Die EU-Innenminister haben gestern das SWIFT-Abkommen mit den USA beschlossen. Interessanterweise haben sie es aber nicht unterzeichnet. Das ist insofern interessant, als heute der Lissabon-Vertrag in Kraft getreten ist, der dem EU-Parlament mehr Mitsprache-Rechte bringt. In Brüssel herrscht gerade etwas Verwirrung, was das bedeuten könnte. Das beschließen und nicht unterzeichnen deutet daraufhin, dass sich die EU-Innenminister doch nicht getraut haben, mit einer Art Taschenspielertrick kurz vor Schluss (Einen Tag vor Inkrafttreten des Lissabon-Vertrag) vollendete Tatsachen zu schaffen. Das EU-Parlament müsste jetzt um Zustimmung zu SWIFT gefragt werden und kann dem Abkommen zustimmen oder es ablehnen.
Allerdings kann man bei der konservativen Mehrheit im Parlament davon ausgehen, dass diese jetzt nicht unbedingt für den Schutz unserer Bürgerrechte auf die Barrikaden geht, sondern sich „der Verantwortung stellt“. Aber trotzdem scheint es unerwarteterweise eine Art Verlängerung bei SWIFT zu geben. Und vielleicht gibt es doch zahlreiche konservative Abgeordnete, die sich für das Argument „Wirtschaftsspionage“ erwärmen lassen.
Ich kenne mich jetzt nicht sehr gut mit den neuen Verhältnissen durch den Lissabon-Vertrag aus und würde mich über Einschätzungen in den Kommentaren freuen, was das jetzt genau bedeuten könnte und wie das genaue Verfahren ist.
Der Innenausschuss im EU-Parlament behandelt morgen früh in seiner Sitzung zwischen 9:00 – 10:30 Uhr SWIFT als 2. Tagesordnungspunkt. Da wird jemand von der EU-Kommission berichten. Das kann man sich morgen live im Stream anschauen.
Das Handelsblatt findet das Verhalten der FDP in Sachen SWIFT nicht lustig und hat das kommentiert: Westerwelle fällt um.
Dass die Wahlversprechen der FDP eine kurze Halbwertszeit haben, ist mittlerweile hinlänglich bekannt. Aber dass sie gleich beim ersten Härtetest wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrechen, ist doch bemerkenswert. Als Partei der Bürgerrechte und des Datenschutzes hatte FDP-Chef Guido Westerwelle die Liberalen im Wahlkampf präsentiert. Als Partei der Umfaller und Wegducker haben sie sich gestern in Brüssel entpuppt. Denn der Beschluss der EU-Innenminister, die umstrittene Weitergabe privater europäischer Bankdaten an die USA zu legalisieren, wäre ohne die stillschweigende Zustimmung des Vizekanzlers und Bundesaußenministers nicht möglich gewesen. Westerwelle musste sich zwischen Staatsräson und Prinzipientreue entscheiden – und hat die liberalen Prinzipien fahren lassen. Die hätten es nämlich geboten, das sogenannte Swift-Abkommen zu stoppen.
Update:
Kaum steht dieser Text online, bekommen wir auch schon weitere Hintergrundinformationen. Hier ist ein Brief von Jerzy Buzek (PDF), dem Präsidenten des Europaparlaments, den dieser offiziell an den EU-Rat geschickt hat. Und hier ist die Antwort des EU-Rates. Dieser Briefwechsel ist u.a. deswegen interessant, weil das wohl eine sehr harte Bandage ist und relativ ungewöhnlich. Das bedeutet, das komplette Präsidium des EU-Parlaments hat dahinter gestanden und alle Fraktionschefs haben mitgemacht. Gut möglich, dass aufgrund dieser harten Bandagen des EU-Parlaments kurz vor Schluss das oben gewählte Verfahren durch den EU-Rat gewählt wurde.
Update: Peter Schaar hat in seinem Forum ein paar offene Fragen gebloggt.
Nachdem der Rat der Europäischen Justiz- und Innenminister am 30.11.2009 den Entwurf des Abkommens gebilligt hat, harren zahlreiche Fragen einer Antwort. Auch die Vertreter der Kommission und des Rates konnten diese Fragen bei der heutigen Sitzung der Artikel 29-Gruppe der Datenschutzbeauftragten der EU-Mitgliedstaaten nicht befriedigend beantworten.
klingt natürlich klugshicerisch, muss aber gesagt werden:
„Das ist insofern interessant, als dass heute der Lissabon-Vertrag in Kraft getreten ist.“
Dieser Satz ist insofern falsch, als auf „insofern“ nur „als“ und nicht „als dass“ folgt.
Hier als Quelle der Oberbesserwisser vom Spieglein an der Wand
http://www.spiegel.de/kultur/zwiebelfisch/0,1518,340036,00.html
Die Führer aller Fraktionen haben vorab vor einer Annahme in der bisherigen Form gewarnt, vor allen Dingen aber gegen eine Annahme vor dem 1. Dezember ausgesprochen.
Wie ich die EU-Parlamentarier kenne, werden sie es auf einen Machtkampf ankommen lassen. Dabei geht es weniger um inhaltliche Fragen. Institutionell ist das wichtig, und um institutionelle Interessen geht es auch bei der EU-Kommission, nämlich sich bei den Amerikanern als durchsetzungsfähigen Verhandlungspartner zu positionieren. Ironischerweise geschieht dies durch einseitige Verträge.
Die Kissinger-Frage nach der einen Telefonnummer lässt sie übersehen, dass die EU nicht für die Arbeitsvereinfachung auswärtiger Mächte da ist, sondern den Interessen ihrer Bürger zu dienen hat. Dass die EU-Kommission hier Wirtschaftsspionage von Drittstaaten legalisiert erscheint grotesk und lässt die Frage nach Gegenleistung aufkommen. Das Parlament lehnt nicht grundsätzlich die Überprüfung von Finanzdaten bei Terrorverdächtigen ab, aber es fordert gewisse kontrollierte Verfahren in diesem äußerst sensiblen Bereich.
Dass Kompromisse erzielt werden, ist immer das ausdrückliche Ziel parlamentarischer Beratungen. Eine Fundamentalopposition muss in einem parlamentarischen System auf Ausnahmen und machtlose Fraktionen beschränkt sein, die sich gar nicht durchsetzen wollen. In diesem Fall ist aber für alle Fraktionen nicht viel zu verlieren, aber viel institutionell zu gewinnen.
Wichtig als Augenmerk: es geht nur sekundär um Inhalte, primär um eine voran gegangene Brüskierung.
Warum sollte nach dem Durchwinken der Innenminister urplötzlich das (mehrheitlich konservative, also nur eingeschränkt zurechnungsfähige) EU-Parlament den Mumm entwickeln am „Druck der USA“ und der Regierungen der EU-Staaten vorbei dem Vorhaben die rote Karte zu zeigen?
Man braucht doch lediglich die tumb-naiven „Argumente“ unsres feinen Herrn de Misère besehen um zu erahnen, wer Derartiges verzapft, für den ist eine Merkbefreiung noch zu schade …
Wer, bitte schön, glaubt denn allen Ernstes, im Straßburger Parlament säßen (mehrheitlich) fähige Leute!?
Das interessante an der ganzen Geschichte ist allerdings, dass das 2. Rechenzentrum ja eigentlich deswegen gebaut wurde um bestehende Datenschutzbedenken auszuräumen.
Hier der Beschluss von Swift aus dem Jahr 2007:
http://www.swift.com/about_swift/legal/compliance/statements_on_compliance/swift_board_approves_messaging_re_architecture/aufsichtsrat_genehmigt_systemarchitektur.page?
Hätte man das ganze dann eigentlich nicht gleich sein lassen können ?
Seit wann hat das Parlament durch den Vertrag mehr Rechte ?
Soweit ich weiss doch eher weniger.
Das Veto dass es geben kann ist maximal wie damals ein suspensives Veto für den König. er kann NEIN sagen, aber dann müssen sie nur nochmal drüber beraten. Auf die Entscheidung haben sie letzten Endes aber keinen Einfluss.
Wenn man jetzt noch schaut und sieht dass nur 5-6 Leute (wenn überhaupt) in diesem EU-Parlament was in der Birne haben, sich korrekt verhalten und logische und wahrheitsgetreue Aussagen machen, dann weiss man was uns in Zukunft alles durch die „tolle EU“ blüht.
Wer nciht weiss was ich meine soll einfahc mal nach „EU Parliament Bilderberg“ suchen oder bei youtube die Reden im parlament von Nigel Farrage beliebäugeln. Die letzten Kämpfer für Freiheit und Demokratie sterben durch das Inkrafttreten der Eu Verfassung oder halt war ja EU Reformvertrag ;)
Grundgesetz adieu, aber du warst ja eh nur zum Übergang gedacht !
Dass dieser Beschluss nicht unterschrieben ist, spielt für die Wirksamkeit keine Rolle. Es ist im Prinzip genauso wie bei Abstimmungen im Bundestag. Da muss auch kein Abgeordneter bei einem Beschluss unterschreiben.
Das hat auch nichts mit dem Lissaboner Vertrag zu tun.
Was ich frech finde ist das die sich erdreisten von den „Interessen der EU-Bürger“ zu sprechen.
Wieviele EU-Bürger sind denn FÜR die unbegrenzte und unbeschränkte Datenweitergabe an die USA? 50%+? Ganz sicher… nicht!
Davon ab wird das EU-Parlament doch sowieso – natürlich mit seeeeeehr großen Bauchschmerzen wie man das kennt – durchwinken. Kurz vorher nochmal wichtig machen, ach wir waren doch dagegen, aber der Druck war zu groß und dann winke winke.
Es wäre die erste Mitentscheidung des EU-Parlaments und könnte die erste Nagelprobe werden. Ich denke zwar auch, dass das Gesetz im Parlament durchgewunken wird, ABER ich denke auch, dass WIR ALLE jetzt aktiv werden sollten.
Sucht Euch Eure EU-Parlamentarier raus und schreibt Briefe und E-Mails und sagt deutlich, was Ihr von dem SWIFT-Abkommen haltet. Das ist jetzt mal eine Chance, den Abgeordneten im EU-Parlament zu zeigen, dass das Thema Europapolitik doch in der Bevölkerung angekommen ist, dass es uns wichtig ist, was dort entschieden wird und dass wir keine SWIFT-Daten ins Ausland transferiert haben wollen.
Es ist nur eine kleine Chance, die wir haben, aber wenn viele, viele, viele mitmachen könnte es vielleicht doch noch was werden. Und wenn es vielleicht auch nur reicht, dass das Gesetz nur mit knapper Mehrheit vom EU-Parlament genehmigt wird oder es wenigstens entsprechende Diskussionen im Parlament gibt…
@dustball:
eine sehr gute idee. aber wo finden wir die pm-adressen?
@dede: Es gibt die formalen Regeln des Vertrages einerseits und die Vertrags-„Wirklichkeit“ andererseits.
Die Institutionen testen auch gegenseitig ihre Grenzen aus. Wege und Möglichkeiten entstehen dadurch, dass sie gegangen werden.
So ist z.B. die Vorstellung der EU-Kommissare im Parlament formal schwach, wird aber sehr ernst genommen. Dadurch, dass das Parlament in der letzten Kommission einen Kandidaten aus Italien abgewiesen hat, gibt es einen Skalp, welcher der Institution Respekt verschafft.
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Korrektur zum Beitrag oben, natürlich nicht „Kommission“ sondern „Rat“; und die üblichen grammatischen Korrekturen.
Gibt es eigentlich die Möglichkeit, gegen dieses Abkommen vor dem BVerfG zu klagen?
@leesuann: Die Adressen der Abgeordneten erreicht man über:
http://www.europarl.europa.eu/members/expert/groupAndCountry.do?language=DE
Dort sind sie nach Fraktion und Staatsangehörigkeit geordnet.
Was das genaue Verfahren angeht: Ich bin mir nicht ganz sicher, in welche Säule dieses Gesetz gehört, deshalb kann ich nicht genau sagen, welches Verfahren angewendet werden muss. Ich schau mal ob ich da was finde.
Sorry, hab noch was vergessen:
Es stehen nicht bei allen Abgeordneten die Adressen auf der Seite. Daher hier die grundform für die Mailadressen im EP:
vorname.nachname@europarl.europa.eu