Datenaustausch zwischen BehördenInnenminister setzen Vertrauen bei der Behandlung psychischer Erkrankungen aufs Spiel

Die Innen- und Gesundheitsminister:innen haben auf ihren letzten Konferenzen über den Umgang mit psychisch erkrankten Personen beraten. Doch Ideen wie ein „integriertes Risikomanagement“ oder Datenaustausch zwischen Gesundheitsbehörden und Polizeien treiben Stigmatisierung voran und behindern angemessene Hilfe.

Bild eines Gehirns wie durch eine Mosaik-Scheibe betrachtet.
Das Vertrauen durch die Schweigepflicht ist wichtig, damit psychisch erkrankte Personen sich Hilfe suchen können. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Shubham Dhage

Menschen, die an psychischen Erkrankungen leiden, brauchen Hilfe. Doch auf dem Weg zu angemessener Unterstützung gibt es viele Hürden: Hilfesuchende müssen teils mehrere Monate warten, bis sie einen ambulanten Psychotherapieplatz bekommen, in ländlichen Gebieten bis zu einem Jahr. Noch immer hält die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen viele davon ab, sich überhaupt in Behandlung zu begeben.

Diese Angst vor Stigmatisierung wird nun weiter genährt durch die Innenminister:innen von Bund und Ländern, die auf ihrer Konferenz im Juni psychische Erkrankungen vor allem als sicherheitsbehördliches Thema und nicht als Problem der Gesundheitsversorgung dargestellt haben.

Datenaustausch mit der Polizei zu psychischen Erkrankungen

In einem der Beschlüsse der Innenministerkonferenz fordern die Minister:innen ein „integriertes Risikomanagement“ bei Menschen mit psychischen Erkrankungen. Es geht dabei um das Risiko, dass psychisch erkrankte Personen Straf- und insbesondere Gewalttaten begehen könnten. Um dem zu begegnen, wollen die Innenminister:innen mehr Datenaustausch, an dem sich Gesundheits-, Sicherheits-, Justiz- und Ausländerbehörden beteiligen sollen.

„Bei einem identifizierten Gefährdungspotenzial muss ein gemeinsames integriertes Fallmanagement einsetzen, mit dem Ziel, alle gesundheitsbehördlichen und polizeilichen sowie ggf. aufenthaltsrechtlichen Möglichkeiten zum Schutz anderer Menschen vor diesem Risiko auszuschöpfen“, heißt es im Beschluss.

Ähnlich klingt eine Entschließung der Gesundheitsminister:innen von Bund und Ländern, die ebenfalls im Juni tagten. Sie wollen denn „Austausch von Gesundheitsdaten und den Erkenntnissen der Gefahrenabwehrbehörden unter datenschutzrechtlichen Vorgaben“ prüfen.

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Stigmatisierung statt Hilfe

Beide Beschlüsse stehen unter dem Eindruck mehrerer bundesweit diskutierter Gewalttaten der vergangenen Monate. Im Mai griff eine Frau am Hamburger Hauptbahnhof Menschen mit einem Messer an, sie war erst einen Tag zuvor aus einer psychiatrischen Klinik entlassen worden. Im vergangenen Dezember fuhr ein Mann mit einem Auto in den Magdeburger Weihnachtsmarkt. Bei der Amokfahrt tötete und verletzte er mehrere Menschen. Zuvor war er wiederholt wegen wahnhafter Äußerungen aufgefallen und bereits wegen der Androhung von Straftaten verurteilt worden.

Nach der Tat im Dezember hatte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann ein Register für psychisch erkrankte Gewalttäter gefordert. Mehrere Psychiater:innen und Psychotherapeut:innen hatten damals die Forderungen vehement abgelehnt. Sie forderten eine bessere und niedrigschwelligere Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen statt weiterer Stigmatisierung. Außerdem wiesen sie darauf hin, dass nur selten ein direkter Zusammenhang zwischen einer psychischen Erkrankung und einer Gewalttat bestünde.

Dieser Einwand wird durch wissenschaftliche Untersuchungen gestützt. In einer Übersichtsarbeit schrieb die kanadische Sozialepidemiologin Heather Stuart, die zur Stigmatisierung psychischer Erkrankungen forscht: „Psychische Störungen sind weder notwendige noch hinreichende Ursachen für Gewalt.“ Viel relevanter für das Risiko, eine Gewalttat zu begehen, seien soziodemografische und sozioökonomische Faktoren wie Jugend, Männlichkeit und ein niedriger sozioökonomischer Status.“ Der Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und Gewalttaten sei in der öffentlichen Wahrnehmung überschätzt.

„Prävention gelingt durch Hilfe, nicht durch Verdacht“

Das kritisiert auch Elisabeth Dallüge. Sie ist Mitglied des Bundesvorstandes der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung. Der Berufsverband sehe den Beschluss der Innenministerkonferenz „mit großer Sorge“, schreibt sie gegenüber netzpolitik.org: „Auch wenn er sich formal auf eine kleine Risikogruppe bezieht, verfestigt er strukturell den Eindruck, psychische Erkrankungen seien ein isoliertes Sicherheitsrisiko – das befördert Stigmatisierung und behindert Versorgung.“ Der geplante Austausch von Gesundheitsdaten zwischen verschiedenen Behörden stelle die Schweigepflicht infrage und gefährde „das Vertrauensverhältnis, das für jede Behandlung essenziell ist.“

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Nach Meinung der PsychotherapeutenVereinigung brauche es keine Kontrolle, sondern eine „konsequent ausfinanzierte, multiprofessionelle Versorgung – mit spezialisierten Ambulanzen, klarer Verantwortung im Gesundheitswesen und einer gesetzlichen Einbindung psychotherapeutischer Expertise“.

Andere Vorschläge der Innenministerkonferenz gingen in eine richtige Richtung, etwa ein Reformvorschlag zu den Psychisch-Kranken-Gesetzen der Länder. Dort soll geprüft werden, wie unterhalb der Schwelle einer Zwangsunterbringungen etwa verpflichtende Therapieauflagen oder eine überprüfte Medikamenteneinnahme umgesetzt werden könnten. Das könne sinnvoll sein, schreibt Dallüge – „vorausgesetzt, die Maßnahmen erfolgen im Rahmen eines gestuften, therapeutisch begleiteten Nachsorgekonzepts.“

Die Psychotherapeutin Dallüge, die selbst Erfahrungen in der Arbeit im Maßregelvollzug hat, fasst zusammen: „Prävention gelingt durch Hilfe, nicht durch Verdacht.“

Gewaltrisiko kann durch Angst vor Stigmatisierung steigen

Die Fachgesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (DGPPN) hat ein Positionspapier verfasst, das zu ähnlichen Ergebnissen kommt. Die Präsidentin der Gesellschaft, Prof. Dr. Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank, sagt dazu: „Wir brauchen keine neuen gesetzlichen Regelungen oder Konstrukte – wir müssen die bestehenden Möglichkeiten besser anwenden. Register oder die Weitergabe von medizinischen Daten an Behörden mindern das Gewaltrisiko nicht.“ Stattdessen könne das Risiko für Gewalttaten steigen, „wenn die Furcht vor Stigmatisierung dazu führt, dass Betroffene nicht zum Arzt gehen oder sich erst spät behandeln lassen“, so die Neurologin und Psychiaterin.

Welche Daten genau ausgetauscht werden sollen, wie ein Risikopotenzial ermittelt werden kann und welche Gesetze in Bund und Ländern dafür geändert werden müssen, konkretisieren weder Gesundheits- noch Innenminister:innen. Müssen Menschen, die sich etwa wegen Wahnideen ärztliche Hilfe suchen, nun Angst haben, dass Informationen zu ihren Symptomen bei der Polizei landen? Der Arbeitskreis „Früherkennung und Bedrohungsmanagement“ soll bis zur Herbstsitzung der Innenminister:innen die Vorschläge zu Datenaustausch und Risikoerkennung weiter ausarbeiten.

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9 Ergänzungen

  1. Falls ich befürchten müsste, dass mich die Polizei präventiv „behandelt“ nur, weil mein Therapeut mir Aggressionspotential unterstellt (und ich vielleicht noch nicht einmal davon weiß), dann werde ich selbstverständlich nicht mehr offen mit Arzt oder Therapeut reden. Eigentlich wegen nichts mehr. Einige Therapeuten und Ärzte haben da ja sehr interessante Ansichten, was sie einem so unterstellen und sprechen das wohl eher nicht oder nie mit den Patienten ab.
    Eigentlich kann man Psychotherapie oder offene Arztgespräche dann auch gleich ganz abschaffen. Dann werden wohl noch mehr durchdrehen, nicht weil sie wollen, sondern, weil sie hilflos sind. Und Zack, nächste Verschärfung und dann wieder zurück in die 40-60er?
    Widerlich.

    1. Man bekommt noch Psychotherapie? Die Wartezeiten sind so lange, dass es wohl wahrscheinlicher ist, dass jemand Suizid begeht, bevor man ihn überhaupt behandeln kann.

      Es ist eine Frechheit, ein Register zu fordern, aber keine Psychotherapie Plätze bereitzustellen. Wahnsinn!

  2. @ blue 24. Juni 2025, 15:17 @ Anonym 25. Juni 2025 17:25

    Therapien sind sehr überbewertet. Besonders Laien brüsten sich mit dem Begriff Therapie. Die dienen mehr den Therapeuten::.innen, nicht den Klienten -innen. Im medizinischen (auch therapeutischen und „Sozial-„) Bereich werden die Symptome betrachtet. Und diese werden bearbeitet, um sie gemäß den Erwartungen des Behandlungspersonals auf „Normalniveau“ zu bringen. Sie sind so ausgebildet.
    Gründe, Ursachen, Hinentwicklung zu den Symptomen, Zusammenhänge und Auswirkungen werden nicht gesehen und nicht verstanden. Das psychologische und empathische Niveau des Personals hat Laienniveau (niedriges Bildungsniveau, persönliche und fachliche Defizite.)

    Stichworte für die Eigenwirksamkeit: Starke Persönlichkeit, Souveränität, Stress und Stressoren Vermeidung und Eliminierung (Situationen und Personen) (ein wichtiger Aspekt: Nein-Sagen können), gutes Umfeld, Netzwerk (wichtig, essentiell), 5-stufige Bedürfnispyramide (besonders Stufen 2- 4) (u.a. Wikipedia).
    Das können eher gute (Persönlichkeits-)Coaches (eventuell auch “Selbstbehauptungskurse“) leisten als Therapeuten:::innen.

    P.S.: „Professionelle Hilfe“ heißt nur beruflich für Geld. Es sagt nichts aus über die Qualität oder die Wirksamkeit. Sie werden nicht überprüft.

    1. > P.S.: „Professionelle Hilfe“ heißt nur beruflich für Geld. Es sagt nichts aus über die Qualität oder die Wirksamkeit. Sie werden nicht überprüft.

      Sind etwa selbsternannte Coaches, Heiler:innen und nicht-diplomierte Psycholog:innen nicht beruflich tätig, arbeiten sie umsonst, werden diese überprüft?

      Darf man sich schon deshalb als „professionell“ bezeichnen, weil man selbst überteuerte Kurse oder Workshops bezahlt hat, aber keinen staatlich anerkannten Berufsabschluss, der eine Qualifikation nachweist?

      Das Snakeoil der Quacksalber:innen von heute dient vor allem dem eigenen Profit, nicht dem Wohl von Patienten und Klienten.

  3. Es muss genauso ein Abgleich mit einem Register von sozialauffälligen und verhaltensauffälligen Beschäftigten von Polizei und Verwaltungen erfolgen.
    Häme, Gehässigkeit, Beleidigung und Rechtsmissbrauch ist gang und gäbe. Es gibt keine Kontrollen. Sie haben das persönlich Recht- und Gewaltmonopol zur persönlichen Nutzung im persönlichen Interesse, Freude an der Schädigung anderer (das ist überall weit verbreitet)..
    Es ist typisch, wenn Menschen mit eigenen Defiziten Maßnahmen gegen andere fordern, oder Diesen Defizite unterstellen. Auch, um andere unglaubwürdig zu machen.

    „Psychisch auffällig“, „Messer in der Hand“ oder „Deeskalation“ ist die typische Behauptung bei dumpfem aggressivem Vorgehen. Es wir von niemandem kritisch hinterfragt. Im Gegenteil, Politik, Medien und Justiz nehmen das Narrativ als vermeintliche Tatsachen auf, von Leuten, die nicht einmal Fahrbahn und Straße, und Autoverkehr und Straßenverkehr auseinanderhalten können (§ 2 StVO). Einfache Menschen mit geringer Bildung und Bildungsdefiziten.

    Probleme sind die geringen Qualitäten der Bewerbungen (hohe Durchfallraten trotz Absenkung der Anforderungen), geringe Qualität der Ausbildenden (falsche Ausbildungen auf Mobniveau (das ist valide)), keine Kontrollen, keine Folgen für Fehlverhalten.

  4. Na, ob sich da die Innenminister nicht massiv selbst ins Knie schießen?

    Ich meine, wie krank ist es denn, immer wieder das Risiko einzugehen, vom Verfassungsgericht abgewatscht zu werden? Wie krank ist es, Menschen auf Grund ihrer Herkunft oder Religion zu stigmatisieren? Ist Elitedenken krankhaft? Welches Gefährdungspotential ergibt sich aus der Idee rechter als die Rechten zu werden, um deren Wähler einzufangen oder gar auf dem rechten Auge blind zu sein? Wie etwa deutet Populismus bis hin zur bewußten Manipulation auf eine verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit hin?

    Nun eine Datenbank psychisch kranker Menschen? Einverstanden, wenn es eine Datenbank korrupter oder verfassungsfeindlicher Politiker gibt. Eine Datenbank der Machtmenschen, die bewußt gegen ihren geleisteten Eid verstoßen. Eine Datenbank derer, die Menschen mit Stereotypen belegen und dann Repressionen erfinden, wie es Faschisten eben so tun.

    Man könnte auf den Gedanken kommen, dass eine fragwürdige Psyche Voraussetzung für das Amt eines Innenministers ist. Paranoia nennt man das.

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