Umgang mit psychischen ErkrankungenEs muss etwas passieren

Nach mehreren Anschlägen und Amoktaten ist psychische Gesundheit zu einem Sicherheitsthema geworden. Aber mehr Datenaustausch hilft nicht bei der Genesung und Stabilisierung erkrankter Menschen. Betroffene, Angehörige und Fachleute fordern ein Umdenken.

Luftaufnahme eines Irrgarten-artigen Wassersystems.
Wege aus Krisen sind nicht immer geradlinig. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Avalon.red

„Wir können erst etwas tun, wenn etwas passiert ist.“ Das ist ein Satz, den Annette Lindt-Lange häufig gehört hat, als sie bei verschiedenen Stellen Unterstützung gesucht hat. „Und dann ist eben irgendwann ‚etwas passiert‘“, sagt sie am Telefon. Ein psychisch erkrankter Angehöriger von ihr hat eine Straftat begangen und ist im Maßregelvollzug gelandet.

Lindt-Lange ist Sozialpädagogin und engagiert sich im Vorstand des hessischen Landesverbandes der Angehörigen und Freunde von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Dorthin wandte sie sich nach der Unterbringung ihres Familienmitglieds.

„Wir hatten damals schon eine fünf Jahre lange Vorgeschichte hinter uns. Immer wieder Zwangseinweisungen, immer wieder Entlassungen ohne Nachbetreuung“, erzählt sie. Ein klassischer Weg der „Forensifizierung“, sagt Lindt-Lange heute. Damit meint sie: Erkrankte werden immer wieder kurzfristig in psychiatrischen Kliniken untergebracht, eine langfristige, niedrigschwellige Hilfe, die zu ihnen passt und sie stabilisiert, finden sie dabei häufig nicht.

Weil die Betroffenen zudem oft schlechte Erfahrungen mit Zwangshospitalisierungen machen, hält sie das teils davon ab, sich selbst in Behandlung zu begeben. Es kommt zu Behandlungs- und Therapieabbrüchen und einer möglichen Chronifizierung ihrer Erkrankungen – im schlimmsten Fall kann das am Ende zu einer Eskalation führen, bei der sie sich selbst oder anderen schaden.

Eskalation mit Schlagzeilen

Dass Menschen mit einer psychischen Erkrankung straffällig und insbesondere gewalttätig werden, ist sehr selten. Laut Forschenden wie der kanadischen Sozialepidemiologin Heather Stuart ist der Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und Gewalttaten in der öffentlichen Wahrnehmung überschätzt. „Es ist sehr viel wahrscheinlicher, von einem psychisch gesunden Menschen verletzt zu werden“, schreibt die Bundespsychotherapeutenkammer. Nur bei einigen wenigen Erkrankungen ist das Risiko für eine Gewalttat erhöht, beispielsweise bei Substanzmissbrauch oder in psychotischen Phasen, vor allem wenn die Betroffenen nicht in Behandlung sind.

Kommt es zu entsprechenden Gewalttaten, machen Eskalationen teils bundesweit Schlagzeilen. In den letzten Monaten ist das mehrmals passiert: ein Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Magdeburg, ein Messerangriff in einem Aschaffenburger Park, Brandsätze auf eine Synagoge. In all diesen und weiteren Fällen berichteten Medien nicht nur über die Taten, sondern auch über die psychiatrische Vorgeschichte der Verdächtigen.

Einige waren bereits zuvor aufgefallen, waren teils bereits wegen Straftaten verurteilt worden oder kurz zuvor aus einer psychiatrischen Klinik entlassen worden. In einigen Fällen wurden die Verdächtigen nach ihrer Festnahme nicht in Untersuchungshaft, sondern in ein psychiatrisches Krankenhaus gebracht. So wurden die Taten in der öffentlichen Wahrnehmung mit mutmaßlichen Erkrankungen verknüpft.

Das führte zu Fragen: Wieso konnten die Taten nicht verhindert werden? Hätte nicht auffallen müssen, dass die mutmaßlichen Täter:innen sich in einer psychischen Krise befunden haben? Hätte nicht irgendjemand eingreifen können? Und wie lässt sich so etwas in Zukunft verhindern?

Schnelle Antworten auf komplexe Probleme

Vermeintlich schnelle Antworten auf diese komplexen Probleme hatten nach den Ereignissen vor allem Politiker:innen parat: CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann forderte im Januar ein Register für „psychisch kranke Gewalttäter“, verpflichtende Meldungen psychisch kranker „Gefährder“ wollte Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD). Seitdem diskutiert die Innenministerkonferenz über einen intensiveren Datenaustausch zu erkrankten Personen zwischen Gesundheits-, Sicherheits-, Justiz- und Ausländerbehörden sowie ein „integriertes Risikomanagement“.

„Menschen mit psychischer Erkrankung sind viel häufiger Opfer von Gewalttaten, als dass sie Täter werden“, sagt Andreas Jung. Er ärgert sich über solche Diskussionen. Jung war in der Vergangenheit selbst mehrmals wegen einer psychischen Erkrankung in einer Klinik. Heute setzt er sich für die Interessen von Psychiatriebetroffenen ein, als Mitglied im Psychiatriebeirat Hessen, als zertifizierter Genesungsbegleiter und Mitarbeiter der unabhängigen Marburger Psychiatrie-Beschwerdestelle.

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Den Einwand von Jung bestätigen mehrere Datenerhebungen. Eine Befragung aus Großbritannien unter Menschen in psychiatrischer Behandlung etwa kam zu dem Ergebnis, dass schwer psychisch erkrankte Frauen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe einem vier Mal so hohen Risiko ausgesetzt sind, Opfer von sexualisierter Gewalt zu werden. Bei einer anderen Auswertung zeigte sich, dass sich Opfer von Tötungsdelikten überdurchschnittlich oft vorher in psychiatrischer Behandlung befunden hatten.

Ein falscher Eindruck

Über diese Missstände gibt es kaum Berichte und noch weniger öffentliche Diskussionen. Das ist ein Problem. In einem Leserbrief, den die unabhängige Beschwerdestelle Psychiatrie in Marburg im Juni an hessische Medien richtete, heißt es: Durch die Berichterstattung über vermutete oder gesicherte psychische Erkrankungen von Täter:innen werde „der Eindruck erweckt, dass von Menschen mit einer psychischen Erkrankung eine besondere Gefahr ausgehe“. Das kritisiert die Beschwerdestelle. Wenn medial immer wieder ein Zusammenhang zwischen Taten und psychischer Verfassung hergestellt werde, könne das zu einer „feindseligen Stimmung“ gegenüber kranken Personen führen.

Wozu die Diskussionen über vermeintliche Gefahren noch führen: Es wirkt, als sei die psychische Verfassung von Menschen vor allem ein Thema für die Sicherheitspolitik geworden. Und so bekommen Forderungen nach Datenaustausch und „Risikomanagement“ mehr Aufmerksamkeit als Kritik an der psychosozialen Versorgung für Betroffene.

Hessen, wo sowohl Andreas Jung als auch Annette Lindt-Lange wohnen, ist dabei besonders aktiv. Seit Beginn des Jahres arbeitet dort eine Taskforce des Landeskriminalamts daran, 1.600 psychisch erkrankte Personen, die in einer Polizeidatenbank entsprechend markiert sind, zu überprüfen und das mit ihnen verbundene Risiko zu bewerten. „Psychisch Auffällige / Vielschreiber / Gewalttäter“ ist der Name der Arbeitsgruppe.

Nach einem Gesetzentwurf von CDU und SPD sollen künftig außerdem Polizei und Ordnungsamt informiert werden, wenn eine unfreiwillig hospitalisierte Person aus einer Psychiatrie entlassen wird und Ärzte ohne medizinische Betreuung eine Fremdgefährdung fürchten.

Andreas Jung ist sich sicher, dass dies zu einer Verschlechterung für hilfesuchende Menschen führen würde. „Solche Regelungen haben schwere Folgen für das Vertrauensverhältnis vom Patienten zum Arzt“, sagt er. „Das stört die Behandlung, baut Barrieren auf und macht es noch schwieriger, Hilfe zu suchen.“

Wie es sich anfühlt, wenn solche Barrieren entstehen, hat Volker Scherer erlebt. Er ist psychiatrieerfahren und war das letzte Mal vor anderthalb Jahren freiwillig für einige Tage in einer Klinik. Scherer erlebt immer wieder technische Einmischungen und erzählt im Gespräch, dass er mit Schalltriggern angegriffen werde. „Eine Kombination von Kriminalität und Überwachung“, sagt er. Er selbst schreibe wegen deswegen viele Briefe an Behörden und frage sich, ob er nun auch als „Vielschreiber“ gilt. „Da werden nur die Menschen als Problem gesehen und gar keine äußeren Umstände betrachtet.“

Bei seinem letzten Klinikaufenthalt habe er eine rechtliche Betreuung „reingeknallt bekommen“, sagt Scherer. Eine solche Betreuung soll je nach Einzelfall dabei unterstützen, beispielsweise Behördendinge und Wohnungsangelegenheiten zu regeln. Ganz unzufrieden war Scherer am Ende damit nicht, es habe ihm „etwas geholfen“, sagt er. Später wurde die Betreuung auf seinen Antrag hin wieder aufgehoben.

Eine psychosoziale Unterstützung wurde ihm zwar auch angeboten, aber „da ging das Vertrauen wieder verloren“. „Man war nicht bereit, dort meine Probleme und die Schalleinmischungen ernst zu nehmen“, sagt er.

Unklare Kriterien

Der Genesungsbegleiter Andreas Jung sieht noch ein Problem für das Vertrauensverhältnis: „Die Kriterien für die Meldungen, die in Hessen künftig gemacht werden sollen, sind völlig unklar.“ Und warum sollte eine Person überhaupt aus einer Klinik entlassen werden, wenn ein Arzt davon ausgeht, dass sie noch selbst- oder fremdgefährend sein könnte? „Wenn ein untergebrachter Patient nicht kooperativ und einsichtig ist, wird in der Regel sowieso der Beschluss zu seiner Unterbringung verlängert“; wirft Jung ein.

Manche Ärzte würden künftig vielleicht kaum etwas melden, weil sie das Vertrauen ihrer Patient:innen nicht gefährden wollen. Andere wiederum könnten die Behörden über sehr viele Entlassene informieren – um auf Nummer sicher zu gehen. Das zumindest vermutet Constantin von Gatterburg. Er hat viele Jahre beim sozialpsychiatrischen Dienst des Gesundheitsamtes im hessischen Kreis Bergstraße gearbeitet. Nun ist er im Ruhestand, engagiert sich aber weiterhin unter anderem als Sprecher der hessischen Landesarbeitsgemeinschaft des Vereins Deutsche Gesellschaft für soziale Psychiatrie.

„Psychiatrie ist zu wesentlichen Teilen Beziehungsarbeit, Vertrauen ist zentral für die Genesung“, sagt von Gatterburg. „Das steht für den Arzt im Vordergrund, nicht, dass er noch mehr sicherheitsrechtliche Aufgaben übernimmt.“ Von Gatterburg hat zwar nicht prinzipiell etwas dagegen, dass sich verschiedene Institutionen über erkrankte Personen austauschen. Ihm ist aber wichtig: „Das muss unter dem Aspekt der Hilfe passieren und nicht für eine Gefährdungsanalyse.“

Denn klar ist: Um Erkrankte bei einer Genesung und Stabilisierung zu unterstützen und das Risiko zu verringern, dass sie sich oder anderen Schaden zufügen, braucht es vor allem passende Behandlungsangebote und Prävention. Doch daran fehlt es überall.

Es fehlt an allen Stellen

Wenn man beispielsweise Annette Lindt-Lange fragt, was Betroffenen und Angehörigen helfen würde, fallen der Angehörigen einer Person im Maßregelvollzug schnell viele Dinge ein: flächendeckende, aufsuchende Krisendienste zum Beispiel. Die könnten Erkrankte zu Hause besuchen und sie in ihrem eigenen Umfeld unterstützen.

Es fehlten auch mehr Angebote für betreutes Wohnen, sagt sie. Therapien seien mit hohen Wartezeiten verbunden. Sich einen Platz zu suchen, erfordert viel Eigenmotivation von den Erkrankten. Problematisch sei auch, was nach Aufenthalten in einer Psychiatrie passiert. Der Übergang führe oft zu Problemen. „Manche Menschen werden in die Obdachlosigkeit entlassen“, sagt Lindt-Lange. „Nach ihrer Klinikzeit haben sie dann gar keinen Halt mehr.“

Das kann Andreas Jung bestätigen: „Das Entlassmanagement funktioniert überhaupt nicht. Oft ist unklar, was nach dem Klinikaufenthalt passiert, Menschen warten monatelang auf einen ambulanten Therapieplatz.“ Das führe, so Jung, vielerorts zu einer „Drehtürpsychiatrie“, bei der Klinikaufenthalte sich mit Entlassungen abwechseln.

Die eine passende Lösung für alle Betroffenen gibt es aber nicht. „Die Betreuung nach der Klinik muss zu der jeweiligen Person passen“, sagt von Gatterburg. Manche bräuchten eine Tagesbetreuung, andere würden von aufsuchenden Hilfen profitieren.

Woran scheitern psychosoziale Angebote?

Ein Problem beobachtete er in seiner Arbeit immer wieder: „Krisen passieren oft in Zeiten, wo die klassischen Dienstleister und Angebote nicht aktiv sind.“ Um beispielsweise rund um die Uhr erreichbare Krisendienste einzurichten, müsste es aber erst eine gesicherte Finanzierung geben.

Der psychiatrische Notdienst in Darmstadt beispielsweise, der an Wochenenden und Feiertagen abends erreichbar ist, wird zwar finanziell von Stadt und Landkreis unterstützt, ist aber darüber hinaus auf Spenden angewiesen. Und nicht überall gibt es überhaupt flächendeckende Akutangebote. Ein wenig besser ist die Situation beispielsweise in Bayern, wo es ein Netzwerk an Krisendiensten gibt, das 24 Stunden am Tag telefonisch erreichbar ist.

Scheitert so etwas in Ländern wie Hessen am verfügbaren Budget? Annette Lindt-Lange vermutet, dass es daran eigentlich nicht liegen könne. Denn wenn es im schlimmsten Fall zu einer Eskalation kommt, ist das zum einen zuallererst tragisch und schockierend für alle Betroffenen. Aber eben auch sehr kostspielig. „Die Unterbringung im Maßregelvollzug ist extrem teuer“, sagt Lindt-Lange. Mehr als 300 Euro pro Tag zahlt das Land Hessen für eine untergebrachte Person, die Einrichtungen sind überbelegt. „Prävention ist immer günstiger“, so die Angehörige.

Dafür bräuchte es ihrer Meinung nach eine Strategie und Prioritätensetzung aus der hessischen Landesregierung. Doch auf die wartet sie vergeblich. Stattdessen diskutieren vor allem Innenministerien und Sicherheitsbehörden über den Umgang mit psychisch erkrankten Straffälligen. „Dabei sollte das etwas sein, womit sich vor allem die Sozial- und Gesundheitsministerien beschäftigen“, wünscht Lindt-Lange sich. Damit etwas passiert. Aber diesmal etwas, was Betroffenen hilft und Eskalationen vorbeugen kann.

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21 Ergänzungen

  1. Der eigentliche Punkt ist doch, dass im Grunde immer behauptet wird der Täter oder die Täterin sei psychisch krank.
    Das alleine aus dem strategischen Kalkül heraus Täter / Täterin schon vor der Verurteilung auszugrenzen.

    Ist jemand, der wochenlang auf die Bewilligung seines Arbeitslosengeldes gewartet hat, jetzt aus seiner Wohnung fliegt und im Arbeitsamt einen Sachbearbeiter vertrimmt psychisch krank ?

    Ein Vater der seine Kinder nicht mehr sehen darf und deswegen seine Frau vertrimmt psychisch krank ?

    Gut – gehen wir davon aus Täter / Täterin seien tatsächlich psychisch krank. Was bedeutet das für die Gesellschaft ?

    Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie schreibt:
    „Bundesweit erfüllt mehr als jeder vierte Erwachsene im Zeitraum eines Jahres die Kriterien einer psychischen Erkrankung.“

    Also 25% der Erwachsenen … innerhalb eines Jahres … das ist nicht wenig.
    Statista hat dazu noch beunruhigendere Fakten parat:
    https://de.statista.com/themen/1318/psychische-erkrankungen/

    Und da darf man sich dann doch sicher fragen wie das kommt.

    Und die 25% will man dann unter Generalverdacht stellen…

      1. > Wenn Sie das wirklich so glauben, sollten Sie vielleicht professionelle Hilfe in Anspruch nehmen…

        Das ist keine Ergänzung, die den Leitlinien von Netzpolitik.org entspricht.
        Das ist in keinster Weise ein guter Rat, sondern ein böswillig vergifteter Anwurf ad hominem.
        Auf solche Entgleisungen möchte ich beim Lesen hier nicht treffen.

        Bitte mehr Sorgfalt bei der Moderation.

        1. In der Tat ist das mindestens grenzwertig. Erstens mal sind Gedanken erlaubt, und auch Modelle erstellen. Man darf sogar Sachen falsch darstellen. Hier wird allerdings auf einer problematischen Ebene geantwortet, die die im OP anklingende Paralllelität zum Einzelfallproblem verkennt.

          Offensichtlich spricht das Post reale Fragen an, wie Krisen u.ä. Die Idee, alles in psychische Krankheiten verpacken zu können, verkennt die Arbeitsweise des menschlichen Organismus, vermutlich inklusive Hirn. Das richtet letztlich Schaden an.

          Nachdem ich das OP noch einmal gelesen habe, komme ich zu dem Schluss, dass der „übergriffige Kommentar“ offensichtlich ein übergriffiger Kommentar ist, das Werk eines Trolls, welches in diesem Kontext da programmatische, bezahlte und nützliche Kräfte einschließen soll.

  2. Vielen Dank für den Artikel. Ich habe eine Nachfrage zum 6. Absatz unter der Überschrift „Ein falscher Eindruck“. Was für „technische Einmischungen“ sind gemeint, und von wem gehen sie aus? Wer greift mit „Schalltriggern“ Hrn. Scherer an, und was ist ein Schalltrigger?
    Vielen Dank!

    1. Das war nicht der Fokus unseres Gesprächs und ich will hier nicht für ihn sprechen. Berichte über sein Erleben finden Sie jedoch teils in der Zeitschrift Lautbriefrundsprecher vom Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener.

    2. Hallo, ein Schalltrigger könnte ein ständiges lautes Geräusch oder ein sich wiederholendes Geräusch sein, dass meist vom Betroffenen wahrgenommen wird. Offen ist dabei häufig ob es dieses Geräusch wirklich gibt oder der Einbildung des Betroffenen entspringt.

      Möglich ist natürlich auch ein realer Schalltrigger der Menschen an den Rand des Wahnsinns treiben kann, also Geräusche die real sind und sich nicht verhindern lassen, aber in der Intensität von anderen nicht als störend empfunden werden.

      Sie sehen alles möglich, aber auch schwierig einzuschätzen als nicht Betroffener.

      1. Das Beispiel führt gut vor Augen, wie schwer das Thema durch die zT fundamentalen Differenzen der Weltwahrnehmung zu handhaben ist.

        Gleichzeitig sind die Möglichkeiten begrenzt und die Hürden für Handlungen gegen den Willen eines Betroffenen aus guten Gründen sehr hoch.

  3. Der andere Punkt ist die erschreckende Häufung von Zufällen, wo Täter längst mehrfach in Erscheinung getreten sind. Polizeilich, kriminell, extremistisch. Es heißt, manch ein Hausbesitzer tapeziere sein Gäste-WC mit den passenden Bingofeldern.

    Diese Fälle könnten theoretisch näher begleitet werden, aber wie?

    1. Es können nach meiner Erfahrung Täter-Opfer-Sprialen entstehen, die nicht geklärt und nicht beendet werden. Ich erlebe Grrauzonen, wo man es nicht so genau nimmt, und psychiatrisch Betroffene sind meist vorverurteilt. Vor allem bei Schizophrenie Diagnosen wird ihnen wenig geglaubt.

    1. Ich befürchte sogar, dass es nicht nur ausgenutzt wird, sondern insgeheim oder in Geheim von einigen Interessen zu dem Zweck erzeugt wird. Nicht nur Massenüberwachung, auch Stigmatisierung und drastische Einzelmaßnahmen. Und die ganze Gesellschaft wird in Hetze mit einbezogen. Das Gesellschaftsklima verändert sich dadurch. Die Sündenböcke sind als Zielscheiben für andere da.

  4. Es würde mich sehr interessieren, ob tatsächlich alle diese psychisch erkrankten von sich aus solche Taten begehen können.
    Ich glaube, dass hier zu wenig nach einem „Anstifter“ gesucht wird, der einen psychisch Kranken darauf „vorbereitet“, solche Straftaten (bis hin zum Selbstmord) zu begehen.
    Es wird auch oft von „.. sich radikalisierten Tätern“ gesprochen. Auch hier sind es „Anstifter“, die zB Material beschaffen und psychisch labile Menschen anstiften durch gezieltes Einreden.

    1. Das dürfte eher selten so direkt der Fall sein, der Ansatz ist idR stochastischer Terrorismus. Wobei je nach Erkrankung oder Neigung eine Selbstradikalisierung über die verfügbaren Medien trivial ist…

      1. Immer wieder wird Schuld bei Betroffenen gesucht, die ohnehin schon die ganze Zeit von anderen verletzt werden. Und die Gesellschaft hat keine Zeit und Lust mehr, sich damit ehrlich zu befassen. Wir zerstören auch hier unsere eigene Lebensgrundlage, wenn wir uns nicht mehr genug darum kümmern, wie wir zusammen leben wollen und uns leben lassen.

    1. Menschen haben in Massen kein menschenwürdiges Leben, werden zigtausendfach verletzt und verachtet. Hunderttausende Wohnungslose, Obdachlose. Armut. Ob es Fremdgefährdung gibt? Wie wäre der Begriff „Fremdengefährdung“ für Menschen, die bei uns keine Hilfe mehr finden? Ja, es gibt Kriminelle, Missbrauch, Terroristen. Das sollen ja die Gründe für alle möglichen Maßnahmen sein. Lebenswert ist dann oft kaum noch etwas, für alle. Leben? Leben für wen?

    2. Als Betroffener kann ich dazu sagen, daß all die Wahrnehmungen die wir machen und haben ausbalanciert werden können.
      Ich bin von 2016 bis 2023 in Gesprächen mit einem Therapeuten gewesen. Quintessenz dieser Gespräche ist, daß die Kommunikation ein lebenslanger Prozeß und Entwicklung ist, wobei man selbst entscheidet wie man dies gestaltet. Ausgenommen man ist von sich oder von anderen oder Geräuschen oder Lärm absorbiert und reagiert „psychotisch“. Ver-rückt ist wohl eher nachvollziehbar.

      Leider oder zum Glück ist die Sprache sehr facettenreich und bietet so enorme Möglichkeiten diese „Ver-rücktheit“ als „normal“ zu sehen.

  5. Ich habe in meinem Umfeld mehrfach privat mit psychisch erkrankten Personen zu tun. In zwei Fällen bin ich seit Jahren vom jeweils zuständigen Amtsgericht mit der persönlichen Betreuung in medizinischen Sachverhaltn betraut worden.
    Auf der einen Seite wird von klinischen Einrichtungen sicherlich (auch längerfristig stationär) versucht, z.B. psychisch betroffene Patienten u.a. medikamentös auf den Pfad einer selbstbestimmbarer Lebenswirklichkeit zurückzuführen. Auf der anderen Seite sind solche Patienten ohne angemessene Besuchskontakte zu medizinisch permanent „nachhakenden“ Angehörigen (oder im fortgeschrittenen Seniorenalter) viel zu oft nur medizinisches Einzelobjekt (selbst in Fachkliniken).
    Je nach aktueller Phase der psychischen Erkrankung macht ein wenig Sinn, mit temporär wenig einsichtsfähigen Betroffenen über einzuleitende bzw. fortzuführende Maßnahmen zu diskutieren; oder diesem sogar formale Vorgänge zur Kenntnis zu bringen. Wenn dieser temporär nicht will, nicht versteht oder aus welchen Gründen auch immer spezifisch verordnete Medikamente ablehnt; kommt es leider viel zu oft auch in besonders geschützten (abgeschlossenen) Stationen schnell zu einer patientenseitigen Eskalation.
    Wenn nach mehrmonatigem Klinikaufenthalt kein vom Amtsgericht eingesetzter Betreuer hinsichtlich Aufenthaltsbestimmung in Gesundheitsfragen, oder ein beherzter Angehöriger, dem Patienten in seinem ureigensten legitimen Interesse „zur Hilfe“ eilt; entsteht leider oft der Eindruck, dass die negativ vom Patientenverhalten betroffene Stationsleitungen sich „vorschnell“ eines Ablaufproblems entledigen wollen.
    Entweder durch Verlegung auf eine andere Fachstation (mit anderen hausinternen Zuständigkeiten), mit einer fragwürdigen Entlassung in kaum strukturiert vorbereitete Belastungsurlaube (z.B. am Wochenende mit zumindest einer Übernachtung zu Hause), oder gar bemerkenswert „passend“ begründeter Klinikentlassung.

    1. Und immer wieder Medikamente… Sicher können sie einige Symptome lindern. Aber auch viele andere erzeugen. Neuropleptika wirken oft sehr schädlich auf Menschen, haben zahlreiche Nebenwirkungen, verschlechtern Wahrnehmung, Lebensqualität, verkürzen Lebensalter. Es gibt bei DGSP einen Fachausschuss „Non Compliance“. Was wirklich nicht einsichtig ist, das sind oft nicht die Betroffenen, die nicht verstanden werden, sondern das System, das ihnen „Lösungen“ vorschreibt, die nicht funktionieren. Es wäre wichtig, wirklich sich um Menschen zu kümmern und danach ehrlich zu fragen, was bei ihnen los ist, was ihnen fehlt. Welche Hilfe kommt an? Für mich zählen offene und ehrliche Gespräche sehr viel, im Austausch mit guten Professionellen oder in der Selbsthilfe mit anderen Betroffenen.

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