In der Serie “Remixer/in” erzählen Menschen über ihre Erfahrungen und Einstellungen zum Thema Remix und Remix-Kultur. Dieses Mal: Jan-Michael Kühn.
Jan-Michael Kühn ist Soziologe, Techno/House-DJ, Booker und mit dem „Berlin Mitte Institut für Bessere Elektronische Musik“ auch seit einigen Jahren Blogger. In seiner Diplomarbeit beschäftigte er sich der Praxis der Musikproduktion von elektronischer Tanzmusik in Homerecording-Studios. Derzeit schreibt er an seiner Dissertation, die mit der These der „Szenewirtschaft“ die Eigenheiten der wirtschaftlichen Strukturen von Musikszenen im Unterschied zur Musikindustrie (z.b. die Rolle von Abgrenzungen, der Gesellungsform „Szene“ als Grundlage für Austauschbeziehungen, Kleinwirtschaftlichkeit oder Spezifika kultureller Formen wie Tracks und Clubs) anhand der Berliner House/Techno-Szene untersucht. Als DJ Fresh Meat legt er regelmäßig, zumeist in Berlin, auf.
Was macht für Dich einen guten Remix aus?
Erstmal, was elektronische Tanzmusik allgemein ausmacht: Er muss grooven, mich ästhetisch verführen, fett sein. Eine willkommene Fremdsteuerung, die dazu führt, dass ich Hände und Füße nicht mehr still halten kann. Elektronische Tanzmusik, zumindest im Clubbereich, orientiert sich nicht zwangsläufig an wiedererkennbaren und eingängigen Melodien, sondern ist oftmals experimentell verspielt, instrumental und definiert sich eher durch interessante Rhythmik-Gerüste, die zum Tanzen animieren: Sound. Ob das dann gerade ein Remix ist oder nicht, das hört man selten. Remixing gehört in legaler Form aber auch zum Alltag von elektronischer Tanzmusik: Labelbetreiber und Musikproduzenten remixen sich gegenseitig und lizensieren dies, weil sie den spezifischen Sound der anderen mögen, bzw. weil sie auf die Popularitätseffekte bekannter Remixer setzen. Es gibt auch jene Remixe, die ein Vocal oder eine Melodie im Remix anders kontextualisieren – und gerade durch Kombination mit einem produzentenspezifischen Sound eine Verführungsqualität erreichen, die im Original noch nicht vorhanden war. Zum Beispiel Osunlade – Envision (Ame Remix, siehe Embed).
Aber vieles an Remixing in der elektronischen Tanzmusik passiert doch ohne Rechteklärung?
Eine spezielle und meistens nicht legalisierte Form wird in der Szene „Edit“ genannt. Das sind unlizensierte, nicht geclearte Remixe durch DJs und Produzenten von Tracks oder Songs anderer, die sie speziell an ihre ästhetische Bedürfnisse zum Spielen im Club anpassen. Dies geht, von ganz klassisch, z.B. dem Kombinieren der markanten Elemente gerade gängiger Charthits mit einem tanzbaren Techhouse-Beat, dem Sampling klassischer Disco-, Funk- oder Hiphop-Fragmente bis hin zum Umstellen und Umkonstruieren von Tracks, um z.B. aus einem stampfenden House-Beat per Copy & Paste einen Warm-up Track zu basteln – oder eine zusätzliche Hihat hinzuzufügen, um bessere eine bessere „Abfahrt“ zu erreichen. Manchmal mag man nur einen bestimmten Part eines Tracks und arrangiert diesen dann in z.B. Ableton oder Cubase neu.
Auf welche Weise verwendest Du selbst Werke Dritter?
Ich benutze gerne Samples, die die Atmosphäre von Tracks und DJ-Sets stützen. Das können sich steigernde Pfeiftöne sein, oder Gewitter. Ein knallharter Techno-Groove, der als Höhepunkt auf einem fetten Sound-System auch noch den Blitz einschlagen lässt. Das geht ab! Ich mag auch experimentell klingende Sounds, die man einfach auf Knopfdruck, z.B. mit einer Sampling-App zu einem frickeligem Beat hinzu mischt. Als DJ, ganz grundsätzlich, basiert meine Arbeit sowieso auf den Werken Dritter: Nämlich der Tracks von Musikproduzenten, die ich zusammen mit Ort, Spielzeit, Floor, Dekoration, Publikum, Stimmung, Geschmack, Überzeugung, Ideen, Abgrenzungen und zu einem DJ-Set-Erlebnis vermische. Diese Interpretation und Verbindung weist stets über die einzelnen Tracks hinaus und hat sich als eigene kunsthandwerkliche Praxis etabliert: Trackauswahl, Spannungsbögen, Mixtechniken, Crowdreading, usw.
Hast Du schon einmal aus nur aus rechtlichen Gründen ein Sample oder ähnliches nicht verwendet und warum?
Im Club ist das egal, da wird es sowieso nicht aufgezeichnet oder verfolgt. Dort kombiniert man nach Gusto und Möglichkeiten. Wenn ich jedoch einen DJ-Mix fürs Netz aufnehme, dann achte ich darauf keine Werke von Labels oder Produzenten zu benutzen, wo zu erwarten ist, dass die mich abmahnen, oder deren Musik durch Filtering-Regeln auf z.B. Soundcloud erkannt und geblockt wird.
Was hältst Du von der Idee, ein vergütetes Recht auf Remix einzuführen?
Finde ich, als eine Erweiterung und Anpassung der aktuellen rechtlichen Lage an den technologischen Wandel und veränderte kulturelle Praxis, sehr spannend. Besonders interessiert mich, welche Folgen dies für DJs und ihre Mixe im Internet haben könnte. Aufgrund der Werke Dritter sind die DJ-Sets typischerweise nicht legalisiert, jedoch ermöglicht eine informelle Tolerierungspraxis in der Szenewirtschaft das zumeist problemlose Hochladen und Promoten der DJ-Sets – trotz zahlreicher formaler Urheberrechtsverletzungen.
Zum Abschluss, was ist Dein persönlicher Lieblingsremix?
Dazu einmal Aleem – Release Yourself im Manuel Kim Edit. Ich stehe einfach total auf dieses Oldschool-Vocal „RELEEEASE YOURSELF“ – und das ausgebreitet auf einen ganzen Track mit aktueller Soundästhetik. Wunderbar.
Und da ich weiter oben bereits die Relevanz von DJ-Mixen für das Recht auf Remix hervorhob, voilá:
Das ist ein Crosspost vom Blog der Initiative ‘Recht auf Remix‘, die in einer Petition um Unterstützung samt Link zum persönlichen Lieblingsremix bittet.
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