Gleich zu Beginn eine Anekdote: Lars Ullrich von Metallica erwähnte in einem Interview, dass er unter Alkoholeinfluss sein eigenes Album raubkopierte.
Hier nun ein Überblick über den am Dienstag beendeten Prozess gegen The Pirate Bay (TPB), den man über den Twitter Hashtag #spectrial verfolgen konnte. Auf torrentfreak.com erschienen täglich Zusammenfassungen der einzelnen Prozesstage und über die Site von TPB konnte man sich ausführliche Videos mit Beschreibung des Geschehens ansehen. Gute Berichte in den großen Medien gab es bei wired und arstechnica.
Und arstechnica hatte auch vorgestern, die wie ich finde beste Zusammenfassung des Prozesses veröffentlicht. Ich nehme hier ein paar Aspekte raus und ergänze sie:
Küchenmesser: Das in deutschen Kommentaren oft zitierte Küchenmesser ist ein Werkzeug, das unabhängig von der Absicht des Herstellers oder Besitzers von einem dritten genommen und benutzt werden kann, um Gutes oder Böses zu tun – wie ein Computer oder die Protokolle des Internets auch. Auch die Torrent-Tracker-Site TPB muss sich diesem Vergleich stellen. Dass TPB allerdings überwiegend illegale Tätigkeiten unterstützt, wurde in diesen Prozess nicht bewiesen. Die einzige Statistik kam von Peter Sunde, der angab 80% der Torrents auf TPB würden auf legale Inhalte verweisen. Die Anklage äußerte ausdrücklich nur Meinungen und verwies auf die TOP 100 Seiten der Site für Musik und Filme – nicht viel wert im Long-Tail. Sie bemühten sich nicht um eine Statistik, die zeigt, welchem Zweck TPB dient.
KingKong aus Kambodscha ist einer der anonymen Torrent-Uploader bei TPB. Die Verteidigung berief sich darauf, dass es keine persönliche Beziehung zu diesem Nutzer gibt, also könne es auch keine Beihilfe geben. In Deutschland würde wohl auch bei KingKong die Störerhaftung greifen, die es in dieser Form in Schweden nicht gibt. Im Prozess wurde oft auf Google und deren Verlinkung verwiesen. Jedoch arbeitet Google aus Sicht der Anklage eng mit der Medienindustrien zusammen und sperre häufig auf Verlangen den Zugang zu Inhalten, die von Nutzern wie KingKong angeboten werden. Ob und in welcher Form die Betreiber von TPB verpflichtet sind, auf die Hinweise der Medienindustrie zu reagieren, ist fraglich. Ist das eine passive Form von Beihilfe? Die Anklage des Prozess lautet auf Beihilfe zur Urheberrechtsverletzung. Für Laien des schwedischen Rechts wie mich, ist es natürlich überhaupt nicht einzuschätzen, was das in diesem Kontext bedeutet und ob man mit dem Täter eine Zweckgemeinschaft bilden muss und ob die hier gegeben ist. Was hier auch eine Rolle spielt, ist, dass die Anklage nicht versuchte, die Tätern zu verfolgen, sondern ausschließlich die „Beihelfer“. Das ist etwas, was normalerweise nicht vorkommt und dem Prozess eine weitere exotische Note gibt.
Schaden und Gewinn: Die Anklage gab einen Schaden an. Sie konnte aber den Schaden weder allgemeingültig belegen, noch einen direkten Schaden durch TPB schlüssig beziffern. Bei der allgemeinen Frage, ob Filesharing für die Medienindustrie schädlich sei, präsentierten beide Seiten gegensätzliche Erkenntnisse durch wissenschaftliche Experten.
Den direkten Schaden berechnete die Anklage so, als ob TPB für die „angebotenen“ Titel eine Lizenz erworben hätten. Dabei konnte die Anklage allerdings nicht darlegen, dass alle beim Download der Dateien verwendeten Tracker von TPB stammen. Ebenso wenig konnte gezeigt werden, dass die von der Anklage gezeigten Torrent-Dateien auch durch Filesharer gestützt wurden. Die Anklage hat darauf verzichtet, sich gründlich auf den Prozess vorzubereiten und ist ohne lückenlose Beweisketten angetreten.
Es geht um ein Motiv bei der Feststellung, welchen Gewinn TPB machte. Dabei hat die Anklage wesentlich mehr Werbefläche auf TPB angenommen als tatsächlich geschaltet wurde. Auch hier sieht es nicht gut aus für die Anklage. Sie haben außer ihrer falschen Annahme über die Höhe der Werbeverkäufe, keinerlei Beweise über die Höhe der Einnahmen. Dem Gericht wird es schwer gemacht, zu bezweifeln, dass TPB gerade so seine infrastrukturellen Ausgaben deckt.
Persönliche Verantwortung und Moral: Die persönliche Verantwortung der Angeklagten anhand ihrer wahrgenommenen Aufgaben ist nicht klar. Zwar ist zum Teil klar, wer zwischenzeitlich welche Aufgaben hatte und wer für Technik und Domain verantwortlich war. Aber die Klärung der Frage einer vermeintlichen Gewinnverteilung, oder wer wem sagt, was zu tun ist, ist in der spontanen Organisation von TPB für das Gericht nur sehr schwer möglich.
Moral und Recht sind nicht immer deckungsgleich. Was dem Einen moralisch anstößig erscheint, muss für den Anderen keine rechtlichen Konsequenzen haben. Die Site heißt „The Pirate Bay“. Würde jemand seinen Küchenmesserladen, „The Ripper“ nennen, wäre das vielleicht moralisch anstößig, unrecht – solange keine Markenrechte verletzt werden – wäre das allein nicht.
Ein Urteil wird am 17. April erwartet.
Danke für die Zusammenfassung. Und vor allem für den letzten Absatz über Moral und Recht..
Die Störerhaftung greift auch in Deutschland nur im Zivilrecht, und dort auch nur bei Unterlassungsansprüchen („Abmahnungen“). Im Strafrecht geht auch in Deutschland eine Zurechnung fremder Taten nur über die Mittäterschaft, die Anstiftung oder die Beihilfe.
Jetzt wo ich´s mir so durchdenke – das wäre auch in Deutschland eine interessante Rechtsfrage.
http://www.rewi.hu-berlin.de/jura/ls/hnr/materialien/exam/24-taeterschaft10.doc
@Simon
Der #Spectrial war wie ich gehört habe eine Mischung aus Zivil und Strafprozess. Da war ein Staatsanwalt und Anwälte der Geschädigten Teil der Anklage.
Der Prozess war ein Strafprozess, in dem es Nebenkläger gab. Der Großteil der Schadensersatzansprüche wäre im Nachhinein in Zivilprozessen eingeklagt worden bzw wird eingaklagt werden.
Sehr erhellend in dem Zusammenhand der WIRED-Artikel zu dem Verfahren:
http://www.wired.com/politics/onlinerights/news/2009/03/piratebay_editorial
@ Christian Sommer
Ja den Artikel habe ich ja auch oben verlinkt. In einem der Kommentare dazu steht auch, dass es irre wäre anzunehmen, die TPB-Betreiber würden ihren Pathos im Prozess wiederholen. Da heißt es, den Ball flachhalten und nicht die Kläger beschimpfen. Aber ich fand den Artikel auch gut, weil er aufzeigt, dass genau das das war, was TPB von anderen Torrent-Sites unterschieden hat. Das heißt der Artikel trifft die globale Wahrnehmung von TPB. Man stelle sich vor, Che würde in einem Gericht stehen und behaupten, er wäre für die globale Ausbreitung des Kommunismus nicht verantwortlich. Ihm würde nur die Herausforderung reizen, eine Guerilla-Mannschaft zu leiten. Naja, aber irgendwie bin ich immer froh, wenn Menschen keine Märtyrer sein wollen.
Was mich an der ganzen Diskussion um Bit Torrent oder konkret um Pirate Bay nervt ist, dass man immer wieder das Argument hört, dass man darüber ja seine Linux-Distribution runterladen kann. Als wenn „da draußen“ nur legale Inhalte per Bit Torrent verteilt werden.
Klar. Es stimmt: PirateBay tracket ne Menge legalen Zeugs. Aber, sind wir doch mal ehrlich: Ohne Filme etc. wäre Pirate Bay und auch Bit Torrent bei weitem nicht so bekannt.
Soviel hat dieser Prozess also erreicht: eine gute Technologie bekam viel Werbung. :-)
„Was hier auch eine Rolle spielt, ist, dass die Anklage nicht versuchte, die Tätern zu verfolgen, sondern ausschließlich die „Beihelfer“. Das ist etwas, was normalerweise nicht vorkommt und dem Prozess eine weitere exotische Note gibt.“ – Das ist in Ländern mit Störerhaftung – wie Deutschland – völlig üblich. Spielt höchstens bei der Gesetzgebung eine Rolle, nämlich wenn solch Vorgehen ausgeschlossen oder erlaubt wird, aber im konkreten Rechtsstreit ist das völlig egal. Wie im vorliegenden Fall sind ja oft die eigentlichen Täter nicht greifbar.
@Marcel Auch wenns dich nervt – es ist nunmal so und die Frage, die sich daraus ableitet ist schlicht: Muss eine Plattform (oder ein Protokoll) verboten werden, weil man damit AUCH etwas Illegales tun kann? Das eigentliche Problem liegt hier doch bei der Medienindustrie, die einen Spagat versucht, den man in einer freien Informationsgesellschaft kaum bzw gar nicht hinkriegen kann. Sie wollen Informationen, an welchen Millionen Leute ein oftmals maketinginduziertes, starkes Interesse haben, gleichzeitig Veroeffentlichen UND deren unkontrollierte Ausbreitung verhindern. Man kann aber unter den gegebenen Umstaenden effektiv nur immer eins von beiden: entweder Veroeffentlichen ODER verhindern, dass sich die Informationen ausbreiten. Bei letzterem sind die Fragen bzgl. Datenschutz- und -sicherheit von essentieller Bedeutung.
Man kann zwar an den guten Willen der Menschen appellieren, doch bitte die Urheberrechte zu respektieren und davon Abstand zu nehmen, die omnipraesente Kopiertechnik in jedem Haushalt zum eigenen Vorteil zu nutzen – ueberzeugen wird das allerdings nur wenige. Da hilft es auch nicht gross weiter, wenn man den potenziellen Kunden die Kaufentscheidung mittels DRM, ueberteuerten Preisvorstellungen, unzeitgemaessen Formaten, diffamierenden Trailern vor dem bezahlten Filmgenuss etc so schwer wie moeglich macht…
Die Analogie mit dem Küchenmesser gefällt mir in Bezug auf den Prozess nicht wirklich – ich halte sie für untauglich. Ein Rechner wäre in einer korrekten Analogie ein Messer mit dem man etwas böses machen kann. Physisch, greifbar ist das – die Analogie suggeriert unbewusst gleiches.
Tracker und Links stellen jedoch *Wissen* dar. Aus Sicht der Kläger (und wohl manch Innenministern) also das Wissen darum *wo* man in der Welt „böses“ erreichen kann. Hinweisschilder, Notizbücher sind es – üblen Inhaltes möchten manche sagen. Die Verbreitung solchen Wissens soll verwerflich sein und Beihilfe zu Schandtaten an sich.
Nun – was *moralisch* aus mancherlei Sicht plausibel klingen mag ist juristisch oder sagen wir besser aus gesellschaftlicher Sicht ein Spagat. Konkludent weiter gedacht und durchgeführt bleibt nicht viel Spielraum wenn man gefühlte Moral als einziges „Motiv“ für die juristisch/gesellschaftliche Entscheidung hernehmen will. Dann wird es u.U. zu (r)einer Willkür. Und diesmal mag es mehr als ein kleiner Beigeschmack sein der davon übrig bleibt.
Grüße
ALOA