Heute hatte Verbraucherministerin Ilse Aigner zum Internet-Dialog eingeladen und ich bin da mal hingegangen. Überschrieben war die Veranstaltung mit „Verbraucher im Netz – Was sollten die Anbieter tun? Welche Regelungen brauchen die Verbraucher?“ Es ging aber fast nur um Datenschutz und ich war der einzige, der mal erwähnte, dass Nutzerrechte im Netz auch mehr bedeuten und das Verbraucherministerium sich auch mal um Themen wie Urheberrecht und Netzneutralität kümmern sollte.
Einen Teil der 3,5 Stunden lange Diskussion drehte sich um die Idee eines „digitalen Radiergummis“, die passende Lösung wird an der Uni Saarland entwickelt und der zuständige Professor Michael Backes war dann auch vor Ort und präsentierte „X-Pire“. Kurz gesagt: Mich hat das nicht so überzeugt wie Ilse Aigner (Die dann auch leider zur Halbzeit los muste, um Dioxin-verseuchte Eier zu suchen). Die Idee eines digitalen Vergessens, die vor allem von Viktor Meyer-Schönberger seit einigen Jahren propagiert wird, finde ich zumindest diskussionswürdig, weil er interessante Fragen stellt, die man nicht so einfach mit Ja oder Nein beantworten kann. Die präsentierte technische Lösung sieht zwar aus Sicht nicht gerade technisch versierter Politiker sympathisch aus, ich habe aber große Zweifel, dass sich das durchsetzen wird.
Das liegt vor allem am Ansatz. Da gibt es eine proprietäre Lösung, die man sich als Browser-Plugin installieren soll. Damit kann man dann Bilder vor dem hochladen in ein DRM verpacken und anschließend hochladen. Das soll dann erstmal rund 9 oder 10/ Euro / Monat als Flatrate kosten. Die Bilder (Und später auch andere Inhaltstypen) können dann wieder nur von anderen angeschaut werden, die ebenfalls das Plugin installiert haben (Ob die auch dafür zahlen müssen, ist mir gerade unklar). Das ist alles erstmal kompliziert, klingt nicht nach kompatibel mit einer Sharing-Kultur und wird deswegen auch kaum angewendet werden. Zumal es beim Einsatz von DRM ein paar Risiken gibt, die man aus dem letzten Jahrzehnt kennt, wo die Musikindustrie DRM-verseuchte Musik verkauft hat. Ohne Browser und Plugin funktioniert das nicht, dann muss jedesmal ein Keyserver kontaktiert werden, um ein Bild zu entschlüsseln, was wiederum andere Datenschutzbedenken aufwirft (Speicherung des Medienkonsumverhaltens). Und dann ist man noch abhängig von dem System, wenn der Keyerver mal nicht da ist oder irgendwann wegen Erfolgslosigkeit abgeschaltet wird, sind die verschlüsselten Daten auch weg. Tolle digitale Nachhaltigkeit.
Hier ist das auch nochmal bei netzpolitik.org alleine kommentiert.
Hier gibt es bereits eine neue Mixxt-Gruppe zum Screenshotten und befreien von DRM-geschützten Bildern in Sozialen Netzwerken, die von Post-Privacy-Aktivisten betrieben wird.
Ansonsten drehte sich ein Teil der Diskussion um böse Amerikaner und böse deutsche Datenschutzgesetze, die es Unternehmen wie StudiVZ schwierig machen würden, einfach mal innovativ zu sein. Diese These vertrat vor allem StudiVZ-CEO Clemens Riedl, der regelmäßig dazwischen quatschte und eine Show abzog, dass man ohne Datenschutzbehörden keinen neuen Button mehr einführen könne, was zum Glück sofort von den daneben sitzenden Datenschutzbeauftragten dementiert wurde.
Lustig war aber, als sich zum Schluß die Bundesregierung an einem abschließenden Resümee der 3,5 Stunden langen Diskussion versuchen wollte und zum Glück der ausgedruckte Sprechzettel schon mit der Zusammenfassung bereit lag. Trotzalledem war dieser Dialog trotz der Werbeveranstaltung für den Radiergummi-Plemplem etwas sympathischer als die Dialogrunden beim Innenminister, was vielleicht auch daran lag, dass kein BKA & co mit am Tisch saß. Streetview wurde auch nur am Rande erwähnt. Vielleicht kann man ja in einer weiteren Runde auch mal andere Themen als Datenschutz diskutieren, denn Nutzerrechte in der digitalen Gesellschaft sind mehr als das.
Wenn die Leute es schaffen, das Plugin zu installieren, können sie auch PGP oder GPG installieren und wir brauchen keine de-Mail mehr!!!!1
Der zur BMELV-Veranstaltung online gestellte Fragenkatalog ist geprägt von der Kampflinie des Ministerium (gewisse öffentliche Daten werden nachwievor als privat ettiketiert, Überprotection des unmündigen Bügers usw.)
Der pastoral-daherquatschende Prof. Mayer-Schönberger reitet mit seinen nicht wirklich zuende gedachten und wissenschaftlich sehr grob vereinfachenden Thesen auf der Welle derjenigen, die das Web mit Sicherheitsgurten versehen wollen anstatt (wie es sich gerade für einen intellektuellen Wissenschaftler gehören würde) auf die kulturellen Herausforderungen geistig-innovativ zu reagieren.
Neben dem Informatiker Backes also ein weiterer universitär bezahlter Geistesarbeiter, der mit dem unsicheren Umgang des Webs durch die Bevölkerung ein paar Extra-Euros verdienen will, statt aufklärerisch zu wirken.
Sein Standardvortrag (1h), den ich auf deutsch zu hören kürzlich in Frankfurt die zweifelhafte Ehre hatte, gibt es auch auf englisch bei youtube. Die Herleitung ist zwar schon tendenziös auf das beabsichtige Ergebnis ausgerichtet, dennoch gibt es (besonders im Mittelteil) einige anregende Momente.
„mixxtgruppe“ LOL.
Ich hoffe jemand hat die Forderung nach opendata bei denen angesprochen, z.Bsp für den Weg der Lebensmittel, damit könnte ich sehen was mein Essen vorher gegessen hat! Vorrausetzung wäre, dass die Betriebe das öffentlich maschinell lesbar bereitstellen müssen.
Öhm… gerade junge Leute, die heute etwas posten, um es in fünf Jahren lieber wieder von der Bildfläche verschwunden zu sehen, wollen/können sich doch teilweise gar nicht mit einer solchen Technik auseinandersetzen bzw. sich das leisten. :(
You got me rickrolled :)
Diese sog. „proprietäre Lösung“ für den digitalen Radiergummi kann ich mir mit jedem Open Source Webserver (z.B. apache, nginx, lighttpd) sehr leicht selbst bauen. Die entsprechenden Module (z.B. lighttpd/mod_secdownload) dienen eigentlich primär der Hotlink-Protection, können aber auch für diesen Zweck genutzt werden.
Ich lade meine Bilder also nicht mehr direkt irgend wo hoch, sondern nur noch indirekt über einen Link meines Webservers (analog z.B. bit.ly). Dieser HTTP-Link wird dann seitens Webserver dynamisch generiert (Hash) und hat nur eine begrenzte Gültigkeit (z.B. ein Jahr). Nach Ablauf der Gültigkeit könnte ich dann z.B. immer das Bild eines Radiergummis einblenden lassen, statt dem Original.
API: http://pastebin.com/WsZNuF7P
PS: Jeder Schlüssel bekommt eine fortlaufende Nummer. Im Moment sind wir bei 215. Ein durchschlagender Erfolg, also.
Oh und nochwas: 1) Kein 64-bit Plugin 2) OpenSSL statisch reingelinkt (was kann da schon passieren?!? http://www.openssl.org/news/vulnerabilities.html) 3) libjpeg statisch reingelinkt. Echte Sicherheitsexperten also. Nur von Softwareentwicklung haben sie nicht so viel Ahnung -.-
Aw, falscher Beitrag -.- Bitte löschen.
Danke für die unterhaltsame Zusammenfassung!
Wieder man ein unqualifizierter Beitrag der CDU/CSU zum Thema Internet.
Wiedermal ein Politiker der sich durch abseitige Ideen die Blöße der Ahnungslosigkeit gibt.
Die Grundidee des “digitalen Radiergummis” ist sympathisch. Nicht nur um persönlichen Daten etwas die Sendeleistung zu nehmen, auch um überhaupt Daten eine Halbwertszeit zu geben. Nichts ist schlimmer als mit veralteten Informationen zu arbeiten.
@12: Weshalb glaubst Du, daß ein solcher „Radiergummi“ Probleme mit veralteten Informationen lösen würde? Das Beispiel, das im Zusammenhang mit dem „Radiergummi“ ständig genannt wird, sind die vom Personaler entdeckten Bilder des Bewerbers im Vollrausch. Schon allein die stereotype Wiederholung genau dieses Beispiels läßt den Verdacht aufkommen, daß die darauf basierende Behauptung der Notwendigkeit eines „Radiergummis“ nur vorgeschoben ist. Denn was bitte zwingt einen Personaler dazu, irgendwelchen Bildchen aus längst vergangenen Zeiten Entscheidungsrelevanz zuzumessen? Es ist keine Eigenschaft der Bilder oder anderer Infos, peinlich oder kompromittierend zu sein. Das ist immer eine Relation zwischen den Informationen und ihrem Betrachter, und in einer zweiseitigen Relation gibt es auch zwei Stellschrauben. In der Radiergummidiskussion wurde offenbar, vielleicht mit Absicht, überhaupt noch nicht bemerkt, daß man statt des Radierens auch die Einschätzungen über Relevanz und Aussagekraft solcher wegzuradierender Informationen ändern könnte. Politikern könnte so ein Radiergummi dazu verhelfen, die in der Vergangenheit durchaus erfolgreich praktizierte Strategie „was interessiert mich mein Geschwätz von gestern“ weiterzubetreiben.
Was an den Thesen des Herrn Viktor Meyer-Schönberger interessant oder diskussionswürdig sein soll, erschließt sich mir nicht. Ich beziehe mich auf die Rezension
http://www.amazon.de/product-reviews/3940432903/ref=dp_db_cm_cr_acr_txt?ie=UTF8&showViewpoints=1
des Meyer-Schönbergerschen Buches, die auf dessen Webseite verlinkt ist und offenbar bei Meyer-Schönberger Gefallen gefunden hat. Demnach ist die Intention von Meyer-Schönberger, die Möglichkeiten „des Netzes“ oder von Computern sozusagen auf menschliches Maß einzuschränken, insbesondere hinsichtlich des dem Menschen und seinem Kopfe inhärenten Vorgang des Vergessens. Das „Netz“ und Computer haben aber den Sinn, die menschlichen Fähigkeiten zu erweitern. Was Meyer-Schönberger hier vorschlägt, wäre zu vergleichen mit der Idee, die Fähigkeiten eines Baggers im Graben von Löchern auf das einzuschränken, was auch ein Mensch mit bloßen Händen kann. Das ist bereits im Ansatz eine Idee von, mit Verlaub, herausragender Dämlichkeit. Und sie hat auch wenig zu tun mit Problemen, die daraus resultieren, daß Menschen sie selbst oder auch Dritte möglicherweise kompromittierende Daten nicht rückholbar „ins Netz stellen“.
Über heise.de habe ich ein vernichtendes Urteil über das „X-Pire“-Projekt gefunden. Kann ich nur empfehlen, auch wenn es ein bißchen lang ist.
http://www.danisch.de/blog/2011/01/05/idiotische-kryptographie-made-in-germany/
Stört sich eigentlich keiner daran, dass wir dauern „Verbraucher“ und nicht „Bürger“ genannt werden?