Heute werden in Bielefeld die BigBrotherAwards 2011 verliehen. Die Veranstaltung wird ab 18 Uhr im Live-Stream ins weltweite Internet übertragen. Wir haben hier die Sieger und die dazu gehörigen Kurzbegründungen. Natürlich klingt das im Live-Stream dann noch viel ausfüphrlicher, da es für jeden Gewinner auch eine anständige Laudatio geben wird.
Arbeitswelt: Die Daimler AG in Stuttgart (stellvertretend)
Der BigBrotherAward 2011 in der Kategorie Arbeitswelt geht an die Daimler AG in Stuttgart für die Praxis, flächendeckend Bluttests von ihren Produktionsmitarbeitern zu fordern. Diese Form von modernem Vampirismus erfolgt ohne Rücksicht auf Persönlichkeitsrechte und meist ohne arbeitsrechtlich erforderlich zu sein. Ursprünglich hatte die Daimler AG diese Bluttests auch von ihren Verwaltungsmitarbeitern gefordert, das wurde allerdings inzwischen wieder eingestellt. Daimler erhält den Preis stellvertretend für mehrere weitere deutsche Unternehmen, die diese Bluttests fordern, weil der Autohersteller nicht die Bluttests für problematisch hält, sondern die aus dem Datenschutz folgenden Eingriffe in ärztliche Befugnisse.
Arbeitswelt: Der Deutsche Zoll
Der BigBrotherAward 2011 in der Kategorie Arbeitswelt geht an den Deutschen Zoll. Dieser lässt sich vom russischen Staat instrumentalisieren, indem er von deutschen Unternehmen verlangt, ihre Beschäftigten mit russischen Antiterrorlisten abzugleichen. Diese Listen werden auf der Grundlage eines vertraulichen russischen Gesetzes vom Geheimdienst FSB (ehemals KGB) erstellt. Im Ergebnis werden etwa Energieunternehmen, die ihre Mitarbeiter nach den Vorgaben des deutschen Zolls überprüfen, von GASPROM bei der Lieferung von Energie bevorzugt. Die Liste der deutschen Unternehmen, die am Verfahren teilnehmen, weist inzwischen mehrere hundert Namen auf. [Achtung: 1. April – Nicht die GASPROM ist es, die Kunden bevorzugt, sondern europäische und US-amerikanische Firmen. Hier werden im Zuge von Handelserleichterungen Firmen zu freiwilligen Sicherheitsüberprüfungen aufgefordert. Dabei werden auch Daten von Mitarbeitern mit EU- und teilweise auch mit US-Antiterrorlisten abgeglichen – obgleich dies in Deutschland datenschutzrechtlich unzulässig ist.
Behörden und Verwaltung: Prof. Dr. Prof. Dr. Gert G. Wagner, den Vorsitzenden der Zensuskommission (stellvertretend)
Der BigBrotherAward 2011 in der Kategorie „Behörden und Verwaltung“ geht an den Vorsitzenden der Zensuskommission Herrn Prof. Dr. Prof. Dr. Gert G. Wagner für die als „Zensus2011“ bezeichnete Vollerfassung der Bevölkerung Deutschlands. Er erhält diesen Negativ-Preis stellvertretend für alle Beteiligten. Mit der aktuellen Volkszählung werden sensible Persönlichkeitsprofile von über 80 Millionen Menschen erstellt, die bis zu vier Jahre nach dem Stichtag am 09. Mai 2011 personenbezogen verfügbar sind. Dabei werden Daten aus Melderegistern, von der Bundesagentur für Arbeit und bundesbehördlicher Arbeitgeber zweckentfremdet, ohne dass die Betroffenen rechtzeitig und ausreichend darüber informiert werden oder dem widersprechen könnten.
Verbraucherschutz: Verlag für Wissen und Innovation in Starnberg
Der BigBrotherAward 2011 in der Kategorie Verbraucherschutz geht an den Verlag für Wissen und Innovation in Starnberg für das Abschöpfen von Adressen als Gegenleistung für Büchergutscheine. Der „Verlag“, von dem man im Buchhandel gar keine Bücher kaufen kann, der aber Geschäftsbeziehungen zu einem Vitaminpillenhersteller und Finanzdienstleistern unterhält, lässt Schulen in seinem Namen Büchergutscheine an Kinder verteilen. Die „Geschenke“ bekommt man aber nur, wenn man Namen und Anschrift des Kindes und mindestens eines Elternteils zurück meldet. Die Jury der BigBrotherAwards hält diese Praxis für besonders kritikwürdig, weil Schulen nicht als Datenpools für die Wirtschaft missbraucht werden dürfen. (laut telefonischer Aussage des Inhabers hat der Verlag die Tätigkeit vor einem Monat eingestellt; auch hätten sie Ihr Vorgehen aufgrund von Kritik selbst als „nicht so ok“ angesehen).
Politik: Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU)
Der BigBrotherAward 2011 in der Kategorie „Politik“ geht an den Niedersächsischen Innenminister Uwe Schünemann (CDU) für den ersten nachgewiesenen polizeilichen Einsatz einer Mini-Überwachungsdrohne bei politischen Versammlungen. Während der Demonstrationen und Protestaktionen gegen den Castor-Transport im Wendland im November 2010 haben insgesamt vier Mal so genannte „fliegende Augen“ die Demonstranten heimlich ausgespäht und kontrolliert. Diese rechtlich höchst umstrittene Überwachungsmaßnahme aus der Luft kann Persönlichkeitsrechte von Betroffenen verletzen sowie einschüchternde und abschreckende Wirkung auf die Versammlungsteilnehmer haben.
Technik: Die Modemarke Peuterey, vertreten durch die Düsseldorfer Modeagentur Torsten Müller
Der BigBrotherAward 2011 in der Kategorie „Technik“ geht an die Modemarke Peuterey, vertreten durch den deutschen Vertreiber, die Düsseldorfer Modeagentur Torsten Müller. Peuterey erhält diese Negativ-Auszeichnung, weil sie Kleidung mit verdeckt integriertem RFID-Chip in Verkehr bringt, der berührungslos auslesbar ist, ohne dass die Kunden das bemerken. Die Applikation, die diesen „Schnüffelchip“ enthält, wurde – ohne Hinweis auf den verborgenen Chip – mit dem Satz „Don‘t remove this label“ bedruckt. Damit wird massiv in die informationelle Selbstbestimmung der Kundinnen und Kunden eingegriffen.
Kommunikation: Facebook Deutschland GmbH
Der BigBrotherAward 2011 in der Kategorie „Kommunikation“ geht an die Facebook Deutschland GmbH für die gezielte Ausforschung von Menschen und ihrer persönlichen Beziehungen hinter der netten Fassade eines vorgeblichen Gratisangebots. Die gesammelten Daten speichert Facebook in den USA – Zugriff für Geheimdienste möglich, Löschen nicht vorgesehen. Per „Freundefinder“ und „Handy-App“ eignet sich Facebook Telefonnummern und Mailadressen aus den Adressbüchern der Nutzer an. Der „Gefällt-mir“-Button auf fremden Webangeboten verpetzt auch ohne Anklicken alle Besucher der Seite an Facebook. Mit Facebook wuchert eine Art zentrale „Gated Community“ im Netz, in der Menschen auf Schritt und Tritt beobachtet werden. Hier herrscht die Willkür eines Konzerns und der verdient mit systematischen Datenschutzverstößen Milliarden.
Kommunikation: Apple GmbH in München
Ein weiterer BigBrotherAward 2011 in der Kategorie „Kommunikation“ geht an die Apple GmbH in München für die Geiselnahme ihrer Kunden mittels teurer Hardware und die darauf folgende Erpressung, den firmeneigenen zweifelhaften Datenschutzbedingungen zuzustimmen. Wer sich für mehrere hundert Euro ein schickes neues iPhone gekauft hat, will es auch nutzen. Die Kunden haben quasi keine Wahl, den 117 iPhone-Display-Seiten mit Datenschutzbedingungen nicht zuzustimmen, denn sonst könnten sie ihr teures Gerät maximal zum Telefonieren nutzen. Insbesondere die Lokalisierungs- oder Standortdaten der Nutzer werden von App-Betreibern und Werbekunden gerne genutzt, um speziell zugeschnittene Werbung zu platzieren.
Apple und Facebook, das passt ja wieder wie die Faust aufs Auge!
Facebook ist absolut verdient. Besonders pikant allerdings, dass auch Netzpolitik.org nicht ohne den obligatorischen f-share Button auskommt. Ein bisschen vom Preis gebührt diesem Blog dann ja auch, oder?
@Harald Lemke: Der obligatorische FB-Button hier ist ungleich dem üblichen Facebook-Button. Wir haben uns für die datenschutzfreundliche Variante entschieden, die in der Regel von Medien nicht eingesetzt wird, weil sie mehr Aufwand zum teilen bedeutet. Daten werden so nicht automatisch zu Facebook übermittelt, sondern erst, wenn ein Nutze bewusst darauf klickt.
Auf euch ist doch immer Verlass ;)
Und für alle anderen Webseiten: Für Firefox und Chrome gibt es das Addon „Disonnect“. Das unterdrückt etwaige Share und Like Buttons von Google, Facebook etc. einfach.
Na ja, aber die Schleichwerbung für eines der fragwürdigsten Internet-Geschäftsmodelle bleibt. Ich persönlich halte die Facebook-Strategie für das größte Neutralitätsrisiko im Internet, deshalb meine bleibende Irritation.
@Harald Lemke: Das fragwürdige Geschäftsmodell von Facebook ist Dauerthema in diesem Blog und wird es weiterhin bleiben. Trotzdem stehen wir als Medium vor der Herausforderung, darauf zu reagieren, dass viele unsere Leser Facebook aktiv nutzen, um dort Inhalte mit anderen zu teilen. Wir haben uns daher bewusst für eine datenschutzfreundliche Variante entschieden, in der Regel wird von Medien, aber auch Parteien, Institutionen, etc. eine andere Variante gewählt, die sehr invasiv ist. Diese Variante würde uns zwar mehr Leser bringen, aber darauf verzichten wir bewusst.
Das ist toll,
aber weder bei Twitter noch bei flattr ist euch das gelungen.
Zwei iframes binden die externen Ressourcen http://platform0.twitter.com/widgets/tweet_button.html?_=(…) und http://api.flattr.com/button/view/?url=(…) ein, die ihrerseits jeweils JavaScript nachladen.
Dabei finde ich es schon recht obskur, dass Twitter hier z.B. eine Funktion aufruft die _ heißt und eine Funktion namens E enthält… alles sehr schwer zu durchschauen. (Zumindest für mich, aber ich hab den Rest des JS auch nicht gelesen ^^).
Ich erinnere mich, dass ihr „damals“ als flattr hier eingeführt wurde euch dafür entschieden habt, weil flattr nicht evil sei und weil das für den Counter notwendig sei.
Ich habe das nicht weiter verfolgt, aber bei FaceBook verzichtet ihr ja nun auf den Counter (X Leute mögen das hier), twitter verschickt soweit ich weiß trackbacks, die man ebenso auswerten könnte Wie das bei flattr ist weiß ich nicht, möglicherweise gibt es da inzwischen auch eine serverseitige API, die es ermöglicht den Counter auszulesen?
@tni:
Vielen Dank für den Hinweis, der mir ermöglicht AdBlock auf netzpolitik.org zu deaktivieren :)
*zustimm*
Hallo, hat jemand den Web-Stream aufgezeichnet? Könnte er den irgendwo hochladen oder noch besser als Torrent zur Verfügung stellen? YouTube würde ich nicht empfehlen, denn YouTube versucht das Video zu konvertieren; darunter leidet die Qualität.
Ich hab selbst versucht, mit VLC das zu streamen, leider wurde daraus nichts, die Tonspur fehlte. :-(
Apple und Facebook haha wie mich das freut ^^. Wow das mit den Bluttest ist auch mal heftig.
Kein Preis für INDECT ? :(