Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hat ein sehr interssantes INtervie wmit dem deutschen Soziologen Wolfgang Sofsky geführt. Darin geht es um die Überwachungsdiskussion, den Abbau von Freiheitsrechten für ein vermeintliches Sicherheitsgefühl und dass die deutschen keine liberale Tradition haben: „Die Freiheit ist kein Idyll, sondern eine Aufgabe“. Spannend.
FAS: Der „große Lauschangriff“ war in den neunziger Jahren noch ein Skandal. Jetzt hält es kaum noch jemand für nötig, das Private zu verteidigen. Wie kommt das? So bedroht können wir uns vom Terror doch gar nicht fühlen?
Konservative würden sagen, es sei ein Prozess der vernünftigen Gewöhnung. Natürlich gibt es eine Abstumpfung, und diese entspricht der politischen Salami-Taktik, Überwachung in kleinen, unauffälligen Schritten auszubauen. Demokratische Staaten sind ja keine sozialen Gemeinschaften, sondern Herrschaftssysteme. Demokratie heißt: Herrschaft einer politischen Elite im Namen des Volkes, manchmal für, manchmal gegen, aber immer über das Volk. Und jede Herrschaft hat die natürliche Neigung, die Observation der Untertanen auszudehnen. Das wird zeitweise durch den Rechtsstaat gezügelt, aber das Recht ist selbst nur ein Mittel der Macht. Nun gibt es etwas, was in Deutschland fehlt: ein antitotalitäres Bewusstsein. Wir hatten den Antikommunismus, wir hatten den verordneten Antifaschismus, aber wir haben keinen Antitotalitarismus, der auf beiden Augen scharf sieht. Obwohl auf deutschem Boden beide totalitären Regimes zu Hause waren, gibt es keine entwickelte Sensibilität für die Bedrohung der Freiheit. Ohnehin sieht die Freiheitstradition in Deutschland ziemlich übersichtlich aus.[…]
FAS: Sie wenden sich gegen jede Panikmache, die nach immer mehr Überwachung ruft. In Ihrem Buch „Das Prinzip Sicherheit“ haben Sie den Mechanismus beschrieben, wie der Mensch, um der Freiheit willen, dem Zwang unterliegt, sich in selbstgeschmiedete Ketten zu legen. Da die Freiheit gefährdet ist, muss sie auch gesichert werden – durch Einschränkungen der Freiheit. Wie entkommt man dieser Dialektik?
Zum einen bestreite ich, dass Sicherheit überhaupt möglich ist. Zum anderen halte ich die Vorstellung, dass es eine Balance zwischen Sicherheit und Freiheit geben sollte, für grundlegend falsch. Die Erzkonservativen gehen ja sogar so weit, zu behaupten, dass wir nur in Freiheit leben könnten, wenn wir gesicherte Verhältnisse hätten; dass wir nur in die Oper gehen und ein Kunstwerk genießen könnten, wenn wir uns sicher fühlten. Bei ihnen ist Freiheit eine staatlich befriedete Idylle. In Wahrheit ist die Freiheit eine fortdauernde Aufgabe. Man muss sich für die Freiheit starkmachen, muss Konflikte riskieren, sie erkämpfen und verteidigen. Das ist eine Dauerbeschäftigung, die anstrengend ist. Den Irrglauben an die Sicherheit sollten wir schnell verabschieden. Es gibt begrenzte Sicherheiten, aber letztlich schützt uns niemand vor dem nächsten Terroranschlag. Daher müssen wir lernen, mit einem bestimmten Angstpegel umzugehen. Dazu muss man die Gefahren kennen und darf sie nicht verleugnen. Diese Stimmen findet man in der aktuellen Schäuble-Diskussion ja auch: es sei ja alles gar nicht so schlimm.
Wahnsinn. Alles was ich mir so denke, ohne es jedoch sagen zu können. Und andere geben es einfach so – anscheinbar mühelos – zu Protokoll. Wer zum Thema „demokratische Staaten (hier: BRD) als Herrschaftssysteme“ weiterlesen will, dem empfehle ich das gesammelte Werk von Hans Herbert von Arnim.