Die schönsten Überraschungen sind die, mit denen man eigentlich schon nicht mehr gerechnet hat. Und das, was mir Markus gerade geschickt hat, ist es Überraschung, zumindest für mich. Nach der „Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur” spricht sich mit der „Gesellschaft für Informatik“ der nächste große Fachverband gegen den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag aus:
Gesellschaft für Informatik fordert wirkungsvolleren Jugendschutz
Die Gesellschaft für Informatik e.V. (GI) fordert die Landesparlamente dringend auf, den neuen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag der Länder (JMStV) nicht zu beschließen, weil er für den Jugendschutz wirkungslos ist. […]
Verantwortung im Netz wird im globalen Internet gerade nicht durch Zensur und Kontrolle jugendgefährdender Inhalte erreicht. Erst recht lässt sich ein so genanntes Kindernetz nicht vom globalen Internet trennen. […]
Die Gesellschaft für Informatik setzt sich für einen wirkungsvollen Schutz von Kindern und Jugendlichen ein. Sie lehnt Maßnahmen ab, deren flächendeckendes Scheitern schon jetzt abzusehen ist und die zu einem zunehmenden Eingriff in die Informations- und Meinungsfreiheit der Bürger führen. […]
Gesellschaft für Informatik? Ok, Zeit für eine kleine Geschichtsstunde: Die 1969 gegründete Gesellschaft für Informatik ist mit rund 24.000 Mitgliedern die größte Vertretung von Informatikerinnen und Informatikern im deutschsprachigen Raum.
Man kann es auch deutlicher sagen: Ohne den Verband und seine Mitglieder gäbe es in Deutschland wohl nicht einmal ein Internet, das man ausdrucken könnte. Von einer Informationsgesellschaft ganz zu schweigen. Vermutlich gäbe es nicht einmal den Begriff.
Update Nr. 1: Und ja, der Hinweis auf eine vermeintliche Kennzeichnungspflicht bei Strafandrohung im Original ist so natürlich nicht korrekt.
Update Nr. 2: Auch der Verband der Software-, Informations- und Kommunikations-Industrie (SIBB e.V.) fordert die Politik in einer Pressemeldung auf, Jugendschutznovelle umgehend auszusetzen:
Berlin – Die Internetspezialisten im IT-Branchenverband SIBB e. V. – http://www.sibb.de/ – kritisieren die Novelle des Jugendmediendienstestaatsvertrags (JMStV) als völlig unausgegoren. Die Internetunternehmer in der Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg halten das „Gesetz“ für fachlich inkompetent, juristisch verwirrend und psychologisch katastrophal. Der IT-Branchenverband am größten IT-Standort Deutschlands widerspricht damit der Position von BITKOM-Vertretern. […]
Die Sibb hat sich auch zu Wort gemeldet.
http://www.pressrelations.de/new/standard/result_main.cfm?aktion=jour_pm&r=434705
Dem kann man auch nicht viel hinzufügen.
Hihi. Als ob das jemanden aus der Politiker-Kaste noch kümmern würde…
Wie ich schon an anderer Stelle kommentiert habe. Der JMStV dient doch nur als eine weitere Keule, die man im Bedarf gegen unliebsame Kritiker im Netz rausholen kann. Bei den schwammigen Formulierung hat man dann stets einen Grund parat, warum die Seite „vom Netz“ muss. So kann man mit einem Haufen Strafzahlungen den kritischen Zeitgeist mundtot machen.
Aber ist auch nur meine Meinung ;-)
@Oliver: Habe ich gerade oben aufdatiert.
@Ralph: Wissens doch: Es ist erst vorbei, wenn die dicke Frau gesungen hat.
Den Rückmeldungen nach, die wir in den letzten Tagen und Stunden erhalten haben, wird vielen Politikern (die hier inzwischen mitlesen oder mitlesen lassen) gerade erst klar, was für einen Murks sie da durchwinken sollen.
Natürlich wird es eng, vielleicht zu eng. Aber kümmern scheint es inzwischen doch den ein oder anderen AbgeordneterInnen …
Naja, die Folgen des JMStV sind eher mittelbar (Chilling Effects, Etablierung einer Kontrollstruktur). Als konkreten Hebel sehe ich ihn eher nicht.
Ok, also halten wir fest: Die meisten Fachleute sind gegen den JMStV, außer mehr Bürokratie und rechtlicher Unsicherheit bringt der nichts, selbst Politiker zweifeln den Sinn an.
Eigentlich MUSS er abgelehnt werden. Aber der Koaliations- und Fraktionsdruck ist vermutlich größer, so dass logische und sachliche Argumente nur unter „ferner liefen“ Beachtung finden werden, wenn überhaupt.
Man kann es immer wieder beobachten: Sobald irgendeiner mit einer wie auch immer gearteten unsinnigen Idee hinter einem Stein hervorkriecht, wird dieser ins Rollen gebracht und ist nicht mehr aufzuhalten.
@Carsten: Ja.
Nur über das „nicht mehr aufzuhalten“ möchte ich frühestens am 18. Dezember reden ,)
Die Verbände, die sich jetzt gegen den JMStV aussprechen, haben sich sehr viel Zeit gelassen. Welche Regierungsfraktion hat jetzt noch so viel Arsch in der Hose, den JMStV scheitern zu lassen?
Hallo, Berlin-SPD! Traut ihr euch, die richtige Entscheidung zu treffen?
Kann mir vielleicht jemand sagen ob diese Vereinigung irgendwelchen Einfluss hat? Nur weil Informatiker was fordern heißt das ja nicht das Politiker das interessiert…immerhin müssen sind Sie den Opfern von Winnenden es schuldig, das zukünftig keiner mehr Amok läuft, weil er im deutschen Internet Katzenbilder sehen konnte!
„Ja, wir wissen natürlich dass der JMStV der grösste Bockmist ist und von politikern gemacht wurde, die ihrer sekretärin noch in den steno-block diktieren….aber der fraktionszwang..sie verstehen…..ich will ja noch was werden in meiner partei….(zwinker,zwinker)“!
Die Gesellschaft für Informatik ist genauso alt wie die Herren Konstantin Neven DuMont und Stefan Niggemeier. Nicht alle ihrer Äußerungen sind der Weisheit letzter Schluss. Noch älter ist die Katholische Kirche. Was meint die zum JMStV?
Wer von den Autoren und Kommentatoren hier auf „netzpolitik.org“ hat als Mutter oder Vater Verantwortung für minderjährige Kinder und Jugendliche?
Ich vermisse immer noch die Alternative zu den bisherigen und den geplanten staatlichen Maßnahmen zum Jugendschutz, Herr Schäfers. Die meisten besorgten Eltern wollen ihre Kinder vor Gefahren schützen. Auch im Internet.
@Leo Vierziger
Der einzig wirksame Schutz vor dem „bösen“ Internet, Herr Vierziger, wäre es, wenn Sie dieses Ihren Kindern komplett verbieten oder besser: es nur zu festgelegten Zeiten erlauben würden, an denen Sie oder Ihre Frau zur Beaufsichtigung anwesend sind oder noch besser: sie mit entsprechender Medienkompetenz und Erziehung ausstatten würden, so dass Sie ihnen vollkommen vertrauen können.
Dt. Schutzregeln in einem internationalen Medium sind dagegen vollkommen nutzlos, da man sich den „Schund“ im Zweifelsfall eben woanders her holen kann.
@Leo Vierziger: Nein ich habe keine Kinder und ich kann mich deshalb in eine solche Situation nicht reindenken. Aber ich finde es sehr bedenklich wie in diesem LAND das Thema „Jugendschutz“ verwendet wird um Zensur zu betreiben. FIng in den 80ern mit Filmen an, in den 90ern/2000ern kamen Spiele hinzu und heute ist es das Internet. Muss ich mir als Erwachsener Bürger, der brav seine Steuern zahlt und sonst auch nichts böses getan hat sowas gefallen lassen?
Kinder schützen, sorry 100% geht das nicht…vor 20 Jahren hab ich damals auch alles schon auf dem Schulhof bekommmen. Heute gehts halt dann über Handy, Email, Instant Messanger usw. Da muss man als Erziehungsberechtiger halt schon in alles reinschauen. Da nützt auch kein JMSTV, keine Netzsperren usw.
Sehr geehrter Herr Vierziger,
es ehrt mich, dass Sie ausgerechnet von mir Lösungen für Probleme erwarten, die viele kluge Köpfe aus Politik und Gesellschaft bisher nicht oder nur unzureichnend lösen konnten.
Leider habe auch ich kein Patentrezept (Tatsächliche finde ich den Anspruch, dass jemand, der auf einen Fehler hinweist, gleichzeitig eine bessere Lösung präsentieren muss, sogar recht kurios.).
Allerdings habe ich in den letzten Wochen von vielen guten Ideen gehört, die auch Ihnen als regelmäßiger Leser unseres sympathischen kleinen Blogs sicher nicht entgangen sind.
Von den Mitgliedern der oben zitierten “Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur” gibt es beispielsweise recht gut Konzepte. GMK-Mitglied Jürgen Ertelt hat als Experte in den Anhörungen zum JMStV beispielsweise mehrfach alternative Ansätze zu den strukturellen Problemen des JMStV aufgezeigt.
Vielleicht schauen Sie auch mal beim „Dialog Internet“ vorbei, wo derzeit entsprechende Konzepte ausgearbeitet werden (Ich habe mich gerade eben für ein weiteres Arbeitsgruppentreffen angemeldet).
Und ja, tatsächlich gibt es sowohl beim AK Zensur wie auch hier bei Netzpolitik.org zahlreiche Eltern, die sich gerade deshalb engagieren, weil sie Verantwortung für ihre Kinder übernehmen wollen.
Reicht Ihnen eine Liste, oder benötigen Sie auch Telefonnummern und Geburtsurkunden?
@Leo Vierziger:
Verstehe ich Ihre Äußerung so, dass man nur mitdiskutieren darf/kann/soll, wenn man Kinder hat? IRGENDETWAS zu tun, was absolut nicht zielführend ist, ist purer Aktionismus, der weder ihnen als Erziehungsberechtigtem hilft, noch den Kindern und erst nicht den Dienstanbietern.
Mein Eindruck ist zudem, dass es sich viele Eltern recht einfach machen (unterstelle ich Ihnen ausdrücklich NICHT), und die Verantwortung auf den Staat schieben wollen. Wenn man sich mit seinen Kindern beschäftigt, und sich darum kümmert, was sie tun, wen sie kontaktieren etc., geht man schon einen großen Schritt in die richtige Richtung. Nur muss man sich darüber im Klaren sein: 100%ige Sicherheit gibt es nicht.
Dazu ein Kommentar im Bereich meiner Kompetenz:
Die in §5 erwähnten „entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte“ basieren auf einer langen pseudo-wissenschaftlichen Tradition. Der Nachweis einer tatsächlichen Beeinträchtigung wird nie erbracht. Eine Falsifizierung ist von Anfang an unmöglich gemacht. Deshalb ist die Neufassung schon im Ansatz unseriös und Makulatur.
Ich bin für weitestgehende Meinungs- und Kunstfreiheit und halte den sogenannten Jugendschutz für teilweise übertrieben.
Andererseits kann man nicht alles allein den Eltern überlassen. Sonst bräuchte man keine staatliche Schulpflicht.
Der Verkauf von Alkohol und Zigaretten an Kinder und Jugendliche wird auch gesetzlich reglementiert. Kindesmissbrauch wird strafrechtlich verfolgt.
Also hat unser demokratisch legitimierter Staat das Recht und die Pflicht, beim Schutz von Kindern und Jugendlichen mitzuwirken.
Welcher Erwachsene hat welchen Schaden, wenn bestimmte Filme Jugendlichen nicht gezeigt werden dürfen? Welchen konkreten Schaden habe ich als erwachsener Internet-Nutzer durch den alten oder den neuen JMStV?
Bereits der Ansatz, eine dynamische Kommunikationsstruktur wie das Internet mit Methoden regulieren zu wollen, die für die Verbreitung von Rundfunkinhalten konzipiert wurden, ist verfehlt.
@Leo Vierziger:
Ich glaube dazu gibt es mittlerweile genügend Darstellungen.
Die Problem ist hier, genau wie bei dem Zugangserschwerungsgesetz, dass dabei erst eine Infrastruktur geschaffen werden muss bzw. einzelne Seiten Maßnahmen ergreifen müssen, die früher oder später für die Sperrung/Markierung sämtlicher unliebsamem Inhalte genutzt werden können.
Und wenn sowas ersteinmal eingerichtet ist, werden Begehrlichkeiten geweckt, und dann ist es vorbei mit Meinungsfreiheit. Wie schnell Forderungen auftauchen, hat man ja gesehen.
Und dass dieser JMStV gerade für Abmahnanwälte ein gefundenes Fressen ist, kann man auch überall nachlesen.
Man sieht an allen Ecken und Enden, dass diese Gesetze einfach nicht durchdacht sind, und vermutlich mehr Probleme als Nutzen bringen.
Ich sehe auch ein, dass Politiker Entscheidungen treffen müssen, aber dann sollten sie zumindest auf Fachleute hören, und nicht nur Alibiveranstaltungen organisieren und sich anschließend auf den Fraktionszwang o.ä. berufen. Stattdesen kommen so dermaßen realitätsferne und vor allem kontraproduktive Vorschläge, dass man nur noch verzweifeln kann.
@15. Leo Vierziger:
„Welcher Erwachsene hat welchen Schaden, wenn bestimmte Filme Jugendlichen nicht gezeigt werden dürfen?“
Theoretisch keiner. Aber da die Einschränkungen gleichermassen Jugendliche wie Erwachsene treffen, wiederum alle. Die ganze Zeit wird z.B. gesagt, dass man vorsichtig damit sein soll, wem man seine Kontodaten gibt. Derzeit ist es aber so, dass die akzeptierten Schutzsysteme im Internet über die Kreditkarte geht. Das ist IMO bei Adultseiten problematisch.
„Welchen konkreten Schaden habe ich als erwachsener Internet-Nutzer durch den alten oder den neuen JMStV?“
Ich weiß z.B. nicht, wie ich mit meiner Webseite über japanische Comics mit dem JMStV umgesehen soll. Ich befürchte dabei nicht unbedingt den Staat, sondern Abmahnanwälte, die die Situation ausnutzen.
Für mich als Webseitenbetreiber ist es problematisch, da ich als Nicht-Jurist nicht sagen kann, wie ich meine Webseite einzuschätzen habe.
Ich rechne die Zensur des Netzes auf gegen die freie Entfaltung meier Kinder. Was soll aus denen werden, wenn sie in einer kastrierten Welt aufwachsen. Wie sollen sie lernen, kritikfähig zu entscheiden, was gut und falsch ist? „Dieser Content ist in Deinem Land nicht verfügbar“
Das Schlimme an der Sache ist doch, dass der Jugendschutz ad absurdum geführt wird, da mit dem jmstv Softporno Anbieter wie z.b. die Telekom nun diesen Schund nur noch mit 16 labeln müssen und somit sind diese Sachen 24 std am Tag offen online und werden nur von Rechnern mit installiertem Jugendschutzfilter nicht mehr angezeigt.
Und diese Filter haben die wenigsten Eltern installiert – und wenn, wissen die Kids längst, wie man sie ausschaltet.
Bisher war das Zeug nicht so leicht erreichbar.
Das ist auch der Grund, warum es keinen großen Aufschrei der Medien gibt wie es z.b. bei der als Zensursula bekannten Stoppschildern der Fall war.
Deswegen gibt es fast nur Proteste im Netz und die ein Großteil der Nation bekommt gar nicht mit, was hier läuft.
Denn wer profitiert also davon?
Als Nebeneffekt dient der jmstv m.E. nach dazu unliebsame Meinungen aus dem Netz zu verbannen und nur noch dem (gesteuerten?) Mainstream das Monopol der Ansichten und Nachrichten zu überlassen, indem es den kleinen Leuten – Blogger, privaten Webseitenbetreibern, Kleinunternehmen (die ein Großteil der Netzkultur ausmachen) fast unmöglich gemacht wird, sich zu artikulieren.
Und das ist Zensur durch die Hintertür. Das ist m.E. gewollt. Scheibchenweise wird die Kultur des Netzes und die Freiheit des Wortes untergraben. Und das hat mit Demokratie nichts mehr zu tun.
Das steuert langsam auf etwas anderes zu.
Und das ist der Grund, warum auch ich mich aufrege und nun schon Tage damit verbringe, Fakten zu sammeln und auf meinem kleinen Blog darüber zu berichten.
Daher mein Apell: Informieren Sie sich und wehren Sie sich.
Hier stehen nicht mehr und nicht weniger als die Meinungsfreiheit und Netzkultur sowie Grundpfeiler unserer freiheitlichen Demokratie auf dem Spiel
Aber es kommt ja noch viel schlimmer – im Zuge des neuen Leistungsschutzgesetztes wird jedes Wort abmahnfähig, welches dem von einem Verlag rausgebrachten auch nur ähnelt.
DAS wird der echte Tod der Blogs und des freien Wortes.
Mir ist gestern ein entsprechender Artikel bei telepolis aufgefallen und bin seitdem erst recht elektrisiert – auf meinem Blog habe ich dazu geschrieben.
Informiert euch – die Sache stellt den jmstv in den Schatten und es wird klar, das der nur ein Baustein zur totalen Kontrolle ist.
Während wir uns alle über den jmstv aufregen, wird im Hintergrund am echten Tod des freien Wortes und uns aller Blogger gearbeitet.
Und das ist auch der Grund, warum die Printpresse / TV die Folgen des jmstv nicht groß aufnimmt und verbreitet – es geht um mehr – um viel mehr.
ES wird gerade das Meinungsmonopol vorbereitet mittels des neuen Leistungsschutzgesetz.
Also obacht !! Jetzt gilt es aufzustehen –