In der FAZ schreibt Tillmann Neuscheler über Netzneutralität, die dieser wohl für keine gute Idee hält: Stau im Internet. Interessanterweise zieht er immer die Wortwahl „Ökonomen warnen / meinen“ als Unterstützer seiner Thesen heran und hat auch zwei befragt. Diese fordern dann auch nichts anderes als ein Zweiklassen-Netz:
Der Ökonom Jörn Kruse von der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg sieht darin auch keine Diskriminierung, solange die Nutzer selbst wählen können: „Hier werden Datenpakete bei Überlast zwar differenziert behandelt, aber kein Nutzer wird diskriminiert. Bei gleicher Zahlungsbereitschaft werden alle auch gleich behandelt.“ Ähnlich sieht es der Freiburger Ökonom Günter Knieps, der auch viele verschiedene Qualitätsklassen für denkbar hält.
Die einzigen, die von der Aufhebung der Netzneutralität profitieren, sind die großen Telekommunikationsbetreiber. Alle anderen verlieren dabei.
Torsten Kleinz, der selbst Volkswirt ist, hat dies schon in seinem Blog aus der Ökonomie-Sicht kommentiert: Netzneutralität ist nicht einfach.
Priorisierte Pakete in Deutschland mögen in der Theorie schön und gut sein – was macht man aber, wenn die Gegenstelle in den USA oder Neuseeland nichts davon hält? Eine explizite Aufhebung der Netzneutralität würde unmittelbar zu Marktschranken und damit Wohlfahrtsverlusten führen – die Verwaltung dieser komplexen Verträge, die jeder Provider mit quasi jedem anderen Provider weltweit abschließen müsste, übersteigen die mittelfristig zu erwartenden Einnahmen bei weitem. Und selbst wenn die Politik zu einer Art Kyoto-Abkommen für Daten fähig wäre, die Ökonomen haben wenig Modelle in der Schublade, die das Problem lösen könnten. Wir können ja nicht Mal wirklich ausknobeln, ob Fernsehsender die Kabelnetzbetreiber für die Durchleitung bezahlen müssen oder die Kabelnetze den Content bezahlen sollten.
Wer Ökonomen fragt, bekommt Ökonomen-Antworten.
Die Neutralität, die Ökonomen anstreben, buchstabiert sich M-O-N-O-P-O-L.
Das würde auch die Politik verstehen, würde sie nicht ihre zweite Lebenshälfte in deren Vorständen verbringen wollen.
@ Jan
Naja, warum Ökonomen bei Netzneutralität an Monople denken sollen erschließt sich mir als VWLer nicht so ganz…
Anyhow, ich hatte mal gelesen, dass die „Überlastung“ der Leitung technisch so eindeutig geklärt eh nicht ist sondern teilweise eine Rauchbombe um höhere Benutzergebühren oder eben stärkere Kontrolle der User (QoS) ausüben zu können.
@Christian
Welche politische Kraft versteht sich denn als DIE Wirtschaftsfreundlichkeit in Parteiform? Und eben jene politische Kraft schaufelt Geld und Resourcen immer auf den größten Haufen. Besser kann man Monopole nicht ausbauen und festigen. Der FDP geht es – entgegen ihrer Lippenbekenntnisse – nicht um Wettbewerb. Ganz im Gegenteil.
Hier scheint es einige Begrifsverwirrung zu geben. „Ökonom“ bedeutet nicht „Turbokapitalist“, sondern „Wirtschaftswissenschaftler“.
Der Artikel ist grottenschlecht recherchiert. Zum einen werden TCP und UDP zusammengeworfen – was z.B. Streaming a la RTP aus der Rechnung entfernt. Und zum anderen sind Quality Of Service-Erweiterungen seit Jahrzehnten Fakt und nichts neues – neu ist maximal die Ausweitung von QoS auf Interconnection-Verbindungen. Auch sind die meisten Routen zwischen autonomen Systemen relativ fix mit statischen Routen definiert, die Mär vom atombombensicheren Internet hält sich aber nach wie vor.
Das Thema Netzwerkneutralität wird IMHO von beiden Seiten als Lobbying missbraucht: Die Inhaltsanbieter spielen sich als „Demokratiebeschützer“ auf, indem sie Gleichbehandlung von Daten fordern, die Infrastrukturanbieter argumentieren genauso windig mit haltlosen ökonomischen Bedenken. Eine Farce von beiden Seiten, die an der technischen Realität vorbeigeht.
Danke Thorsten.
Für die Auffassung einzelner Parteien, was „Wirtschaftsfreundlichkeit“ bedeuten soll kann die Wirtschaftswissenschaft herzlich wenig.
Die FDP jedenfalls lebt vom Mythos, mehr nicht.
Netzneutralität ist ein Problem, das ca. 2003 erfunden wurde. Es ist nicht klar definiert, was es ist, aber im wensentlichen geht es um die Priorisierung von Diensten, mit anderen Worten die Re-AOLisierung des Internet zu vermeiden. Services und Netz zu trennen. Also keine Durchleitungsgebühren für Google. Wir wissen, dass das eine Rolle rückwärts ist. Netzneutralität ist damit auch verbunden mit der Frage ob Netzanbieter „mere conduit“ sind.
In den USA gibt diese Kabelanbieter. In Europa ist das Marktumfeld anders, daher ist Netzneutralität gar nicht so ein großes Thema. Europäisch ist das wichtigere Thema die letzte Meile, das Wettbewerbsumfeld bei den Endgeräten, offene Standards, Browser- und Betriebsystemneutralität, DRM usw. …und natürlich der Datenschutz.
@A.Rebentisch: Es gibt eine US- und eine EU-Debatte rund um Netzneutralität. Die US-Debatte wird tatsächlich eher unter dem Aspekt des „doppelten Marktes“ geführt, d.h. man redet über „Durchleitungsgebühren, bzw. einer Maut-Straße für Bits. Die EU-Debatte wird eher unter dem Aspekt der Priorisierung, bzw. Diskriminierung von Bits geführt.
http://arstechnica.com/tech-policy/news/2010/01/new-study-no-net-neutrality-means-weaker-internet-economy.ars
Mir erscheint die Diskussion mit der Netzneutralität eher überflüssig. Genau wie an der Kasse oder auf der Autobahn: wenn die vorhandenen Kapazitäten überfüllt sind, dann müssen eben alle warten. Da werden vermutlich auch höhere Prioritäten für Videostreams wenig helfen, wenn abends die Mehrheit der Internet nutzer plötzlich alle den Entschluss umsetzen, sich online Videos anzusehen.
Meiner Meinung nach wird man bei TV- und Radiostreams immer mal mit kurzen Aussetzern und manchmal auch mit längeren Wartezeiten rechnen müssen. Das Internet ist eben kein Kabelanschluss. Alternativ kann man auch ein herkömmliches Radio nehmen, wenn einen das stört. Oder sich Fernsehsendungen herunterladen und diese dann störungsfrei von der Festplatte aus betrachten.
Langfristig gedacht wäre es eventuell sinnvoll, wenn die Netzanbieter einen zusätzlichen Draht für den Internetanschluss bereit stellen würden, der ausschliesslich für Streams zuständig ist, sodass solche Daten unabhängig von den übrigen Datenströmen übertragen werden. Damit liessen sich bestimmt deutliche Verbesserungen in der Übertragungsstabilität erreichen.
Eben nicht, wenn hoher traffic auftritt, werden einige nutzer länger warten müssen als andere. Es ist dann kein stau für alle, sondern nur für diejenigen, die es sich nicht leisten können. Eine zweiklassengesellschaft entsteht, auf anbieter- wie auf anwenderebene.
Es sind auch nicht nur ökonomische faktoren, die eine solche diskussion vorantreiben. Immerhin gab es diese diskussion schonmal, wenns ums filesharen etc. geht. Den rechteverwertern wäre soetwas sehr recht, wenn streams von der einen site nicht so schnell laufen wie von deren eigenen. Ich denke nicht, dass das netz ein rechtsfreier raum sein sollte aber die politik hat hier nichts zu suchen, die netzneutralität ist ein zentrales gut und muss verteidigt werden. Die gefahr einer zensur oder schlimmeren ist durch eine aufweichung zu groß, daher muss man den ersten schritt in diese richtung verhindern. Konsequent.
Sagen wir mal so, wir haben bereits Netzneutralität auf unserem europäischen Schild. Extremismus in diesem Bereich schadet aber eher, weil jeder von uns weiss, dass bestimmte Dienste von ISPs priorisiert werden müssen. Netzwerkmanagement ist üblich.
Es gibt aber noch viele andere Prinzipien, die man verfolgen sollte. Wichtig bleibt vor allem eine Vielfalt der Netzanbieter und Wettbewerb zu sichern.
Möglicherweise ist wirtschaftliche Netzneutralität, dass Inhalte und Netz keine Allianzen eingehen dürfen. Das geschieht nun unter dem Anliegen der Bekämpfung der Verbreitung unerlaubter Inhalte. Die „Neutralität“ des Netzdienstes gegenüber dem Inhalt hat einen Namen in Europa: mere conduit. Das gilt es zu stärken. 2000/31/EC, Article 12