Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) fordert, Tracking für Online-Werbung mit einem neuen EU-Gesetz zu verbieten. Das Anlegen von Profilen mithilfe von Tracking führe zu Manipulation, Diskriminierung und Vertrauensverlust von Nutzer:innen. So lautet das Fazit eines neuen Gutachtens der Verbraucherschützer:innen. Bestehende Regelungen würden keinen ausreichenden Schutz bieten, um den Gefahren zu begegnen.
Grundlage für die Forderungen der Verbraucherschutzorganisation ist ein ausführliches Gutachten der Jurist:innen Max von Grafenstein und Nina Elisabeth Herbort. Sie kommen zu dem Schluss, dass das Ökosystem der Online-Werbung in seiner aktuellen Form erhebliche Risiken berge. Für Individuen seien dies etwa Eingriffe in die Privatsphäre sowie die Gefahr von Manipulation und Diskriminierung.
Strukturelle gesellschaftliche Gefahren
Verbraucher:innen könnten zudem wirtschaftliche und gesundheitliche Schäden erleiden, wenn Menschen mit zielgerichteter Werbung in die Irre geleitetet werden. Darüber hinaus sehen die Expert:innen im unkontrollierten System der Online-Werbung strukturelle gesellschaftliche Gefahren, unter anderem für den freien Wettbewerb, demokratische Prozesse, den öffentlichen Diskurs und die nationale Sicherheit.
Tracking funktioniert bisher nur mit der Zustimmung der Nutzer:innen, zumindest auf dem Papier. Wenn sie jedoch beispielsweise bei einem „Pur Abo“ den Cookie-Dialog abnicken, statt ein Bezahl-Abo abzuschließen, dann ist es für sie nur schwer zu verstehen, wie ihre Daten verarbeitet und genutzt werden. Generell seien Risiken wie Manipulation oder Diskriminierung dabei nicht absehbar. Nutzer:innen würden solchen Folgen kaum zustimmen, selbst wenn sie vollständig informiert seien sollten.
Der notorisch intransparente und schwer durchschaubare Markt, auf dem Databroker täglich Milliarden an Datenpunkten von Nutzer:innen verschleudern, steht bereits seit Langem in der Kritik. Zuletzt musste etwa Wetter Online, Deutschlands populärste Wetter-App, nach Recherchen von netzpolitik.org und dem Bayerischen Rundfunk, seine Datenschutz-Regeln verschärfen. Unter anderem hatte die Recherchereihe offengelegt, wie einfach sich Stützpunkte von US-Militär und NATO in Deutschland durch Handy-Standortdaten ausspähen lassen. Ein Vorstoß von EU-Abgeordneten, personalisierte Werbung zu verbieten, ist bei den Verhandlungen rund um den Digital Services Act (DSA) am Widerstand der Datenindustrie gescheitert.
Unzureichender Schutz
Entsprechend kurz greifen bestehende Gesetze. Weder die europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), noch die ePrivacy-Richtlinie sind dafür ausgelegt, systemischen Risiken durch personalisierte Werbung entgegen zu treten. Die DSGVO ist breit gefasst, was zu Schlupflöchern und Problemen bei der Umsetzung führt. Entfernt verwandte Gesetze wie der DSA oder das KI-Gesetz haben zwar die Gefahren erkannt und schützen Nutzer:innen teilweise. Allerdings gelten diese nicht flächendeckend, sondern nur für einzelne Akteure oder in bestimmten Kontexten.
Aufgrund der weitreichenden Folgen von Tracking und den unzureichenden Ansätzen fordert der Verband deshalb umfassende Änderungen: „Verbraucher:innen sind den Praktiken der Werbeindustrie machtlos ausgeliefert. Die bestehenden Gesetze reichen nicht aus. Ein Verbot von Tracking und Profilbildung ist der einzige Weg, Verbraucher:innen nachhaltig zu schützen“, sagt Michaela Schröder, Geschäftsbereichsleiterin Verbraucherpolitik beim vzbv.
Verbot gefordert
Im Einzelnen soll Cross-Site-Tracking und das Zusammenführen von Daten aus verschiedenen Quellen verboten werden, so der vzbv. Auch das Schließen auf bestimmte Eigenschaften von Nutzer:innen durch bereits bekannte Datenpunkte sollte ebenfalls verboten werden, da die Schlussfolgerungen falsch sein und Nutzer:innen diskriminieren können. Darüber hinaus soll die Verarbeitung von sensiblen Datentypen beendet werden. Dazu sollen künftig auch Standortdaten zählen. Eigenschaften wie mentale oder körperliche Krankheiten für Werbung auszunutzen, soll ebenfalls untersagt werden.
Das würde das bestehende Online-Werbesystem fundamental verändern. Indes schlägt der vzbv alternative Ansätze vor, etwa kontextbasierte Werbung. Anstatt personalisierte Werbung angezeigt zu bekommen, würden zum jeweiligen Inhalt passende Anzeigen geschaltet. Wer beispielsweise nach einer Anleitung zum Flicken von Reifen sucht, erhielte dabei Anzeigen von Flickzeug oder einem neuen Rad eingeblendet.
Als zweiten Schritt fordert der vzbv ein zentrales Register für Unternehmen, die persönliche Daten zu Werbezwecken verarbeiten. Dieses soll unter der Kontrolle einer EU-Behörde stehen und zur Kontrolle der Konzerne beitragen. Unternehmen müssten erforderliche Zertifikate vorweisen und Auskunft über Datentypen und den Verwendungszweck der Daten geben. Unternehmen, die dem nicht nachkommen, sollten von dem Register ausgeschlossen werden und nicht mit persönlichen Daten handeln dürfen. Externe Audits sollen sicherstellen, dass Unternehmen allen Regeln nachkommen und ihre Marktmacht nicht ausnutzen.
Für die EU-Kommission wäre etwa der geplante Digital Fairness Act eine Gelegenheit, die Forderungen in ein Gesetz zu gießen. Darauf drängt eine ganze Reihe zivilgesellschaftlicher Organisationen und EU-Abgeordneter. Im heute vorgestellten Arbeitsprogramm der EU-Kommission fehlt die Initiative noch, zu rechnen ist mit einem konkreten Gesetzentwurf wohl erst im Jahr 2026.
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