4 Tröten für die Vorratsdatenspeicherung

Vor etwas mehr als einer Woche orakelte ich über die Rückkehr der verfassungswidrigen Vorratsdatenspeicherung (VDS). Das war nicht schwer gewesen, nahezu jeder wahllos herausgegriffene Satz des BKA-Chefs Zierke reichte für diese Prophezeiung aus.

Und langsam regt sich was in der Riege der Unbelehrbaren: Schleswig-Holsteins Innenminister Klaus Schlie weiß der Gewerkschaft der Polizei die Mär von der erheblichen Schutzlücke in der Kriminalitätsbekämpfung einzutrichtern:

Das ist keine Zweckpropaganda unverbesserlicher Sicherheitsfanatiker, sondern bittere Wahrheit.

Wir wissen: Wenn Menschen unaufgefordert von sich behaupten, etwas zu sein, oder nicht zu sein, dann trifft meist das Gegenteil zu. Und: Wenn es so wäre, warum müsste er es dann den Polizisten erklären?

Direkt nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen die VDS wurde befürchtet, dass die Urteilsbegründung als Leitlinie für einen neuen Versuch genutzt werden würde. Genau das zu tun, fordert Schlie von der Bundesjustizministerin. (Wir erinnern uns an ihre Meinung dazu, und ihre Beteiligung an der Verfassungsklage.)

Zeitgleich meldet sich die bayerische Justizministerin Beate Merk in der FAZ und tut genau das, was von ihr zu erwarten war: Ziemlich unbeholfen springt sie auf den lauten Zug mit dem Namen „Tatort Internet“ auf, der seit Wochen unkontrolliert und ungebremst ohne Schienen den Mutterboden der Demokratie zerfurcht.

Die FAZ illustriert den Gastbeitrag zwar mit einem höchst-humoristischen Artikelbild, macht sich aber dennoch des Abdruckens schuldig. Merk verliert sich in der höchstgradig blödsinnigen juristischen Konstruktion, Cybergrooming sei deswegen eine Grauzone, weil die juristische Bedeutung des Arbeitsspeichers eines Computers nicht geklärt sei. (Als wenn deshalb jemals eine Person freigesprochen worden wäre!) Leider ist der Erguss dermaßen wirr und unverständlich geschrieben, dass die Gefahr, dass Leser unter dem Eindruck „hohe Frau, weise Frau“ auch noch überzeugt werden könnten, nicht von der Hand zu weisen ist. Um dies zu verhindern hat Thomas Stadler sich die Aufgabe aufgebürdet, mal kompetent dazu Stellung zu nehmen.

Ansonsten hätten wir dann noch Bernd Carstensen vom Bund Deutscher Kriminalbeamter, der abseits von jedem Realitätsbezug bemängelt, dass die Täter(!) nach einer sexuellen Kindsausbeutung ohne Vorratsdatenspeicherung später häufig nicht zu identifizieren seien. Wenn er das wirklich ernst meint, dann sagt das viel über die Daten aus, die er wohl gerne alle vorratsdatenspeichern würde.

Nach all den Kindern brauchte man natürlich auch noch ein bisschen Terror: Den liefert Konrad Freiberg von der Gewerkschaft der Polizei, und nimmt die dubiosen Pakete aus dem Jemen als Anlass, für die VDS zu werben. Einen Anwendungsfall, und sei er noch zu konstruiert, kann wohl selbst er nicht liefern. Und so verplappert er sich auch gleich: Die Polizei brauche

moderne Methoden, um Terroristen frühzeitig zu identifizieren

Frühzeitig? Mit der Vorratsdatenspeicherung?

Ehe wir uns versehen, fangen wir also wieder von vorne an. Und zwar bei Null.

17 Ergänzungen

  1. „Ziemlich unbeholfen springt sie auf den lauten Zug mit dem Namen “Tatort Internet” auf, der seit Wochen unkontrolliert und ungebremst ohne Schienen den Mutterboden der Demokratie zerfurcht.“

    Extrem tolle Formulierung!
    Ja, und das mit unserem Schlie will mir auch noch nicht einleuchten, er hat iirc vorher nie Interesse an der thematik gezeigt :/

  2. Das kann man an folgendem Beispielsfall anschaulich erläutern: In einem Chatroom im Internet wurde offen über die Verbreitung von kinderpornographischem Material und einen Kindesmissbrauch gesprochen. Von dem Chatteilnehmer war nur die IP-Adresse, mit der er sich im Internet angemeldet hatte, bekannt. Eigentlich sollte man hier meinen, dass die Ermittlung des Anschlussinhabers mit Blick auf die bekannte IP-Adresse keine Probleme bereiten sollte. Doch weit gefehlt. Der Internetanbieter teilte auf Anfrage mit, dass die betreffenden Daten nach der Nichtigerklärung der Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung durch das Bundesverfassungsgericht nicht mehr gespeichert werden dürfen und daher auch nicht mehr gespeichert würden. Damit war den Strafverfolgungsbehörden der für den Bereich der Internetkriminalität wichtigste und oftmals auch einzige Ermittlungsansatz versperrt.

    Das kann man an folgendem Beispielsfall anschaulich erläutern: auf einem öffentlichen Platz wurde offen gegen die Regierung demonstriert. Von den Demoteilnehmern war nur ihre Visage, mit der sie sich bei ihrer Geburt in der Welt angemeldet hatten, bekannt. Eigentlich sollte man meinen, dass eine Ermittlung des Visageninhabers mit Blick in die Akten des Reichssicherheitshauptamtes keine Probleme bereiten sollte. Doch weit gefehlt. Die Verfassungrichter teilten auf Anfrage jedoch mit, dass seit 1945 keine Gestapomethoden mehr angewandt werden dürften, und es deshalb kein Visagenverzeichnis gäbe. Damit war den Strafverfolgungsbehörden der für den Bereich der Regierungskritiker wichtigste und oftmals auch einzige Ermittlungsansatz versperrt.

    Der Straftatbestand ist aber so ausgestaltet, dass er allein bei einer nicht nur flüchtigen Datenspeicherung sicher greift. Ob der Arbeitsspeicher als Datenspeicher ausreicht, ist umstritten.

    Nennt mich paranoid, aber irgendwie erinnert mich die Diskussion darüber, ob im Arbeitsspeicher nun eine tatsächliche Vervielfältigen stattfinden, stark an die Argumentation der Presseverleger, um für das Lesen einer Website (die notwendigerweise im Cache landen muss) Lizenzgebühren zu verlangen. Soll hier wieder der Medienbranche zugespielt werden?

  3. Bwuahahaha, Frau Merk erntet heute meinen persönlichen LOOOOL des Tages für diese Aussage in der FAZ:

    „Dass die sexuellen Absichten nicht in jedem Fall nachweisbar sein werden, ist wohl unvermeidlich. Aber Nachweisschwierigkeiten dürfen uns nicht davon abhalten, ein deutliches Signal gegen solch widerwärtiges Vorgehen von Pädosexuellen zu setzen.“

    In dubio pro wasdochgleich?

    Wobei, will der Freiberg wirklich in den Ruhestand gehen? Wäre schade drum. Lachen ist schließlich gesund. :-)

  4. @ Trittbretttreter:
    Wenn man der Frau gemeine Absichten unterstellen will, so könnte man meinen, dies sei eine unterschwellige Botschaft an Herrn Tauss. (dem ja letztlich gerichtlich bescheinigt wurde, dass er keinerlei sexuelles Interesse an seinen gesammelten Daten hatte)

    und ja, Kudos an die Formulierung ;)

  5. So viel zum Sinn von Aufklärungskampagnen.

    Ich war zwischenzeitlich der Hoffnung, dass diese Form von Inkompetenz und Unbelehrbarkeit einfach ausstirbt.
    Wenn man sich dann aber ansieht, was in den Jugendorganisationen der Parteien (no matter which) rumläuft, bleibt nur festzustellen, dass das eine glatte Selbstlüge wäre.

    Wiedermal fährt sie, die Dummheit, also den Sieg der Schlacht davon.

  6. Mein Heise-Posting dazu:

    […]
    Unter
    http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20100302_1bvr025608.html?Suchbegriff=vorratsdatenspeicherung+1+BvR+256%2F08 findet man besagtes Urteil und konkret heißt es hier:
    […]Der Abruf und die unmittelbare Nutzung der Daten sind nur verhältnismäßig, wenn sie überragend wichtigen Aufgaben des Rechtsgüterschutzes dienen. Im Bereich der Strafverfolgung setzt dies einen durch bestimmte Tatsachen begründeten Verdacht einer schweren Straftat voraus. Für die Gefahrenabwehr und die Erfüllung der Aufgaben der Nachrichtendienste dürfen sie nur bei Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für eine gemeine Gefahr zugelassen werden.
    […]

    Wird das nun aufgedröselt ergibt sich folgendes Bild:

    a) Mit […] Im Bereich der Strafverfolgung setzt dies einen durch bestimmte Tatsachen begründeten Verdacht einer schweren Straftat
    voraus.[…] bewegt man sich meines Erachtens in den Paragraphen 100a und 100c der StPO.
    Im §100a wird festgelegt, dass im Falle eines Verstoßes gegen den §184b und §184c vgl. […]Verbreitung, Erwerb und Besitz kinder- und
    jugendpornographischer Schriften nach § 184b Abs. 1 bis 3, § 184c Abs. 3[…] und diverser anderer Vergehen vgl. http://www.gesetze-im-internet.de/stpo/__100a.html die Überwachung
    der Telekommunikation möglich ist. Im §100c http://www.gesetze-im-internet.de/stpo/__100c.html der StPO darf wenn es sich um bandenmäßiges oder gewerbsmäßigen Vorgehen
    handelt, sogar die Wohnung selbst verwanzt werden und dort die Gespräche aufgezeichnet werden. Unter den Begriff „bandenmäßig“ dürften da auch die Tauschringe im Netz fallen…..
    Stellt sich nun die Frage wie „bestimmte Tatsachen“ einen begründeten Verdacht begründen? Wie hoch muss diese Schwelle sein und vor allem in welcher Eingriffshöhe sind diese Vorratsspeicherungsdaten einzuordnen, da die „schwere“ der Straftaten ja vom §100a zum §100c der StPO steigt und vor allem wie schwer wiegt der Eingriff selbst, ist er vergleichbar mit dem Eingriff wie im §100a StPO angedeutet wird, dann liegen wir auf der Schwelle der Telefonüberwachung, wo bekanntlich Deutschland immer öfter „Weltmeister“ ist vgl.
    http://www.heise.de/newsticker/meldung/Telefonueberwachungen-im-Jahr-2001-drastisch-angestiegen-70113.html d.h. die Schwelle liegt verdammt niedrig oder trifft da eher der §100c StPO zu, wo jemand unbemerkt in die Wohnung einsteigen darf und Wanzen anbringt?
    Aus dieser Sicht wäre die Leier um den Kampf gegen die Kinderpornographie verständlich, nur bleibt dabei das Problem des „begründeten Verdachts“ und ob es okay ist 6 Monate auf Vorrat zu speichern und dann praktisch einen begründeten Verdacht zu erzeugen, indem dann diese Datenhalde rückwirkend durchsucht wird, frei nach dem Motto schauen wir mal, wo der sich noch alles rumgetrieben hat, was meines Erachtens ohne weiteres möglich ist z.B. über IP XYZ (die im Verdacht mit einer Straftat steht) kommt man auf den Namen Fritz
    Huber und erfährt, dass dieser im Zeitraum von Monat 1 bis Monat 6 die IPs a,b,c,d usw. benutzt hat und nun such man bei den ISPs gezielt nach diesen IPs um so ein Kommunikationsbild zu erstellen… Wäre so ein Szenario möglich…..?

    b) Das Zitat […]Für die Gefahrenabwehr und die Erfüllung der Aufgaben der Nachrichtendienste dürfen sie nur bei Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für eine gemeine Gefahr zugelassen werden.[…] ist da schon eindeutiger nur auch da ergibt sich ein Problem wie man den Term „tatsächlicher Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr“ definiert? Angenommen Fahnder finden ein Bild von einem Missbrauch, wo anzunehmen ist, dass die Aufnahme in De. entstanden ist und bekommen die IP des Uploaders dazu, reicht dieses Wissen aus um einen „tatsächlichen Anhaltspunkt für eine konkrete Gefahr….“ zu geben? Wie schaut es mit den Downloadern aus, tritt da sofort Punkt a) in Kraft d.h. der Verdacht einer Straftat?
    Angenommen Behörden eines ausländischen Landes liefern nur die IPs, weil diese auf eine nach Angaben der dortigen Behörden illegale Seite zugegriffen haben….ohne klaren Beleg, was aufgerufen oder gar runter geladen wurde…reicht das für a) oder b) aus?

    bombjack

  7. Was wir mal brauchen, ist eine „Tatort Politik“, „Tatort Bundeskanzleramt“, „Tatort Bundestag“ oder „Tatort Landtag“-Serie. Und als erstes kommen dann solche Volksverführer und Propagandisten wie Innenminister und sog. Innenexperten wie Bosbach, Uhl oder Wiefelspütz dran. Die Serie könnte man, mit wöchentlich einer Folge, auf rund 10 Jahre auslegen.

    SCNR,

    Klaus

  8. Zu
    […]In einem Chatroom im Internet wurde offen über die Verbreitung von kinderpornographischem Material und einen Kindesmissbrauch gesprochen. Von dem Chatteilnehmer war nur die IP-Adresse, mit der er sich im Internet angemeldet hatte, bekannt. Eigentlich sollte man hier meinen….
    […]
    Damit war den Strafverfolgungsbehörden der für den Bereich der Internetkriminalität wichtigste und oftmals auch einzige Ermittlungsansatz versperrt.
    […]

    Rest findet sich im Posting von „Durden
    Nov 3rd, 2010 @ 17:48“

    a) ob die Frau schon mal was von anonymen Proxies gehört hat?
    b) von so Sachen wie vpntunnel.com, Tor, Freenet usw. ganz zu schweigen…
    c) Sie weiß dass die IP auch eine ausländische sein kann?

    und sorry auch wenn das jetzt derb klingt….stellt sich die Frage welche Art der Ermittlung der Dame bei so etwas vorschwebt….bzw. diese Äußerungen als die „bestimmten Tatsachen zu sehen sind die einen Verdacht zu einer schweren Straftat begründen?

    bombjack

  9. @KlausM

    Spannend wäre, ob das einer der Großen senden würde.

    Falls nicht läge das aber sicher nicht an Bedenken hinsichtlich der Einschaltquote.

  10. Das Bundesverfassungsgericht hat sich nun lange genug damit beschäftigt. Man darf schreiben, jahrelang. Es fand das Thema auch so wichtig, daß es eine einstweilige Verfügung mir sofortiger Wirkung bei Klageeingang erwirkte. Das kommt selten vor. Es unterstreicht die Wichtigkeit des Themas. Und auch wenn die Bullerei oder Politiker es nicht verstehen wollen, oder die Fuzzis des Europaparlamentes wieder Druck ausüben:

    Es wird keine Vorratsdatenspeicherung geben in diesem Deutschland. Und wenn Ihr alle klug seid 2013, dann bleibt das auch so!

    Das haben die armen Menschen, welche es einfach nicht glauben können und wollen, endlich mal zu kapieren. Da können sie noch so die Presse einschalten, ihre Statements abgeben, rumheulen.

    Und auch nicht durch die Hintertür. Die Türen sind zu.

  11. Zitat aus diversen frischen Medienberichten: „Justizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger (FDP) unterstützte im ZDF die Gewerkschaften, die zu Recht beklagen würden, dass bei der Polizei in den vergangenen Jahren fast 10.000 Stellen“ in Bund und Ländern gestrichen worden seien. Sie kritisierte, dass sich die Politik nach den Terroranschlägen 2001 „zu einseitig auf Personenkontrollen und auf Eingriffe in Bürgerrechte konzentriert hat.“

    Äh, wie nun … Pro oder Kontra Verratsdatenspeicherung und ähnlichen suspekten Dingen die in die Bürgerrechte eingreifen?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.