Zensursula-Anhörung: Es bleibt viel zu tun!

Genau zehn Monate nach Einreichung der Petition gegen Internet-Sperren hatte heute die Petentin Franziska Heine Gelegenheit, das Anliegen dem Petitionsausschuss zu erläutern. Mit 134.015 Online- und 1.391 Offline-Unterschriften sowie 96 weiteren Petitionen mit gleichem Anliegen ist die Petition die bisher größte in der Geschichte der Bundestagspetitionen. So hat man für den oft belächelten Ausschuss heute einen der größten Säle organisiert. Um allen Mitzeichner_innen einen Platz zu bieten, hätte jedoch auch das Olympia-Stadion nicht ausgereicht. Sebastian Jeuck von der Petition für Sperren mit 328 Mitzeichnern ist hingegen gar nicht erst erschienen.

Eine detaillierte Mitschrift sowie eine Videoaufzeichnung (Update: jetzt auch in offiziell) existieren bereits, Medien-Coverage wird es genug geben. Da somit der Bereich der reinen Information abgedeckt sein dürfte, beschränke ich mich auf eine (natürliche rein subjektive) Analyse und Kommentierung.

Nachdem das „Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen“ also heute im Bundesgesetzblatt erschien, tritt es morgen in Kraft. Trotzdem soll, und das ist ein Erfolg für uns, derzeit keine Sperr-Liste erstellt und keine Webseite gesperrt werden. Das Innenministerium hat dazu einen Erlass an das Bundeskriminalamt geschickt. Problematisch ist jedoch, dass das Gesetz weiterhin (bzw. ab morgen überhaupt erst) gilt. Die einzige saubere Lösung, und daher unsere Forderung, ist: das Gesetz muss weg!

Doch das ist leider noch nicht in Sicht. Dabei wird an diesen Donnerstag im Plenum des Bundestags über die eingereichten Aufhebungsgesetze der Linken sowie der Grünen debattiert. Auch die SPD, die ihr Mitwirken am Gesetz heute als Fehler bezeichnet hat, möchte morgen ein Aufhebungsgesetz einbringen. Doch der Koalitionsvertrag verbietet der FDP, diesen Gesetzen zuzustimmen. Auch ein eigenes Gesetz haben Sie nicht eingereicht, ich stelle mal die These auf, um den Koalitionspartner CDU/CSU nicht vor den Kopf zu stoßen. Hier brauchen sie deutlichen Druck, zu ihrem Wahlversprechen zu stehen und das Gesetz abzuschaffen. Alles andere ist zu wenig.

Die CDU/CSU ist zwar derzeit in Bezug auf dieses Thema öffentlich ganz klein, ein wirkliches Umdenken scheint jedoch nicht statt gefunden zu haben. So wurde versucht, Franziska in die Ecke zu drängen, indem man „neue Argumente“ forderte. Die brauchen wir jedoch nicht, die Frage ist eher, warum unsere (alten) Argumente nicht gleich, sondern erst nach dem Wahlkampf gehört wurden. Vorgeworfen wurde ihr auch, die Strafverfolgung gegen die Informationsfreiheit aus zuspielen. Dr. Thomas Feist behauptete, dass angeblich bei der Anhörung im Wirtschaftsausschuss gesagt wurde, „ein Großteil der Täter könne die Sperren nicht umgehen“. Soweit ich mich erinnere, traf dies jedoch nicht auf die „Täter“, sondern die „Zufallstreffer“ zu. Siegfried Kauder bezeichnete die Debatte dann noch als „Phantomdiskussion“. Der Rest der Union blieb still. Es bleibt also dabei: große Teile dieser beiden Parteien haben das Problem nicht verstanden.

Die FDP wiederum muss bzw. möchte jedoch Rücksicht genau darauf nehmen. Um also einerseits die Netz-Sperren abzuschaffen ohne andererseits die Union zu düpieren, möchte man ein neues Gesetz verabschieden. Dieses soll „die Löschung von Internetseiten mit kinderpornografischen Inhalten möglich [machen]“. Warum das jedoch derzeit nicht möglich sein sollte, wurde nicht gesagt. Auch was in einem solchen Gesetz stehen soll, blieb offen. Bei einer ersten öffentlichen Anhörung zum Thema am 17. März sollen unter anderem Vertreter_innen von Trotz Allem e.V., dem Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin an der Berliner Charité und der Internet-Beschwerdestelle gehört werden. Was in diesem Prozess jedoch passiert, bleibt abzuwarten und kritisch zu begleiten.

Das ist jedoch das Problem. Der derzeitige Zustand ist „unhaltbar“ und verfassungsrechtlich bedenklich, auch wenn Dr. Max Stadler als Richter in der Lage ist, die Nichtanwendung eines gültigen Gesetzes durch eine Anweisung der Regierung als gesetzes- und verfassungskonform zu interpretieren. Da das nicht nur die Opposition so sieht, hat Franziska Heine heute für den AK Zensur bekräftigt, dass man Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz einlegen will. Ideal wäre natürlich, wenn die FDP am Donnerstag geschlossen mit der Opposition für eines der Aufhebungsgesetze stimmt. Da dazu jedoch Schweine fliegen lernen müssten, wäre es schön, wenn die drei Oppositionsparteien ein Organstreitverfahren gegen das Gesetz einreichen. Ich finde, die SPD ist uns das schuldig.

Leider nur von Martin Dörmann (der dankenswerterweise das Wort „Internet-Community“ nicht ausgesprochen hat) thematisiert wurden die Verträge mit den großen Providern. Die fünf Unternehmen Deutsche Telekom, Vodafone Deutschland/Arcor, Alice/HanseNet, Kabel Deutschland und Telefónica O2, die über 80 % der deutschen Internet-Zugänge verwalten, haben anscheinend keine identischen Verträge. Manche erlöschen wohl mit Inkrafttreten des Gesetzes morgen, andere allem Anschein nach nicht. Dass das Innenministerium das BKA bittet diese zu kündigen, kann es ja wohl nicht sein. Die Verträge müssen weg, und zwar sofort. Und die Verträge müssen veröffentlicht werden, die Gefährdung öffentlicher Sicherheit als Begründung dagegen ist ja wohl ein Witz.

Außerdem haben anscheinend manche Provider (nicht alle) schon in die technische Infrastruktur investiert und können die DNS-Filter sofort anschalten. Das ist gefährlich und muss wieder abgeschafft werden, auch wenn es laut Stadler wohl keine Entschädigung für die Investitionen geben wird. Ideal wäre natürlich ein Verbot von Sperren, wie es der Gesetzesentwurf der Linken vorsieht. Es wurde ja korrekterweise angesprochen, dass mit dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag und ACTA auch weitere Baustellen existieren.

Mein Fazit ist daher leider das gleiche wie vor einem Jahr: Es bleibt viel zu tun.

10 Ergänzungen

  1. Wie will Franziska Heine eigentlich Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz erheben, welches laut Anweisung des Bundesinnenministeriums an das BKA gar nicht ausgeführt werden soll und somit auch gar keine unmittelbare Beeinträchtigung von Grundrechten darstellen kann. Solch eine Klage dürfte daher doch wahrscheinlich vom Bundesverfassungsgericht alleine schon aus formalen Gründen abgelehnt werden.

  2. Auf die Frage, mit welchen Ländern das BMI Verhandlungen führt, um KiPo Inhalte zu löschen, konnte Hr Schulz vom BMI nur en Land nennen – die USA. Ausgerechnet die USA, obwohl die Bundesregierung im Juni 2009 aufgrund der guten deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit keinen zusätzlichen Gesprächsbedarf sieht. Das BKA nutzt das gleiche Online-Formular wie die US-amerikanischen Strafverfolgungsbehörden. Effektiver gehts wohl nicht.

    http://blog.odem.org/2009/06/11/2009-06-11-anfrage-sperren.pdf
    Frage 8

    Ist das Inkompetenz oder Bürger-Verarsche erster Klasse?

  3. @1: Ohne Jurist zu sein, aber dieser Anwendungserlass ist doch selbst nicht verfassungskonform (Gewaltenteilung und so). Wenn ein Gesetz verkündet wurde, ist es in Kraft, da sollten wir uns nichts vormachen. Von daher wäre das theoretisch eher wieder eine eigene Verfassungsklage wert … (wäre für diesen Fall nicht allzu toll, aber wenn die Regierung so einfach damit durchkommt ohne dass sich jemand beschwert, packen sie diese Methoden vielleicht öfter aus *hust*).

  4. Mal als Frage: Kann ein Aufhebungsgesetz (wie die Vorschläge der Linken oder der Grünen) mit relativer Mehrheit beschlossen werden, oder braucht es dazu die absolute Mehrheit? Im ersteren Fall könnte man ja die MdBs der Regierungsparteien bitten sich zu enthalten, wenn die Opposition das Aufhebungsgesetz einbringt und dann würde es mit den Stimmen der Opposition beschlossen werden. Würde das funktionieren?

  5. Meiner Meinung geht Herr Stadler nicht auf die Fragen ein (siehe Petitionsaufzeichnung auf Bundestag.de).

    Was bringt ein Gesetz das nur halb angewendet wird. Es gibt hier keine Rechtssicherheit, denn es tritt morgen ein Gesetz in Kraft, das nur teilweise angewendet wird. Das BKA wird angewiesen, ein Teil des Gesetzes zu brechen. Herr Stadler sieht hier einen Handlungspielraum im Gesetz. Würde man dies auf andere Gesetze anwenden, gäbe es im Beispiel von Mord auch Handlungsspielraum. Der eine wird für Mord eingesperrt, beim anderen macht man eine Ausnahme. Das kann nicht die richtige Strategie sein.

    Möglich wären ausserdem in diesem Fall zum morgigen Tag auch ein Sperren der Seiten, auch wenn es von Seiten der Bundesregierung dementiert wird. Es geht hier schliesslich um ein Gesetz. Hier ist meines Erachtens auch Rechtsunsicherheit.

    Gehen wir nun ein Schritt weiter. Die Internetprovider haben aufgrund der derzeitigen Rechtslage keine Möglichkeit einzuschätzen, ob zukünftig Sperren durchgeführt werden. Geht es nach der aktuellen Diskussion, werden Sperrinfrarstrukturen wieder abgebaut. Was passiert dann aber im Fall der Rechtsanwendung des Gesetztes nach einem Jahr, wenn sich die Bundesregierung dazu entschliesst, dochmal Seiten zu sperren, obwohl es hierfür keine technische Möglichkeit mehr gibt.

    Wäre es nicht angebracht, das derzeitige Gesetz komplett aufzuheben, und erst dann von einem Löschgesetz zu sprechen.

    Vom Löschgestz selbst halte ich selbst wenig. Die gesetzlichen Rahmenbedingung existieren hierzulande bereits seit Jahrzehnten. Wenn ein Hoster von illegalen Inhalten hier in Deutschland erfährt, muss er löschen, sonst macht er sich mitverantwortlich, und kann als Mitstörer zur Verantwortung gezogen werden.

    Was soll in dem Löschgesetz geregelt werden, wenn es hier nur in Deutschland angewendet werden kann. Im Ausland ist unser neues Löschgesetz gar nicht anwendbar.

    Reicht hier nicht eine Handungsanweisung ans BKA, das Inhalte nach Kenntnisserlangung sofort an die ausländischen Behörden weitergeleitet werden müssen.

    Ich bin ehrlich gesagt ein bisschen Ratlos.

  6. @SteveGates das sehe ich wie @Numbercruncher: Das Gesetz ist formal in Kraft, und kann daher formal beklagt werden. Diese Klage kann dagegen nicht formal abgelehnt werden, höchstens wegen Geringfügigkeit; aber auch da habe ich ernste Zweifel, denn ein Gesetz kann nicht wegen einer Ausführungsbestimmung mal grundgesetzkonform und mal nicht sein. Wenn es also nicht ganz schnell verschwindet, muss m.E. geklagt werden.

    Die Einwürfe der Grünen aus der Anhörung sind hier sehr ernst zu nehmen und können m.E. nicht so einfach mit Hinweis auf eine „mach die Augen zu“-Ausführungsanweisung als unbegründet bezeichnet werden.

    Dass man Löschungen, die auch auf anderer Gesetzesgrundlage möglich wären, nun hiermit begründet und daraus eine Teillegitimation abzuleiten versucht, darf man auch nicht durchgehen lassen.

    Ich halte es auch für sehr wahrscheinlich, dass schon bald, sobald sich der erste Rauch gelegt hat, irgend jemand aufstehen und versuchen wird die Ausführung einzuklagen, und der bekommt am Ende aus formalen Gründen Recht.

  7. @Numbercruncher, Manuel:
    § 2 Abs. 1 ZugErschwG lässt sich laut Aussagen von Juristen so auslegen, dass für die Exekutive ein gewisser Ermessensspielraum besteht. Insofern ist der Nichtanwendungserlass sehr wohl verfassungskonform.

    Der Vergleich mit Mord, etc. ist Unsinn, da die Exekutive in diesem Bereich zum Handeln verpflichtet ist.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.