„Keinen Bock, auf den Link zu drücken“

Bei AMY&PINK hat Marcel Winatschek heute ein kleines Sittenbild der real existierenden Internetgewohnheiten entworfen: „Wie Facebook den Rest des Internets langsam ausbluten lässt“.

Er bezieht sich auf einen Artikel von ihm selbst, der sich mit dem Selbstbewusstsein von Mädchen und der Zeitschrift BRAVO auseinandersetzt. Winatschek beobachtet in diesem Zusammenhang ein paar schleichende, aber grundsätzliche Änderungen der Nutzungsgewohnheiten, die nicht nur Seiteneffekte von einerseits Clickbait und Buzzfeedisierung und andererseits der häufigen Volumenbegrenzung beim Mobil-Klicken sein dürften.

Es geht ihm auch um Facebook, das „digitale Megagehirn“, das seine Nutzer immer mehr an der kurzen App-Leine hält, dessen sog. „Stickiness“ und um die Bequemlichkeit. Denn Winatschek sieht den Klick auf Facebook-externe Links als aussterbende Währung, vor allem bei jüngeren Netznutzern. Klicks würden als „eine Belastung, eine Zumutung, eine Zeitverschwendung“ gesehen.

Andersrum wird übrigens auch ein Schuh draus. Viele bemerken gar nicht mehr, ob ein Facebook-Link von „außerhalb“ überhaupt klickbar ist, da die Vorstellung, jemand könnte nicht eingeloggt sein, offenbar schon jenseits der Facebook-Realität ist.

Winatschek schreibt das nicht ohne eine Selbstkritik an den Medien, die sich in einen „Würgegriff“ begeben hätten, und formuliert, was zu tun wäre:

Einen Ausweg aus dieser Misere sehe ich nur darin, soziale Netzwerke strikt nicht mehr dazu zu nutzen, Inhalte des eigenen Mediums zu teilen. […] Womöglich geraten wir dadurch aber auch schneller in die Vergessenheit als wir gucken können.
– AMY&PINK

Die Gleichsetzung sozialer Plattformen mit Facebook irritiert dabei ein wenig. Und Ihr werdet es ahnen: Dieses Risiko plant er nicht einzugehen, obwohl er durchaus konstatiert, dass das Internet immer „weniger bunt und dafür mehr überwacht“ wird.

Er identifiziert drei Gründe dafür:

Natürlich könnten wir jetzt damit beginnen, Facebook den Rücken zu kehren, unsere Inhalte wieder auf andere Arten an die Menschen bringen. Aber erstens müssten wir das geschlossen machen, zweitens würde das Einnahmebußen lebensbedrohender Ausmaße bedeuten und drittens würden wir uns früher oder später nur wieder in andere Abhängigkeiten begeben.
– AMY&PINK

Also wenn mich einer im „Würgegriff“ hätte, würde ich ja in die Hand beißen.

19 Ergänzungen

  1. In die Hand beißen ist gut! Nur wie, wenn einem Richter – wie bei der Facebook Klage von Max Schrems in Wien – Maulkörbe anlegen …?

  2. Hmm komisch. Ich kenne es nur, dass man Facebook Geld hinterher wirft, damit man überhaupt Reichweite bekommt.

  3. Sorry, was war Facebook denn noch mal?
    Ach ja die blaue Version von Comuserve oder AOL.
    Leute schreibt mehr Blogs, aber das würde ja bedeuten das man sich überlegen müsste was man schreibt. Der durchschnittliche Facebook Content der U18 Generation ist kaum lesenswert, reine Stromverschwendung.

  4. Ja, ich weis, jetzt komme ich wieder mit dem üblichen Kommentar, aber: Man braucht Facebook wirklich nicht!

    Wie war das den vor 15 Jahren: Wir hatten alle unseren Webspace bei Geocities und Co. gehostet – weil eine eigene Domain für die meisten von uns damals halt zu teuer war. Die Seite wurde mit einem Webbaukasten erstellt oder man hat sich die Grundbegriffe in HTML beigebracht – selfhtml gibt es ja heute noch. Um bekannt zu werden hat man Links mit Freunden geteilt und sich zu Webrings zusammengeschlossen.

    Warum soll das heute nicht funktionieren? Die Arbeit mit den Webrings wird von Google & Co. per Crawler automatisch übernommen – wenn man gesucht wird, wird man auch gefunden. Alle anderen stolpern auch bei Facebook nicht über Deine Seite. Und man staune: selfthtml.org bietet immer noch sein Kompendium im Internet zu lernen an.

    Was man natürlich nicht bekommt: tausende virtuelle „Freunde“ in einem vom sozialen oftmals ins asoziale abgleitende Netzwerk, Werbung galore und dauernd Vorschläge, was Dir an anderen Facebookseiten noch so gefallen könnte.

    Letzlich ist die Nutzung von Facebook nur Bequemlichkeit, an der sich Marc Zuckerberg eine dritte goldene Nase verdient. Aus diesem Kreis auszubrechen erfordert nicht mehr als ein wenig Mut zur Unbequemlichkeit, Eigeninitiative und dem Willen, sich nicht einem selbstgewählten Gruppenzwang zu unterwerfen.

  5. Ich warte darauf das mich Facebook rausschmeißt, weil mein Account Nicht profitabel genug ist.

  6. Dieses dämliche, euphemistische Neusprech aus Facebooks Psychologieabteilung werden wir bestimmt auch nie wieder los.
    „Soziales Netzwerk“ statt Online-Community
    „Teilen“ (schlechte Übersetzung) statt veröffentlichen
    „Freunde“ statt Bekannte
    „deaktivieren“ statt nicht löschen
    „löschen“ statt verstecken
    Die Liste ließe sich fortsetzen…

  7. selbiges mit chat

    jemand will mir einen link schicken, und pocht darauf dies in facebook im chat zu tun.

    Für die gegenüberliegende Seite absolut verständnislos warum ich nicht immer in facebook einsteigen will.

    hach, was waren das für zeiten 99 als der ganze freundeskreis auf icq war, der nerdkreis auf irc und dann irgendwann die leute auch im skype.

    nur irc hat sich gehalten.

  8. warum soll man z.b. bei vielen zeitungslinks in facebook noch klicken, wenn dahinter eine paywall auftaucht? das macht der nutzer ein, zweimal, danach wird er zeitungslinks innerhalb facebook komplett meiden.

  9. [Haarspaltmode]Wenn dich einer im Würgegriff hat, dann hat er seine Hand an deiner Kehle. Da kannste nicht reinbeißen[/Haarspaltmode]

    Aber mal im Ernst: die Massen raffen gar nicht, welche Freiheiten ihnen genommen werden. Hauptsache, es ist „einfach“ und so. Meh.

    1. Naja, dann muss man eben zuvor die Hand von der Kehle abziehen und dann reinbeißen. Ist doch vollkommen klar. :}

  10. Hm ich beobachte eher den gegenteiligen Effekt. Zumindest in meinem Umfeld wenden die Leute FB den Rücken zu und setzen wieder vermehrt auf 1:1 oder Gruppen Kommunikation (Whatsapp, Threema usw). Der Drang etwas seiner gesamten Kontaktliste mitzuteilen ist kleiner geworden, lieber wird gezielt mit einer Person (oder einer Gruppe) gesprochen.

    Find ich persönlich auch besser, macht das Filtern von Infos wesentlich einfacher ;-)

  11. Für mich sieht es so aus, dass die großen Web-Player versuchen, die Nutzerschaft in ihren, nach außen geschlossenen Silos gefangen zu halten. Denn: Nutzer == Kunde/Produkt == Geld. In einem offenen Netz gibt es Alternativen und damit die Gefahr, dass ein Nutzer sich abwendet. Dem muss die Internetökonomie entgegenwirken. Siehe: „Oh, die Jungen flüchten nach WhatsApp? Gut, müssen wirs halt kaufen“.

    Die wirkliche Gefahr bei diesen geschloßenen Ökosystemen sehe ich allerdings in der Einschränkung der Meinungsfreiheit, bzw. den Informationsmöglichkeiten. Passt einem Player eine bestimmte Meinung nicht, verschwindet so etwas aus dem Stream und keiner bekommt es mit, oder bestimmte Meinungen werden gepushed.

    > Naja, dann muss man eben zuvor die Hand von der Kehle abziehen und dann reinbeißen.
    > Ist doch vollkommen klar. :}
    Das ist nur einfacher gesagt als gemacht. Vor allem als „Normalo“, wenn Netz/Soft-/Hardware-seitig (auf technischer Ebene) alles dafür gemacht wird, dass man die Hand möglichst schwer vom Hals bekommt.

  12. Kundenbindung ist das Zauberwort. Wird z.B. in der Automobilindustrie exzessiv betrieben, und kommt vorwiegend in gesättigten Märkten vor. Da wird so „servicefreundlich“designed, dass nur noch die Markenwerkstatt reparieren kann. Im IT-Consumer-Bereich wendet Apple Inc. das auch konsequent an, z.B. duch verklebte Chassis, die das Produkt zerstören, wenn es geöffnet wird. Eine Öffnung ist selbst für einen Akkuwechsel nicht mehr möglich, das teuere Iphone ist faktisch ein Wegwerf-Artikel.
    Bei Web-Designern ist es schon lange eine bekannte Regel, dass (Lese)-Links möglichst nicht von der eigenen Domain wegführen sollen. Wer an Clicks verdient, der macht sich das Geschäft kaputt, wenn er die Kuh auf fremde Wiesen treibt.
    Alles in Allem hat sich das Internet nach anfänglicher Edu-Romantik und dot-com zur war-zone entwickelt. Kriegsgebiet nennt man das in unserem Sprachraum. Es geht um nichts anderes als um die digitale Existenz, die umkämpft, ausgenutzt und manipuliert wird – gelegentlich auch zerstört.
    Bei all den digitalen Gefahren, die alle gleichzeitig kaum beherrschaber sind, kann man auch den Gedanken zulassen, dass es eigentlich gut ist, dass es Facebook & Co. gibt. Es bedarf dringend eines battle grounds bzw. einer Spielwiese, wo das Gesetz von survival of the fittest zur Anwendung kommen kann. Es gäbe keine guten Menschen mehr, wenn es nur noch solche geben würde. Gäbe is nur noch Klugisten, könnte auch kein Darwin’s Award mehr verliehen werden. Schafe müssen geschoren werden. Selbst die Natur reinigt sich selbst, wenn man sie nur in Ruhe lässt. Facebook ist eine prädestinierte Plattform dafür. Sie bietet ein digitales Biotop für die Beklopptesten unter den Bekloppten, ein Fangnetz für gefährliche Zeitgenossen, und haircutting für den Rest.
    Wer zum Wiegen geht, der wird gewogen. Und wer Kriegsgebiet betritt, muss damit rechnen, darin umzukommen. In diesem Sinne: Zum Wohle aller!

  13. Seit ich aus dem Gefängnis entlassen wurde, ist mir aufgefallen, wie sehr der Hyperlink entwertet wurde, und nun nahezu überflüssig ist.

    Jetzt behandelt fast jedes soziale Netzwerk einen Link so wie jedes andere Objekt  – wie ein Foto oder ein Stück Text  – und nicht als eine Bereicherung. Du wirst aufgefordert, einen einzigen Hyperlink zu teilen und ihn dem quasi-demokratischen Prozess von Likes, Plus und Herzen auszusetzen: Einem Text verschiedene Links hinzuzufügen ist in der Regel nicht erlaubt. Hyperlinks werden objektiviert, isoliert, ihrer Macht beraubt.

    Gleichzeitig behandeln diese sozialen Netzwerke diejenigen Texte und Bilder, die direkt in ihnen geteilt werden, mit viel mehr Respekt, als alles, was außerhalb auf anderen Websites liegt. Ein befreundeter Fotograf erklärte mir das anhand seiner Bilder: Alles, was er direkt auf Facebook hochlädt, bekommt viele Likes und taucht somit häufiger in den Newsfeeds anderer Leute auf. Wenn er einen Link postet – zu seinem mittlerweile verstaubten Blog beispielsweise – sind diese Links viel weniger sichtbar und erhalten daher viel weniger Likes. Der Kreislauf verstärkt sich selbst.
    Websites außerhalb der sozialen Medien sterben.

    http://www.zeit.de/digital/internet/2015-07/social-media-blogger-iran-gefaengnis-internet

    1. Muss gerade an Carlos Castanedas „Zustände nicht alltäglicher Wirklichkeit“ denken. Bei ihm sorgte eine Droge für den“verschobenen“ Blick auf die Ralität. Im Internet-Kontext („Social Media“) sind es Algorithmen die den Blick auf die wirkliche Welt verschieben (können).
      btw. danke für den zeit-link

  14. Es geht um Usability, oder die Frage, wie man sinnvoll Links setzt. Optimalerweise vermittelt man Informationen nicht fragmentiert, indem sich der Leser die Informationen über Links zusammensuchen muss, um den Inhalt eines Textes zu verstehen. Genau das ist in den Beispielen die Winatschek nennt passiert. Jemand postet im Forum eine Frage, und versteckt die Antwort hinter einem Link. Ist der Link zur Antwort nur mit „Klicke hier“ oder nur „Hier“ beschriftet fängt jeder Webdesigner an zu weinen. Solche Links sind Kommunikationsfehler, auf den einige bockig reagieren. Na, und was das mit Facebook zu tun? Nichts. Winatschek hat ein uraltes Problem gesehen, es falsch analysiert und Facebook in die Schuhe geschoben.

  15. Andersrum wird übrigens auch ein Schuh draus. Viele bemerken gar nicht mehr, ob ein Facebook-Link von „außerhalb“ überhaupt klickbar ist, da die Vorstellung, jemand könnte nicht eingeloggt sein, offenbar schon jenseits der Facebook-Realität ist.

    Völlig richtig, ich bin jedesmal gestresst, wenn irgendwas auf Facebook verlinkt, ob deren Unfähigkeit lesbares HTML auszuliefern.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.