Baden-WürttembergGrüne geben Polizeidaten für Palantir frei

Die grün-schwarze Regierung in Stuttgart winkt die automatisierte polizeiliche Datenanalyse und damit den Einsatz von Software von Palantir durch. Die Grünen machten das nach einem politischen Kuhhandel zu einem Nationalpark möglich. Eine „Experimentierklausel“ im Gesetz gibt außerdem polizeiliche Datenschätze für kommerzielle Unternehmen frei.

Kuh mit Plakette und Strichcode
Die Grünen haben laut SWR-Informationen in einem Kuhhandel die Vergrößerung des Nationalparks Schwarzwald gegen die Einführung von Palantir-Software getauscht. (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Steinach

Das Ergebnis war nicht überraschend: Der Landtag in Baden-Württemberg hat gestern ein neues Polizeigesetz beschlossen. Die grün-schwarze Mehrheit im Parlament schafft damit die Rechtsgrundlage für den Einsatz der Software von Palantir. Sie soll ab dem zweiten Quartal 2026 einsatzbereit sein.

Vorausgegangen war ein Streit um die Beschaffung des Palantir-Systems. Denn Beamte im Innenministerium von Thomas Strobl (CDU) hatten bereits im Frühjahr den Vertrag dafür geschlossen. Die notwendige Rechtsgrundlage gab es zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht. Der grüne Koalitionspartner war von den Verantwortlichen im Ministerium erst im Nachhinein in Kenntnis gesetzt worden und betont nun, der Vertrag sei „ohne unsere Zustimmung“ entstanden.

Die Grünen reagierten erst ungehalten, einigten sich aber mit dem Koalitionspartner über einen politischen Deal. Es ging dabei um den Nationalpark Schwarzwald. Die Grünen pressten nach SWR-Informationen der mitregierenden CDU eine Vergrößerung um 1.500 Hektar ab, wenn im Gegenzug Palantir abgenickt würde.

Die Grünen in der Landesregierung mögen Bauchschmerzen gehabt haben, aber sie stimmten dafür. In der grünen Basis fand der Deal wenig Anklang: In mehreren grünen Kreisverbänden wie in Ulm, Tübingen, Mannheim oder Karlsruhe sprach sich die Parteibasis gegen den Einsatz von Palantir aus. Ein Parteimitglied startete eine Petition an den baden-württembergischen Landtag, die mehr als 13.000 Unterstützer unterzeichneten und kurz vor dem gestrigen Beschluss im Petitionsausschuss noch zu Kontroversen führte.

Palantir alternativlos?

Beim Streit um die Software des US-Konzerns geriet die Frage in den Hintergrund, ob die gesetzliche Regelung zur Erlaubnis der automatisierten polizeilichen Datenanalyse den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht. Denn der baden-württembergische Landesdatenschutzbeauftragte Tobias Keber hatte in einer Stellungnahme eine ganze Reihe von Kritikpunkten aufgeworfen und im Petitionsausschuss nochmal unterstrichen.

Doch der Streit um den US-Konzern dominierte die Diskussion. Es ging nicht mehr darum, ob und welche Form von polizeilicher Massendatenauswertung kommen soll, sondern nur noch um den Vertragspartner.

„Wir hätten lieber keinen Vertrag mit Palantir“, sagte Oliver Hildenbrand, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion. Über die Erlaubnis zu einer massenhaften Datenfahndung über Polizeidatenbanken hinweg, die nun beschlossen ist und Millionen Menschen betreffen wird, wurde hingegen kaum noch gesprochen.

Die Grünen wollten der Polizei das Instrument nicht über Jahre vorenthalten, fügte Hildenbrand an, und meint damit konkret die Software von Palantir. Damit stützt er die Argumentation von Innenminister Strobl, der Palantir als „technologischen Marktführer auf dem Gebiet“ und mithin als praktisch alternativlos bezeichnet hatte. Das jedoch ist alles andere als unumstritten, wie die Konkurrenten des Konzerns nicht müde werden zu betonen.

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Die Grünen im Ländle betonen, dass Palantir nur für fünf Jahre im Einsatz sein soll. Die grüne Landtagsfraktion verspricht: „Wir wollen auf eine einsatzbereite Alternative umsteigen – so schnell wie möglich und spätestens bis 2030.“ Ein eigens eingebrachter Entschließungsantrag soll den Ausstiegswillen unterstreichen.

Ob die polizeilichen Nutzer aber tatsächlich schon nach kurzer Zeit wieder aussteigen werden, ist keineswegs sicher. Denn Palantir-Systeme sind nicht interoperabel mit alternativen Produkten. In ein anderes System umzusteigen, ist entsprechend aufwendig. Die Polizeien in den Bundesländern Hessen und Nordrhein-Westfalen, die bereits Palantir-Nutzer sind, zeigen das: Die selbstverschuldete Abhängigkeit besteht trotz Kritik seit vielen Jahren und bis heute.

„Experimentierklausel“ gibt Polizeidaten frei

Mit der Änderung des Polizeigesetzes hat die Mehrheit im Landtag die Polizeidaten für Palantir freigegeben, aber zugleich die Datentore noch viel weiter geöffnet. Denn auch die Verarbeitung von Daten „bei der Entwicklung, dem Training, dem Testen, der Validierung und der Beobachtung von IT-Produkten einschließlich KI-Systemen und KI-Modellen außerhalb von rein wissenschaftlichen Forschungsarbeiten“ ist nun erlaubt. Diese von Strobls Innenministerium „Experimentierklausel“ genannte Regelung allein ist ein Dammbruch, der kommerziellen Unternehmen Zugriffe auf hoheitliche Datenschätze erlaubt, die niemals für solche Zwecke erhoben wurden.

Dass selbst „KI-Systeme und KI-Modelle“ dabei explizit enthalten sind, versieht diese Datenfreigabe für Entwicklung und Tests mit einem unkontrollierbaren Element. Denn einmal als Trainingsdaten beispielsweise in KI-Sprachmodelle eingegangen, sind die Daten kaum rückholbar. Als Begründung dient blanker Pragmatismus: „KI-Anwendungen benötigen […] zur Entwicklung und zum Testen realitätsnahe Trainingsdaten.“ Dazu brauche man „die Nutzung polizeispezifischer – in aller Regel auch personenbezogener – Daten“ eben.

Ignoranter gegenüber dem Grundsatz der Zweckbindung, der zum Kern des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung gehört, geht es wohl kaum. Wenn sich dagegen juristischer Widerstand regen würde, wäre das nicht überraschend. Doch unterdessen könnten kommerzielle Unternehmen über diese „Experimentierklausel“ den polizeilichen Datenschatz längst gehoben haben.

Dobrindt plant ebenfalls Datenanalyse

Die Zustimmung im Ländle könnte ein Vorgeschmack auf die anstehenden Diskussionen für die Pläne im Bund sein, die seit dem Sommer bekannt sind: Auch Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) will die Datenbestände der Polizeien des Bundes zusammenführen und analysieren lassen. Das hatten CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart. Ob Dobrindt dafür auch auf Palantir setzen wird, ließ er bisher offen.

Dobrindt ist „in höchstem Maße unglaubwürdig“

Allerdings sind die Grünen im Bund in der Opposition und erklärter Gegner von sowohl Palantir als auch Massendatenauswertungen. Sie wollen den US-Konzern meiden und setzen sich deutlich ab vom Milliardär und Palantir-Mogul Peter Thiel. Sie wenden sich auch generell gegen die polizeiliche automatisierte Datenauswertung, denn sie lehnen „jede Form digitaler Massenüberwachung ab, von der Chatkontrolle über die anlasslose Vorratsdatenspeicherung und öffentliche Gesichtserkennung bis hin zum Einsatz von Palantir-Software“.

Das schreiben die Grünen-Bundesvorsitzende Franziska Brantner und der stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Konstantin von Notz in einem Sechs-Punkte-Plan von letzter Woche. Dass konkret Palantir und generell eine automatisierte Datenfahndung alternativlos seien, sehen sie offenbar anders als ihre Parteifreunde im Süden.

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16 Ergänzungen

  1. besonders interessant, als wissenschaftler bekommt man keinerlei daten von der polizei.
    (oder nur mit viel, viel, viel bestrebungen und guten Beziehungen)

    aber private unternehmen natürlich schon

  2. … es waren keine Sozialdemokraten!

    Was Macht mit GRÜNEN macht… ?

    Frag die GRÜNE JUGEND. Ricarda Lang hatte auch sehr passende Worte zu ihrem Abschied.

  3. Der Artikel zeigt, dass unsere Demokratie seit Jahren nicht nur durch Überwachung und Kontrollmechanismen, sondern auch durch die Behandlung der zu diskutierenden Sachverhalte und Themen als eine Art “Pseudo-Wirtschaftsgut” weiter ausgehöhlt wird.

    Denn statt schlagkräftige Argumente gegen die Einführung der Software bzw. gegen das Polizeigesetz und dessen Änderungen zu liefern, die Entscheidung aufgrund dieser Argumente innerhalb des Sachgegenstands zu treffen und für die Überzeugung zu kämpfen, nivellieren die Grünen diese durch eine Art Tauschgeschäft vulgo Kuhhandel, indem man den Diskussionsgegenstand geistig zu einer Art “Gut” umfunktioniert. Ein Kompromiss ist das nicht, denn dieser ist kein Tauschgeschäft. Ebenso hat das nichts mit politischer Willensbildung zu tun, denn diese lebt von Argumenten. Leider macht das seit einigen Jahren Schule:

    Man diskutiert und überzeugt nicht mehr, sondern quasi-wirtschaftet, um am Ende etwas anderes zu bekommen, in diesem Fall den Nationalpark. So wichtig dieser auch ist, als überzeugendes “Tauschgut” für die Aufgabe der Grundrechte kann und darf er nicht dienen. Grundrechte sind zu elementar und wichtig – viel zu wichtig, als in einem Kuhhandel eingelöst zu werden.

    Ausgerechnet die Grünen beschleunigen mit der Zustimmung zur Palantir-Nutzung nicht nur die weitere Demontage der Grundrechte, sondern machen als Kuhhändler den Rechtsextremismus ein gutes Stück salonfähiger. Wer Peter Thiel und damit Trump unterstützt und dabei gleichzeitig seine eigenen, vormals vertretenen parteipolitischen und gegenteiligen Überzeugungen über Bord wirft, weiterhin sich einem Koalitionspartner anbiedert, der jegliches sicherheitspolitische Maß verloren hat, schadet nicht nur der (Landes-)Partei. Er disqualifiziert sich als echter Diskutant, Demokrat, als glaubwürdig und – als wählbar.

    1. Danke für Ihren Beitrag… Ja, „Kuhhandel“ war der erste Begriff, der auch mir beim Lesen des Artikels in den Sinn kam. In einer Demokratie – so zumindest mein (möglicherweise naives) Verständnis – geht es darum, sowohl Punkt A als auch Punkt B im Rahmen der jeweiligen Kompromissbereitschaft auszuhandeln. „Kompromisse einzugehen“ heißt m.M.n. aber nicht, Grundsatz A zum Erreichen von Punkt B komplett über’n Haufen zu werfen. Vielleicht bin ich aber auch einfach nur zu kleingeistig, um den thematischen Zusammenhang zwischen Palantir und dem Nationalpark zu erkennen…

      Ich weiß nicht, ob die Grünen regelmäßig in solche Tauschhandel gedrängt werden oder sie sich freiwillig selbst immer wieder in solche Situationen begeben. Doch dadurch sind sie für mich stets eine Art Wundertüte, bei der ich vor den Wahlen nie wissen kann, welche ihrer angeblich so wichtigen Standpunkte sie zum Erreichen eines einzelnen Ziels komplett aufgeben. Das macht diese Partei für mich schon seit 25 Jahren nicht mehr wählbar, obwohl ich mich persönlich durchaus in ihren theoretischen Grundsätzen verorten würde.

      Ob die Grünen mit der Zustimmung zu Palantir nun explizit den Rechtsextremismus salonfähiger machen, kann und mag ich nicht beurteilen, aber sie fördern nicht unbedingt das Vertrauen in die Partei und letztlich auch nicht in das demokratische Grundgerüst unserer Gesellschaft.

    2. Die NATO-Olivgrünen arbeiten schon lange mit den Falken in den USA zusammen.
      Habeck hat es ja trefflich formuliert: Er sei dazu da, den USA zu dienen.
      Wenn man mal untersucht, wer diese Politiker gefördert hat (WEF Young Global Leader, Atlantikbrücke und Co.), dann wundert einen gar nichts mehr.

  4. Alex Karp, Peter Thiel, Curtis Jarvin, Nick Land, JD Vance, Donald Trump und die Grünen aus Baden Württemberg. Was haben sie alle gemein? Sie verabscheuen Demokratie und wünschen sich einen technokratischen Staat mit Machtinstrumenten a la China. Remember Hong Kong?

  5. Das ist wie so vieles eine Frage der Prioritäten.
    Prioritäten zu setzen ist im politischen Betrieb notwendig.
    Die BaWü-Grünen haben sich offensichtlich entschieden, dass eine Vergrößerung des Nationalparks schwerer wiegt als die Datenfreigabe.
    Nun sollte man sie einmal fragen, wie sie zu _dieser_ Einschätzung kommen.

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