Und nun? EU-PNR!

Airlines sammeln Informationen über ihre Reisenden. Das ist verständlich, wollen sie doch einen bestmöglichen Service anbieten. Jeder Reisende will auf dem ihm zugeteilten Platz sitzen, will das gewünschte Essen haben und seinen Anschlussflug erwischen. Bis zu 60 Einzelinformationen werden dabei für jeden Reisenden für einen einzigen Flug zusammengetragen. Auch Kreditkarteninformationen oder der Name des Reiseveranstalters finden sich in diesen PNR (passenger name record) Daten wieder. Nach den Terroranschlägen 2001 griffen die USA auf diese Daten zu – sie wollten damit die Terroristen aufspüren. Sie verlangten auch von der EU, dass diese die Daten der EU-Bürger an die USA übermittelt. Nach einigem hin und her und verschiedenen kurzzeitigen Abkommen hat nun die EU dieser Datenübermittlung endgültig zugestimmt. Erst verhandelte die Kommission, dann stimmten Rat und EU-Parlament zu. Ergebnis: Die PNR Daten werden ohne jegliche Rechtssicherheit für die EU-Bürger in die USA übermittelt und können dort auch in Fällen verwendet werden, die rein gar nichts mit organisierter Kriminalität oder Terrorismus zu tun haben. Kurzum: Das Abkommen verstößt klar gegen die Grundrechte. Dennoch haben die Regierungen der Mitgliedstaaten sowie das EU-Parlament der Datensammlung zugestimmt.

Die Tinte auf diesem umstritten und offensichtlich rechtswidrigen Dokument ist noch nicht recht getrocknet, da diskutiert man in der EU schon wieder über die Fluggastdatenauswertung. Diesmal geht es um eine eigene EU-Fluggastdatenauswertung. Zugegeben, der Wunsch nach dieser Datensammelwut ist nicht ganz neu. Bereits im Februar 2011 stellte die Kommission ihren Vorschlag (.pdf) vor. Schnell wurden Forderungen laut, diesen noch auszuweiten: Innereuropäische Flüge sollen überwacht werden, die Daten auch von anderen Verkehrsmitteln wie Zügen und Schiffen sollen ebenfalls ausgewertet werden und die Speicherfristen sollten ausgedehnt werden. Lange stritt man im Rat, das Ergebnis wurde Ende letzten Monats präsentiert und hat es in sich. Einen riesigen Datenstaubsauger fordern die Innenminister der EU (.pdf): Innereuropäische Flüge können überwacht werden und der komplette Datensatz soll anstatt der vorgeschlagenen 30 Tage ganze 2 Jahre ausgewertet werden. Insgesamt sollen die Daten für 5 Jahre zur Verfügung stehen.

Gleichzeitig diskutiert man derzeitig im EU-Parlament über das EU-PNR. Im zuständigen Innenausschuss wurden hunderte Änderungsanträge eingereicht, die von einer Ausweitung bis zur völligen Absage an das System reichen. Bisher haben sich bereits drei Fraktionen, die Liberalen, die Grünen und die Linken, sowie einige Fraktionslose klar gegen das Abkommen ausgesprochen. Noch ist nicht abzuschätzen, wie sich die Mehrheiten finden werden. Daher gilt es: Schreibt eure Abgeordneten an und verhindert die EU-Fluggastdatenauswertung!

Über die Pläne hatten wir bereits berichtet.

7 Ergänzungen

    1. Bin ich schon lange, aber aus anderen Gründen, jedenfalls war zur jener Zeit von der EU noch nicht einmal geträumt worden…lächel…

  1. Ich frage mich langsam, wie sinnvoll es ist gegen jede einzelne Verletzung der Grundrechte in jeder einzelnen Entscheidung der EU vorzugehen.

    Effekte wie das Internet, weltumspannende Kommunikation, Reisemöglichkeiten und die Möglichkeit alles zu wissen machen Regulierung dieser Effekte hyperkritisch. Technisch ist ein Modell wie die PNR entweder äußerst anspruchsvoll oder grundrechtlich nicht annähernd einwandfrei umzusetzen. Es ist also anspruchsvoll und komplex – setzt man voraus dass die Kommission die Grundrechte nicht egal sind.

    Komplexe Probleme erfordern andere Strategien als die Traditionellen. Die Kommission als eine Art „Rat der Länder“ definiert als Träger des Initiativrechtes EU-Richtlinien, die Länder haben die umzusetzen wenn das Parlament zustimmt. Die Komplexität der Inhalte der Entscheidungen garantiert, das dies ohne Rückmeldung, ohne formales zyklisches Entwicklungsmodell scheitert.

    „Zyklisches Entwicklungsmodell“ ist hier der zentrale Begriff!

    Unabhängig davon, was die Kommission möchte, unabhängig davon wie legitim oder gar notwendig das sein mag, ein wasserfallartiger Stufen-Entscheidungsprozess bewirkt bestenfalls, dass der, der die Sache umsetzen muss, keine Möglichkeit hat, Fehlerkorrekturen auch nur effektiv anzumelden. Er müsste den Wasserfall hinauf schwimmen. Fachleute werden also effektiv da ausgeschaltet, wo Probleme objektiv und real werden. Betroffene können das (schon mangels Sachkenntnis) gar nicht leisten. Es ist inakzeptabel, wenn Betroffene die geringsten Möglichkeiten zur Korrektur haben. Nicht weil die Entscheidung von oben Diktatur wäre, sondern weil der formale Prozess technisch objektiv nicht skaliert.

    Alle Versuche der Kommission Nutzer vorher einzubinden sind vergebens, weil die Fehler erst dann erkannt werden können, wenn man realisiert. Komplexe Dinge müssen regelrecht „entwickelt“ werden.

    Hier werden also Dinge realisiert, die durch den Entscheidungsprozess fehlerhaft sein müssen. Die durch fehlende Korrekturmöglichkeiten auch fehlerhaft bleiben. Fehler bedeutet jahrelange Grundrechtsverletzung bis die Kommission selbst reagiert – freilich ohne jede böse Absicht. Dabei liegt das weniger an der Konstruktion der EU, als am Willen und am Selbstverständnis der Kommission.

    Die VDS ist das beste Beispiel. Erst nach massiven Protesten wird die Datenschutzkonformität geprüft. Es steht zu erwarten, dass es Änderungen geben wird. Die Entscheidung zur VDS war also definitiv unvollständig, potentiell sogar falsch. Auch nach der Revision wird sie fehlerhaft bleiben. Trotzdem *muss* sie umgesetzt werden und zwar auf dem aktuellen Stand der Kommission. Test am Bürger nennt man das.

    Das ist Verschwendung von Ressourcen. Das widerspricht jeder Logik und allem was über die Entwicklung komplexer Systeme heute bekannt ist. Wenn die Kommission schon so auf Technik, automatische Datenweitergabe, Überwachung setzt, dann ist sie gezwungen, den Gesetzen dieser Technik genüge zu tun. Genau das aber haben sie nicht einmal im Ansatz verstanden.

    Mit jedem Fehler aber verliert die EU an Rechtfertigung. Die Kommission schafft sich ab und reißt Demokratie, etwa das EU-Parlament mit. Weder die VDS, noch PNR, noch totale Überwachung sind das wirklich ursächliche Problem. Das Problem sind defekte Entscheidungen durch den formal falschen Prozess, der Fehler immer weiter delegiert und festschreibt.

    1. Der Fehler liegt im System.
      In diesen Kommissionen und Gremien sitzen Leute, die mit der Realität eines Durchschnittsbürgers nichts mehr gemein haben.
      Außerdem sind sie durchsetzt mit Lobbyisten, die ausschließlich die wirtschaftliche Interessen der Großkonzerne repräsentieren.

      1. Wichtig wäre aber hierbei anzumerken, dass weder die Airlines (Kosten-Frage) noch die Reiseanbieter (Da zB auch Informationen über die Anbieter übermittelt werden) das EU-PNR wollen. Im Grunde handelt es sich um klassische Sicherheitsgesetzgebung mit den gleichen Begründungsversuchen wie bei der Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten.

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