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BreakpointMerry Cringemas

Zum Weihnachtswahlkampf versuchen sich die Parteien in sozialen Medien an Memes. Doch leider scheitern sie kläglich bei dem Versuch, jung und cool zu wirken. Dabei war 2024 vieles – aber kein schlechtes Meme-Jahr. Unsere Kolumnistin präsentiert ihre fünf besten Politik-Memes des Jahres.

Parteipolitische Memes? Da geht noch was. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Amin Alizadeh

Als wären wir von den politischen Geschehnissen dieses Jahres nicht genug gestraft, scheinen die Parteien die Memes für sich entdeckt zu haben. Irgendwelche Politikberater:innen werden ihnen wohl gesagt haben, dass sie damit die „jungen Leute“ für sich gewinnen könnten. Schließlich sind die Stimmen der Erstwähler:innen heiß begehrt wie nie. Anreiz genug also, sich mal richtig ins Zeug zu legen – sollte man zumindest meinen.

Doch nicht immer geht das gut. Die CDU postete mehrere Male das Template eines einfarbigen Tortendiagramms, mit viel Text und ohne Pointe. Ein Template ist eine bestimmte Vorlage, die je nach Nutzer:in angepasst wird – also beispielsweise eine Bildvorlage, die immer wieder um verschiedene Beschriftung ergänzt wird.

Danach folgen im CDU-Instagram-Feed weitere solcher Template-Memes, die das Wahlkampfteam wohl von einer Höhlenwand im Neandertal abgepaust hat.

Die SPD veröffentlichte derweil eine Collage mit Olaf-Scholz-Bildern, die man wohl nur im überhitzten Dachgeschoss des Willy-Brandt-Hauses unterhaltsam finden kann. Die Grünen posten währenddessen Horoskope über die Parteien als Sternzeichen. Aua. Und alle drei Parteien sowie die CSU haben Anfang Dezember ihren Spotify-Jahresrückblick hochgeladen. Bei der CSU kann man die „Top Flops der Ampel“ ansehen, die SPD präsentiert ihr Spitzenpersonal als Hits des Jahres. Gähn. Einfallsreich war nichts davon. Nur die FDP möchte ihren frugalen schwarz-gelben Feed offensichtlich nicht mit Bildchen und Templates versauen. Doppel-Gähn.

Statt also junge Wähler:innen mit Humor für sich zu gewinnen, vertreiben die Parteien sie mit cringen Memes. Und all das, obwohl 2024 kein schlechtes Meme-Jahr war. Höchste Zeit also, dass die Wahlkampfmanager*innen in Berlin im Wahlkampfendspurt noch etwas hinzulernen. Hier sind meine TOP 5 der besten Polit-Memes aus diesem Jahr.

Platz 5: Romantic President Lula

Den Anfang machen Memes für echte Liebhaber – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn Brasiliens Präsident Lula da Silva ist dafür berüchtigt, andere Regierungschefs um den Finger zu wickeln – und das vor laufender Kamera. So wurden etwa nach der G20-Konferenz im vergangenen November etliche Bilder und Videos von Lula geteilt, wie er andere Staatschefs fest an sich drückt oder ihre Hände zu halten scheint. Ein Romantiker der alten Schule können von Tinder und Hinge abgestumpfte Zoomer da nur seufzen.

Auf besonders großen Widerhall gestoßen sind die Foto-Sessions mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron. Der wird in der GenZ-Politmemebubble schon seit Jahren als echter Loverboy gehandelt. Die Pressefotos der beiden Staatsmänner lassen die unbeleckte Beobachterin da nur wundern, ob man wohl gerade stört. Im auffallenden Kontrast dazu stehen übrigens Lulas Fotos mit Argentiniens Präsidenten Javier Milei. Dem Anarchokapitalisten schenkt Lula weder ein Lächeln noch eine Umarmung. Christian Lindners „Mehr Milei wagen“ würde dem FDP-Chef demnach mutmaßlich weder Wagenküsschen auf der Weltbühne noch Meme-Edits mit Herzchen zum Liebessoundtrack einbringen.

Die romantischen Lula-Memes zeigen: Wen Lula sympathisch findet, der bekommt Küsschen. Und wer Küsschen von Lula kriegt, dessen Gunst steigt auch in den Love-Edits der GenZ. Deren Bedeutung für die Meinungsbildung der Erstwähler:innen sollten auch die hiesigen Parteien nicht unterschätzen. Also, Herr Lindner: Wenn ich zwischen Sympathie und Wirtschaftsstrategie wählen müsste, würde ich an Ihrer Stelle an beidem arbeiten.

Platz 4: #womeninmalefiels

Als feministischer Trend gelobt, fand dieses Meme schnell Eingang in den TikTok-Journalismus: #womeninmalefields stellt die x-te Welle des liberalen Social-Media-Aktivismus dar. Dabei erzählten Frauen von ihren Erfahrungen mit Männern als hätten sie selbst wie diese gehandelt. Besonders politisch war dieser Trend meist nicht. Es gelang ihm dennoch, die Aufmerksamkeit auf patriarchale Verhaltensmuster und Machtstrukturen zu lenken.

Davon könnte so mancher Spitzenkandidat etwas lernen. Friedrich Merz zum Beispiel, der sich bislang nicht durch sein frauenpolitisches Engagement hervorgetan hat. Zu seinem Glück dauerte es nicht lange, bis der Trend, wie so oft bei viralen Memes, verfremdet wurde. Aus Frauen in Männerbereichen wurden die Männer in Frauenbereichen. Männer begannen Storys über ihre Erlebnisse zu posten – und schienen Frauen damit nicht selten „eins auswischen“ zu wollen.

Hier sollte Merz besser relaten können. Als männlicher Kanzlerkandidat der CDU bewegt er sich schließlich auf weiblichem Terrain, ein echter #maninfemalefields also! Doch leider erfüllt Merz damit genau die Erwartung, die der Gegentrend zum #womaninmalefields geweckt hatte: Es wirkt erzwungen und wirklich lustig findet es auch niemand.

Mein Rat an Friedrich Merz: Statt einen ausgelutschten Trend zum zigsten Mal nachzuahmen, besser einen eigenen setzen. Wie wäre es zum Beispiel damit, mit 69 einfach mal in Rente zu gehen?

Platz 3: Deutschlands frechster Arbeitsloser

Die Ampel hat uns drei Jahre lang den letzten Nerv geraubt – aber zum Ende ein paar herzhafte Lacher beschert. Der dritte Platz ist hausgemacht. Und damit gutes altes deutsches Mittelmaß.

Mit einem Knall ließ der Bundeskanzler seine bereits am Boden siechende Regierung platzen. Kurzerhand schmiss er Finanzminister Lindner vor die Tür. Ich glaube, es hat keine zehn Minuten gedauert, bis die ersten Memes darüber in meinem Instagram-Feed aufploppten. Das wohl populärste: „Christian Lindner – Deutschlands frechster Arbeitsloser“.

Eine solche Meme-Schnelligkeit hatte ich bis dato nicht erlebt. Der fast zeitgleiche Ablauf von Geschehen und Kommentierung in Memes zeigt, wie relevant diese für junge Social-Media-User für die Verarbeitung des Zeitgeschehens sind. Und sie fanden prompt Rezeption: Selbst während eines Pressestatements des Ex-Ministers musste er sich die Frage gefallen lassen, wie er mit der Bezeichnung als „Deutschlands frechsten Arbeitslosen“ umginge.

Ja, es hat gutgetan, über Lindner und die FDP zu lachen – aber das können wir auch ohne Memes tun. Und so erstaunlich es war, dass Olaf Scholz für einen Moment Entschiedenheit und Führungsstärke zeigte – das Momentum hat er ebenso schnell wieder verspielt. Zu lange gezögert, zu viel gezaudert und damit auch kein neues Meme-Potenzial geschaffen. Mit Abwarten und Ruhe bewahren kommt man nicht auf Platz zwei dieser Liste. Das geht – man muss es leider so zynisch sagen – nur mit Waffengewalt.

Platz 2: Luigi Mangione

Auf Platz zwei ist Amerikas „Held der Stunde“. Nach der Tötung des Krankenversicherungschefs Brian Thompson lechzt das Internet förmlich nach dem mutmaßlichen Mörder. Jung, revolutionär, gutaussehend lautet die Devise. Kaum war der Verdächtige festgenommen, überfluteten seiner neugewonnenen Fans die sozialen Medien regelrecht mit sogenannten Thirst Traps über Luigi Mangione. „Mama, I’m in looove with a criminal“, dröhnt Britney Spears aus jedem zweiten TikTok und Reel entgegen.

Gefeiert wird der 26-Jährige aber nicht nur aufgrund seiner physischen Attribute. Denn schon lange bevor seine Identität bekannt war, fand der Mord großen Zuspruch in den sozialen Medien – weil ihm der CEO eines verhassten Versicherungskonzerns zum Opfer fiel. Der Zuspruch zeigt: Die US-amerikanischen Zoomer haben offenbar genug vom friedlichen Protest gegen ein System, das ihre Gesundheit zur Disposition von Aktionären stellt, während die Dividenden der Konzerne stetig ansteigen.

Viele von ihnen befürworten radikalere Vorgehensweisen. Von links wie von rechts ist Forderung nach mehr Widerstand gegen das kapitalistische System zu vernehmen. Die Memes tragen dazu bei, die Klassenverhältnisse ins kollektive Bewusstsein zu bringen. Dieses Potenzial könnten auch die deutschen Parteien zu ihren Gunsten nutzen – wenn sie nur besser memen würden. Platz eins zeigt aber auch, dass Meme-Trends nicht erzwungen werden können.

Platz 1: Coconut tree

Der erste Platz des Polit-Meme-Rankings gebürt dem wichtigsten globalen Politereignis in diesem Jahr: die US-Präsidentschaftswahl. Einen heißen Sommer im „brat“-Modus haben TikTok, Instagram und Co. erlebt. Und eine schien davon besonders zu profitieren: Kamala Harris.

Nachdem die „brat“-Sängerin charli xcx die Präsidentschaftskandidatin als „brat“ bezeichnet hatte, füllte sich die gesamte demokratische Social-Media-Bubble mit der Bezeichnung. Besonders beliebt war auch Harris ansteckendes Lachen sowie ihre Aussage „You think you just fell out of a coconut tree? You exist in the context of all in which you live, and what came before you.“ Zu Deutsch: „Denkt Ihr, Ihr seid einfach aus einer Kokospalme gefallen? Ihr existiert im Kontext von allem, in dem ihr lebt und was vor Euch da war.“

Sound-Snippets wurden erstellt, Edits hochgeladen, Memes gepostet. Überall waren die Worte „coconut tree“ zu hören, Harris‘ Anhängerinnen verzierten ihre Social-Media-Profile mit einem Kokosnuss- und einem Palme-Emoji. Die Kokosnuss selbst avancierte zum Symbol für den demokratischen Social-Media-Wahlkampf.

Dieses Meme zeigt wie kein anderes, dass deren Erfolg maßgeblich von seinem Kontext abhängt. Memes können nicht erzwungen werden, sondern sind das Ergebnis eines kollektiven Prozesses, bei dem sich eine Vielzahl an Menschen dazu entscheidet, einen Zusammenhang so unterhaltsam zu finden, dass es ihn reproduziert. Das lösen die Memes der Parteien aktuell nicht aus – weder setzen sie einen solchen Prozess in Gang (denn sie sind nicht witzig genug) noch knüpfen sie an einen bestehenden Trend an (deshalb werden sie nicht als witzig wahrgenommen).

Meme-Materialismus: Cool ist, wer cooles tut

Der beste Weg, Aufmerksamkeit durch Memes zu erlangen, ist etwas „Memehaftes“ zu tun: Also zum Beispiel mit Staatschefs Händchen zu halten oder den eigenen Finanzminister hochkant rauszuwerfen.

Markus Söder hat kürzlich im Bundestag gesagt: „Ich kenne keinen, der uncooler ist als Sie, lieber Herr Scholz“. Im Sinne der Meme-Entstehung in sozialen Medien ist das jedoch falsch. Jemand wird als cool wahrgenommen, wenn er coole Sachen macht. Als Scholz seinen Finanzminister Lindner rauswarf, ritt er vorübergehend die Meme-Welle. Währenddessen versucht Söder vehement und seit einer gefühlten Ewigkeit, mit seinen Essensfotos memehaft zu werden – und scheitert kläglich. Man könnte es den Meme-Materialismus nennen: Nicht die Memes prägen, wie Menschen über Politik denken, sondern tatsächliche Handlungen beeinflussen, wie Menschen über Politik denken – und diese Stimmung wiederum schlägt sich in Memes nieder.

Statt sich also die Köpfe darüber zu zerbrechen, wie sie coole Memes kreieren und junge Wähler:innen für sich gewinnen können, sollten sich Parteien lieber Gedanken darüber machen, wie sie es etwas Cooles tun können. Dann kommen die Memes von ganz allein. Und vielleicht kommt am Ende ja sogar auch gute Politik dabei heraus.

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