falsch und Bush-mäßig plump. Es gibt keine „Axis of Evil“, die von den Parteien bis in die Verlage reicht. Setzt euch lieber mit den Künstlern zusammen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass schon Autoren zu Piratenstammtischen gingen und lebend wieder zurückkamen. Es geht also!

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